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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.03.1993
Aktenzeichen: C-280/91
Rechtsgebiete: VO 69/335/EWG


Vorschriften:

VO 69/335/EWG Art. 4
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Übertragung eines Teils der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafter, der unbeschränkt für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft haftet, auf einen Gesellschafter, dessen Haftung in dieser Gesellschaft beschränkt ist, kann nicht der Gesellschaftsteuer nach Artikel 4 der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital unterworfen werden.

2. Die Übertragung eines Teils der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafter, der unbeschränkt für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft haftet, auf einen Gesellschafter, dessen Haftung in dieser Gesellschaft beschränkt ist, kann in den Mitgliedstaaten, die die von einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter geleisteten Einlagen befreit haben, nicht der Gesellschaftsteuer nach Artikel 6 der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital unterworfen werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 18. MAERZ 1993. - FINANZAMT KASSEL-GOETHESTRASSE GEGEN VIESSMANN KG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - INDIREKTE STEUER AUF DIE ANSAMMLUNG VON KAPITAL - UEBERTRAGUNG EINES GESELLSCHAFTSANTEILS AN EINER KOMMANDITGESELLSCHAFT. - RECHTSSACHE C-280/91.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 31. Juli 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 1991, eine Frage nach der Auslegung von Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Vießmann GmbH und Co. KG (im folgenden: Klägerin) und dem Finanzamt Kassel (im folgenden: Beklagter) über die Besteuerung der Übertragung einer Beteiligung an dieser Gesellschaft.

3 Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft deutschen Rechts. Nach den Ausführungen des Generalanwalts, auf die wegen weiterer Einzelheiten verwiesen wird (vgl. Nrn. 6 bis 9 der Schlussanträge), verfügt sie über ein Kapital von 9,8 Millionen DM, auf das bei Leistung der entsprechenden Einlagen Gesellschaftsteuer erhoben wurde. An der Klägerin sind zwei unbeschränkt persönlich haftende Gesellschafter (Komplementäre) und ein Gesellschafter beteiligt, dessen Haftung auf den Betrag seiner Einlage beschränkt ist (Kommanditist).

4 Am 8. Juli 1983 übertrug V., einer der unbeschränkt haftenden Gesellschafter, einen Teil seiner Beteiligung auf seine Ehefrau und seine fünf Kinder, die nach dem Übertragungsvertrag beschränkt haftende Gesellschafter der Klägerin wurden.

5 Der Beklagte war der Ansicht, daß die übertragenen Anteile mit dem Übergang von einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter auf beschränkt haftende Personen eine Umwandlung erfahren hätten und daß die Übertragung daher einem Erwerb von Gesellschaftsanteilen gleichzustellen sei und folglich der Gesellschaftsteuer nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes unterliege. Nach dieser Vorschrift unterliegt der Gesellschaftsteuer "der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber".

6 Der Bundesfinanzhof hat Zweifel, ob die vom Beklagten vertretene Auslegung der Richtlinie entspreche und ob die Übertragung einer Beteiligung, wie sie im vorliegenden Fall erfolgt sei, ein steuerbarer Vorgang im Sinne von Artikel 4 der Richtlinie sei.

7 In Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie werden die Vorgänge genannt, die der Gesellschaftsteuer unterliegen. Dazu gehört

"c) die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art".

8 In Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie sind die Vorgänge aufgeführt, die die Mitgliedstaaten der Gesellschaftsteuer unterwerfen können. Danach kann u. a. besteuert werden

"b) die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen".

9 In diesem Rahmen hat der Bundesfinanzhof dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Erlaubt Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG den Mitgliedstaaten, die Umwandlung des Teils eines Komplementäranteils in einen Kommanditanteil innerhalb einer schon vorher bestehenden GmbH & Co. KG der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen?

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erkärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur wiedergegeben, soweit es die Begründung des Urteils erfordert.

11 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Übertragung eines Teils der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafter, der unbeschränkt für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft haftet, auf einen Gesellschafter, dessen Haftung in dieser Gesellschaft beschränkt ist, nach Artikel 4 der Richtlinie der Gesellschaftsteuer unterworfen werden kann.

