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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.04.1996
Aktenzeichen: C-274/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 86/609/EWG vom 24.11.1986, VerfO


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
EWG-Vertrag Art. 5
EWG-Vertrag Art. 189
Richtlinie 86/609/EWG vom 24.11.1986 Art. 25
VerfO Art. 95 § 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Gegenstand einer Klage nach Artikel 169 des Vertrages wird durch das in dieser Bestimmung vorgesehene vorprozessuale Verfahren eingegrenzt. Die Gelegenheit zur Äusserung ist für den betroffenen Mitgliedstaat nämlich eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie und die Beachtung dieser Garantie eine Voraussetzung für die Ordnungsgemäßheit des Vertragsverletzungsverfahrens. Daher kann die Klage nicht auf andere als die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angeführten Rügen gestützt werden.

Wenn die Kommission im vorprozessualen Verfahren und in der Klageschrift einem Mitgliedstaat die Nichtumsetzung einer Richtlinie vorgeworfen hat, kann sie ihm, nachdem ihr die nationalen Rechtsvorschriften mitgeteilt worden sind, die in dem Bereich gelten, der Gegenstand der Richtlinie ist, im Verfahren vor dem Gerichtshof folglich nicht zur Last legen, daß er diese Richtlinie nur unvollständig und daher mangelhaft umgesetzt habe. Die Beurteilung der Begründetheit dieser Rüge würde nämlich eine eingehende Untersuchung dieser nationalen Rechtsvorschriften voraussetzen, die vom Gerichtshof nicht vorgenommen werden kann, da dem betroffenen Mitgliedstaat im vorprozessualen Verfahren nicht die Möglichkeit geboten worden ist, zur angeblichen Unzulänglichkeit von Rechtsvorschriften Stellung zu nehmen, von denen gar nicht die Rede war.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 25. April 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Grossherzogtum Luxemburg. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Nichtdurchführung der Richtlinie 86/609/EWG des Rates - Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. - Rechtssache C-274/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 12. Mai 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereicht worden ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 25 der Richtlinie 86/609/EWG des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl. L 358, S. 1; im folgenden: Richtlinie) sowie aus den Artikeln 5 und 189 EWG-Vertrag verstossen hat, daß es innerhalb der vorgeschriebenen Fristen nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen, und/oder diese Maßnahmen der Kommission nicht mitgeteilt hat.

2 Ziel der Richtlinie ist es nach Artikel 1, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten anzunähern, um zu vermeiden, daß sich diese Vorschriften insbesondere durch Wettbewerbsverzerrungen oder Handelshemmnisse auf die Schaffung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes nachteilig auswirken.

3 Nach Artikel 25 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um der Richtlinie bis zum 24. November 1989 nachzukommen, und die Kommission durch Mitteilung der innerstaatlichen Vorschriften, die sie auf dem unter die Richtlinie fallenden Gebiet erlassen, unverzueglich davon in Kenntnis zu setzen.

4 Da die Kommission keine Mitteilung über die getroffenen Maßnahmen erhielt und auch über keine sonstigen Anhaltspunkte verfügte, die den Schluß zuließen, daß das Großherzogtum Luxemburg seine Verpflichtungen aus der Richtlinie erfuellt hatte, forderte sie am 4. September 1990 das Großherzogtum Luxemburg schriftlich zur Äusserung auf. Nachdem dieses Schreiben unbeantwortet geblieben war, gab die Kommission am 20. Mai 1992 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, die ebenfalls unbeantwortet geblieben ist. Unter diesen Voraussetzungen hat sie die vorliegende Klage erhoben.

5 Das ordnungsgemäß am Verfahren beteiligte Großherzogtum Luxemburg hat innerhalb der gesetzten Frist keinen Schriftsatz vorgelegt.

6 Es hat am 28. Mai 1993 dem Juristischen Dienst der Kommission ein Schreiben zugesandt, mit dem es der Kommission den Wortlaut des Gesetzes vom 15. März 1983 über die Sicherstellung des Schutzes des Lebens und des Wohlbefindens der Tiere (Mémorial A, Nr. 15 vom 19. März 1983, S. 306, im folgenden: das luxemburgische Gesetz) mitgeteilt hat.

