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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.02.2002
Aktenzeichen: C-28/00
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EG) Nr. 118/97
Vorschriften:
EGV Art. 234 | |
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 94 Abs. 1 | |
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 94 Abs. 2 | |
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 94 Abs. 3 | |
Verordnung (EG) Nr. 118/97 |
Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung in Verbindung - je nach Fallgestaltung - mit den Artikeln 8a, 48 bzw. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 18 EG, 39 EG und 43 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Kindererziehungszeiten, die in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegt wurden, nur unter der zweifachen Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten,
- dass sie nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung im erstgenannten Staat zurückgelegt wurden und
- dass der Antragsteller für die betreffenden Kinder Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach dem Recht des genannten Staates hat oder hatte,
während diese Zeiten, wenn sie im Inland zurückgelegt wurden, ohne zeitliche Begrenzung oder sonstige Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten.
( vgl. Randnr. 52 und Tenor )
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 7. Februar 2002. - Liselotte Kauer gegen Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberster Gerichtshof - Österreich. - Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Artikel 94 Absätze 1 bis 3 - Altersversicherung - Vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Erziehungszeiten. - Rechtssache C-28/00.
Parteien:
In der Rechtssache C-28/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel Artikel 234 EG vom Obersten Gerichtshof (Österreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Liselotte Kauer
gegen
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung
erlässt
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter A. La Pergola und M. Wathelet (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp und W. Bogensberger als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Kauer, vertreten durch Rechtsanwalt U. Schubert, der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer, und der Kommission, vertreten durch W. Bogensberger, in der Sitzung vom 28. Juni 2001,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. September 2001,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 14. Dezember 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Kauer (im Folgenden: Klägerin) und der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten (im Folgenden: Beklagte) über die Feststellung der bei der Berechnung einer Altersrente zu berücksichtigenden Versicherungszeiten.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsbestimmungen
3 Die Verordnung Nr. 1408/71 ist aufgrund des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) seit dem 1. Januar 1994 auf die Republik Österreich anwendbar. Seit dem 1. Januar 1995 ist sie auf die Republik Österreich in ihrer Eigenschaft als Mitgliedstaat der Europäischen Union anwendbar.
4 Artikel 1 Buchstaben r, s und sa der Verordnung Nr. 1408/71 enthält folgende Begriffsbestimmungen:
"Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:
...
r) "Versicherungszeiten": die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind;
s) "Beschäftigungszeiten" oder "Zeiten einer Selbständigentätigkeit": die Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind, ferner alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Beschäftigungszeiten oder den Zeiten einer Selbständigentätigkeit gleichwertig anerkannt sind;
sa) "Wohnzeiten": die Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind oder unter denen sie als zurückgelegt gelten, als solche bestimmt oder anerkannt sind".
5 Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:
"(1) Diese Verordnung begründet keinen Anspruch für einen Zeitraum vor dem 1. Oktober 1972 oder vor ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats...
(2) Für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach dieser Verordnung werden sämtliche Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungs- und Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung dieser Verordnung im Gebiet dieses Mitgliedstaats... zurückgelegt worden sind.
(3) Ein Leistungsanspruch wird auch für Ereignisse begründet, die vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung dieser Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats... liegen, soweit Absatz 1 nicht etwas anderes bestimmt."
sterreichisches Recht
6 § 227a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (in der Fassung BGBl. 1997/47; im Folgenden: ASVG), der die Ersatzzeiten für die Kindererziehung betrifft, bestimmt:
"(1) Als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955 gelten überdies in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit bzw. beim Fehlen einer solchen, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, bei einer... Versicherten, die... ihr... Kind... tatsächlich und überwiegend erzogen hat, die Zeit dieser Erziehung im Inland im Ausmaß von höchstens 48 Kalendermonaten, gezählt ab der Geburt des Kindes.
...
(3) Liegt die Geburt... eines weiteren Kindes vor dem Ablauf der 48-Kalendermonate-Frist, so erstreckt sich diese nur bis zu dieser neuerlichen Geburt...; endet die Erziehung des weiteren Kindes... vor Ablauf dieser 48-Kalendermonate-Frist, sind die folgenden Kalendermonate bis zum Ablauf wieder zu zählen. Der Erziehung des Kindes im Inland steht eine solche in einem Mitgliedstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gleich, wenn für dieses Kind Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz bzw. auf Betriebshilfe nach dem Betriebshilfegesetz besteht bzw. bestanden hat und die Zeit der Kindererziehung nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens liegt."
