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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 26.01.2007
Aktenzeichen: C-273/06
Rechtsgebiete: EG, Verfahrensordnung, Verordnung (EG) Nr. 1475/95


Vorschriften:

EG Art. 234
Verfahrensordnung Art. 104 § 3 Abs. 1
Verordnung (EG) Nr. 1475/95 Art. 5 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

26. Januar 2007

"Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung - Wettbewerb - Vertriebsvereinbarung über Kraftfahrzeuge - Gruppenfreistellung - Verordnung (EG) Nr. 1475/95 - Art. 5 Abs. 3 - Kündigung durch den Lieferanten - Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 - Notwendigkeit, das Vertriebsnetz umzustrukturieren"

Parteien:

In der Rechtssache C-273/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Handelsgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 7. Juni 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2006, in dem Verfahren

Auto Peter Petschenig GmbH

gegen

Toyota Frey Austria GmbH,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Klucka, des Richters A. Ó Caoimh (Berichterstatter) und der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: R. Grass,

gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung, wonach er durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. L 145, S. 25).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Auto Peter Petschenig GmbH (im Folgenden: Petschenig) und der Toyota Frey Austria GmbH (im Folgenden: Toyota Frey) über die Rechtmäßigkeit der von Toyota Frey mit einer Frist von einem Jahr ausgesprochenen Kündigung der Vereinbarung, die sie mit Petschenig über den Vertrieb von Kraftfahrzeugen der Marke Toyota in Österreich geschlossen hatte.

Rechtlicher Rahmen

3 In der 19. Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1475/95 heißt es:

"In Artikel 5 Absatz 2 Nummern 2 und 3 und Absatz 3 sind für die Freistellung Mindestvoraussetzungen hinsichtlich der Dauer und Beendigung der Vertriebs- und Kundendienstvereinbarung festgelegt, weil sich die Abhängigkeit des Händlers vom Lieferanten bei kurzfristigen Vereinbarungen oder kurzfristig beendbaren Vereinbarungen erheblich erhöht, wenn er Investitionen zur Verbesserung der Struktur des Vertriebs und Kundendienstes von Vertragswaren vornimmt. Um jedoch die Entwicklung anpassungs- und leistungsfähiger Strukturen nicht zu hemmen, ist dem Lieferanten ein außerordentliches Recht auf Beendigung der Vereinbarung zuzuerkennen, falls es sich als erforderlich erweist, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzugestalten ..."

4 Nach Art. 1 der Verordnung Nr. 1475/95 sind vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG die Vereinbarungen freigestellt, mit denen ein Lieferant einen zugelassenen Wiederverkäufer mit dem Vertrieb der Vertragswaren in einem bestimmten Gebiet betraut und sich verpflichtet, ihm die Belieferung mit Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen in diesem Gebiet vorzubehalten.

5 Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt, dass die Verpflichtungen des Händlers, Mindestanforderungen an Vertrieb und an Kundendienst, insbesondere betreffend die Ausstattung des Geschäftsbereichs oder die Instandsetzung und -haltung von Vertragswaren, zu beachten, der Freistellung nicht entgegenstehen.

6 Art. 5 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1475/95 sieht vor:

"(2) Sofern der Händler nach Artikel 4 Absatz 1 Verpflichtungen zur Verbesserung der Strukturen von Vertrieb und Kundendienst übernommen hat, gilt die Freistellung unter der Voraussetzung,

...

2) dass die Dauer der Vereinbarung mindestens fünf Jahre oder die Frist für die ordentliche Kündigung einer auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vereinbarung für beide Vertragspartner mindestens zwei Jahre beträgt; ...

...

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen für die Freistellung berühren nicht

- das Recht des Lieferanten, die Vereinbarung innerhalb einer Frist von mindestens einem Jahr zu kündigen, falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren,

...

In jedem dieser Fälle müssen die Vertragspartner bei fehlendem Einvernehmen einem zügigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters zustimmen; das Recht der Vertragspartner, das nach nationalem Recht zuständige Gericht anzurufen, bleibt unberührt."

7 Mit Wirkung vom 1. Oktober 2002 wurde die Verordnung Nr. 1475/95 durch die Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. L 203, S. 30) ersetzt.

