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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.03.1992
Aktenzeichen: C-282/90
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1687/76/EWG, VerfOEuGH
Vorschriften:
EWGV Art. 178 | |
EWGV Art. 215 EWGV | |
VO Nr. 1687/76/EWG Art. 13a | |
VerfOEuGH Art. 42 § 2 |
1. Der Gerichtshof ist aufgrund von Artikel 178 in Verbindung mit Artikel 215 EWG-Vertrag ausschließlich dafür zuständig, über Klagen auf Ersatz eines Schadens zu entscheiden, für den die Gemeinschaft verantwortlich ist, die gemäß Artikel 215 Absatz 2 den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, zu ersetzen hat. Nur die innerstaatlichen Gerichte können über eine Klage entscheiden, mit der die Rückzahlung von Beträgen verlangt wird, die von einer innerstaatlichen Einrichtung aufgrund einer später für ungültig erklärten Gemeinschaftsregelung zu Unrecht erhoben worden sind.
2. Die blosse Feststellung, daß eine Rechtsnorm der Gemeinschaft ungültig ist, genügt für sich genommen noch nicht, um eine ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft für einen Schaden, den einzelne erlitten haben wollen, gemäß Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag auszulösen. Diese Haftung kann nur durch eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des einzelnen dienenden Rechtsnorm ausgelöst werden. Dies ist bei der Missachtung des Systems der Verteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen Organe der Gemeinschaft durch den für ungültig erklärten Rechtsakt nicht der Fall, da dieses System die Beachtung des vom Vertrag vorgesehenen institutionellen Gleichgewichts sicherstellen, nicht aber den einzelnen schützen soll.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. MAERZ 1992. - INDUSTRIE- EN HANDELSONDERNEMING VREUGDENHIL BV GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RUECKWARENREGELUNG - UNGUELTIGKEIT EINER HANDLUNG DER KOMMISSION WEGEN UNZUSTAENDIGKEIT - HAFTUNGSKLAGE. - RECHTSSACHE C-282/90.
Entscheidungsgründe:
1 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 17. September 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, aufgrund der Artikel 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Ersatz des Schadens erhoben, der dadurch entstanden sein soll, daß die Kommission Artikel 13a der Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 vom 30. Juni 1976 zur Festsetzung der gemeinsamen Durchführungsbestimmungen für die Überwachung der Verwendung und/oder Bestimmung von Erzeugnissen aus den Beständen der Interventionsstellen (ABl. L 190, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 45/84 der Kommission vom 6. Januar 1984 (ABl. L 7, S. 5) erlassen hat.
2 Artikel 13a ist in die Regelung über die sogenannten "Rückwaren", d. h. die Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft zurückkehren, eingefügt worden. Nach dieser Regelung, die mit der Verordnung (EWG) Nr. 754/76 des Rates vom 25. März 1976 über die zollrechtliche Behandlung von Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft zurückkehren (ABl. L 89, S. 1), eingeführt worden ist, können Waren, die zuvor ausgeführt worden sind, frei von Einfuhrabgaben wieder in die Gemeinschaft eingeführt werden. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der zuletzt genannten Verordnung galten als Rückwaren insbesondere nicht Waren, für die bei ihrer Ausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft die Ausfuhrzollförmlichkeiten zur Gewährung von Erstattungen oder anderen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik bei der Ausfuhr vorgesehenen Beträgen erfuellt worden waren.
3 Mit der Verordnung Nr. 1687/76 sind Maßnahmen zur Überwachung der Verwendung und der Bestimmung von Erzeugnissen aus den Beständen der Interventionsstellen festgelegt worden. Nach Artikel 13a dieser Verordnung in der geänderten Fassung wurden Waren aus Beständen der Interventionsstellen, für die eine Kaution gestellt worden ist, Erzeugnissen gleichgestellt, für die Ausfuhrzollförmlichkeiten zur Gewährung von Erstattungen erfuellt worden sind. Damit waren diese Waren von der Rückwarenregelung im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 754/76 ausgeschlossen.
4 Aufgrund dieser Vorschriften hatte die niederländische Verwaltung von der Klägerin die Zahlung der Abschöpfung auf eine Partie Milchpulver verlangt, die aus den Beständen der deutschen Interventionsstelle stammte und zunächst nach Jordanien ausgeführt, dann nach Deutschland und schließlich in die Niederlande zurückgebracht worden war. Die Verwaltung vertrat den Standpunkt, daß diese Partie gemäß Artikel 13a der Verordnung Nr. 1687/76 nur als Rückware angesehen werden könnte, wenn ein Betrag gezahlt worden wäre, der der bei der vorherigen Ausfuhr freigegebenen Kaution entspreche, was aber nicht geschehen sei.
5 Mit Urteil vom 29. Juni 1989 in der Rechtssache 22/88 (Vreugdenhil u. a., Slg. 1989, 2049) erkannte der Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen des College van Beroep voor het Bedrijsleven (im folgenden: College) für Recht, daß Artikel 13a der Verordnung Nr. 1687/76 ungültig ist.
