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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.05.1991
Aktenzeichen: C-272/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 7 EWG-Vertrag
EWG-Vertrag Art. 58 EWG-Vertrag
EWG-Vertrag Art. 66 EWG-Vertrag
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 67 Abs. 3
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 69
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 70
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Das für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit an Arbeitslose, die sich in einen anderen als den zuständigen Mitgliedstaat begeben, geltende Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 67 Absatz 3 sowie die Artikel 69 und 70 der Verordnung Nr. 1408/71, steht der Weigerung eines Mitgliedstaats, einem Arbeitnehmer, der nicht unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach dem Recht dieses Staates

zurückgelegt hat, Arbeitslosenunterstützung über den in Artikel 69 vorgesehenen Hoechstzeitraum von drei Monaten hinaus zu gewähren, nicht entgegen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 16. MAI 1991. - JAN VAN NOORDEN GEGEN ASSOCIATION POUR L'EMPLOI DANS L'INDUSTRIE ET LE COMMERCE (ASSEDIC) DE L'ARDECHE ET DE LA DROME. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE VALENCE - FRANKREICH. - SOZIALE SICHERHEIT - LEISTUNGEN BEI ARBEITSLOSIGKEIT. - RECHTSSACHE C-272/90.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de grande instance Valence hat mit Urteil vom 4. September 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 10. September 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 7 und 58 bis 66 EWG-Vertrag sowie des Artikels 67 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern [kodifiziert mit Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983, ABl. L 230, S. 6], zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Kläger, der die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt und in Frankreich wohnt, und der Association pour l' emploi dans l' industrie et le commerce de l' Ardèche et de la Drôme (Assedic) über deren Weigerung, dem Kläger weiterhin Arbeitslosenunterstützung zu zahlen.

3 Der Kläger hatte seit 1947 nacheinander in den Niederlanden, in Belgien und zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet; er wurde am 30. Juni 1985 im letztgenannten Mitgliedstaat arbeitslos und bezog dort Arbeitslosenunterstützung. Am 27. Mai 1986 ließ er sich in Frankreich nieder, wo er sich als Arbeitsuchender meldete.

4 Der Kläger reichte bei der Assedic einen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung nach den französischen Rechtsvorschriften ein; daraufhin wurde ihm mitgeteilt, daß er für 27 Monate Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung habe. Gezahlt wurde ihm diese Unterstützung jedoch nur für den Zeitraum vom 28. Mai bis zum 27. August 1986.

5 Die Assedic habe ihre Ansicht infolge des Erlasses des Rundschreibens Nr. 86-19 der Union nationale interprofessionnelle pour l' emploi dans l' industrie et le commerce (Unedic) geändert, also der Einrichtung, die die Tätigkeiten der verschiedenen Assedic koordiniert. Aus diesem Rundschreiben geht hervor, daß ein EG-Arbeitnehmer vom 1. Juli 1986 an nur dann Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten kann, wenn er in Frankreich unmittelbar zuvor eine Erwerbstätigkeit ausgeuebt hat.

6 Die Entscheidung der Assedic, seinen Antrag auf Zahlung von Arbeitslosenunterstützung über den 27. August 1986 hinaus abzulehnen, hat der Kläger vor dem Tribunal de grande instance Valence angefochten. Dieses Gericht hat dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Kann ein Mitgliedstaat nach dem Gemeinschaftsrecht insgesamt und insbesondere nach den Artikeln 7 und 58 bis 66 EWG-Vertrag sowie nach Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71 einem europäischen Arbeitnehmer, der sich in Frankreich niederlässt, nachdem er 37 Jahre lang, von 1947 bis 1985 in den Niederlanden, in Belgien und in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet hat, eine Unterstützung durch die Assedic allein aus dem Grund verweigern, daß er unmittelbar zuvor keine Beschäftigungszeit in Frankreich zurückgelegt habe?

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Zunächst ist festzustellen, daß nach Artikel 67 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1408/71 für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit,

soweit erforderlich, die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden. Nach Artikel 67 Absatz 3 ist die Arbeitslosenunterstützung jedoch von der Voraussetzung abhängig, daß der Arbeitslose unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden.

9 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 69 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung, der die Bedingungen der Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs eines arbeitslosen Arbeitnehmers festlegt, der sich in einen anderen als den für die Gewährung dieser Leistungen zuständigen Mitgliedstaat begibt - also in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen seiner letzten Beschäftigung -, diese Aufrechterhaltung auf einen Zeitraum von höchstens drei Monaten von dem Zeitpunkt an beschränkt, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaats, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand. In diesen Fällen werden die Leistungen gemäß Artikel 70 der Verordnung vom zuständigen Träger des Mitgliedstaats gezahlt, in dem der Arbeitslose eine Beschäftigung sucht.

10 Aus diesen Vorschriften folgt, daß ein Arbeitsuchender, für den das Sozialrecht des Mitgliedstaats, in dem er Leistungen bei Arbeitslosigkeit beantragt, nie gegolten hat und der somit unmittelbar zuvor keine Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats zurückgelegt hat, Leistungen bei Arbeitslosigkeit nicht nach Artikel 67 der Verordnung Nr. 1408/71, sondern nur nach Artikel 69 dieser Verordnung erhalten kann.

11 Die anderen vom vorlegenden Gericht angeführten

Gemeinschaftsvorschriften, insbesondere die Artikel 7 und 58 bis 66 EWG-Vertrag, lassen keinen Gesichtspunkt erkennen, der dieses Ergebnis in Frage stellen könnte.

12 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß das einschlägige Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 67 Absatz 3 sowie die Artikel 69 und 70 der Verordnung Nr. 1408/71, der Weigerung eines Mitgliedstaats, einem Arbeitnehmer Arbeitslosenunterstützung über den in Artikel 69 dieser Verordnung vorgesehenen Zeitraum von höchstens drei Monaten hinaus zu gewähren, nicht entgegensteht, wenn der Arbeitnehmer nicht unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten in diesem Mitgliedstaat zurückgelegt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

13 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunal de grande instance Valence mit Urteil vom 4. September 1990 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Das einschlägige Gemeinschaftsrecht, insbesondere Artikel 67 Absatz 3 sowie die Artikel 69 und 70 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, steht der Weigerung eines Mitgliedstaats, einem Arbeitnehmer Arbeitslosenunterstützung über den in Artikel 69 dieser Verordnung vorgesehenen Zeitraum von höchstens drei Monaten hinaus zu gewähren, nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer nicht unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten in diesem Mitgliedstaat zurückgelegt hat.

Ende der Entscheidung

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