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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.01.2009
Aktenzeichen: C-280/07 (1)
Rechtsgebiete: Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95


Vorschriften:

Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 Art. 3 Abs. 1
Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 Art. 3 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

29. Januar 2009

"Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 - Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften - Art. 3 - Rückforderung einer Ausfuhrerstattung - Bestimmung der Verjährungsfrist - Unregelmäßigkeiten, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/95 begangen worden sind - Verjährungsregelung, die Teil des allgemeinen bürgerlichen Rechts eines Mitgliedstaats ist"

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-278/07 bis C-280/07

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 27. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juni 2007, in den Verfahren

Hauptzollamt Hamburg-Jonas

gegen

Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb GmbH & Co. (C-278/07),

Vion Trading GmbH (C-279/07),

Ze Fu Fleischhandel GmbH (C-280/07)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.-C. Bonichot, J. Makarczyk und P. Kuris sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: K. Sztranc-Slawiczek, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb GmbH & Co., vertreten durch Rechtsanwältin F. Grashoff,

- der Vion Trading GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt K. Landry,

- der Ze Fu Fleischhandel GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt D. Ehle,

- der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Bocek als Bevollmächtigten,

- der französischen Regierung, vertreten durch J.-C. Gracia als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Erlbacher und Z. Malu¨ková als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. September 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).

2 Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas (im Folgenden: Hauptzollamt) einerseits und der Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb GmbH & Co., der Vion Trading GmbH und der Ze Fu Fleischhandel GmbH (im Folgenden zusammen: Beklagte der Ausgangsverfahren) andererseits wegen der Rückforderung von Ausfuhrerstattungen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Nach dem dritten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 ist es "wichtig, in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu bekämpfen".

4 Dem fünften Erwägungsgrund der Verordnung zufolge sind die "Verhaltensweisen, die Unregelmäßigkeiten darstellen, sowie die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und die entsprechenden Sanktionen ... im Einklang mit dieser Verordnung in sektorbezogenen Regelungen vorgesehen".

5 Art. 1 der Verordnung bestimmt:

"(1) Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.

(2) Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe."

6 Art. 3 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 2988/95 sieht vor:

"(1) Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.

Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. ...

Die Verfolgungsverjährung wird durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde unterbrochen. Nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung beginnt die Verjährungsfrist von neuem.

...

(3) Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 ... vorgesehene Frist anzuwenden."

7 In Art. 4 Abs. 1 und 4 der Verordnung heißt es:

"(1) Jede Unregelmäßigkeit bewirkt in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils

- durch Verpflichtung zur Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags;

...

(4) Die in diesem Artikel vorgesehenen Maßnahmen stellen keine Sanktionen dar."

8 Gemäß ihrem Art. 11 Abs. 1 tritt die Verordnung Nr. 2988/95 am dritten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft, die am 23. Dezember 1995 erfolgt ist.

Nationales Recht

9 Dem vorlegenden Gericht zufolge bestand zu dem in den Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitpunkt in Deutschland keine spezifische Vorschrift über die in Verwaltungssrechtsstreitigkeiten wegen zu Unrecht gewährter Vergünstigungen geltenden Verjährungsfristen. Allerdings wandten sowohl die deutsche Verwaltung als auch die deutschen Gerichte die regelmäßige Verjährung von 30 Jahren, die in § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt ist, entsprechend an. Seit 2002 sei diese regelmäßige Verjährungsfrist jedoch auf drei Jahre verkürzt worden.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10 Den Vorlagebeschlüssen zufolge ließen die Beklagten der Ausgangsverfahren im Jahr 1993 Rindfleisch zur Ausfuhr nach Jordanien abfertigen und erhielten dafür auf ihren Antrag vorschussweise Ausfuhrerstattung. Anfang 1998 durchgeführte Prüfungen sollen ergeben haben, dass die fraglichen Mengen in Wirklichkeit in Transit- oder Reexportverfahren in den Irak befördert worden waren.

11 Das Hauptzollamt forderte daher mit Bescheiden vom 23. September 1999 (Rechtssache C-278/07) und vom 13. Oktober 1999 (Rechtssachen C-279/07 und C-280/07) die Ausfuhrerstattung zurück.

12 Gegen diese Bescheide erhoben die Beklagten des Ausgangsverfahrens Klagen beim Finanzgericht Hamburg. Das Gericht gab den Klagen mit der Begründung statt, dass die Verjährung gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 den betreffenden Rückforderungen entgegenstehe, weil diese mehr als vier Jahre nach den streitigen Ausfuhren geltend gemacht worden seien.