6 Am 29. Mai 1990 gab der Präsident des College der Verwaltung auf, der Klägerin den Betrag der Einfuhrabschöpfung zurückzuzahlen. Am 21. Dezember 1990 erklärt das College die streitigen, vom Minister für Landwirtschaft und Fischerei erlassenen Entscheidungen für nichtig und erlegte diesem die Kosten des Verfahrens auf. Da die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in zwei Schreiben vom 12. Juni 1990 dem College mitgeteilt hatten, daß der Minister die Zahlung eines Betrags als Schadensersatz angeboten habe, und da sie beantragt hatten, nur über die Kosten zu entscheiden, entschied das College nicht über die Anträge auf Schadensersatz.
7 Die Klägerin ist der Ansicht, die Entscheidung des Präsidenten des College habe nur teilweise zum Ausgleich ihrer Vermögensverluste geführt. Sie habe einen zusätzlichen Schaden dadurch erlitten, daß sie - zu Unrecht - verpflichtet worden sei, die erwähnte Abschöpfung zu zahlen. Dieser Schaden umfasse zum einen die Kosten für die Stellung einer Bankbürgschaft nebst Zinsen, die von der niederländischen Verwaltung in Erwartung des Verfahrensausgangs und damit der Zahlung der Abschöpfung verlangt worden sei; zum anderen gehörten dazu die Zinsen, die die Klägerin erhalten hätte, wenn ihr die der Abschöpfung entsprechende Summe während des Zeitraums vom 7. Juli 1988, also dem Tag, an dem sie wegen der Kosten der Bankbürgschaft beschlossen habe, die Abschöpfung zu zahlen, bis zum 25. Juni 1990, d. h. dem Tag, an dem die Abschöpfung zurückgezahlt worden sei, zur Verfügung gestanden hätte. Dazu kämen noch die anläßlich von Gesprächen mit deutschen und niederländischen Zollbehörden entstandenen Kosten sowie die Reisekosten zur Verteidigung ihrer Interessen vor dem College und vor dem Gerichtshof.
8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zur Zulässigkeit
9 Die Kommission ist der Meinung, die Klage sei unzulässig. Zum einen könne eine Schadensersatzklage gemäß Artikel 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag erst erhoben werden, nachdem der Kläger die ihm offenstehenden Möglichkeiten ausgeschöpft habe, vor den innerstaatlichen Gerichten Ersatz des angeblich erlittenen Schadens zu beantragen. In der Gegenerwiderung erhebt die Kommission eine zweite Unzulässigkeitseinrede, mit der geltend gemacht wird, es sei nicht bewiesen worden, daß die Klägerin den angeblichen Schaden nicht auf ihre Kunden, ihren Versicherer oder auf die Interventionsstelle habe abwälzen können.
10 Zu dieser zweiten Einrede ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 42 § 2 der Verfahrensordnung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des schriftlichen Verfahrens zutage getreten sind. Da dies hier nicht der Fall ist, muß diese Einrede zurückgewiesen werden.
11 Zur ersten Einrede der Unzulässigkeit macht die Klägerin geltend, die innerstaatlichen Rechtswege böten ihr keinen wirksamen Schutz. Nach der Rechtsprechung des College hafte der niederländische Staat nicht, wenn sich die zuständige staatliche Behörde darauf beschränkt habe, die geltende Gemeinschaftsregelung anzuwenden. Anträge auf Ersatz des behaupteten Schadens vor den innerstaatlichen Gerichten hätten also erfolglos bleiben müssen.
12 Hierzu ist darauf hinzuweisen, daß nur die innerstaatlichen Gerichte über eine Klage entscheiden können, mit der die Rückzahlung von Beträgen verlangt wird, die von einer innerstaatlichen Einrichtung aufgrund einer später für ungültig erklärten Gemeinschaftsregelung zu Unrecht erhoben worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 20/88, Roquette/Kommission, Slg. 1989, 1553, Randnr. 14). Mit ihrer beim College erhobenen Klage hat die Klägerin aber tatsächlich erreicht, daß die von der niederländischen Interventionsstelle zu Unrecht erhobenen Beträge einschließlich Zinsen zum gesetzlichen Satz zurückgezahlt und die Kosten des Verfahrens erstattet worden sind.
13 Mit der vorliegenden Klage beantragt die Klägerin Ersatz des oben (Randnr. 7) erwähnten Schadens, der sich daraus ergebe, daß die Kommission den für ungültig erklärten Artikel 13a der Verordnung Nr. 1687/76 erlassen habe.
14 Der Gerichtshof ist aufgrund von Artikel 178 in Verbindung mit Artikel 215 EWG-Vertrag ausschließlich dafür zuständig, über Klagen auf Ersatz eines Schadens zu entscheiden, für den die Gemeinschaft verantwortlich ist, die gemäß Artikel 215 Absatz 2 den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, zu ersetzen hat (Urteil vom 27. September 1988 in den Rechtssachen 106/87 bis 120/87, Asteris, Slg. 1988, 5515, Randnr. 14).
