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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.08.1993
Aktenzeichen: C-271/91
Rechtsgebiete: Art. 6 RL 76/207


Vorschriften:

Art. 6 RL 76/207
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Zwar belässt die Richtlinie 76/207, deren Ziel die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich der verschiedenen Aspekte im Bereich der Beschäftigung, insbesondere hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen, in den Mitgliedstaaten ist, diesen bei der Ahndung einer Verletzung des Diskriminierungsverbots die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung ihres Zieles geeigneten Lösungen, jedoch macht sie es notwendig, daß, sofern im Falle einer diskriminierenden, gegen Artikel 5 Absatz 1 verstossenden Entlassung die finanzielle Wiedergutmachung gewählt wird, diese angemessen in dem Sinne sein muß, daß sie es erlaubt, die durch die diskriminierende Entlassung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen.

Artikel 6 der Richtlinie 76/207 ist daher so auszulegen, daß er es nicht zulässt, daß der Ersatz des einer Person durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens durch eine im voraus festgelegte Obergrenze und dadurch begrenzt wird, daß keine Zinsen zum Ausgleich des Verlustes gewährt werden, der dem Inhaber des Entschädigungsanspruchs durch den Zeitablauf bis zur tatsächlichen Zahlung des ihm zuerkannten Kapitalbetrags entsteht.

2. Eine durch eine diskriminierende Entlassung beschwerte Person kann sich gegenüber einer als Arbeitgeber handelnden staatlichen Behörde auf Artikel 6 der Richtlinie 76/207 berufen, um sich der Anwendung einer nationalen Vorschrift zu widersetzen, mit der Obergrenzen für den Betrag festgelegt werden, der als Entschädigung gewährt werden kann.

Die Tatsache, daß der Staat zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Erreichung des Ziels einer Richtlinie wählen kann, schließt nämlich nicht aus, daß der einzelne vor den staatlichen Gerichten die Rechte geltend machen kann, deren Inhalt sich bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 2. AUGUST 1993. - M. HELEN MARSHALL GEGEN SOUTHAMPTON AND SOUTH WEST HAMPSHIRE AREA HEALTH AUTHORITY. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOUSE OF LORDS - VEREINIGTES KOENIGREICH. - RICHTLINIE 76/207/EWG - GLEICHBEHANDLUNG VON MAENNERN UND FRAUEN - SCHADENSERSATZANSPRUCH BEI DISKRIMINIERUNG. - RECHTSSACHE C-271/91.

Entscheidungsgründe:

1 Das House of Lords hat mit Beschluß vom 14. Oktober 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Oktober 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 6 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen M. H. Marshall (im folgenden: Klägerin) und ihrem früheren Arbeitgeber, der Southampton and South West Hampshire Area Health Authority (im folgenden: Beklagte) wegen Ersatzes des Schadens, den die Klägerin aufgrund ihrer Entlassung durch die Beklagte erlitten hat.

3 Dieses Begehren wird auf die Rechtswidrigkeit der Entlassung gestützt, die im Ausgangsverfahren nicht bestritten wird, nachdem der Gerichtshof mit Urteil vom 26. Februar 1986 in der Rechtssache 152/84 (Marshall, Slg. 1986, 723) in Beantwortung von Vorabentscheidungsfragen des Court of Appeal entschieden hat, daß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß eine allgemeine Entlassungspolitik, wonach eine Frau nur aus dem Grund entlassen wird, weil sie das Alter erreicht oder überschritten hat, in dem sie Anspruch auf eine staatliche Rente erwirbt und das nach den nationalen Rechtsvorschriften für Männer und Frauen unterschiedlich ist, eine durch diese Richtlinie verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.