13 Das Hauptzollamt legte gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts Revision an den Bundesfinanzhof ein.

14 Insbesondere aufgrund der Feststellung, dass die beanstandeten Unregelmäßigkeiten aus der Zeit vor Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 stammten, hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den drei Rechtssachen C-278/07 bis C-280/07 gleichlautend formulierte Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auch dann anzuwenden, wenn eine Unregelmäßigkeit begangen oder beendet worden ist, bevor diese Verordnung in Kraft getreten ist?

2. Ist die dort geregelte Verjährungsfrist auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung infolge von Unregelmäßigkeiten gewährter Ausfuhrerstattung überhaupt anwendbar?

Falls diese Fragen zu bejahen sein sollten:

3. Kann eine längere Frist gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 von einem Mitgliedstaat auch dann angewandt werden, wenn eine solche längere Frist in dem Recht des Mitgliedstaats bereits vor Erlass der vorgenannten Verordnung vorgesehen war? Kann eine solche längere Frist auch dann angewandt werden, wenn sie nicht in einer spezifischen Regelung für die Rückforderung von Ausfuhrerstattung oder für verwaltungsrechtliche Maßnahmen im Allgemeinen vorgesehen war, sondern sich aus einer allgemeinen, alle nicht speziell geregelten Verjährungsfälle umfassenden Regelung des betreffenden Mitgliedstaats (Auffangregelung) ergab?

15 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. Juli 2007 sind die Rechtssachen C-278/07, C-279/07 und C-280/07 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Vorbemerkungen

16 Soweit das Vorbringen der Beklagten der Ausgangsverfahren darauf gerichtet ist, die Schilderung des Sachverhalts durch das vorlegende Gericht in Frage zu stellen, insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen der ihnen vorgeworfenen Unregelmäßigkeiten, ist vorab daran zu erinnern, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, den Sachverhalt festzustellen, der für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich ist. Der Gerichtshof hat vielmehr im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Gemeinschaft und denen der Mitgliedstaaten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorabentscheidungsfragen einfügen, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 2003, Neri, C-153/02, Slg. 2003, I-13555, Randnrn. 34 und 35, sowie vom 17. Juli 2008, ASM Brescia, C-347/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 28).

17 Demnach sind die Vorlagefragen in tatsächlicher Hinsicht auf der Grundlage der Feststellungen des Bundesfinanzhofs zu prüfen.

Zu den Vorlagefragen

Zur zweiten Vorlagefrage

18 Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte der Bundesfinanzhof wissen, ob die in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/85 geregelte Verjährungsfrist nicht nur auf verwaltungsrechtliche Sanktionen, sondern auch auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen anwendbar ist.

19 Er fragt damit, ob sich der in dieser Bestimmung genannte Begriff "Verfolgung" unterschiedslos auf alle Schritte der nationalen Behörden im Zusammenhang mit einer Unregelmäßigkeit bezieht, also nicht nur auf Maßnahmen, die den Erlass einer verwaltungsrechtlichen Sanktion im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 rechtfertigen.

20 Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 mit dieser eine "Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht" eingeführt wird, um, wie sich aus dem dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, "in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der europäischen Gemeinschaften zu bekämpfen" (Urteil vom 24. Juni 2004, Handlbauer, C-278/02, Slg. 2004, I-6171, Randnr. 31).

21 Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 setzt für die Verfolgung eine Verjährungsfrist fest, die ab Begehung der Unregelmäßigkeit läuft, wobei der betreffende Tatbestand gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung "bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben [ist], die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften ... bewirkt hat bzw. bewirkt haben würde ..." (Urteil Handlbauer, Randnr. 32).

22 Daraus ergibt sich entgegen der Auffassung der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 sowohl für die Unregelmäßigkeiten gilt, die zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion im Sinne von Art. 5 der Verordnung führen, als auch für diejenigen, die Gegenstand einer verwaltungsrechtlichen Maßnahme im Sinne von Art. 4 sind, die den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils bewirken soll, aber nicht den Charakter einer Sanktion hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Handlbauer, Randnrn. 33 und 34).

23 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung einer Ausfuhrerstattung anwendbar ist, die der Ausführer infolge von Unregelmäßigkeiten zu Unrecht erlangt hat.

Zur ersten Frage

24 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehene regelmäßige Verjährungsfrist von vier Jahren auf Unregelmäßigkeiten anzuwenden ist, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung begangen oder beendet worden sind.

25 Vorab ist festzustellen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber vor Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 keine Verjährungsregelung für die Rückforderung von Vorteilen vorgesehen hatte, die die Wirtschaftsteilnehmer rechtswidrig infolge einer Handlung oder Unterlassung erlangt haben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde.

