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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.07.1997
Aktenzeichen: C-28/95
Rechtsgebiete: Richtlinie 90/434/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 90/434/EWG Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

5 Der Gerichtshof ist gemäß Artikel 177 des Vertrages für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepasst hat.

Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, daß es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, so besteht nämlich ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, daß die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern.

In einem solchen Fall ist es jedoch im Rahmen der in Artikel 177 vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des Gerichtshofes beschränkt sich auf die Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen. Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, gilt das nationale Recht, so daß dafür ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind.

6 Die Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, daß die dort vorgesehene gemeinsame Besteuerungsregelung, die verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermassen auf alle Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen anzuwenden ist, ungeachtet dessen, ob ihre Gründe finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind.

Folglich setzt Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie, in dem der Begriff der Fusion durch Austausch von Anteilen definiert wird, nicht voraus, daß die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h selbst ein Unternehmen betreibt oder daß die Unternehmen von zwei Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit verbunden werden. Auch der Umstand, daß dieselbe natürliche Person, die Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war, Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird, steht der Einstufung des fraglichen Vorgangs als Fusion durch Austausch von Anteilen nicht entgegen.

7 Nach Artikel 11 der Richtlinie 90/434 müssen die zuständigen nationalen Behörden bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat, in jedem Einzelfall eine globale Untersuchung dieses Vorgangs vornehmen. Eine solche Untersuchung muß gerichtlich überprüfbar sein.

Gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung auszugehen ist, wenn der beabsichtigte Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht. Sie haben unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit die hierfür erforderlichen innerstaatlichen Verfahren festzulegen.

Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage von Kriterien wie der Tatsache, daß die erwerbende Gesellschaft selbst ein Unternehmen betreibt oder daß die Unternehmen von zwei Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit verbunden werden, oder dem Umstand, daß dieselbe natürliche Person, die Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war, Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird, automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, ginge jedoch über das zur Verhinderung einer solchen Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie 90/434 verfolgte Ziel, das gerade darin besteht, wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen zu schaffen und zu verhindern, daß die betreffenden Vorgänge durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden.

8 Der Begriff des vernünftigen wirtschaftlichen Grundes im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie 90/434 setzt mehr als das blosse Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil wie dem horizontalen steuerlichen Verlustausgleich voraus.


Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli 1997. - A. Leur-Bloem gegen Inspecteur der Belastingdienst/Ondernemingen Amsterdam 2. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Gerechtshof Amsterdam - Niederlande. - Artikel 177 - Zuständigkeit des Gerichtshofes - Nationale Rechtsvorschriften, die Gemeinschaftsvorschriften übernehmen - Umsetzung - Richtlinie 90/434/EWG - Begriff der Fusion durch Austausch von Anteilen - Steuermißbrauch oder -umgehung. - Rechtssache C-28/95.

Entscheidungsgründe:

1 Der Gerechtshof Amsterdam hat mit Urteil vom 26. Januar 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 2 Buchstabe d und 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1; im folgenden: Richtlinie), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Leur-Blöm (im folgenden: Klägerin) und dem Inspecteur der Belastingdienst/Ondernemingen (Leiter der Steuerbehörde für Unternehmen) Amsterdam 2 (im folgenden: Inspecteur).

3 Die Klägerin, die Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin von zwei privaten Gesellschaften niederländischen Rechts ist, beabsichtigt, die Anteile an einer dritten privaten Gesellschaft, einer Holding, zu erwerben, wobei die Bezahlung durch Austausch mit Anteilen an den beiden erstgenannten Gesellschaften erfolgen soll. Die Klägerin soll nach diesem Vorgang nicht mehr unmittelbar, sondern nur mittelbar die Alleingesellschafterin der beiden anderen Gesellschaften sein.

4 Die Klägerin unterliegt dem niederländischen Einkommensteuergesetz von 1964 (im folgenden: niederländisches Gesetz). Gemäß Artikel 14b Absatz 1 des niederländischen Gesetzes wird bei einer Fusion durch Austausch von Anteilen der Gewinn aus einer wesentlichen Beteiligung nicht besteuert. Die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit führt der Sache nach zum Aufschub der Besteuerung.