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
7 Die Klägerin, die die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, ist Mutter von drei Kindern, die 1966, 1967 und 1969 geboren wurden. Nachdem sie im Juni 1960 ihr Studium abgeschlossen hatte, arbeitete sie von Juli 1960 bis August 1964 in Österreich. Im April 1970 verlegte sie mit ihrer Familie ihren Wohnsitz nach Belgien, wo sie nicht erwerbstätig war. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich war sie wieder erwerbstätig und legte ab September 1975 Versicherungszeiten in der Pflichtversicherung zurück.
8 Auf Antrag der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 1998 fest, dass die Klägerin bis zum 1. April 1998 355 Versicherungsmonate in der Pensionsversicherung nach österreichischem Recht zurückgelegt habe. Die in dieser Gesamtzahl enthaltenen 46 Monate von Juli 1966 - in diesem Monat wurde das erste Kind der Klägerin geboren - bis April 1970 - in diesem Monat fand die Verlegung des Wohnsitzes nach Belgien statt - hatte die Beklagte als Ersatzzeiten für die Kindererziehung gemäß § 227a ASVG anerkannt.
9 Die Klägerin focht diesen Bescheid an. Ihrer Ansicht nach hätte die Beklagte nicht 46, sondern 82 Monate als Ersatzzeiten für Zeiten der Kindererziehung anerkennen müssen, da die Zeiten, in denen sie ihre Kinder in Belgien erzogen habe, nach dem Gemeinschaftsrecht als Ersatzzeiten anzuerkennen seien.
10 Die Beklagte wies dieses Begehren zurück, indem sie zunächst geltend machte, dass im Europäischen Wirtschaftsraum zurückgelegte Kindererziehungszeiten nur dann österreichischen Erziehungszeiten gleichstuenden, wenn sie nach dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens, d. h. nach dem 1. Januar 1994, zurückgelegt worden seien, was im Ausgangsverfahren nicht der Fall sei. Außerdem seien nach Artikel 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1) die Gründungsverträge und die von den Gemeinschaftsorganen vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte für die neuen Mitgliedstaaten erst ab 1. Januar 1995 verbindlich. Schließlich wirkten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht auf Sachverhalte zurück, die vor dem Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats entstanden seien.
11 Nachdem die Klägerin in der ersten Instanz vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien und in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht Wien unterlegen war, legte sie beim Obersten Gerichtshof Revision ein.
12 Der Oberste Gerichtshof, der Zweifel an der Übereinstimmung der fraglichen nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht hat, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1249/92 des Rates vom 30. April 1992, dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach Zeiten der Kindererziehung im Inland als Ersatzzeiten für die Pensionsversicherung gelten, in einem Mitgliedsstaat des EWR (hier: Belgien) jedoch nur dann, wenn sie nach dem Inkrafttreten dieses Abkommens (1. Januar 1994) liegen und überdies nur unter der Voraussetzung, dass für dieses Kind Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach dem (österreichischen) Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) oder einem anderen (österreichischen) Bundesgesetz bzw. auf Betriebshilfe nach dem (österreichischen) Betriebshilfegesetz besteht oder bestanden hat?
Zur Vorlagefrage
13 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Artikel 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Kindererziehungszeiten, die in einem anderen EWR-Vertragsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegt wurden, nur unter der zweifachen Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten,
- dass sie nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung im erstgenannten Staat zurückgelegt wurden und
- dass der Antragsteller für die betreffenden Kinder Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach dem Recht des genannten Staates hat oder hatte,
während diese Zeiten, wenn sie im Inland zurückgelegt wurden, ohne zeitliche Begrenzung oder sonstige Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten.
14 Nach Ansicht der österreichischen Regierung und der Kommission gelten die Übergangsbestimmungen des Artikels 94 Absätze 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht für die Zeiten, die die Klägerin in Belgien verbracht hat.