26 Vor Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 mussten die nationalen Gerichte daher Rechtsstreitigkeiten über die Wiedereinziehung von zu Unrecht aufgrund des Gemeinschaftsrechts geleisteten Zahlungen in Ermangelung gemeinschaftlicher Vorschriften nach ihrem nationalen Recht entscheiden, jedoch vorbehaltlich der durch das Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen; demzufolge durften die im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten nicht darauf hinauslaufen, die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, und das nationale Recht musste ohne Diskriminierung im Vergleich zu den Verfahren, in denen über gleichartige rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, angewandt werden (Urteil vom 19. September 2002, Huber, C-336/00, Slg. 2002, I-7699, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27 Mit dem Erlass der Verordnung Nr. 2988/95 und insbesondere ihres Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch eine allgemeine Verjährungsregelung für diesen Bereich einführen, in der eine in allen Mitgliedstaaten geltende Mindestfrist festgelegt und die Rückforderung von zu Unrecht aus dem Gemeinschaftshaushalt erlangten Beträgen nach Ablauf von vier Jahren seit Begehung der die streitigen Zahlungen betreffenden Unregelmäßigkeit ausgeschlossen werden sollte.

28 Folglich kann seit Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/95 jeder rechtswidrig aus dem Gemeinschaftshaushalt erlangte Vorteil grundsätzlich und soweit es nicht ausnahmsweise um Sektoren geht, für die der Gemeinschaftsgesetzgeber eine kürzere Frist vorgesehen hat, von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist von vier Jahren zurückgefordert werden.

29 Was die Vorteile angeht, die aufgrund von vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/95 begangenen Unregelmäßigkeiten rechtswidrig aus dem Gemeinschaftshaushalt erlangt wurden, ist festzustellen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass von Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung und unbeschadet ihres Art. 3 Abs. 3 eine allgemeine Verjährungsregelung normiert hat, mit der er den Zeitraum, in dem die Behörden der Mitgliedstaaten, wenn sie im Namen oder für Rechnung des Gemeinschaftshaushalts handeln, solche rechtswidrig erlangten Vorteile zurückfordern müssten oder hätten zurückfordern müssen, bewusst auf vier Jahre verkürzt hat.

30 Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit gibt die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 den nationalen Behörden jedoch nicht das Recht zur Beitreibung von Schulden, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung entstanden und aufgrund zum Zeitpunkt der Begehung der fraglichen Unregelmäßigkeiten geltender nationaler Verjährungsregelungen bereits verjährt sind.

31 Was die Schulden betrifft, die unter der Geltung einer nationalen Verjährungsregelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entstanden und noch nicht verjährt sind, hat das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/85 gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 zur Folge, dass eine solche Schuld grundsätzlich nach Ablauf einer Frist von vier Jahren seit dem Zeitpunkt der Begehung der Unregelmäßigkeiten verjährt sein muss.

32 Nach dieser Bestimmung muss daher jeder Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer aufgrund einer Unregelmäßigkeit vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/95 zu Unrecht erlangt hat, grundsätzlich unter die Verjährung fallen, wenn nicht innerhalb von vier Jahren nach Begehung einer solchen Unregelmäßigkeit eine Handlung vorgenommen wird, die eine Unterbrechung bewirkt, also gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung eine der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde.

33 Ist wie in den Ausgangsverfahren eine Unregelmäßigkeit im Lauf des Jahres 1993 und während der Geltung einer nationalen Regelung begangen worden, die eine Verjährungsfrist von 30 Jahren vorsah, fällt eine solche Unregelmäßigkeit folglich unter die allgemeine Gemeinschaftsregelung, die eine Verjährung in vier Jahren vorsieht, und ist deshalb je nach dem genauen Zeitpunkt der Begehung dieser auf das Jahr 1993 zurückgehenden Unregelmäßigkeit im Lauf des Jahres 1997 verjährt, wobei den Mitgliedstaaten jedoch gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 vorbehalten bleibt, längere Verjährungsfristen vorzusehen.

34 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist

- auf Unregelmäßigkeiten anwendbar ist, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung begangen worden sind, und

- ab dem Zeitpunkt der Begehung der fraglichen Unregelmäßigkeit zu laufen beginnt.

Zur dritten Frage

35 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob sich die Möglichkeit, die die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 behalten, eine längere Verjährungsfrist anzuwenden als die in Art. 3 Abs. 1 vorgesehene Frist, auf eine dem Erlass dieser Verordnung vorausgehende Verjährungsregelung beziehen kann. Zum anderen möchte es wissen, ob sich eine solche längere Frist aus einer spezifischen nationalen Regelung für die Rückforderung von Ausfuhrerstattungen oder für verwaltungsrechtliche Maßnahmen im Allgemeinen ergeben muss oder ob sie auch auf einer allgemeinen Regelung (Auffangregelung) beruhen kann.

