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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.11.2004
Aktenzeichen: C-284/02
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg, BAT-O


Vorschriften:

EGV Art. 141
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg
BAT-O § 23a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 18. November 2004. - Land Brandenburg gegen Ursula Sass. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesarbeitsgericht - Deutschland. - Sozialpolitik - Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen - Artikel 141 EG - Gleiches Entgelt - Richtlinie 76/207/EWG - Gleichbehandlung - Mutterschaftsurlaub - Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe - Nicht vollständige Berücksichtigung eines nach den Rechtsvorschriften der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik genommenen Wochenurlaubs. - Rechtssache C-284/02.

Parteien:

In der Rechtssache C-284/02

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,

eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom

21. März 2002

, beim Gerichtshof eingegangen am

2. August 2002

, in dem Verfahren

Land Brandenburg

gegen

Ursula Sass

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts und S. von Bahr,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

Kanzler: F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- des Landes Brandenburg, vertreten durch Rechtsanwalt J. Borck,

- von Frau Sass, vertreten durch Rechtsanwalt Th. Becker,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Martenczuk und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

27. April 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 141 EG und der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40).

2. Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Frau Sass und ihrem Arbeitgeber, dem Land Brandenburg, in dem es darum geht, dass dieser einen von Frau Sass nach den Vorschriften der nunmehr ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: ehemalige DDR) genommenen Wochenurlaub bei der Berechnung der Bewährungszeit vor der möglichen Einstufung in eine höhere Vergütungsgruppe nicht vollständig berücksichtigt hat.

I - Rechtlicher Rahmen

A - Gemeinschaftsrecht

3. In Artikel 141 EG ist der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit niedergelegt.

4. Die Richtlinie 76/207 zielt auf die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei den Arbeitsbedingungen und den Bedingungen des Zugangs zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen auf allen Stufen der beruflichen Rangordnung ab, steht jedoch den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen.

5. Ferner stellt die Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (ABl. L 348, S. 1) bestimmte Mindestanforderungen für deren Schutz auf.

6. Was den Mutterschaftsurlaub anbelangt, so garantiert die Richtlinie 92/85 in Artikel 8 das Recht auf einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung, wovon mindestens zwei Wochen obligatorisch sind. Zudem sieht sie in ihrem Artikel 11 vor, dass während des Urlaubs nach Artikel 8 die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung sowie die anderen mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte gewährleistet sein müssen.

7. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 92/85 von den Mitgliedstaaten erst bis zum 19. Oktober 1994 umzusetzen war, d. h. bis zu einem Zeitpunkt nach dem maßgebenden Sachverhalt.

B - Nationales Recht

8. In der ehemaligen DDR war die Stellung der Frau nach der Entbindung im Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (im Folgenden: AGB-DDR) vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 85) geregelt.

9. § 244 AGB-DDR sah für Frauen einen Wochenurlaub von 20 Wochen nach der Entbindung vor. Für die Dauer dieses Urlaubs zahlte die Sozialversicherung den Frauen ein Wochengeld in Höhe ihres Nettodurchschnittsverdienstes.

10. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Stellung der Frau nach der Entbindung im Mutterschutzgesetz (im Folgenden: MuSchG) geregelt.

11. § 6 Absatz 1 Satz 1 MuSchG verbietet die Beschäftigung von Frauen bis zum Ablauf von 8 Wochen nach der Entbindung. In dieser Zeit des Mutterschaftsurlaubs erhält die Frau einen Zuschuss vom Arbeitgeber, der das Mutterschaftsgeld ergänzt.

12. Der Bundes-Angestelltentarifvertrag-Ost vom 10. Dezember 1990 (im Folgenden: BATO) sieht in § 23a hinsichtlich des Bewährungsaufstiegs vor:

Der Angestellte... ist nach Erfuellung der vorgeschriebenen Bewährungszeit höher gruppiert.

Für die Erfuellung der Bewährungszeit gilt Folgendes:

1. Das Erfordernis der Bewährung ist erfuellt, wenn der Angestellte während der vorgeschriebenen Bewährungszeit sich den in der ihm übertragenen Tätigkeit auftretenden Anforderungen gewachsen gezeigt hat. Maßgebend ist hierbei die Tätigkeit, die der Vergütungsgruppe entspricht, in der der Angestellte eingruppiert ist.

...

4. Die Bewährungszeit muss ununterbrochen zurückgelegt sein. Unterbrechungen von jeweils bis zu sechs Monaten sind unschädlich; unabhängig hiervon sind ferner unschädlich Unterbrechungen wegen

...

c) der Schutzfristen nach dem [MuSchG],

...

Die Zeiten der Unterbrechung, mit Ausnahme

...

e) der Schutzfristen nach dem [MuSchG],

werden auf die Bewährungszeit jedoch nicht angerechnet.