15 Die Kommission macht geltend, dass die Verordnung Nr. 1408/71 nach ihrem Artikel 94 Absatz 1 "keinen Anspruch für einen Zeitraum... vor ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats [begründet]". Daher könne nach dieser Verordnung ein Leistungsanspruch, der nicht vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich am 1. Januar 1994 entstanden sei, auch nicht rückwirkend begründet werden. Um feststellen zu können, ob ein Leistungsanspruch vor diesem Zeitpunkt begründet worden sei, seien allerdings die Übergangsbestimmungen des Artikels 94 Absätze 2 und 3 dieser Verordnung heranzuziehen.
16 Nach Auffassung der österreichischen Regierung und der Kommission kann Artikel 94 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1408/71 im vorliegenden Fall nicht als Grundlage für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten dienen, die vor dem 1. Januar 1994 in einem anderen EWR-Vertragsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegt worden seien.
17 Zum einen stellten diese Zeiten keine Versicherungszeiten im Sinne von Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 dar. Damit nach dieser Vorschrift bestimmte Zeiten berücksichtigt werden könnten, müssten sie nach dem Recht des betreffenden Staates als Versicherungszeiten anerkannt sein. Nach österreichischem Recht unterliege jedoch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten als Versicherungszeiten bestimmten Voraussetzungen, die im Ausgangsverfahren nicht erfuellt seien.
18 Zum anderen stelle der Begriff "Ereignisse" in Artikel 94 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 auf Vorgänge ab, die, wie das Erreichen des Rentenalters oder der Eintritt eines Invaliditäts- oder Todesfalls, zu einem Leistungsanspruch im Rahmen der sozialen Sicherheit führten. Aus § 227a ASVG ergebe sich jedoch klar, dass die von der Klägerin für die Erziehung ihrer Kinder in Belgien aufgewandte Zeit als solche keinen Leistungsanspruch im Rahmen der sozialen Sicherheit nach österreichischem Recht begründe.
19 Nach Ansicht der spanischen Regierung kann zwar die Verordnung Nr. 1408/71 nach ihrem Artikel 94 Absatz 1 keine Rechte für vor ihrem Inkrafttreten liegende Zeiten begründen, sie schreibe jedoch die Berücksichtigung von davor liegenden Ereignissen, wie Kindererziehungszeiten, vor, die nach ihrem Inkrafttreten Rechte begründen könnten.
20 Dazu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Rechtssicherheit keine rückwirkende Anwendung einer Verordnung zulässt, unabhängig davon, ob sich eine solche Anwendung für den Betroffenen günstig oder ungünstig auswirkt, es sei denn, dass es im Wortlaut oder in der Zweckrichtung einen hinreichend klaren Anhaltspunkt gibt, der die Annahme zulässt, dass die Verordnung nicht nur für die Zukunft gilt (Urteil vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 234/83, Gesamthochschule Duisburg, Slg. 1985, 327, Randnr. 20). Somit gilt die neue Regelung zwar nur für die Zukunft, doch ist sie nach einem allgemein anerkannten Grundsatz, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, auch auf die künftigen Wirkungen von unter dem alten Recht entstandenen Sachverhalten anwendbar (siehe in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 1978 in der Rechtssache 96/77, Bauche und Delquignies, Slg. 1978, 383, Randnr. 48, vom 25. Oktober 1978 in der Rechtssache 125/77, Koninklijke Scholten-Honig und De Bijenkorf, Slg. 1978, 1991, Randnr. 37, vom 5. Februar 1981 in der Rechtssache 40/79, P./Kommission, Slg. 1981, 361, Randnr. 12, und vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 270/84, Licata/Wirtschafts- und Sozialausschuss, Slg. 1986, 2305, Randnr. 31).
21 Indem Artikel 94 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, dass diese Verordnung keinen Anspruch für einen Zeitraum vor ihrer Anwendung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats begründet, fügt er sich in vollem Umfang in den Rahmen des soeben angeführten Grundsatzes der Rechtssicherheit ein.