5 Artikel 14b Absatz 2 Buchstaben a und b des niederländischen Gesetzes lautet:

Es wird als Fusion von Gesellschaften angesehen, wenn

a) eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft gegen Übertragung eigener Anteile oder Gewinnanteilscheine, gegebenenfalls mit einer Zuzahlung, einen Bestand an Anteilen an einer anderen in den Niederlanden ansässigen Gesellschaft erwirbt, der es ihr ermöglicht, in der letztgenannten Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte auszuüben, um das Unternehmen dieser Gesellschaft und das einer anderen in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden;

b) eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ansässige Gesellschaft gegen Übertragung eigener Anteile oder Gewinnanteilscheine, gegebenenfalls mit einer Zuzahlung, einen Bestand an Anteilen an einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ansässigen Gesellschaft erwirbt, der es ihr ermöglicht, in der letztgenannten Gesellschaft mehr als die Hälfte der Stimmrechte auszuüben, um das Unternehmen dieser Gesellschaft und das einer anderen in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden.

6 Unter "Unternehmen" im Sinne des niederländischen Gesetzes ist im wesentlichen die wirtschaftliche Tätigkeit einer juristischen Person zu verstehen, während der Begriff "Gesellschaft" auf die juristische Person selbst Bezug nimmt.

7 Die Klägerin stellte bei der niederländischen Finanzverwaltung den Antrag, die beabsichtigte Transaktion als "Fusion durch Austausch von Anteilen" im Sinne der niederländischen Rechtsvorschriften zu behandeln; in diesem Fall könnte sie für einen etwaigen mit der Übertragung von Anteilen erzielten Gewinn die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen und etwaige Verluste innerhalb der so geschaffenen steuerlichen Einheit ausgleichen.

8 Der Inspecteur war der Ansicht, daß keine Fusion durch Austausch von Anteilen im Sinne von Artikel 14b Absatz 2 Buchstabe a des niederländischen Gesetzes vorliege, und lehnte den Antrag ab.

9 Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung Klage vor dem Gerechtshof Amsterdam. Sie ist der Auffassung, daß der Vorgang als Fusion anzusehen sei, da er auf eine engere Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften abziele.

10 Der Inspecteur macht dagegen geltend, daß der beabsichtigte Vorgang nicht dazu diene, die Unternehmen dieser Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer grösseren Einheit zu verbinden. Eine solche Einheit bestehe in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht bereits, da die beiden Gesellschaften schon die gleiche Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin hätten.

11 Der Gerechtshof ist der Meinung, daß zur Entscheidung dieses Rechtsstreits eine anläßlich der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht in das niederländische Gesetz eingefügte Bestimmung auszulegen sei.

12 Er hat insoweit zunächst festgestellt, daß die Richtlinie nach ihren Begründungserwägungen zur Beseitigung der steuerlichen Bestimmungen diene, die u. a. Fusionen und den Austausch von Anteilen zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten im Vergleich zu entsprechenden Vorgängen bei Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligten. Er hat hinzugefügt, daß der Wortlaut von Artikel 14b Absatz 2 Buchstabe a einerseits und Buchstabe b andererseits des niederländischen Gesetzes keinen Unterschied zwischen Fusionen, die nur in den Niederlanden ansässige Gesellschaften beträfen, und Fusionen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Gesellschaften beträfen, bewirke.

13 Schließlich hat er darauf hingewiesen, daß aus den Zielen der Richtlinie, dem Wortlaut der betreffenden Bestimmung des niederländischen Gesetzes sowie dessen Materialien, insbesondere seiner Begründung, hervorgehe, daß der niederländische Gesetzgeber die Fusionen zwischen ausschließlich in den Niederlanden ansässigen und zwischen in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften habe gleichbehandeln wollen.

