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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.10.1993
Aktenzeichen: C-272/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, HRG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 48 Abs. 2
HRG § 56
HRG § 57b
HRG § 57c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag steht der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegen, nach denen die Stellen von Fremdsprachenlektoren mittels befristeter Arbeitsverträge besetzt werden müssen oder können, während der Abschluß derartiger Verträge mit sonstigen Lehrkräften für besondere Aufgaben im Einzelfall durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muß.

Da Fremdsprachenlektoren nämlich ganz überwiegend ausländische Staatsangehörige sind, ist diese unterschiedliche Behandlung geeignet, sie gegenüber Inländern zu benachteiligen, und bildet somit eine gemäß Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag verbotene mittelbare Diskriminierung, sofern sie nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, zu denen das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts nicht gehört.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 20. OKTOBER 1993. - MARIA CHIARA SPOTTI GEGEN FREISTAAT BAYERN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARBEITSGERICHT PASSAU - DEUTSCHLAND. - FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER - GLEICHBEHANDLUNG - DAUER DER VERTRAEGE VON FREMDSPRACHENLEKTOREN. - RECHTSSACHE C-272/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Arbeitsgericht Passau hat mit Beschluß vom 27. Mai 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Maria Chiara Spotti (Klägerin) und dem Freistaat Bayern.

3 Die Klägerin war bei der Universität Passau vom 1. November 1986 bis 31. Juli 1991 aufgrund von zwei Arbeitsverträgen, von denen der erste, am 22. Oktober 1986 geschlossene, den Zeitraum vom 1. November 1986 bis 31. Oktober 1987 und der zweite, am 22. September 1987 geschlossene, den Zeitraum vom 1. November 1987 bis 31. Juli 1991 betraf, als Fremdsprachenlektorin beschäftigt.

4 Die Befristung des Arbeitsverhältnisses wurde in § 1 Absatz 2 des zweiten Vertrags wie folgt begründet:

"... Gewährleistung eines laufenden kulturellen Austausches, Vermeidung einer Entfremdung vom Herkunftsland zur Sicherstellung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts, Anrechnung von Zeiten des Aufenthalts ausserhalb des Herkunftslandes ab 1. November 1986 (= 1 Jahr) auf die gesetzliche Hoechstbeschäftigungsdauer. Beschäftigung für die Ausbildung in Fremdsprachen gemäß § 57b Absatz 3 HRG."

5 Da die Universität sich weigerte, das Arbeitsverhältnis über den 31. Juli 1991 hinaus zu verlängern, stellte die Klägerin ein Abhilfegesuch nach Artikel 22 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes. Da dieses erfolglos blieb, erhob die Klägerin beim Arbeitsgericht Passau Klage auf Feststellung, daß ihr Arbeitsverhältnis unbefristet sei.

6 Das Arbeitsgericht Passau hat ernste Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Regelung über die Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren mit Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag und hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

1) Ist ein nationales Gesetz eines Mitgliedstaats, das für die Tätigkeit von Fremdsprachenlektoren eine Sonderregelung hinsichtlich der Vertragsdauer aufstellt, die begrenzt ist (§§ 57b Absatz 3, 57c Absatz 2 des Hochschulrahmengesetzes ° HRG ° in Verbindung mit Artikel 27 Absatz 3 des Bayerischen Hochschullehrergesetzes), während für sonstige Lehrkräfte für besondere Aufgaben (§ 56 HRG) eine derartige Begrenzung der Vertragsdauer nicht vorgeschrieben ist, mit Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag vereinbar?

2) Ist eine solche Vereinbarkeit jedenfalls dann gegeben, wenn eine derartige gesetzliche Begrenzung auf besondere sachliche Gründe, insbesondere die Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts, gestützt wird?

7 Die §§ 57b und 57c HRG wurden durch das Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom 14. Juni 1985 in das HRG eingefügt.

8 Gemäß § 57b Absatz 1 ist der Abschluß befristeter Arbeitsverträge in den in § 57a genannten Fällen zulässig, wenn die Befristung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. In Absatz 2 werden verschiedene sachliche Gründe aufgezählt, die bei der Einstellung wissenschaftlicher oder künstlerischer Mitarbeiter nach § 53 sowie von Personal mit ärztlichen Aufgaben nach § 54 angeführt werden können: (1) der Vertrag dient der Aus-, Fort- oder Weiterbildung des Betreffenden, (2) die Vergütung erfolgt aus Haushaltsmitteln, die für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, (3) die Einstellung dient dem Erwerb oder der vorübergehenden Einbringung besonderer Kenntnisse und Erfahrungen in der Forschungsarbeit oder in der künstlerischen Betätigung, (4) die Vergütung erfolgt aus Mitteln Dritter oder (5) es handelt sich um die erstmalige Einstellung als wissenschaftlicher oder künstlerischer Mitarbeiter.

9 § 57b Absatz 3 sieht folgendes vor:

"Ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsvertrages mit einer fremdsprachlichen Lehrkraft für besondere Aufgaben rechtfertigt, liegt auch vor, wenn ihre Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (Lektor)."