4 Der Ausgangsrechtsstreit geht darauf zurück, daß das Industrial Tribunal, an das der Court of Appeal den Rechtsstreit zur Prüfung der Frage der Entschädigung zurückverwiesen hatte, den finanziellen Verlust der Klägerin auf 18 405 UKL einschließlich Zinsen in Höhe von 7 710 UKL festgesetzt und ihr eine Entschädigung in Höhe von 19 405 UKL einschließlich eines Betrags von 1 000 UKL als Ersatz des immateriellen Schadens zuerkannt hatte.

5 Wie sich aus den Akten ergibt, kann ein Industrial Tribunal, das eine Klage wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für begründet hält, gemäß Section 65(1)(b) des Sex Discrimination Act 1975 (im folgenden: SDA) anordnen ° wenn es dies für recht und billig hält °, daß der Beklagte dem Kläger einen Geldbetrag in Höhe der Entschädigung zahlt, zu der er von einem County Court hätte verurteilt werden können. Gemäß Section 65(2) SDA gilt für die Entschädigung jedoch eine bestimmte Obergrenze, die zur entscheidungserheblichen Zeit bei 6 250 UKL lag.

6 Wie sich ebenfalls aus den Akten ergibt, war das Industrial Tribunal nicht befugt ° oder zumindest waren die geltenden Vorschriften insoweit nicht eindeutig °, Zinsen auf die Beträge zuzuerkennen, die als Entschädigung infolge einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses zugesprochen wurden.

7 Im Ausgangsverfahren war das Industrial Tribunal der Auffassung, daß Section 35A des Supreme Court Act 1981 ihm die Befugnis verleihe, neben der Entschädigung auch Zinsen zuzusprechen. Seiner Ansicht nach war die Entschädigung im Falle der Klägerin die einzig mögliche Wiedergutmachung, die jedoch wegen der in Section 65(2) SDA vorgesehenen Obergrenze unangemessen sei und Artikel 6 der Richtlinie zuwiderlaufe.

8 Auf die Entscheidung des Industrial Tribunal zahlte die Beklagte 5 445 UKL zusätzlich zu dem genannten gesetzlichen Hoechstbetrag von 6 250 UKL, der bereits vor Anrufung des Tribunal gezahlt worden war. Sie legte jedoch Rechtsmittel gegen die Zuerkennung von Zinsen in Höhe von 7 710 UKL ein.

9 Nachdem das Employment Appeal Tribunal dem Rechtsmittel der Beklagten stattgegeben und der Court of Appeal das weitere Rechtsmittel der Klägerin zurückgewiesen hatte, legte diese Rechtsmittel zum House of Lords ein, das das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1) Stellt es eine Nichtdurchführung von Artikel 6 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 dar, wenn ein Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften eine Person, die im Sinne dieser Richtlinie diskriminiert worden ist, auf gerichtlichem Wege die Zahlung einer Entschädigung verlangen kann, in diesen Rechtsvorschriften eine Obergrenze von 6 250 UKL für diese Entschädigung festsetzt?

2) Hängt, wenn die nationalen Rechtsvorschriften die Zahlung einer solchen Entschädigung vorsehen, die ordnungsgemässe Durchführung von Artikel 6 der Richtlinie davon ab, daß die zu zahlende Entschädigung

a) nicht geringer ist als der Betrag des Schadens, der durch die Diskriminierung entstanden ist, und

b) die Zahlung von Zinsen auf den so festgestellten Schadensbetrag ab dem Zeitpunkt der Diskriminierung bis zum Zeitpunkt der Zahlung der Entschädigung einschließt?

3) Kann eine in diesem Sinne diskriminierte Person, wenn Artikel 6 der Richtlinie unter einem der in den Fragen 1 und 2 genannten Aspekte in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht durchgeführt worden ist, gegenüber einer Behörde dieses Mitgliedstaats geltend machen, daß Artikel 6 die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Obergrenze der zu zahlenden Entschädigung ausser Kraft setzt?

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur wiedergegeben, soweit es die Begründung des Urteils erfordert.