14 In Artikel 2 Buchstaben d und h der Richtlinie heisst es:

"Im Sinne dieser Richtlinie ist

...

d) "Austausch von Anteilen" der Vorgang, durch den eine Gesellschaft am Gesellschaftskapital einer anderen Gesellschaft eine Beteiligung erwirbt, die ihr die Mehrheit der Stimmrechte verleiht, und zwar gegen Gewährung von Anteilen an der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der anderen Gesellschaft sowie gegebenenfalls einer baren Zuzahlung; letztere darf 10 % des Nennwerts oder - bei Fehlen eines solchen - des rechnerischen Werts der gewährten Anteile nicht überschreiten;

...

h) "erwerbende Gesellschaft" die Gesellschaft, die beim Austausch von Anteilen eine Beteiligung erwirbt..."

Titel II der Richtlinie, der aus den Artikeln 4 bis 8 besteht, enthält die Regeln für die steuerliche Behandlung von Fusionen und Spaltungen sowie des Austauschs von Anteilen. In Artikel 8 ist u. a. vorgesehen, daß die Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft an die Gesellschafter der erworbenen Gesellschaft gegen Anteile an deren Gesellschaftskapital aufgrund des Austauschs von Anteilen für sich allein keine Besteuerung des Veräusserungsgewinns auslösen darf.

Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie lautet:

"Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung der Titel II, III und IV ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen

a) als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. Vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen - insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften - beruht".

15 Da nach Ansicht des Gerechtshof Amsterdam die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie zur Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit erforderlich ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:

1. Können dem Gerichtshof auch dann Fragen nach der Auslegung und dem Zweck einer Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vorgelegt werden, wenn die Richtlinie in dem konkreten Fall nicht unmittelbar anwendbar ist, der konkrete Fall nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers aber in gleicher Weise zu behandeln ist wie ein Fall, auf den die Richtlinie sich bezieht?

Wenn ja:

2. a) Liegt ein Austausch von Anteilen im Sinne von Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 vor, wenn die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h nicht selbst ein Unternehmen betreibt?

b) Liegt ein Austausch von Anteilen in dem genannten Sinne nicht vor, wenn dieselbe natürliche Person, die vor dem Austausch Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war, nach dem Austausch Geschäftsführer und Alleingesellschafter der erwerbenden Gesellschaft ist?

c) Liegt ein Austausch von Anteilen in dem genannten Sinne nur vor, wenn der Austausch dazu dient, das Unternehmen der erwerbenden Gesellschaft und das einer anderen Gesellschaft in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden?

d) Liegt ein Austausch von Anteilen in dem genannten Sinne nur vor, wenn der Austausch dazu dient, die Unternehmen von zwei oder mehr erworbenen Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit zu verbinden?

e) Ist der Austausch von Anteilen, der einem horizontalen steuerlichen Verlustausgleich zwischen den beteiligten Gesellschaften innerhalb einer steuerlichen Einheit im Sinne von Artikel 15 der Wet op de Vennootschapsbelasting (Körperschaftsteuergesetz) von 1969 dient, ein hinreichender vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie?

Zur ersten Frage

16 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig ist, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepasst hat.

17 Die Klägerin ist der Ansicht, daß der Gerichtshof in Anbetracht des Zieles der Richtlinie und des Grundsatzes der Gleichbehandlung zuständig sei. Wenn innerstaatliche und gemeinschaftsinterne Fusionen nicht gleichbehandelt würden, würde dies nämlich zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Konzernen führen, die die gleichen Strukturen aufwiesen, von denen aber nur einer in mehreren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft tätig sei.

18 Die Kommission sowie die niederländische und die deutsche Regierung sind der Auffassung, daß der Gerichtshof für die Beantwortung von Fragen, die ausserhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie lägen, nicht zuständig sei. Dies sei hier der Fall, da die Richtlinie nach Artikel 1 auf Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen anzuwenden sei, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten beträfen.

