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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 28.03.1996
Aktenzeichen: C-270/95 P
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 40/94
Vorschriften:
Verordnung Nr. 40/94 Art. 115 |
Da der Anwendungsbereich des Artikels 115 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke, der auf alle Anmelder einer Gemeinschaftsmarke anwendbar ist, denen er eine Sprachenregelung auferlegt, im Hinblick auf seinen Zweck objektiv bestimmt ist, ist die gegen diese Vorschrift erhobene Nichtigkeitsklage einer natürlichen Person ° eines Markenbevollmächtigten °, die nicht dargetan hat, daß ihre tatsächliche Situation sie von jeder anderen Person unterscheidet, die für sich selbst oder für ihre Mandanten eine Gemeinschaftsmarke erwerben möchte, unzulässig.
Beschluss des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 28. März 1996. - Christina Kik gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Verordnung (EG) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke - Sprachen - Nichtigkeitsklage - Natürliche und juristische Personen - Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen - Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel. - Rechtssache C-270/95 P.
Entscheidungsgründe:
1 Frau Kik hat mit Rechtsmittelschrift, die am 9. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes und den entsprechenden Vorschriften der EGKS- und der EAG-Satzung ein Rechtsmittel gegen den Beschluß des Gerichts vom 19. Juni 1995 in der Rechtssache T-107/94 (Kik/Rat und Kommission, Slg. 1995, II-1717) eingelegt, mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Artikels 115 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1), soweit darin Niederländisch als Sprache des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (im folgenden: Amt) ausgeschlossen wird, als unzulässig abgewiesen hat.
2 Dieses Amt wurde durch Artikel 2 der Verordnung Nr. 40/94 errichtet.
3 Der Gebrauch der Sprachen bei den Verfahren der Anmeldung, des Widerspruchs, des Verfalls und der Nichtigkeit von Marken bestimmt sich nach Artikel 115 der Verordnung Nr. 40/94. Nach Absatz 1 dieses Artikels können Anmeldungen von Gemeinschaftsmarken beim Amt in einer beliebigen Amtssprache der Europäischen Gemeinschaften eingereicht werden. Absatz 2 bestimmt, daß die Sprachen des Amtes ausschließlich Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch sind. In den Absätzen 3 bis 7 ist u. a. vorgesehen, daß der Anmelder in seiner Anmeldung eine "zweite Sprache" anzugeben hat, die eine der Sprachen des Amtes sein muß, daß, wenn die Anmeldung in einer Sprache, die nicht eine Sprache des Amtes ist, eingereicht worden ist, das Amt auch diese zweite Sprache für schriftliche Mitteilungen an den Anmelder wählen kann und schließlich daß davon ausgegangen wird, daß der Anmelder mit der zweiten Sprache als Verfahrenssprache in Widerspruchs-, Verfalls- und Nichtigkeitsverfahren einverstanden ist.
4 Aus dem angefochtenen Beschluß (Randnr. 3) ergibt sich, daß die Rechtsmittelführerin, die die niederländische Sprache spricht, den Beruf der Rechtsanwältin und Markenbevollmächtigten ausübt. Sie ist an einem niederländischen Patentbüro finanziell beteiligt.
5 Mit Klageschrift, die am 15. März 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin Klage gegen den Rat und die Kommission erhoben, mit der sie die Nichtigerklärung des Artikels 115 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94 beantragt hat. Ausserdem hat sie beantragt, dem Amt zu untersagen, die Maßnahmen zu erlassen oder zu veranlassen, die das Amt in die Lage versetzen, seine Arbeit aufzunehmen, bevor der Rat seine Entscheidung, die niederländische Sprache als Sprache des Amtes auszuschließen, revidiert hat. Der Rat und die Kommission sowie das Königreich Spanien, das als Streithelfer zur Unterstützung ihrer Anträge zugelassen worden war, haben beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen.
6 Mit Beschluß vom 19. Juni 1995 hat das Gericht die Klage als unzulässig abgewiesen.
7 In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin, den Beschluß des Gerichts aufzuheben und die Klage gegen den Rat der Europäischen Union auf Nichtigerklärung des Artikels 115 der Verordnung Nr. 40/94 für zulässig zu erklären. Zur Begründung ihres Rechtsmittels trägt sie als einzigen Rechtsmittelgrund vor, das Gericht habe einen Rechtsirrtum begangen, indem es sich auf eine Einteilung der Rechtsbürger in Gruppen je nach der von ihnen verwendeten Sprache gestützt habe. Diese Einteilung sei rechtswidrig, da sie mit der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) unvereinbar sei. Aufgrund dieser Unvereinbarkeit besitze die Verordnung Nr. 40/94 in diesem Punkt keine allgemeine Geltung. Sie habe vielmehr Entscheidungscharakter und betreffe die Rechtsmittelführerin unmittelbar und individuell.
8 In ihrer Rechtsmittelbeantwortung beantragen der Rat und die Kommission, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
9 Nach Artikel 119 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit das Rechtsmittel zurückweisen, wenn es offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.