36 In Fällen wie denen der Ausgangsverfahren, in denen, wie in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die den Wirtschaftsteilnehmern vorgeworfenen Unregelmäßigkeiten 1993 während der Geltung einer nationalen Regelung begangen wurden, die eine Verjährungsfrist von 30 Jahren vorsah, konnten die aufgrund solcher Unregelmäßigkeiten zu Unrecht erhaltenen Beträge mangels Unterbrechungshandlung im Lauf des Jahres 1997 verjähren, sofern der Mitgliedstaat, in dem die Unregelmäßigkeiten begangen wurden, keinen Gebrauch von der Befugnis gemacht hat, die ihm durch Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eingeräumt ist.

37 Den Vorlageentscheidungen ist zu entnehmen, dass die zuständigen nationalen Behörden in den Ausgangsverfahren die in Rede stehende Rückforderung der Ausfuhrerstattung mit Bescheiden vom 23. September 1999 (Rechtssache C-278/07) und vom 13. Oktober 1999 (Rechtssachen C-279/07 und C-280/07) geltend gemacht haben.

38 Folglich hätte in Bezug auf die fraglichen Beträge durch die Anwendung der in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehenen regelmäßigen Verjährungsfrist von vier Jahren grundsätzlich die Verjährung als eingetreten erachtet werden müssen.

39 Gleichwohl haben die deutschen Gerichte nach Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2988/95 auf die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückzahlung von Erstattungen, die die Wirtschaftsteilnehmer zu Unrecht erhalten hatten, weiterhin die Verjährungsfrist von 30 Jahren gemäß § 195 BGB angewandt.

40 Hierzu ist festzustellen, dass Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 auf die "Möglichkeit" Bezug nimmt, die die Mitgliedstaaten "behalten", eine längere Verjährungsfrist als die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 vorgesehene Frist vorzusehen.

41 Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 beschränkt sich seinem Wortlaut nach somit nicht darauf, den Mitgliedstaaten die Einführung einer längeren Verjährungsfrist als der in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 festgelegten Frist zu ermöglichen. Denn Abs. 3 räumt ihnen ausdrücklich auch die Befugnis ein, eine zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehende längere Verjährungsfrist zu behalten.

42 Daher können die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 zum einen längere Verjährungsfristen, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Verordnung bestanden, weiter anwenden und zum andern nach diesem Zeitpunkt neue Verjährungsregelungen mit längeren Fristen einführen.

43 Zur Beantwortung der Frage, ob diese nationalen Verjährungsfristen in einer spezifischen nationalen Bestimmung vorgesehen sein müssen, die auf die Rückforderung von Ausfuhrerstattungen oder allgemeiner auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen anwendbar sind, ist dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 kein ausdrücklicher Hinweis zu entnehmen.

44 Zwar bestimmt Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95, dass in den sektorbezogenen Regelungen eine Frist vorgesehen werden kann, die kürzer als vier Jahre ist, jedoch nicht weniger als drei Jahre betragen darf. Allerdings geht es in dieser Bestimmung um sektorbezogene Regelungen auf Gemeinschaftsebene, wie der fünfte Erwägungsgrund dieser Verordnung bestätigt, und nicht um solche auf nationaler Ebene (vgl. in diesem Sinne Urteil Handlbauer, Randnr. 28).

45 Zudem sieht die Verordnung Nr. 2988/95 keinen Mechanismus zur Auskunft oder Benachrichtigung in Bezug auf den Gebrauch vor, den die Mitgliedstaaten von ihrer Befugnis gemäß Art. 3 Abs. 3 machen, längere Fristen vorzusehen. Demnach ist auf Gemeinschaftsebene weder hinsichtlich der abweichenden Verjährungsfristen, die die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Bestimmung anwenden, noch hinsichtlich der Sektoren, in denen sie die Anwendung solcher Fristen beschlossen haben, irgendeine Form der Kontrolle vorgesehen.

46 Folglich kann Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 nicht dahin ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Bestimmung die betreffenden längeren Verjährungsfristen in spezifischen und/oder sektorbezogenen Regelungen vorsehen müssten.

47 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass sich die längeren Verjährungsfristen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 weiterhin anwenden dürfen, aus Auffangregelungen ergeben können, die dem Erlass dieser Verordnung vorausgehen.

Kostenentscheidung:

Kosten

48 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften geregelte Verjährungsfrist ist auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung einer Ausfuhrerstattung anwendbar, die der Ausführer infolge von Unregelmäßigkeiten zu Unrecht erlangt hat.

2. In Fällen wie denen der Ausgangsverfahren ist die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist

- auf Unregelmäßigkeiten anwendbar, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung begangen worden sind, und

- beginnt ab dem Zeitpunkt der Begehung der fraglichen Unregelmäßigkeit zu laufen.

3. Die längeren Verjährungsfristen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 weiterhin anwenden dürfen, können sich aus Auffangregelungen ergeben, die dem Erlass dieser Verordnung vorausgehen.

Ende der Entscheidung

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