8 Art. 4 ("Kernbeschränkungen") der Verordnung Nr. 1400/2002 bestimmt in Abs. 1:

"Die Freistellung gilt nicht für vertikale Vereinbarungen, die unmittelbar oder mittelbar, für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen unter der Kontrolle der Vertragsparteien Folgendes bezwecken:

...

b) Beschränkungen des Gebiets oder Kundenkreises, in das oder an den der Händler oder die Werkstatt Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf; jedoch gilt die Freistellung für:

i) Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Händler oder einer anderen Werkstatt zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Händlers oder der Werkstatt nicht begrenzt werden;

...

iii) Beschränkungen des Verkaufs neuer Kraftfahrzeuge und von Ersatzteilen an nicht zugelassene Händler, die Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems in Märkten mit selektivem Vertrieb auferlegt werden, vorbehaltlich der Bestimmungen unter Buchstabe i);

...

d) Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs von neuen Personenkraftwagen oder leichten Nutzfahrzeugen, Ersatzteilen für sämtliche Kraftfahrzeuge oder Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen an Endverbraucher in Märkten mit selektivem Vertrieb, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind. ...

e) Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs von anderen neuen Kraftfahrzeugen als Personenkraftwagen oder leichte Nutzfahrzeuge an Endverbraucher, soweit diese Beschränkungen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegt werden, welche auf der Einzelhandelsstufe tätig sind; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Lieferanten, es Mitgliedern eines solchen Systems zu verbieten, Geschäfte von nicht zugelassenen Standorten aus zu betreiben;

...

g) Beschränkungen der Möglichkeit des Händlers, die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen an zugelassene Werkstätten untervertraglich weiterzuvergeben; ...

h) Beschränkungen des Rechts einer zugelassenen Werkstatt, ihre Tätigkeit auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen und den Ersatzteilvertrieb zu begrenzen;

..."

9 Art. 5 ("Besondere Voraussetzungen") dieser Verordnung bestimmt, dass die Freistellung nicht für die in dieser Bestimmung aufgezählten, in vertikalen Vereinbarungen enthaltenen Verpflichtungen gilt.

10 Art. 10 der Verordnung Nr. 1400/2002 bestimmt:

"Das Verbot nach Artikel 81 Absatz 1 gilt vom 1. Oktober 2002 bis zum 30. September 2003 nicht für Vereinbarungen, die am 30. September 2002 bereits in Kraft waren und die die Voraussetzungen für eine Freistellung zwar nach der Verordnung ... Nr. 1475/95, nicht aber nach der vorliegenden Verordnung erfüllen."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11 Am 15. Oktober 1996 schloss Toyota Frey mit Petschenig, die seit 24 Jahren Vertragshändlerin für Kraftfahrzeuge der Marke Toyota in Österreich war, einen neuen Vertragshändlervertrag für den Vertrieb dieser Fahrzeuge in diesem Mitgliedstaat (im Folgenden: Händlervertrag).

12 § 12 ("Vertragsdauer und Kündigung des Vertrages") des Händlervertrags bestimmt in seinen Abs. 1 bis 3 Folgendes:

"1) Dieser Vertrag beginnt am 1. Oktober 1996 und wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

2) Er kann von beiden Seiten jederzeit mit einer Kündigungsfrist von 24 (vierundzwanzig) Monaten jeweils zum Monatsende, ohne Angabe von Gründen, gekündigt werden.

3) Falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren, insbesondere weil der Hersteller den mit dem Generalimporteur abgeschlossenen Importeurvertrag aus welchen Gründen immer beendet, kann der Generalimporteur den Vertrag mit einer Kündigungsfrist von 12 (zwölf) Monaten jeweils zum Monatsende kündigen."

13 Mit Schreiben vom 16. September 2002 kündigte Toyota Frey den Händlervertrag zum 30. September 2003. In diesem Schreiben führte Toyota Frey Folgendes aus:

"Im § 12 Z 3 [des] Händlervertrages ist im Einklang mit Art 5 Abs 3 der [V]erordnung ... Nr. 1475/95 vorgesehen, dass ... Toyota Frey ... als Generalimporteur den Vertrag mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Monatsende kündigen kann, falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich aus Anlass des Ablaufs der genannten [Verordnung] und des Inkrafttretens der neuen [Verordnung] ... Nr. 1400/2002.

Wir kündigen daher Ihren ... Händlervertrag aus den angeführten Gründen unter Einhaltung der zwölfmonatigen Kündigungsfrist, sodass er am 30. September 2003 endet."

14 Petschenig klagte vor dem vorlegenden Gericht auf Ersatz des durch diese Kündigung mit einer um ein Jahr verkürzten Kündigungsfrist entstandenen Schadens.

