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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.04.2000
Aktenzeichen: C-274/98
Rechtsgebiete: Richtlinie 91/676/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 91/676/EWG Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat kann sich weder auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, noch kann er die verspätete Umsetzung einer Richtlinie anführen, um die Nichteinhaltung oder die verspätete Befolgung anderer Verpflichtungen aus dieser Richtlinie zu rechtfertigen. (vgl. Randnrn. 19, 22)


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 13. April 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Spanien. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 91/676/EWG. - Rechtssache C-274/98.

Parteien:

In der Rechtssache C-274/98

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Gippini Fournier und F. de Sousa Fialho, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Klägerin,

gegen

Königreich Spanien, vertreten durch Abogado del Estado M. López-Monís Gallego als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Spanische Botschaft, 4-6, boulevard E. Servais, Luxemburg,

Beklagter,

" wegen Feststellung, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (ABl. L 375, S. 1; Berichtigung der spanischen Sprachfassung ABl. 1993, L 92, S. 51) festgelegt hat,

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, der Richter R. Schintgen, G. Hirsch und V. Skouris sowie der Richterin F. Macken (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Cosmas

Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 17. Juli 1998 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (ABl. L 375, S. 1; Berichtigung der spanischen Sprachfassung ABl. 1993, L 92, S. 51; im folgenden: Richtlinie) festgelegt hat.

2 Die Richtlinie hat gemäß Artikel 1 zum Ziel, die durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigung zu verringern und weiterer Gewässerverunreinigung dieser Art vorzubeugen.

3 Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie sieht vor, daß die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie, die am 19. Dezember 1991 erfolgte, die gefährdeten Gebiete auszuweisen haben.

4 Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt: "Zur Verwirklichung der in Artikel 1 genannten Ziele legen die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach der ersten Ausweisung der gefährdeten Gebiete nach Artikel 3 Absatz 2 oder innerhalb eines Jahres nach jeder ergänzenden Ausweisung nach Artikel 3 Absatz 4 Aktionsprogramme für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete fest."

5 Artikel 10 der Richtlinie lautet:

"(1) Die Mitgliedstaaten legen der Kommission für den Vierjahreszeitraum nach Bekanntgabe dieser Richtlinie und für jeden darauffolgenden Vierjahreszeitraum einen Bericht mit den in Anhang V beschriebenen Informationen vor.

(2) Ein Bericht nach diesem Artikel wird der Kommission binnen sechs Monaten nach Ende des Zeitraums vorgelegt, auf den er sich bezieht."

6 Das Real Decreto sobre protección de las aguas contra la contaminación producida por los nitratos procedentes de fuentes agrarias (Königliches Dekret Nr. 261/1996 vom 16. Februar 1996 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen) setzt die Richtlinie in die spanische Rechtsordnung um. Es bestimmt in Artikel 6, daß "die zuständigen Stellen der Autonomen Gemeinschaften in den als gefährdet ausgewiesenen Gebieten Aktionsprogramme festlegen, durch die Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen vermieden und ggf. verringert werden sollen. Diese Aktionsprogramme werden innerhalb von zwei Jahren nach der erstmaligen Ausweisung der gefährdeten Gebiete oder innerhalb von einem Jahr nach jeder Vergrößerung oder Veränderung der Gebiete aufgestellt und in einem Zeitraum von vier Jahren nach ihrer Aufstellung umgesetzt."

7 Mit Schreiben vom 4. April 1997 forderte die Kommission das Königreich Spanien auf, sich innerhalb von zwei Monaten zu einer möglichen Verletzung mehrerer Verpflichtungen aus der Richtlinie - insbesondere aus den Artikeln 5, 6 und 10 - zu äußern.

8 Aufgrund der Antwort der spanischen Behörden vom 19. Juni 1997 stellte die Kommission fest, daß die Verpflichtungen aus Artikel 6 der Richtlinie erfuellt waren.

9 Am 21. November 1997 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Königreich Spanien, da dieses ihr nicht den in Artikel 10 der Richtlinie vorgesehen Bericht mit den in Anhang V beschriebenen Informationen vorgelegt und keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 festgelegt habe.

10 Die spanische Regierung antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme und übermittelte der Kommission ein Dokument mit dem Titel "Vierjahresbericht über die Anwendung der Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen".

11 Die Kommission hat daher das Verfahren nur hinsichtlich der Nichterfuellung von Artikel 5 der Richtlinie weitergeführt und wegen dieser Vertragsverletzung den Gerichtshof angerufen.

12 Unter Hinweis auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Artikeln 5 und 189 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG und Artikel 249 Absatz 3 EG) vertritt die Kommission die Auffassung, das Königreich Spanien hätte die zur Durchführung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen innerhalb der festgesetzten Frist ergreifen und ihr mitteilen müssen.