10 In den Randnummern 35 und 36 seines Beschlusses hat das Gericht ausgeführt:
"35 Soweit die Nichtigkeitsklage gegen den Rat gerichtet ist, ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag die Zulässigkeit einer von einer natürlichen oder juristischen Person gegen eine Verordnung erhobenen Nichtigkeitsklage davon abhängig ist, daß die angefochtene Verordnung in Wirklichkeit eine Entscheidung ist, die die Klägerin unmittelbar und individuell betrifft, und daß das Kriterium für die Unterscheidung zwischen einer Verordnung und einer Entscheidung darin liegt, ob die betreffende Handlung allgemeine Geltung hat (vgl. z. B. Beschluß des Gerichtshofes vom 12. Juli 1993 in der Rechtssache C-168/93, Government of Gibraltar und Gibraltar Development Corporation/Rat, Slg. 1993, I-4009, Beschluß des Gerichts vom 11. Januar 1995 in der Rechtssache T-116/94, Cassa nazionale di previdenza ed assistenza a favore degli avvocati e procuratori/Rat, Slg. 1995, II-1, und Urteil des Gerichts vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-472/93, Campo Ebro u. a./Rat, Slg. 1995, II-421). Eine Handlung hat allgemeine Geltung, wenn sie für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber abstrakt umschriebenen Personengruppen erzeugt (vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 21. November 1989 in der Rechtssache C-244/88, Usines coopératives de déshydratation du Vexin u. a./Kommission, Slg. 1989, 3811, und vom 27. März 1990 in der Rechtssache C-229/88, Cargill u. a./Kommission, Slg. 1990, I-1303).
36 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Verordnung Nr. 40/94, daß diese darauf gerichtet ist, ein einziges Verfahren zu schaffen, aufgrund dessen die Unternehmen eine Gemeinschaftsmarke erwerben können. Als Bestandteil dieses einzigen Verfahrens erzeugt die durch Artikel 115 errichtete Sprachenregelung Rechtswirkungen gegenüber einer abstrakt umschriebenen Gruppe von Personen, nämlich der Personen, die für sich selbst oder für ihre Mandanten eine Gemeinschaftsmarke erwerben möchten. Daraus folgt, daß die Klägerin durch die angefochtene Handlung allein in ihrer objektiven Eigenschaft als Markenbevollmächtigte, ebenso wie alle anderen Markenbevollmächtigten, die sich hinsichtlich der bisher im Rahmen ihrer Berufstätigkeit verwendeten Sprache tatsächlich oder potentiell in der gleichen Situation befinden, betroffen ist (vgl. in ähnlichen Rechtssachen z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 231/82, Spijker/Kommission, Slg. 1983, 2559, Randnr. 9, sowie Beschlüsse des Gerichts vom 29. Oktober 1993 in der Rechtssache T-463/93 GUNA/Rat, Slg. 1993, II-1205, Randnr. 17, und vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-117/94, Associazione agricoltori della provincia di Rovigo u. a./Kommission, Slg. 1995, II-455)."
11 Es ist festzustellen, daß die Argumentation der Rechtsmittelführerin die Schlußfolgerung des Gerichts nicht entkräften kann, daß sie von Artikel 115 der Verordnung Nr. 40/94 nicht unmittelbar und individuell betroffen sei. Entgegen ihrem Vorbringen hat das Gericht keine neue rechtliche Gruppe ° die der Markenbevollmächtigten, die in niederländischer Sprache arbeiten ° geschaffen, sondern lediglich festgestellt, daß sich die Markenbevollmächtigten, die diese Sprache verwenden, in der gleichen tatsächlichen Situation befinden. Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin beruht somit auf einem falschen Verständnis des Beschlusses.
12 Es ist hinzuzufügen, daß die Rechtsmittelführerin nur dann als individuell betroffen angesehen werden kann, wenn sie aufgrund tatsächlicher, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände, die sie in ähnlicher Weise individualisieren wie einen Adressaten, in ihrer Rechtsstellung berührt wird (vgl. Urteile vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, und vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89, Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, Randnr. 20).
13 Daß eine Rechtsvorschrift für die verschiedenen Rechtssubjekte, auf die sie anwendbar ist, unterschiedliche konkrete Auswirkungen haben kann, nimmt ihr nicht ihren Verordnungscharakter, wenn die Fälle, in denen sie anwendbar ist, objektiv bestimmt sind (vgl. insbesondere Urteile vom 11. Juli 1968 in der Rechtssache 6/68, Zuckerfabrik Watenstedt/Rat, Slg. 1968, 612, und vom 5. Mai 1977 in der Rechtssache 101/76, Koninklijke Scholten Honig/Rat und Kommission, Slg. 1977, 797, Randnr. 24).
14 Artikel 115 der Verordnung Nr. 40/94 ist auf alle Anmelder einer Gemeinschaftsmarke anwendbar, denen er eine Sprachenregelung auferlegt. Sein Anwendungsbereich ist somit im Hinblick auf seinen Zweck objektiv bestimmt.
15 In Anbetracht dieser Regelung von allgemeiner Geltung hat die Rechtsmittelführerin nicht dargetan, daß ihre tatsächliche Situation sie von jeder anderen Person unterscheidet, die für sich selbst oder für ihre Mandanten eine Gemeinschaftsmarke erwerben möchte.
16 Daher hat das Gericht die Nichtigkeitsklage der Rechtsmittelführerin zutreffend als unzulässig angesehen.
17 Demzufolge ist das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
18 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Rechtsmittelgrund unterlegen ist, sind ihr ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates und der Kommission aufzuerlegen. Das Königreich Spanien trägt gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung als Streithelfer seine eigenen Kosten.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
beschlossen:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsmittelführerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates und der Kommission. Der Streithelfer trägt seine eigenen Kosten.
Luxemburg, den 28. März 1996
Ende der Entscheidung
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