22 Im gleichen Sinne sieht zum einen Artikel 94 Absatz 2 dieser Verordnung im Hinblick darauf, eine Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 auf künftige Wirkungen von unter der Geltung des früheren Rechts entstandenen Sachverhalte zu ermöglichen, die Verpflichtung vor, bei der Feststellung von Leistungsansprüchen alle Versicherungs-, Beschäftigungs- und Wohnzeiten zu berücksichtigen, die unter der Geltung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats "vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung [der] Verordnung im Gebiet dieses Mitgliedstaats... zurückgelegt worden sind". Nach dieser Bestimmung kann ein Mitgliedstaat mithin eine Anrechnung von im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten für die Altersrente nicht schon deshalb ablehnen, weil diese Zeiten zurückgelegt worden sind, bevor die Verordnung für ihn in Kraft getreten ist (vgl. Urteil vom 7. Februar 1990 in der Rechtssache C-227/89, Rönfeldt, Slg. 1991, I-323, Randnr. 16).
23 Zum anderen schreibt Artikel 94 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 auch die Berücksichtigung aller Ereignisse vor, auf die sich der betreffende Anspruch bezieht, auch wenn diese "vor dem 1. Oktober 1972 oder vor Anwendung [der] Verordnung im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats... liegen".
24 Es ist also zu prüfen, ob Kindererziehungszeiten, die in einem anderen als dem zuständigen Staat zurückgelegt worden sind, bevor die Verordnung Nr. 1408/71 im Gebiet des zuständigen Staates anwendbar geworden ist, Versicherungszeiten oder Ereignisse im Sinne von Artikel 94 Absätze 2 bzw. 3 dieser Verordnung sein können.
25 Was Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 angeht, so wird der dort genannte Begriff "Versicherungszeiten" in Artikel 1 Buchstabe r dieser Verordnung definiert als "die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind".
26 Diese Verweisung auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zeigt deutlich, dass die Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere für die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, auf die Voraussetzungen verweist, die nach innerstaatlichen Recht erfuellt sein müssen, damit eine bestimmte Zeit als den eigentlichen Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt werden kann (zur Verordnung Nr. 3 des Rates vom 25. September 1958 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer, ABl. 1958, Nr. 30, S. 561, vgl. Urteil vom 5. Dezember 1967 in der Rechtssache 14/67, Welchner, Slg. 1967, 443, 452; zur Verordnung Nr. 1408/71 vgl. Urteil vom 7. Februar 1990 in der Rechtssache C-324/88, Vella u. a., Slg. 1990, I-257). Diese Anerkennung muss jedoch unter Beachtung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit erfolgen (vgl. u. a. Urteile vom 15. Oktober 1990 in der Rechtssache C-302/90, Faux, Slg. 1991, I-4875, Randnrn. 25 bis 28, und vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-322/95, Iurlaro, Slg. 1997, I-4881, Randnr. 28).
27 Es ist noch zu prüfen, nach den Rechtsvorschriften welches Mitgliedstaats die Zeiten, die die Klägerin zwischen 1970 und 1975 in Belgien der Erziehung ihrer Kinder gewidmet hat, gemäß Artikel 1 Buchstabe r der Verordnung Nr. 1408/71 als eigentlichen Versicherungszeiten gleichgestellte Zeiten zu bestimmen oder anzuerkennen sind.
28 Hierzu ist den Akten zu entnehmen, dass die Klägerin, nachdem sie im April 1970 ihren Wohnsitz mit ihrer Familie von Österreich nach Belgien verlegt hat, weder in Belgien gearbeitet noch Beiträge zum belgischen Altersversicherungssystem geleistet hat. Sie hat erst nach ihrer Rückkehr nach Österreich, ab September 1975, wieder gearbeitet.
29 Demnach wäre, wie der Generalanwalt in Nummer 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Klägerin, die zuletzt in Österreich beschäftigt war, nach Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 in der vor der Aufnahme von Buchstabe f durch die Verordnung (EWG) Nr. 2195/91 des Rates vom 25. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 206, S. 2) anwendbaren Fassung während der Zeiten der Erziehung ihrer Kinder in Belgien, wo sie keine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige ausgeübt hat, weiterhin den österreichischen Rechtsvorschriften unterworfen gewesen (vgl. Urteile vom 12. Juni 1986 in der Rechtssache 302/84, Ten Holder, Slg. 1986, 1821, Randnr. 14, und vom 10. März 1992 in der Rechtssache C-215/90, Twomey, Slg. 1992, I-1823, Randnr. 10).