13 Die Kommission stellt fest, daß die gesetzten Fristen abgelaufen seien und daß das Königreich Spanien keine innerstaatlichen Vorschriften erlassen habe, um den Verpflichtungen aus Artikel 5 der Richtlinie in seiner Rechtsordnung nachzukommen.

14 Gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie mußten die gefährdeten Zonen innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie ausgewiesen werden. Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach der ersten Ausweisung gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie Aktionsprogramme für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete festzulegen. Da die Richtlinie am 19. Dezember 1991 bekanntgegeben worden war, ist die Frist für die Aufstellung der Aktionsprogramme nach Artikel 5 am 19. Dezember 1995 abgelaufen.

15 Es ist unstreitig, daß das Königreich Spanien innerhalb der festgesetzten Frist keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie festgelegt hat.

16 Die spanische Regierung räumt zwar ein, daß sie die Verpflichtung aus Artikel 12 der Richtlinie in bezug auf die Frist für den Erlaß der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich seien, um der Richtlinie nachzukommen, nicht erfuellt habe; sie bringt jedoch zu ihrer Verteidigung vor, daß es nicht möglich gewesen sei, gleichzeitig das zur Umsetzung erforderliche Real Decreto in Kraft zu setzen, in dem die gefährdeten Gebiete ausgewiesen würden, und im Anschluß daran die Aktionsprogramme festzulegen. Da die Umsetzung der Richtlinie in das spanische Recht erst im März 1996 erfolgt sei, könnten die Programme nach Artikel 5 der Richtlinie kaum innerhalb der dort vorgesehenen Frist aufgestellt werden.

17 Hierzu ist lediglich festzustellen, daß die Kommission dadurch, daß sie ihre Klage auch auf eine andere Bestimmung der Richtlinie hätte stützen können, nicht daran gehindert ist, sich auf die Nichteinhaltung von Artikel 5 zu berufen, die sich aus dem Fehlen der dort vorgesehenen Programme ergibt.

18 Die spanische Regierung führt weiter aus, daß die Pflicht zur Ausweisung der gefährdeten Gebiete die Autonomen Gemeinschaften treffe, da nach Artikel 4 des Real Decreto Nr. 261/1996 die Ausweisung in deren Zuständigkeit falle. Sie weist darauf hin, daß die Autonomen Gemeinschaften Andalucía, Aragón, Baleares, Canarias, Castilla-La Mancha, Castilla y León, Cataluña, Valencia und País Vasco die gefährdeten Gebiete ausgewiesen hätten und daß alle anderen Autonomen Gemeinschaften - Asturias, Cantabria, Extremadura, Galicia, La Rioja, Madrid, Murcia und Navarra - erklärt hätten, es gebe in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet keine gefährdeten Gebiete. In den Autonomen Gemeinschaften, die gefährdete Gebiete ausgewiesen hätten, sei die Aufstellung von Aktionsprogrammen nach Artikel 5 der Richtlinie noch im Gange.

19 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. insbesondere Urteil vom 12. Februar 1998 in der Rechtssache C-144/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-613, Randnr. 8).

20 Daraus folgt, daß weder die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Staat und den Autonomen Gemeinschaften noch die Pflicht zur Befolgung der Vorgaben der nationalen Regelung, mit der die Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, die Verletzung der Verpflichtungen aus der Richtlinie rechtfertigen kann.

21 Die spanische Regierung macht schließlich geltend, die Kommission hätte in ihrer Klage auf die verspätete Umsetzung der Richtlinie in die spanische Rechtsordnung abstellen müssen. Da die Kommission ihre Klage nicht auf die fehlende rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie in die spanische Rechtsordnung gestützt habe, sei die Erhebung mehrerer aufeinanderfolgender Klagen wegen der Nichteinhaltung des in der Richtlinie vorgesehenen Zeitplans sinnlos.

22 Ein Mitgliedstaat kann sich jedoch nicht auf die verspätete Umsetzung einer Richtlinie berufen, um die Nichteinhaltung oder die verspätete Befolgung anderer Verpflichtungen aus der Richtlinie zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Randnr. 23).

23 Daraus ergibt sich, daß die verspätete Umsetzung der Richtlinie durch das Königreich Spanien keinesfalls die Verletzung der Verpflichtungen aus Artikel 5 der Richtlinie rechtfertigt.

24 Da innerhalb der festgesetzten Frist keine Aktionsprogramme nach Artikel 5 der Richtlinie festgelegt wurden, ist die Klage der Kommission als begründet anzusehen.

25 Daher ist festzustellen, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen hat, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie festgelegt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Spanien mit seinem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind dem Königreich Spanien die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verstoßen, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 dieser Richtlinie festgelegt hat.

2. Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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