Zur Bedeutung der Vorlagefragen

11 Mit seinen Fragen möchte das House of Lords im wesentlichen wissen, ob sich aus der Richtlinie ergibt, daß eine Person, die von einer staatlichen Behörde aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden ist, Anspruch auf vollen Ersatz des erlittenen Schadens hat, und ob sich diese Person unter Berufung auf Artikel 6 der Richtlinie der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften widersetzen kann, mit denen die Richtlinie durchgeführt werden soll, zugleich aber eine Obergrenze für die Entschädigung festgelegt wird. Das grundlegende Problem besteht demnach darin, Bedeutung und Tragweite von Artikel 6 im Kontext der Grundsätze und Ziele der Richtlinie zu bestimmen.

12 Angesichts des Wortlauts der vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Urteile des Court of Appeal und des Employment Appeal Tribunal zu sehenden Vorlagefragen ist jedoch festzustellen, daß das House of Lords dem Gerichtshof nicht die von der britischen Regierung aufgeworfene Frage vorgelegt hat, ob ein Gericht wie ein Industrial Tribunal, das zur Entscheidung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten eingerichtet worden ist, über die ihm vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen seiner Zuständigkeit hinausgehen darf oder muß, um den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts nachzukommen.

13 Die britische und die irische Regierung haben ferner ausgeführt, obwohl die Vorlagefragen sowohl die strittige Obergrenze als auch die Zinsen beträfen, müsse der Gerichtshof seine Antwort auf die Frage der Zinsen beschränken, denn die beim House of Lords anhängige Klage betreffe ausschließlich die Frage, ob das Industrial Tribunal Zinsen zusprechen dürfe, und Aufgabe des Gerichtshofes sei es, sich zu realen Problemen und nicht zu hypothetischen Fragen zu äussern.

14 Hierzu ist festzustellen, daß es vorbehaltlich der dem Gerichtshof zukommenden Beurteilung seiner eigenen Zuständigkeit Sache des nationalen Gerichts ist, die dem Gerichtshof vorzulegenden gemeinschaftsrechtlichen Fragen zu bestimmen, damit dieser die Auslegungshinweise geben kann, die zur Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich sind.

15 In der vorliegenden Rechtssache hat das House of Lords in Punkt 12 des Vorlagebeschlusses ausdrücklich klargestellt, daß, obwohl das Rechtsmittel die Befugnis des Industrial Tribunal betreffe, im Fall einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses Zinsen zuzusprechen, der Rechtsstreit auch die durch Section 65(2) SDA festgelegte Obergrenze für die Entschädigung betreffe und bereits vor dem Court of Appeal betroffen habe. Das vorlegende Gericht hat ausgeführt, falls diese Bestimmung auf die der Klägerin gewährte Entschädigung anzuwenden sei, sei damit auch das Problem der Zinsen gelöst, da der Kapitalbetrag ihres Schadens die gesetzliche Obergrenze überschreite.

16 Unter diesen Umständen spricht nichts dagegen, die Vorlagefragen unter allen in ihnen angesprochenen Aspekten zu prüfen.

Zur Bedeutung und Tragweite von Artikel 6 der Richtlinie 76/207

17 Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich aus Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag für jeden Mitgliedstaat, an den eine Richtlinie gerichtet ist, die Pflicht, in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die volle Wirkung der Vorschriften der Richtlinie gemäß dem von ihr verfolgten Ziel zu treffen, während ihm die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung dieses Ziels überlassen bleibt.

18 Daher sind die Ziele der Richtlinie zu bestimmen, und es ist insbesondere zu prüfen, ob ihre Bestimmungen den Mitgliedstaaten im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots einen Ermessensspielraum für die Bestimmung von Art und Inhalt der zu verhängenden Sanktionen belassen.

19 Ziel der Richtlinie ist die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich der verschiedenen Aspekte im Bereich der Beschäftigung, insbesondere hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen.