19 Die Kommission und die niederländische Regierung verweisen darüber hinaus auf das im Rahmen des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32; im folgenden: Übereinkommen) ergangene Urteil vom 28. März 1995 in der Rechtssache C-346/93 (Kleinwort Benson, Slg. 1995, I-615), in dem sich der Gerichtshof für unzuständig erklärt habe. Insoweit machen sie geltend, angesichts der Ähnlichkeit der Verfahren könne keine Unterscheidung zwischen Fragen, die im Rahmen dieses Übereinkommens gestellt würden, und Fragen gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vorgenommen werden.

20 Die Kommission vertritt die Ansicht, daß der Gerichtshof nach diesem Urteil nur dann zuständig sei, wenn die nationale Regelung unmittelbar und unbedingt auf das Gemeinschaftsrecht verweise. Dies sei aber im Ausgangsverfahren nicht der Fall.

21 Die niederländische Regierung weist darauf hin, daß das vom Gerichtshof zu erlassende Urteil die nationalen Gerichte nicht im Sinne des vorerwähnten Urteils Kleinwort Benson binden würde, da die begehrte Auslegung es dem vorlegenden Gericht lediglich ermöglichen solle, das nationale Recht anzuwenden. Ausserdem sei die Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht in der Begründung des niederländischen Gesetzes nicht bindend, sondern könne nur einen Gesichtspunkt bei der Auslegung dieses Gesetzes darstellen.

22 Die deutsche Regierung trägt vor, wie der Gerichtshof im Urteil vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-231/89 (Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I-4003) entschieden habe, brauche er keine Vorabentscheidung zu treffen, wenn - wie im vorliegenden Fall - offensichtlich sei, daß die ihm zur Auslegung unterbreitete Bestimmung des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar sei.

23 Nach Artikel 177 EG-Vertrag entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung dieses Vertrages und der Handlungen der Organe der Gemeinschaft.

24 Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Artikel 177 EG-Vertrag vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten. Folglich ist es allein Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-297/88 und C-197/89, Dzodzi, Slg. 1990, I-3763, Randnrn. 33 und 34, und Urteil Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 18 und 19).

25 Betreffen die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 35 bzw. 20). Weder aus dem Wortlaut des Artikels 177 noch aus dem Zweck des dort vorgesehenen Verfahrens ergibt sich, daß die Verfasser des EG-Vertrags von der Zuständigkeit des Gerichtshofes die Vorabentscheidungsersuchen hätten ausschließen wollen, die eine Gemeinschaftsbestimmung in dem besonderen Fall betreffen, daß das nationale Recht eines Mitgliedstaats auf sie verweist, um einen rein internen Sachverhalt zu regeln (vgl. Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 36 bzw. 25).

26 Ein von einem nationalen Gericht gestelltes Ersuchen kann nur zurückgewiesen werden, wenn sich zeigt, daß das Verfahren des Artikels 177 EG-Vertrag zweckentfremdet wurde und der Gerichtshof in Wirklichkeit mittels eines konstruierten Rechtsstreits zu einer Entscheidung veranlasst werden soll, oder wenn es auf der Hand liegt, daß das Gemeinschaftsrecht auf den konkreten Sachverhalt weder unmittelbar noch mittelbar angewandt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher, a. a. O., Randnrn. 40 bzw. 23).

27 In Anwendung dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof wiederholt seine Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen bejaht, die Gemeinschaftsvorschriften in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht unter das Gemeinschaftsrecht fiel, aber die genannten Vorschriften entweder durch das nationale Recht oder aufgrund blosser Vertragsbestimmungen für anwendbar erklärt worden waren (vgl. in bezug auf die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach nationalem Recht die Urteile Dzodzi und Gmurzynska-Bscher sowie die Urteile vom 26. September 1985 in der Rechtssache 166/84, Thomasdünger, Slg. 1985, 3001, und vom 24. Januar 1991 in der Rechtssache C-384/89, Tomatis und Fulchiron, Slg. 1991, I-127, und in bezug auf die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nach Vertragsbestimmungen die Urteile vom 25. Juni 1992 in der Rechtssache C-88/91, Federconsorzi, Slg. 1992, I-4035, und vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-73/89, Fournier, Slg. 1992, I-5621; im folgenden: Dzodzi-Rechtsprechung). In diesen Urteilen hatten die nationalen oder vertraglichen Bestimmungen, die die Gemeinschaftsvorschriften übernehmen, deren Anwendung augenscheinlich nicht eingeschränkt.