30 Die österreichische Regierung meint jedoch, dass die Frage der Anerkennung der in Belgien zurückgelegten Kindererziehungszeiten der Klägerin nach belgischem Recht zu beantworten sei. Hierfür beruft sie sich auf Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f der Verordnung Nr. 1408/71, wonach eine Person, die nicht mehr den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliege, die bisher aufgrund der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit anwendbar gewesen seien, nunmehr den Rechtsvorschriften des Wohnstaates unterliege, wenn nicht gemäß den Bestimmungen der Artikel 13 bis 17 der Verordnung Nr. 1408/71 die Rechtsvorschriften eines bestimmten Mitgliedstaats auf sie anwendbar würden.
31 Diese Auffassung ist zurückzuweisen. Selbst wenn das Bestehen von Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f, der durch die Verordnung Nr. 2195/91 - also viele Jahre nach Zurücklegung der Kindererziehungszeiten der Klägerin in Belgien - in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt worden ist, zu berücksichtigen sein sollte, wäre diese Bestimmung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens für eine Berücksichtigung von Erziehungszeiten im Rahmen der Altersversicherung doch nicht relevant.
32 Aus dem Urteil vom 23. November 2000 in der Rechtssache C-135/99 (Elsen, Slg. 2000, I-10409, Randnrn. 25 bis 28) ergibt sich nämlich, dass hinsichtlich der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für die Altersversicherung aufgrund des Umstands, dass eine Person wie die Klägerin ausschließlich in einem Mitgliedstaat gearbeitet hat und dem Recht dieses Staates unterlag, als das Kind geboren wurde, zwischen diesen Erziehungszeiten und den Versicherungszeiten, die aufgrund einer Berufstätigkeit in diesem Staat zurückgelegt wurden, eine hinreichende Verbindung hergestellt werden kann. Die Klägerin beantragte bei einem österreichischen Träger wegen der Zurücklegung eben dieser Versicherungszeiten die Anrechnung der Zeiten, die sie während der Unterbrechung ihrer beruflichen Laufbahn der Erziehung ihrer Kinder gewidmet hat.
33 Die Frage, ob die belgischen Kindererziehungszeiten der Klägerin als Versicherungszeiten gleichgestellte Zeiten zu qualifizieren sind, ist somit nach österreichischem Recht zu prüfen.
34 Insoweit geht aus § 227a Absatz 1 ASVG hervor, dass die in Österreich zurückgelegten Kindererziehungszeiten ohne weiteres als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten. Dagegen gelten nach § 227a Absatz 3 Kindererziehungszeiten, die in einem anderen EWR-Vertragsstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegt wurden, nur unter der zweifachen Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung,
- dass sie nach dem 1. Januar 1994 zurückgelegt wurden und
- dass der Antragsteller für die betreffenden Kinder Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach österreichischem Bundesrecht hat oder hatte.
Zur Voraussetzung, dass die Kindererziehungszeiten nach dem 1. Januar 1994 zurückgelegt wurden
35 Die Tragweite von Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 wird naturgemäß durch Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats verkannt, die die Anerkennung von im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Ersatzzeiten davon abhängig machen, dass diese Zeiten nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung im erstgenannten Mitgliedstaat zurückgelegt wurden.
36 Wie nämlich aus Randnummer 22 dieses Urteils hervorgeht, zielt diese Bestimmung gerade darauf ab, die Wirkungen von Sachverhalten, wie etwa der Zurücklegung von Versicherungszeiten oder Ersatzzeiten, die unter der Geltung des alten Rechts entstanden sind, für die Feststellung von Leistungsansprüchen unter der Geltung der neuen Regelung zu erhalten. Wollte man eine solche Anerkennung davon abhängig machen, dass die betreffenden Zeiten nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 für den betreffenden Staat zurückgelegt worden sind, so würde dies den Übergangsbestimmungen des Artikels 94 Absatz 2 dieser Verordnung die praktische Wirksamkeit nehmen.
37 Eine zeitliche Begrenzung wie diejenige nach § 227a Absatz 3 ASVG verstößt somit gegen Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71.
Zu dem Erfordernis, dass ein Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach österreichischem Bundesrecht besteht oder bestanden hat
38 Weiter ist zu prüfen, ob die zweite Voraussetzung des § 227 a Absatz 3 ASVG gemeinschaftsrechtskonform ist, wonach der Antragsteller, um Erziehungszeiten, die außerhalb Österreichs, aber innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums zurückgelegt worden sind, Versicherungszeiten gleichstellen zu können, Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach einem österreichischem Bundesgesetz hat oder hatte.