10 Nach § 57c Absatz 2 HRG können derartige befristete Arbeitsverträge bis zur Dauer von fünf Jahren abgeschlossen werden; auch mehrere Arbeitsverträge eines Lektors mit derselben Universität dürfen diese Hoechstgrenze insgesamt nicht überschreiten.

11 Artikel 27 Absatz 3 des Bayerischen Hochschullehrergesetzes (BayHSchLG) lautet:

"Lehrkräfte für besondere Aufgaben werden zu Beamten der Laufbahnen des Studienrats im Hochschuldienst oder des Fachlehrers ernannt. Lehrkräfte für besondere Aufgaben können auch in einem Angestelltenverhältnis, das befristet werden kann, beschäftigt werden, insbesondere, wenn

1) die allgemeinen beamtenrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen,

2) sie als Lektoren tätig werden.

Die Beschäftigungsdauer von Lektoren darf fünf Jahre nicht überschreiten."

12 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Bericht des Berichterstatters verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

13 Das vorlegende Gericht möchte mit den Vorlagefragen zunächst wissen, ob Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen die Stellen von Fremdsprachenlektoren mittels befristeter Arbeitsverträge besetzt werden müssen oder können, während der Abschluß derartiger Verträge mit sonstigen Lehrkräften für besondere Aufgaben im Einzelfall durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muß.

14 Der Gerichtshof hat im Urteil vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 33/88 (Allué, Slg. 1989, 1591) entschieden, daß Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag der Anwendung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Universitäten und Fremdsprachenlektoren begrenzt, während eine solche Begrenzung für die übrigen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht besteht.

15 Die deutsche Regierung ist der Ansicht, diese Rechtsprechung könne auf einen Fall wie den vorliegenden, in dem die nationalen Rechtsvorschriften die Einstellung mittels befristeter Arbeitsverträge nicht nur bei Fremdsprachenlektoren, sondern auch bei den übrigen Personalkategorien zuließen, nicht angewandt werden.

16 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß der Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrags mit Angehörigen der anderen von der deutschen Regierung genannten Personalkategorien, nämlich den wissenschaftlichen Mitarbeitern, dem Personal mit ärztlichen Aufgaben, den übrigen Lehrkräften für besondere Aufgaben und den wissenschaftlichen Hilfskräften, nur zulässig ist, wenn die Befristung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Das vorlegende Gericht hat ausgeführt, wenn die Rechtfertigungsgründe nicht durch gesetzliche Regelungen vorgegeben seien, hänge die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags grundsätzlich von einer an den Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsverhältnisses orientierten Prüfung der Frage ab, ob die Befristung nach den von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätzen im Einzelfall gerechtfertigt sei.

17 Für Fremdsprachenlektoren dagegen sieht § 57b Absatz 3 HRG die Möglichkeit der Befristung der Arbeitsverträge allein aufgrund der Art der Tätigkeit vor, und Artikel 27 Absatz 3 BayHSchLG legt fest, daß die Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren stets zu befristen sind.

18 Da Fremdsprachenlektoren ganz überwiegend ausländische Staatsangehörige sind, ist diese unterschiedliche Behandlung geeignet, sie gegenüber deutschen Staatsangehörigen zu benachteiligen, und bildet somit eine gemäß Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag verbotene mittelbare Diskriminierung, sofern sie nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.

19 In diesem Zusammenhang stellt das nationale Gericht zweitens die Frage, ob diese Regelung insoweit gerechtfertigt sei, als sie zur Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts erforderlich sei. Es verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 14. Juni 1985 geltenden Rechtsvorschriften, nach denen dieses Erfordernis einen sachlichen Grund für die Befristung eines Lektorenvertrags bildete.

20 Wie der Gerichtshof im Urteil Allué vom 30. Mai 1989 (a. a. O., Randnr. 14) entschieden hat, kann das Erfordernis der Sicherung eines aktualitätsbezogenen Unterrichts die Befristung der Arbeitsverträge von Fremdsprachenlektoren nicht rechtfertigen. Die Gefahr, daß der Lektor den Kontakt mit der Muttersprache verliert, ist nämlich angesichts der Intensivierung des kulturellen Austauschs und der Kommunikationserleichterungen gering; ausserdem haben die Universitäten jedenfalls die Möglichkeit, den Stand der Kenntnisse der Lektoren zu überprüfen.

21 Auf die vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen ist daher zu antworten, daß Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen die Stellen von Fremdsprachenlektoren mittels befristeter Arbeitsverträge besetzt werden müssen oder können, während der Abschluß derartiger Verträge mit sonstigen Lehrkräften für besondere Aufgaben im Einzelfall durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muß.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Arbeitsgericht Passau mit Beschluß vom 27. Mai 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 48 Absatz 2 EWG-Vertrag steht der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegen, nach denen die Stellen von Fremdsprachenlektoren mittels befristeter Arbeitsverträge besetzt werden müssen oder können, während der Abschluß derartiger Verträge mit sonstigen Lehrkräften für besondere Aufgaben im Einzelfall durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein muß.

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