28 Im vorerwähnten Urteil Kleinwort Benson hat der Gerichtshof dagegen seine Zuständigkeit für die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen verneint, das sich auf das Übereinkommen bezog.

29 In Randnummer 19 dieses Urteils hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß die Vorschriften des Übereinkommens, die dem Gerichtshof zur Auslegung unterbreitet wurden, anders als in der Dzodzi-Rechtsprechung nicht als solche durch das Recht des betreffenden Vertragsstaats für anwendbar erklärt worden waren. In Randnummer 16 dieses Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, daß sich das fragliche nationale Gesetz darauf beschränkte, das Übereinkommen als Muster zu nehmen, und dessen Begriffe nur zum Teil wiedergab. Ferner hat er in Randnummer 18 festgestellt, daß das Gesetz für die Behörden des betreffenden Vertragsstaats ausdrücklich die Möglichkeit vorsah, Änderungen vorzunehmen, die zwischen seinen Vorschriften und den entsprechenden Vorschriften des Übereinkommens "eine Divergenz... herbeiführen sollen". Darüber hinaus wurde im Gesetz ausdrücklich zwischen den auf Sachverhalte mit Gemeinschaftsbezug und den auf interne Sachverhalte anwendbaren Bestimmungen unterschieden. Im erstgenannten Fall waren die nationalen Gerichte bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes an die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Übereinkommen gebunden, während sie sie im letztgenannten Fall nur zu berücksichtigen brauchten und somit von ihr abweichen konnten.

30 Dies ist hier aber nicht der Fall.

31 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, daß die Auslegung des Begriffes "Fusion durch Austausch von Anteilen" in seinem gemeinschaftsrechtlichen Kontext für die Entscheidung über den ihm vorliegenden Rechtsstreit erforderlich sei und daß dieser Begriff in der Richtlinie vorkomme, in das nationale Gesetz zu ihrer Umsetzung übernommen und auf vergleichbare, rein innerstaatliche Sachverhalte ausgedehnt worden sei.

32 Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Gemeinschaftsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, daß es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder - wie im vorliegenden Fall - zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, so besteht ein klares Interesse der Gemeinschaft daran, daß die aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil Dzodzi, a. a. O., Randnr. 37).

33 In einem solchen Fall ist es jedoch im Rahmen der in Artikel 177 vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des Gerichtshofes beschränkt sich auf die Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen (Urteile Dzodzi und Federconsorzi, a. a. O., Randnrn. 41 und 42 bzw. 10). Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, gilt nämlich das nationale Recht, so daß dafür ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind (Urteil Dzodzi, a. a. O., Randnr. 42, und Urteil vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-73/89, Fournier, Slg. 1992, I-5621, Randnr. 23).

34 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß der Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig ist, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepasst hat.

Zur zweiten Frage

Zu den Buchstaben a bis d der zweiten Frage

35 Das vorlegende Gericht nimmt in den Buchstaben a bis d der zweiten Frage auf Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie Bezug, in dem die Fusionen durch Austausch von Anteilen definiert werden. Aus dem Wortlaut dieser Frage geht jedoch hervor, daß sie sich in Wirklichkeit auf die Voraussetzung der in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaften Verbindung der Unternehmen von zwei Gesellschaften zu einer Einheit bezieht, die nicht in Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie enthalten ist, sondern um die der niederländische Gesetzgeber die aus der Richtlinie hervorgehende Definition bei der Umsetzung ergänzt hat. Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß diese Voraussetzung eingefügt wurde, um gemäß Artikel 11 der Richtlinie Vorgänge von der in der Richtlinie vorgesehenen Gewährung steuerlicher Vorteile auszunehmen, deren hauptsächlicher Beweggrund die Steuerhinterziehung oder -umgehung ist. Die Buchstaben a bis d der zweiten Frage sind daher nicht allein anhand von Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie, sondern auch anhand ihres Artikels 11 zu prüfen, der den Mitgliedstaaten u. a. für diesen Fall eine Zuständigkeit vorbehält.