39 Die österreichische Regierung macht geltend, den Mitgliedstaaten stehe es frei, ihre Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere die Voraussetzungen, unter denen Versicherungszeiten angerechnet werden könnten, autonom festzulegen, sofern es nicht zu einer diskriminierenden Unterscheidung zwischen Inländern und Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten komme. Die Republik Österreich könne für eine Anrechnung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Erziehungszeiten das Vorliegen eines hinreichend engen Zusammenhangs mit ihrem System der sozialen Sicherheit verlangen. Nach dem Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-275/96 (Kuusijärvi, Slg. 1998, I-3419) sei dann, wenn der Betreffende in einem anderen Mitgliedstaat als dem wohne, in dem er berufstätig gewesen sei, bevor er sich der Erziehung seiner Kinder gewidmet habe, der Wohnstaat und nicht der Staat, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sei, für die Anrechnung der Kindererziehungszeiten zuständig.
40 Außerdem seien die im Ausgangsverfahren fraglichen Zeiten vor dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens für Österreich und dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union zurückgelegt worden, so dass sich eine Nichtanrechnung dieser Zeiten weder auf die Freizügigkeit in der Europäischen Union noch auf die Rechte der EU-Bürger nachteilig auswirken könne. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin ihren Wohnsitz nach Belgien verlegt und sich dort aufgehalten und sei dann vor den beiden genannten Zeitpunkten nach Österreich zurückgekehrt. Unter diesen Umständen könne nicht gesagt werden, dass sie von einem ihr durch den EG-Vertrag garantierten Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe.
41 Selbst wenn die Klägerin aber die Kindererziehungszeiten in Belgien nach dem 1. Januar 1994 zurückgelegt hätte, hätte sie doch nicht deren Anrechnung für die österreichische Altersrente beanspruchen können; denn da sie zur Zeit der Geburt ihres ersten Kindes nicht berufstätig gewesen sei, hätte sie keinen Anspruch auf Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach den österreichischen Rechtsvorschriften haben können.
42 In diesem Zusammenhang ist erstens zu prüfen, ob ein Erfordernis wie die zweite Voraussetzung des § 227a Absatz 3 ASVG nach dem Gemeinschaftsrecht rechtmäßig ist, wie dieses anwendbar gewesen wäre, wenn die fraglichen Erziehungszeiten nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union zurückgelegt worden wären.
43 Es ist festzustellen, dass mit der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung im Hinblick auf die Feststellung der Versicherungszeiten und der Ersatzzeiten für die Altersversicherung eine Ungleichbehandlung eingeführt wird, da die im Inland zurückgelegten Erziehungszeiten ohne weiteres angerechnet werden, die Anrechnung von in einem anderen EWR-Vertragsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegten Erziehungszeiten jedoch vom Anspruch auf Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach österreichischem Bundesrecht abhängig gemacht wird.
44 Wird eine solche Regelung auf die nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union zurückgelegten Kindererziehungszeiten angewandt, so ist sie geeignet, diejenigen Gemeinschaftsbürger zu benachteiligen, die in Österreich gewohnt oder gearbeitet und sodann als Arbeitnehmer, als Angehörige eines Arbeitnehmers oder als Unionsbürger von ihrem Recht auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt in den Mitgliedstaaten, wie es in den Artikeln 8a, 48 und 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 18 EG, 39 EG und 43 EG) garantiert wird, Gebrauch gemacht haben. Denn vor allem bei diesen Gemeinschaftsangehörigen stellt sich das Problem im Zusammenhang mit der Zurücklegung von Kindererziehungszeiten außerhalb Österreichs.
45 Zweitens ist zum einen hervorzuheben, dass dann, wenn wie im Ausgangsverfahren die nationale Regelung für Erziehungszeiten gilt, die vor dem Zeitpunkt der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 in Österreich zurückgelegt worden sind, Ansprüche auf Altersrente, die nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union - und sei es auch auf der Grundlage von vor diesem Beitritt zurückgelegten Versicherungszeiten - begründet worden sind, von den österreichischen Behörden in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht festzustellen sind, und zwar insbesondere den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil Elsen, Randnr. 33).