15 Es steht fest, daß die Kommission die Vorschrift erlassen hat, die inzwischen für ungültig erklärt worden ist und nach Ansicht der Klägerin den behaupteten Schaden verursacht hat. Die erste Einrede der Unzulässigkeit ist also nicht stichhaltig, die Klage ist daher für zulässig zu erklären.
Zur Begründetheit
16 Die Klägerin macht geltend, die Voraussetzungen für eine Haftung der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 215 Absatz 2 EWG-Vertrag - Rechtswidrigkeit des der Kommission vorgeworfenen Verhaltens, Vorliegen eines Schadens und ursächlicher Zusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden - seien im vorliegenden Fall erfuellt.
17 Zur Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Kommission weist die Klägerin darauf hin, daß der Gerichtshof im Urteil Vreugdenhil u. a. (a. a. 0.) erklärt habe, Artikel 13a der Verordnung Nr. 1687/76 sei deswegen ungültig, weil die Kommission bei seinem Erlaß die Grenzen ihrer Befugnisse überschritten habe. Unter diesen Umständen greife die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 2. Dezember 1971 in der Rechtssache 5/71, Aktien-Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975, und vom 25. Mai 1978 in den verbundenen Rechtssachen 83/76, 94/76, 4/77, 15/77 und 40/77, Bayerische HNL/Rat und Kommission, Slg. 1978, 1209), der zufolge die Gemeinschaft wegen eines Rechtsetzungsaktes, der wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließe, nur hafte, wenn eine hinreichend schwerwiegende Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des einzelnen dienenden Rechtsnorm vorliege, im vorliegenden Fall nicht ein.
18 Nach Ansicht der Kommission haftet die Gemeinschaft nur im Falle einer offensichtlichen und schwerwiegenden Missachtung der Grenzen, die der Ausübung ihrer Befugnisse gezogen seien. Davon könne im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, denn der Gerichtshof habe im Urteil Vreugdenhil u. a. (a. a. O.) lediglich eine Überschreitung von Befugnissen festgestellt, ohne diese als schwerwiegend zu bezeichnen. Im übrigen habe die Klägerin nicht im einzelnen angegeben, inwiefern eine Vorschrift über die Verteilung der Zuständigkeiten auf die Gemeinschaftsorgane, die von der Kommission bei Erlaß des Artikels 13a der Verordnung Nr. 1687/76 missachtet worden sei, eine höherrangige, den Schutz des einzelnen bezweckende Rechtsnorm darstelle. Ihre Schadensersatzklage sei folglich nicht begründet.
19 Die blosse Feststellung, daß eine Rechtsnorm wie Artikel 13a der Verordnung Nr. 1687/76 ungültig ist, genügt für sich genommen noch nicht, um eine ausservertragliche Haftung der Gemeinschaft für einen Schaden, den einzelne erlitten haben wollen, gemäß Artikel 215 Absatz 2 EWG-Vertrag auszulösen. Diese Haftung kann nur durch eine hinreichend schwerwiegende Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz des einzelnen dienenden Rechtsnorm ausgelöst werden (Urteil vom 25. Mai 1978, Bayerische HNL/Rat und Kommission, Randnr. 4).
20 Insoweit genügt es festzustellen, daß das System der Verteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen Organe der Gemeinschaft die Beachtung des vom Vertrag vorgesehenen institutionellen Gleichgewichts sicherstellen, nicht aber den einzelnen schützen soll.
21 Die Nichtbeachtung des institutionellen Gleichgewichts allein reicht folglich nicht aus, um die Haftung der Gemeinschaft den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern gegenüber auszulösen.
22 Anders verhielte es sich, wenn eine Maßnahme der Gemeinschaft nicht nur unter Missachtung der für die Organe geltenden Zuständigkeitsverteilung, sondern - nach ihrem sachlichen Gehalt - auch unter Missachtung einer höherrangigen, den Schutz einzelner bezweckenden Rechtsnorm ergangen wäre.
23 In Randnummer 18 des Urteils Vreugdenhil u. a. (a. a. O.) hat der Gerichtshof aber festgestellt, daß mit Artikel 13a der Verordnung Nr. 1687/76 verhindert werden sollte, daß die Rückwarenregelung zum Schaden der Gemeinschaft in betrügerischer Weise in Anspruch genommen wird.
24 Es ist nicht vorgebracht worden, daß eine solche im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft ergangene Vorschrift nach ihrem sachlichen Gehalt eine höherrangige, den Schutz des einzelnen bezweckende Rechtsnorm verletzen würde.
25 Unter diesen Umständen und ohne daß zu prüfen wäre, ob die anderen für eine Haftung der Gemeinschaft geltenden Voraussetzungen erfuellt sind, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
26 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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