12 Die Richtlinie harmonisiert die Struktur und die Sätze der indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital innerhalb der Gemeinschaft. In Artikel 4 der Richtlinie sind die Vorgänge genannt, die die Mitgliedstaaten der Gesellschaftsteuer unterwerfen können oder müssen.

13 Der Vorgang, durch den ein unbeschränkt haftender Gesellschafter einen Teil seiner Beteiligung an einer Gesellschaft beschränkt haftenden Gesellschaftern überträgt, fällt in keine der in dieser Bestimmung aufgeführten Kategorien. Dieser Vorgang führt insbesondere weder zu einer Erhöhung des Kapitals im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie noch zu einer Erhöhung des Gesellschaftsvermögens im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b und kann daher nicht der Steuer unterworfen werden, die für die von diesen Bestimmungen erfassten Kategorien vorgesehen ist.

14 Folglich stellt eine Übertragung von Anteilen, wie sie im vorliegenden Fall erfolgt ist, keinen nach Artikel 4 der Richtlinie steuerbaren Vorgang dar.

15 Die Kommission hat den Gerichtshof um Prüfung der Frage ersucht, ob die Übertragung von Anteilen nach Artikel 6 der Richtlinie der Gesellschaftsteuer unterworfen werden könne.

16 Diese Bestimmung sieht für Kommanditgesellschaften folgendes vor:

"(1) Jeder Mitgliedstaat kann von der Besteuerungsgrundlage... den Betrag der von einem für die Verbindlichkeiten einer Kapitalgesellschaft unbeschränkt haftenden Gesellschafter geleisteten Einlage sowie den Anteil eines solchen Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen ausnehmen.

(2) Wendet ein Mitgliedstaat die in Absatz 1 vorgesehene Regelung an, so unterliegen der Gesellschaftsteuer:

°...

°...

° jeder Vorgang, durch den die Haftung eines Gesellschafters auf seine Beteiligung am Kapital beschränkt wird, insbesondere wenn die Beschränkung der Haftung infolge Umwandlung der betroffenen Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Art eintritt.

..."

17 Aufgabe des Gerichtshofes ist es, alle Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen, die die staatlichen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind.

18 Artikel 6 der Richtlinie soll u. a. verhindern, daß in den betroffenen Mitgliedstaaten Gesellschaftsanteile, die nicht besteuert wurden, weil sie die Einlage eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters darstellten, später auf einen beschränkt haftenden Gesellschafter übertragen und so in Anteile eines Gesellschafters dieser Art umgewandelt werden, ohne daß sie der Gesellschaftsteuer unterworfen werden, die bei ihrer Ausgabe zu erheben gewesen wäre.

19 Wie jedoch in Randnummer 3 dieses Urteils ausgeführt, wurde auf sämtliche Anteile, die das Kapital der Klägerin bilden, Steuer gezahlt, als die diesen Anteilen entsprechenden Einlagen geleistet wurden.

20 Folglich kann eine Übertragung eines Gesellschaftsanteils, wie sie im Fall des Ausgangsverfahrens erfolgt ist, nicht der Gesellschaftsteuer nach Artikel 6 der Richtlinie 69/335/EWG unterworfen werden.

21 Aus diesen Gründen ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß die Übertragung eines Teils der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafter, der unbeschränkt für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft haftet, auf einen Gesellschafter, dessen Haftung in dieser Gesellschaft beschränkt ist, nicht der Gesellschaftsteuer nach Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital unterworfen werden kann. Dieser Vorgang kann auch nicht nach Artikel 6 dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten, die die von einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter geleisteten Einlagen befreit haben, besteuert werden, wenn die übertragenen Anteile bereits bei ihrer Schaffung der Gesellschaftsteuer unterworfen wurden.

Kostenentscheidung:

Kosten

22 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 31. Juli 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Übertragung eines Teils der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch einen Gesellschafter, der unbeschränkt für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft haftet, auf einen Gesellschafter, dessen Haftung in dieser Gesellschaft beschränkt ist, kann nicht der Gesellschaftsteuer nach Artikel 4 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital unterworfen werden. Dieser Vorgang kann auch nicht nach Artikel 6 dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten, die die von einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter geleisteten Einlagen befreit haben, besteuert werden, wenn die übertragenen Anteile bereits bei ihrer Schaffung der Gesellschaftsteuer unterworfen wurden.

Ende der Entscheidung

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