46 Zum anderen ist, was die Anrechnung der im Ausgangsverfahren fraglichen Zeiten angeht, die Übergangsbestimmung des Artikels 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 anzuwenden, die naturgemäß Sachverhalte erfassen soll, die zu einer Zeit entstanden sind, als der EG-Vertrag im betreffenden Mitgliedstaat noch nicht anwendbar war. Diese Bestimmung soll, wie bereits in Randnummer 22 dieses Urteils hervorgehoben worden ist, gerade die Anwendung dieser Verordnung auf künftige Wirkungen von Sachverhalten ermöglichen, die zu einer Zeit entstanden sind, in der die Freizügigkeit im Verhältnis zwischen dem betreffenden Staat und dem Staat, in dessen Gebiet die betreffenden möglicherweise zu berücksichtigenden Sachverhalte entstanden sind, per definitionem noch nicht gewährleistet war.
47 Daher kann der Umstand, dass die Klägerin vor dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens oder vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union in Belgien gewohnt hat, als solcher der Anwendung von Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht entgegenstehen.
48 Es besteht aber die Gefahr, dass die Anwendung der zweiten Voraussetzung des § 227a Absatz 3 ASVG auf vor der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 zurückgelegte Erziehungszeiten Artikel 94 Absatz 2 dieser Verordnung ins Leere laufen lässt, wenn die nationalen Rechtsvorschriften die Zahlung von Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft zugunsten von Personen, die nicht im Inland wohnen, selbst nicht garantieren, eben weil eine Gemeinschaftsvorschrift wie Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71, die diese Zahlung hätte garantieren können, fehlt. Eine solche Bestimmung kann nämlich gemäß Artikel 94 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht rückwirkend angewandt werden.
49 Der Umstand, dass die Klägerin, deren drei Kinder zwar in Österreich geboren wurden, gleichwohl nach österreichischem Recht keinen Anspruch auf Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft hatte, weil sie, wie die österreichischem Regierung vorgetragen hat, ihre Berufstätigkeit vor der Geburt des ersten Kindes eingestellt hatte, kann die vorstehenden Ausführungen dazu, ob die Voraussetzung der Gewährung von Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder von entsprechenden Leistungen nach österreichischem Bundesrecht im Hinblick auf die Artikel 8a, 48 und 52 EG-Vertrag sowie Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 rechtmäßig ist, nicht in Frage stellen.
50 Das Erfordernis des Bestehens eines Anspruchs auf Geldleistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder auf entsprechende Leistungen nach österreichischem Bundesrecht, wie es in § 227a Absatz 3 ASVG enthalten ist, verstößt daher gegen Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung - je nach Fallgestaltung - mit den Artikeln 8a, 48 bzw. 52 EG-Vertrag.
51 Unter diesen Umständen erübrigt sich eine Auslegung von Artikel 94 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71.
52 Nach alledem ist Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung - je nach Fallgestaltung - mit den Artikeln 8a, 48 bzw. 52 EG-Vertrag dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Kindererziehungszeiten, die in einem anderen EWR-Vertragsstaat oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegt wurden, nur unter der zweifachen Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten,
- dass sie nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung im erstgenannten Staat zurückgelegt wurden und
- dass der Antragsteller für die betreffenden Kinder Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach dem Recht des genannten Staates hat oder hatte,
während diese Zeiten, wenn sie im Inland zurückgelegt wurden, ohne zeitliche Begrenzung oder sonstige Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten.
Kostenentscheidung:
Kosten
53 Die Auslagen der österreichischen und der spanischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 14. Dezember 1999 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 94 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung in Verbindung - je nach Fallgestaltung - mit den Artikeln 8a, 48 bzw. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 18 EG, 39 EG und 43 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach Kindererziehungszeiten, die in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückgelegt wurden, nur unter der zweifachen Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten,
- dass sie nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung im erstgenannten Staat zurückgelegt wurden und
- dass der Antragsteller für die betreffenden Kinder Anspruch auf eine Geldleistung aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft oder entsprechende Leistungen nach dem Recht des genannten Staates hat oder hatte,
während diese Zeiten, wenn sie im Inland zurückgelegt wurden, ohne zeitliche Begrenzung oder sonstige Voraussetzung als Ersatzzeiten für die Altersversicherung gelten.
Ende der Entscheidung
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