36 Aus Artikel 2 Buchstabe d sowie der allgemeinen Systematik der Richtlinie ist zu entnehmen, daß die dort vorgesehene gemeinsame Besteuerungsregelung, die verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermassen auf alle Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen anzuwenden ist, ungeachtet dessen, ob ihre Gründe finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind.

37 Daß die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h der Richtlinie nicht selbst ein Unternehmen betreibt oder daß dieselbe natürliche Person, die Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war, Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird, schließt es folglich nicht aus, den Vorgang als Austausch von Anteilen im Sinne von Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie einzustufen. Ebensowenig ist eine in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhafte Verbindung der Unternehmen von zwei Gesellschaften zu einer Einheit Voraussetzung dafür, den Vorgang als Austausch von Anteilen im Sinne dieser Bestimmung einzustufen.

38 Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a ermächtigt die Mitgliedstaaten, die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie einschließlich der steuerlichen Vorteile, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, u. a. dann ganz oder teilweise zu versagen oder rückgängig zu machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat.

39 Gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a kann der Mitgliedstaat im Rahmen dieses Zuständigkeitsvorbehalts vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung ausgehen, "wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen - insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften - beruht".

40 Den Artikeln 2 Buchstaben d und h sowie 11 Absatz 1 Buchstabe a ist somit zu entnehmen, daß die Mitgliedstaaten bei den in Artikel 2 Buchstabe d genannten Vorgängen des Austauschs von Anteilen die in der Richtlinie vorgesehenen steuerlichen Vorteile gewähren müssen, sofern diese Vorgänge nicht als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung haben. Dabei können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung auszugehen ist, wenn diese Vorgänge nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruhen.

41 Bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang einen solchen Beweggrund hat, können sich die zuständigen nationalen Behörden jedoch nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; sie müssen vielmehr eine globale Untersuchung jedes Einzelfalls vornehmen. Eine solche Untersuchung muß nach ständiger Rechtsprechung gerichtlich überprüfbar sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 40).

42 Diese Untersuchung kann sich unter Umständen auf die vom vorlegenden Gericht in den Buchstaben a bis d seiner zweiten Frage erwähnten Gesichtspunkte erstrecken. Keiner dieser Gesichtspunkte ist jedoch für sich genommen ausschlaggebend. Eine Fusion oder Umstrukturierung in Form eines mit der Neubildung einer Holdinggesellschaft, die als solche kein Unternehmen besitzt, verbundenen Austauschs von Anteilen kann auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruhen. Desgleichen können solche Gründe die rechtliche Umstrukturierung von Gesellschaften erforderlich machen, die bereits in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht eine Einheit bilden. Es ist auch nicht ausgeschlossen - auch wenn dies einen Anhaltspunkt für eine Steuerhinterziehung oder -umgehung darstellen kann -, daß mit einer Fusion durch Austausch von Anteilen, die auf die Schaffung einer bestimmten Struktur für begrenzte Zeit und nicht auf Dauer abzielt, vernünftige wirtschaftliche Gründe verfolgt werden.

43 Mangels genauerer Gemeinschaftsbestimmungen über die Anwendung der Vermutung in Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a ist es Sache der Mitgliedstaaten, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit die zur Anwendung dieser Bestimmung erforderlichen Modalitäten festzulegen.

44 Dabei ginge jedoch eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage von Kriterien der in den Buchstaben a bis d der zweiten Frage genannten Art automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, über das zur Verhinderung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie verfolgte Ziel. Dies wäre auch dann der Fall, wenn eine derartige Vorschrift nur der Verwaltung das Ermessen einräumte, Ausnahmen vorzusehen.