20 Hierzu stellt Artikel 2 den Grundsatz der Gleichbehandlung auf und legt dessen Grenzen fest, während Artikel 5 Absatz 1 die Bedeutung dieses Grundsatzes für die Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen konkret dahin gehend definiert, daß danach Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden müssen.

21 Wie der Gerichtshof in dem angeführten Urteil Marshall entschieden hat, kann Artikel 5 Absatz 1, der allgemein und unmißverständlich namentlich bei Entlassungen jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, gegenüber einer als Arbeitgeber handelnden staatlichen Stelle in Anspruch genommen werden, um die Anwendung jeder nicht im Einklang damit stehenden nationalen Bestimmung auszuschließen.

22 Nach Artikel 6 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten die Maßnahmen treffen, die notwendig sind, damit jeder, der sich durch eine Diskriminierung für beschwert hält, seine Rechte gerichtlich geltend machen kann. Zu dieser Verpflichtung gehört es, daß diese Maßnahmen so wirksam sind, daß das Ziel der Richtlinie erreicht wird, und daß sich die betroffenen Personen vor den nationalen Gerichten tatsächlich auf sie berufen können.

23 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 18) entschieden hat, schreibt Artikel 6 keine bestimmte Maßnahme im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots vor, sondern belässt den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie geeigneten Lösungen.

24 Deren Ziel ist jedoch die Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit; es würde nicht erreicht, wenn Maßnahmen fehlten, durch die diese Gleichheit wiederhergestellt werden kann, falls sie nicht gewahrt ist. Wie der Gerichtshof in dem angeführten Urteil Von Colson und Kamann in Randnummer 23 ausgeführt hat, müssen diese Maßnahmen einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben.

25 Diese Erfordernisse machen die Berücksichtigung der Besonderheiten jedes einzelnen Falles einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes notwendig. Im Falle einer diskriminierenden, gegen Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie verstossenden Entlassung kann jedoch die Gleichheit ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder aber finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden.

26 Wird als Maßnahme zur Erreichung des vorstehend beschriebenen Ziels die finanzielle Wiedergutmachung gewählt, so muß diese angemessen in dem Sinne sein, daß sie es erlaubt, die durch die diskriminierende Entlassung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen.

Zur ersten und zur zweiten Frage

27 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 6 der Richtlinie es zulässt, daß in nationalen Rechtsvorschriften eine Obergrenze für den Betrag der Entschädigung festgelegt wird, auf den eine diskriminierte Person Anspruch erheben kann.

28 Die zweite Frage geht dahin, ob Artikel 6 verlangt, daß a) der durch die Diskriminierung entstandene Schaden in vollem Umfang wiedergutgemacht wird und daß b) die Wiedergutmachung die Zuerkennung von Zinsen auf den Hauptbetrag vom Tag der Diskriminierung bis zum Tag der Zahlung der Entschädigung einschließt.

29 Die vorstehend gegebene Auslegung von Artikel 6 bietet eine direkte Antwort auf den ersten Teil der zweiten Frage betreffend die Höhe der nach dieser Bestimmung gebotenen Entschädigung.

30 Aus dieser Auslegung ergibt sich ebenfalls, daß die Festlegung einer Obergrenze der im Ausgangsverfahren streitigen Art begrifflich keine ordnungsgemässe Durchführung von Artikel 6 der Richtlinie darstellen kann, da sie den Entschädigungsbetrag von vornherein auf einem Niveau festsetzt, das nicht notwendig dem Erfordernis entspricht, durch eine angemessene Wiedergutmachung des durch die diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens tatsächliche Chancengleichheit zu gewährleisten.

31 Zum zweiten Teil der zweiten Frage betreffend die Zuerkennung von Zinsen genügt die Feststellung, daß für die völlige Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens nicht von Umständen abgesehen werden kann, die, wie der Zeitablauf, den tatsächlichen Wert der Wiedergutmachung verringern können. Die Zuerkennung von Zinsen nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften ist daher als unerläßlicher Bestandteil einer Entschädigung anzusehen, die die Wiederherstellung tatsächlicher Gleichbehandlung ermöglicht.