15 Zur Begründung ihrer Klage macht Petschenig geltend, Toyota Frey habe ihr Vertriebsnetz beim Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 weder insgesamt noch zu einem wesentlichen Teil umstrukturiert. Beinahe alle ehemaligen Vertragshändler hätten einen neuen Vertrag und alle Subhändler einen neuen Werkstättenvertrag erhalten. Um den Händlervertrag anzupassen, hätte Toyota Frey diesen daher mit einer Frist von zwei Jahren kündigen und eine Übergangsregelung in Form einer Vertragsergänzung für die Zeit zwischen dem Inkrafttreten der fraglichen Verordnung und dem Ende der Kündigungsfrist vorschlagen können.

16 Toyota Frey macht dagegen geltend, da ihr Vertriebssystem so ausgerichtet gewesen sei, dass es voll und ganz den Prinzipien der Verordnung Nr. 1475/95 entsprochen habe, sei es notwendig gewesen, es beim Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 insgesamt umzustrukturieren und insbesondere ein kombiniert exklusiv-selektives System in ein rein selektives Vertriebssystem umzuwandeln.

17 Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 eine Umstrukturierung eines solchen Vertriebsnetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/1995 erforderlich gemacht hat.

18 Das Handelsgericht Wien hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 der Kommission dahin gehend auszulegen, dass allein das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 und die dadurch ausgelöste bloße Anpassung eines Vertriebssystems, das an der Verordnung Nr. 1475/95 ausgerichtet und durch dieses freigestellt war, an die Erfordernisse der Freistellung für ein selektives Betriebssystem nach der Verordnung Nr. 1400/2002 als Notwendigkeit einer Umstrukturierung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 anzusehen ist?

2. Bei Verneinung der Frage 1: Ist Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 dahin gehend auszulegen, dass schon allein der - selektive Vertriebssysteme betreffende - Wegfall des früheren Gebietsschutzes für Vertragshändler, sei es auch in Verbindung mit der früher nach der Verordnung Nr. 1475/95 nicht möglichen Zulassung von Vertragswerkstätten, die nicht Vertragshändler dieser Marke sind, eine Umstrukturierung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darstellt, oder kommt es auf den Nachweis effektiver Umstrukturierungsmaßnahmen an?

Zu den Vorlagefragen

19 Gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist und auf das frühere Urteil oder die betreffende Rechtsprechung verweist, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die er bereits entschieden hat, oder wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann.

20 Wie Toyota Frey, die österreichische und die italienische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben, ist diese Vorschrift in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden. Diese fügt sich in den gleichen rechtlichen und tatsächlichen Rahmen wie die Rechtssachen ein, die mit den Urteilen vom 7. September 2006, Vulcan Silkeborg (C-125/05, Slg. 2006, I-0000), und vom 30. November 2006, Brünsteiner und Hilgert (C-376/05 und C-377/05, Slg. 2006, I-0000), abgeschlossen worden sind.

Zur ersten Frage

21 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 als solches die Umstrukturierung des Vertriebsnetzes eines Lieferanten im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 erforderlich gemacht hat.

22 Der Gerichtshof hat diese Frage bereits in seinen Urteilen Vulcan Silkeborg sowie Brünsteiner und Hilgert dahin beantwortet, dass das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 erforderlich gemacht hat.

23 In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof jedoch insbesondere darauf hingewiesen, dass die Verordnung Nr. 1400/2002 zwar zu wesentlichen Änderungen der mit der Verordnung Nr. 1475/95 eingeführten Gruppenfreistellungsregelung geführt hat, dass sich aber die Änderungen, die die Lieferanten möglicherweise an ihren Vertriebsnetzen vornahmen, um sicherzustellen, dass diese weiterhin unter die Gruppenfreistellung fallen, aus einer einfachen Anpassung der Verträge, die am Ende der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 1475/95 in Kraft waren, während der dafür in Art. 10 der Verordnung Nr. 1400/2002 vorgesehenen Übergangsfrist von einem Jahr ergeben konnten. Eine solche Anpassung brachte also nicht automatisch die Notwendigkeit mit sich, diese Verträge im Hinblick auf das geltende nationale Recht zu kündigen oder das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren (Urteile Vulcan Silkeborg, Randnrn. 59 bis 61, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 32).