45 Diese Auslegung steht mit den Zielen sowohl der Richtlinie als auch ihres Artikels 11 im Einklang. Nach der ersten Begründungserwägung der Richtlinie wird mit ihr das Ziel verfolgt, wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen zu schaffen, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen. In derselben Begründungserwägung heisst es weiter, daß Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten beträfen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden dürften. Nur wenn der beabsichtigte Vorgang die Steuerhinterziehung oder -umgehung als Beweggrund hat, können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 und der letzten Begründungserwägung der Richtlinie deren Anwendung versagen.

Zu Buchstabe e der zweiten Frage

46 Mit Buchstabe e seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein horizontaler steuerlicher Verlustausgleich zwischen den am Vorgang beteiligten Gesellschaften ein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie ist.

47 Nach dem Wortlaut und den Zielen von Artikel 11 sowie den Zielen der Richtlinie setzt der Begriff der vernünftigen wirtschaftlichen Gründe mehr als das blosse Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil voraus. Eine Fusion durch Austausch von Anteilen, mit der nur dieser Zweck verfolgt wird, ist deshalb kein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne des genannten Artikels.

48 Auf die zweite Frage ist daher wie folgt zu antworten:

a) Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie setzt nicht voraus, daß die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h der Richtlinie selbst ein Unternehmen betreibt oder daß die Unternehmen von zwei Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit verbunden werden. Auch der Umstand, daß dieselbe natürliche Person, die Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war, Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird, steht der Einstufung des fraglichen Vorgangs als Fusion durch Austausch von Anteilen nicht entgegen.

b) Nach Artikel 11 der Richtlinie müssen die zuständigen nationalen Behörden bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat, in jedem Einzelfall eine globale Untersuchung dieses Vorgangs vornehmen. Eine solche Untersuchung muß gerichtlich überprüfbar sein. Gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung auszugehen ist, wenn der beabsichtigte Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht. Sie haben unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit die hierfür erforderlichen innerstaatlichen Verfahren festzulegen. Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage von Kriterien der in Buchstabe a der zweiten Antwort genannten Art automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, ginge jedoch über das zur Verhinderung einer solchen Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie verfolgte Ziel.

c) Der Begriff des vernünftigen wirtschaftlichen Grundes im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie setzt mehr als das blosse Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil wie dem horizontalen Verlustausgleich voraus.

Kostenentscheidung:

Kosten

49 Die Auslagen der niederländischen und der deutschen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Gerechtshof Amsterdam mit Urteil vom 26. Januar 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Der Gerichtshof ist gemäß Artikel 177 EG-Vertrag für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie in nationales Recht beschlossen hat, rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleichzubehandeln, und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepasst hat.

2. a) Artikel 2 Buchstabe d der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, setzt nicht voraus, daß die erwerbende Gesellschaft im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h dieser Richtlinie selbst ein Unternehmen betreibt oder daß die Unternehmen von zwei Gesellschaften in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht dauerhaft zu einer Einheit verbunden werden. Auch der Umstand, daß dieselbe natürliche Person, die Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erworbenen Gesellschaften war, Alleingesellschafter und Geschäftsführer der erwerbenden Gesellschaft wird, steht der Einstufung des fraglichen Vorgangs als Fusion durch Austausch von Anteilen nicht entgegen.

b) Nach Artikel 11 der Richtlinie 90/434 müssen die zuständigen nationalen Behörden bei der Prüfung, ob der beabsichtigte Vorgang als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat, in jedem Einzelfall eine globale Untersuchung dieses Vorgangs vornehmen. Eine solche Untersuchung muß gerichtlich überprüfbar sein. Gemäß Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/434 können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung auszugehen ist, wenn der beabsichtigte Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht. Sie haben unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit die hierfür erforderlichen innerstaatlichen Verfahren festzulegen. Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage von Kriterien der in Buchstabe a der zweiten Antwort genannten Art automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden, ginge jedoch über das zur Verhinderung einer solchen Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtigte das mit der Richtlinie 90/434 verfolgte Ziel.

c) Der Begriff des vernünftigen wirtschaftlichen Grundes im Sinne von Artikel 11 der Richtlinie 90/434 setzt mehr als das blosse Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil wie dem horizontalen Verlustausgleich voraus.

Ende der Entscheidung

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