7 Mit Schreiben vom 8. Dezember 1994 hat die Kommission beantragt, ein Versäumnisurteil gemäß Artikel 94 § 1 der Verfahrensordnung zu erlassen und ihren Anträgen stattzugeben, mit denen sie nun die Feststellung begehrt,

"daß das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 25 der Richtlinie 86/609/EWG des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere sowie aus den Artikeln 5 und 189 EG-Vertrag verstossen hat, daß es innerhalb der vorgeschriebenen Fristen nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen".

8 Zur Begründung dieser Auffassung stützt sich die Kommission auf einige Vorschriften der Richtlinie, die ihrer Ansicht nach durch das luxemburgische Gesetz nicht in Kraft gesetzt worden sind.

9 In der vorliegenden Rechtssache entscheidet der Gerichtshof im Säumnisverfahren. Er hat daher gemäß Artikel 95 § 2 der Verfahrensordnung zu prüfen, ob die Klage zulässig ist und ob die Anträge des Klägers begründet erscheinen.

10 Zur Zulässigkeit ist anzumerken, daß die Kommission beantragt, nach der Prüfung des luxemburgischen Gesetzes durch den Gerichtshof festzustellen, daß die Richtlinie lückenhaft und daher mangelhaft umgesetzt worden ist, während die Kommission in ihrer Klageschrift auf der Grundlage der mit Gründen versehenen Stellungnahme gemäß Artikel 169 des Vertrages beanstandet hat, daß die Richtlinie nicht umgesetzt und die Umsetzungsmaßnahmen nicht mitgeteilt worden seien.

11 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. namentlich Urteil vom 12. Januar 1994 in der Rechtssache C-296/92 Kommission/Italien, Slg. 1994, I-1, Randnr. 11) wird der Gegenstand einer Klage nach Artikel 169 des Vertrages durch das in dieser Bestimmung vorgesehene vorprozessuale Verfahren eingegrenzt. Die Gelegenheit zur Äusserung ist für den betroffenen Mitgliedstaat nämlich eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie und die Beachtung dieser Garantie eine Voraussetzung für die Ordnungsgemäßheit des Vertragsverletzungsverfahrens. Daher kann die Klage nicht auf andere als die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme angeführten Rügen gestützt werden (vgl. auch Urteile vom 17. November 1992 in der Rechtssache C-157/91, Kommission/Niederlande, Slg. 1992, I-5899, Randnr. 17, und vom 28. April 1993 in der Rechtssache C-306/91, Kommission/Italien, Slg. 1993, I-2133, Randnr. 22).

12 Soweit die Kommission nach der Erhebung der Klage jetzt unter Verweisung auf einige Vorschriften, die durch das luxemburgische Gesetz nicht umgesetzt worden seien, die Feststellung beantragt, daß das Großherzogtum Luxemburg nicht alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um der Richtlinie nachzukommen, ist anzumerken, daß diese Feststellung eine eingehende Untersuchung des luxemburgischen Gesetzes erforderlich machen würde, damit ermittelt werden kann, welche Vorschriften der Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sind. Diese Sachlage ist somit nicht mit einem Fall zu vergleichen, in dem ein Mitgliedstaat nach dem vorprozessualen Verfahren einige Umsetzungsmaßnahmen ergriffen hat, ohne jedoch sämtliche Vorschriften der Richtlinie umgesetzt zu haben, und in dem die Kommission ihre Anträge daher auf die unstreitig noch nicht umgesetzten Vorschriften beschränkt hat (vgl. namentlich Urteil vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-132/94, Kommission/Irland, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).

13 Der Gerichtshof könnte aber eine solche Untersuchung nur auf der Grundlage eines vorprozessualen Verfahrens durchführen, in dem der beklagte Mitgliedstaat zu den Rügen der Kommission in bezug auf die mangelhafte Umsetzung genau bezeichneter Vorschriften der Richtlinie hat Stellung nehmen können. Weder das luxemburgische Gesetz noch diese Rügen sind in der vorliegenden Rechtssache aber jemals Gegenstand des vorprozessualen Verfahrens gewesen.

14 Die Klage der Kommission ist daher als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

15 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Zwar ist die Klägerin, was den Gegenstand des Rechtsstreits angeht, so wie dieser sich aus ihren Erklärungen ergibt, unterlegen, die Erhebung der Klage in der durch die Erklärungen der Klägerin geänderten Fassung beruht jedoch auf der mangelnden Mitwirkung des Beklagten; diesem sind folglich gemäß Artikel 69 § 3 Absatz 2 der Verfahrensordnung die gesamten Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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