24 Der Gerichtshof hat in diesen Urteilen jedoch auch entschieden, dass das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 dennoch in bestimmten Fällen nach Maßgabe der Besonderheiten des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes jedes einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen konnte, dass diese als eine echte Umstrukturierung des Netzes im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 betrachtet werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile Vulcan Silkeborg, Randnrn. 62 und 65, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnrn. 31 und 38).

25 In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof erläutert, dass eine "Umstrukturierung des Vertriebsnetzes insgesamt oder eines wesentlichen Teils davon" im Sinne dieser Vorschrift eine bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen des betroffenen Lieferanten sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht voraussetzt, die insbesondere die Art oder die Gestalt dieser Strukturen, ihren Zweck, die Aufteilung der internen Aufgaben innerhalb dieser Strukturen, die Modalitäten der Versorgung mit den betroffenen Waren und Dienstleistungen, die Anzahl oder Stellung der an diesen Strukturen Beteiligten und ihre räumliche Reichweite betreffen kann (vgl. in diesem Sinne, Urteile Vulcan Silkeborg, Randnrn. 29 und 30, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 34).

26 Zur Voraussetzung der "Notwendigkeit" der Umstrukturierung in Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 hat der Gerichtshof ausgeführt, dass danach die Umstrukturierung mit Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden können muss, die sich auf interne oder externe objektive Umstände des Unternehmens des Lieferanten stützen, die ohne eine schnelle Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in Anbetracht des Wettbewerbsumfelds, in dem der Lieferant agiert, die Effizienz der bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteile Vulcan Silkeborg, Randnr. 37, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 36).

27 Demnach kann die Tatsache, dass der Lieferant auf der Grundlage einer subjektiven geschäftlichen Beurteilung seines Vertriebsnetzes dessen Umstrukturierung für notwendig erachtet, allein nicht ausreichen, um die Notwendigkeit einer solchen Umstrukturierung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darzutun. Dagegen sind mögliche wirtschaftlich nachteilige Folgen, die der Lieferant im Fall einer Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit einer Frist von zwei Jahren erleiden könnte, in dieser Hinsicht erheblich (vgl. Urteile Vulcan Silkeborg, Randnr. 38, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 37).

28 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten im Sinn von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 notwendig gemacht hat. Jedoch konnte dieses Inkrafttreten nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen, dass sie eine echte Umstrukturierung dieses Netzes im Sinne dieser Bestimmung darstellen.

Zur zweiten Frage

29 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darstellt, wenn ein Lieferant nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 ein selektives Vertriebssystem einführt, bei dem zum einen die Vertragshändler keiner Beschränkung in Bezug auf das Gebiet mehr unterliegen, in dem sie die Vertragswaren vertreiben dürfen, und bei dem zum anderen die Vertragswerkstätten ihre Tätigkeiten auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen beschränken dürfen.

30 Die Antwort auf diese Frage kann klar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs abgeleitet werden.

31 In Randnr. 35 des Urteils Brünsteiner und Hilgert hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es, auch wenn nichts zu einer solchen Umstrukturierung zwingt, doch nicht ausgeschlossen ist, dass sich diese aus der Änderung der Bestimmungen einer Vertriebsvereinbarung infolge des Inkrafttretens einer neuen Freistellungsverordnung ergeben kann. Die Verordnung Nr. 1400/2002 hat zu wesentlichen Änderungen der mit der Verordnung Nr. 1475/95 eingeführten Gruppenfreistellungsregelung geführt, indem sie strengere Regeln für die Freistellung bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen, die unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG fallen, vorsieht (Urteil Vulcan Silkeborg, Randnr. 54).

32 Insbesondere wird durch die Verordnung Nr. 1400/2002 keine Gruppenfreistellung für Beschränkungen des aktiven und passiven Verkaufs durch die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und iii, Buchst. d und e dieser Verordnung) bewilligt, so dass danach im Rahmen der Gruppenfreistellung die Kombination des Alleinvertriebs und des selektiven Vertriebs, die durch die Verordnung Nr. 1475/95 freigestellt war (Art. 3 Nrn. 8 bis 10 dieser Verordnung), verboten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Vulcan Silkeborg, Randnr. 55).