32 Auf die erste und die zweite Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 6 der Richtlinie so auszulegen ist, daß er es nicht zulässt, daß der Ersatz des einer Person durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens durch eine im voraus festgelegte Obergrenze und dadurch begrenzt wird, daß keine Zinsen zum Ausgleich des Verlustes gewährt werden, der dem Inhaber des Entschädigungsanspruchs durch den Zeitablauf bis zur tatsächlichen Zahlung des ihm zuerkannten Kapitalbetrags entsteht.

Zur dritten Frage

33 Mit der dritten Frage möchte das House of Lords wissen, ob sich eine durch eine diskriminierende Entlassung beschwerte Person gegenüber einer als Arbeitgeber handelnden staatlichen Behörde auf Artikel 6 der Richtlinie berufen kann, um sich der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften zu widersetzen, mit denen Obergrenzen für den Betrag festgelegt werden, der als Entschädigung gewährt werden kann.

34 Aus den vorstehenden Ausführungen zur Bedeutung und zur Tragweite von Artikel 6 der Richtlinie ergibt sich, daß diese Bestimmung unerläßlich ist, um das grundlegende Ziel der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie angesprochenen Gleichbehandlung von Männern und Frauen namentlich hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen zu erreichen, und daß, wenn im Falle einer diskriminierenden Entlassung zur Wiederherstellung dieser Gleichbehandlung eine finanzielle Wiedergutmachung vorgesehen ist, diese Wiedergutmachung vollständig sein muß und nicht von vornherein der Höhe nach begrenzt sein darf.

35 Daher lässt Artikel 6 in Verbindung mit Artikel 5 der Richtlinie zugunsten einer durch eine diskriminierende Entlassung beschwerten Person Rechte entstehen, die diese vor den staatlichen Gerichten gegenüber dem Staat und seinen Behörden geltend machen kann.

36 Der Umstand, daß die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der denkbaren Sachverhalte zwischen verschiedenen Lösungen zur Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels wählen können, kann nicht zur Folge haben, daß der einzelne gehindert wäre, sich in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die staatlichen Behörden keinerlei Ermessensspielraum bei der Durchführung der gewählten Lösung haben, auf Artikel 6 zu berufen.

37 Wie sich namentlich aus dem Urteil vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 17) ergibt, schließt die Tatsache, daß der Staat zwischen mehreren möglichen Mitteln zur Erreichung des Ziels einer Richtlinie wählen kann, nicht aus, daß der einzelne vor den staatlichen Gerichten die Rechte geltend machen kann, deren Inhalt sich bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt.

38 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß sich eine durch eine diskriminierende Entlassung beschwerte Person gegenüber einer als Arbeitgeber handelnden staatlichen Behörde auf Artikel 6 der Richtlinie berufen kann, um sich der Anwendung einer nationalen Vorschrift zu widersetzen, mit der Obergrenzen für den Betrag festgelegt werden, der als Entschädigung gewährt werden kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der deutschen Regierung, der irischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom House of Lords mit Beschluß vom 14. Oktober 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 6 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ist so auszulegen, daß er es nicht zulässt, daß der Ersatz des einer Person durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens durch eine im voraus festgelegte Obergrenze und dadurch begrenzt wird, daß keine Zinsen zum Ausgleich des Verlustes gewährt werden, der dem Inhaber des Entschädigungsanspruchs durch den Zeitablauf bis zur tatsächlichen Zahlung des ihm zuerkannten Kapitalbetrags entsteht.

2) Eine durch eine diskriminierende Entlassung beschwerte Person kann sich gegenüber einer als Arbeitgeber handelnden staatlichen Behörde auf Artikel 6 der Richtlinie berufen, um sich der Anwendung einer nationalen Vorschrift zu widersetzen, mit der Obergrenzen für den Betrag festgelegt werden, der als Entschädigung gewährt werden kann.

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