33 Selbst wenn daher die Gruppenfreistellung nach der Verordnung Nr. 1475/95 nur unter der Bedingung in Anspruch genommen werden konnte, dass der Händler sich verpflichtete, Instandsetzung und -haltung zu gewährleisten sowie Kundendienst im Rahmen von Rückrufaktionen zu leisten (Art. 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 6 und Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 dieser Verordnung), gewährt die Verordnung Nr. 1400/2002 die Gruppenfreistellung weder für die Beschränkung der Möglichkeit für den Händler, die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen an zugelassene Werkstätten untervertraglich weiterzugeben, noch für die Beschränkung der Möglichkeit für Letztere, ihre Tätigkeit auf solche Dienstleistungen zu begrenzen (Art. 4 Abs. 1 Buchstab. g und h dieser Verordnung) (Urteil Vulcan Silkeborg, Randnr. 57).

34 Aufgrund der durch das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 eingeführten wesentlichen Änderungen der Freistellungsregelung hat der Gerichtshof in Randnr. 59 des Urteils Vulcan Silkeborg entschieden, dass das Inkrafttreten dieser Verordnung bestimmte Lieferanten dazu veranlassen konnte, Änderungen in ihren Vertriebsvereinbarungen vorzunehmen, um sicherzustellen, dass diese weiterhin unter die Gruppenfreistellung nach dieser Verordnung fallen. Insbesondere konnte dies der Fall sein, wenn die Vereinbarungen unter der Verordnung Nr. 1475/95 geschlossen worden waren und in Übereinstimmung mit dieser "Kernbeschränkungen" im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1400/2002 enthielten.

35 Daher hat der Gerichtshof in Randnr. 63 desselben Urteils ausgeführt, dass sich eine solche Umstrukturierung vor allem dann als notwendig im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1400/2002 erweisen konnte, wenn sich ein Lieferant, der vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 Alleinvertrieb und selektiven Vertrieb kombinierte, dafür entschied, sein Vertriebsnetz ausschließlich als selektives Vertriebssystem zu organisieren, um weiterhin in den Genuss der Gruppenfreistellung zu kommen.

36 Nach dieser Rechtsprechung kann es eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darstellen, wenn ein Lieferant nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 ein selektives Vertriebssystem einführt, das die in dieser Verordnung für eine Gruppenfreistellung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, d. h. ein Vertriebsnetz, bei dem zum einen die Vertragshändler, wie aus den Randnrn. 32 und 33 des vorliegenden Beschlusses hervorgeht, keiner Beschränkung in Bezug auf das Gebiet mehr unterliegen, in dem sie die Vertragswaren vertreiben dürfen, und bei dem zum anderen die Vertragswerkstätten ihre Tätigkeiten auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen beschränken dürfen.

37 Es ist jedoch Sache der nationalen Gerichte oder der Schiedsgerichte, unter Bezugnahme auf die oben gegebenen Hinweise und unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegten Beweise zu beurteilen, ob die von dem Lieferanten vorgenommenen Änderungen eine solche Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes darstellen und ob diese durch das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 notwendig gemacht wurde (Urteile Vulcan Silkeborg, Randnr. 64, sowie Brünsteiner und Hilgert, Randnr. 33).

38 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass es eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darstellen kann, wenn ein Lieferant nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 ein selektives Vertriebssystem einführt, bei dem zum einen die Vertragshändler keiner Beschränkung in Bezug auf das Gebiet mehr unterliegen, in dem sie die Vertragswaren vertreiben dürfen, und bei dem zum anderen die Vertragswerkstätten ihre Tätigkeiten auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen beschränken dürfen. Es ist Sache der nationalen Gerichte und der Schiedsgerichte, zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegten Beweise der Fall ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

1. Das Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor hat als solches keine Umstrukturierung des Vertriebssystems eines Lieferanten im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel [81] Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge notwendig gemacht. Jedoch konnte dieses Inkrafttreten nach Maßgabe des spezifischen Aufbaus des Vertriebsnetzes des einzelnen Lieferanten Änderungen von solcher Bedeutung notwendig machen, dass sie eine echte Umstrukturierung dieses Netzes im Sinne dieser Bestimmung darstellen.

2. Führt ein Lieferant nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1400/2002 ein selektives Vertriebssystem ein, bei dem zum einen die Vertragshändler keiner Beschränkung in Bezug auf das Gebiet mehr unterliegen, in dem sie die Vertragswaren vertreiben dürfen, und bei dem zum anderen die Vertragswerkstätten ihre Tätigkeiten auf die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen beschränken dürfen, so kann dies eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1475/95 darstellen. Es ist Sache der nationalen Gerichte und der Schiedsgerichte, zu beurteilen, ob dies unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, und insbesondere der zu diesem Zweck von dem Lieferanten vorgelegten Beweise der Fall ist.

Ende der Entscheidung

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