13. Der BAT-O wurde am 8. Mai 1991 durch den Änderungstarifvertrag Nr. 1 geändert, nach dessen § 2 die Vergütungsordnung des Bundes-Angestelltentarifvertrags mit folgenden Maßgaben übernommen wird:

1. Sofern in Tätigkeitsmerkmalen Bewährungszeiten, Tätigkeitszeiten, Zeiten einer Berufsausübung usw. gefordert werden, werden diejenigen vor dem 1. Juli 1991 zurückgelegten und nach § 19 Abs. 1 und 2 BATO und den Übergangsvorschriften hierzu als Beschäftigungszeit anerkannten Zeiten berücksichtigt, die zu berücksichtigen gewesen wären, wenn Abschnitt VI und die Vergütungsordnung des BATO bereits vor dem 1. Juli 1991 gegolten hätten...

Soweit Tätigkeitsmerkmale die Anrechnung außerhalb des Geltungsbereichs des BATO zurückgelegter Zeiten zulassen, werden solche Zeiten berücksichtigt, wenn sie nach Unterabsatz 1 zu berücksichtigen wären, wenn sie im Geltungsbereich des BATO zurückgelegt worden wären.

II - Sachverhalt und Ausgangsrechtsstreit

14. Frau Sass, die deutsche Staatsangehörige ist, arbeitet seit dem 1. Juli 1982 als Produktionsleiterin an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam.

15. Aus den Akten ergibt sich, dass das Arbeitsverhältnis von Frau Sass zum Zeitpunkt der Geburt ihres zweiten Kindes im Januar 1987 dem AGB-DDR unterfiel. Nach der Entbindung nahm Frau Sass gemäß § 244 AGBDDR Wochenurlaub vom 27. Januar 1987 bis zum 16. Juni 1987, also 20 Wochen.

16. Aus den Akten ergibt sich auch, dass das Arbeitsverhältnis von Frau Sass nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf das Land Brandenburg überging. Seitdem wird das Arbeitsverhältnis aufgrund einer entsprechenden einzelvertraglichen Vereinbarung der Parteien durch den BATO geregelt. Bei diesem Übergang wurde die Beschäftigungszeit von Frau Sass seit Beginn ihrer Tätigkeit, d. h. seit dem 1. Juli 1982, berücksichtigt.

17. Die Vergütung von Frau Sass entsprach bis zum 7. Mai 1998 der Vergütungsgruppe II a des BATO. Am 8. Mai 1998 wurde sie höher gruppiert, und zwar in die Vergütungsgruppe I b Fallgruppe 2. Bei der Berechnung der für den Bewährungsaufstieg nach dem BATO erforderlichen 15 Jahre rechnete das Land Brandenburg auf diese Bewährungszeit die ersten acht Wochen des Wochenurlaubs an, den Frau Sass nach § 244 AGBDDR genommen hatte, nicht jedoch die folgenden zwölf Wochen. Nach den Akten beruhte dies darauf, dass die einschlägige Vorschrift, § 23a Nummer 4 Satz 3 BATO, nur die Schutzfristen nach dem MuSchG - acht Wochen - nennt, nicht aber den Wochenurlaub nach dem AGBDDR.

18. Frau Sass erhob Klage vor dem erstinstanzlichen nationalen Gericht und machte geltend, dass der gesamte Wochenurlaub, d. h. 20 Wochen, hätte berücksichtigt werden müssen. Die Auslegung des § 23a BATO durch das Land Brandenburg führe zu einer rechtswidrigen Diskriminierung der Frauen. Das Land sei zu verurteilen, an sie die Vergütungsdifferenz für die zwölf Wochen vom 12. Februar 1998, ab dem sie Anspruch auf die Erhöhung des Gehalts gehabt hätte, wenn der gesamte Wochenurlaub auf die Bewährungszeit angerechnet worden wäre, bis zum 7. Mai 1998 zu zahlen, d. h. 1 841,16 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 16. März 1999.

19. Das Land Brandenburg beantragte, die Klage abzuweisen. Nach dem BATO seien lediglich die im MuSchG vorgesehenen Schutzfristen auf die Bewährungszeit anzurechnen, nicht aber der längere Wochenurlaub nach § 244 ABGDDR.

20. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Das vorlegende Gericht ist zwar der Auffassung, dass der BATO mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei, erkennt aber an, dass Frau Sass gegenüber einem männlichen Kollegen benachteiligt sei, da sie durch die Inanspruchnahme des nur für Frauen vorgesehenen Wochenurlaubs erst zwölf Wochen später als dieser höher gruppiert werde.

21. Daher hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verbieten es Artikel 119 EG-Vertrag (jetzt Artikel 141 EG) und die Richtlinie 76/207/EWG, in einer tariflichen Regelung, nach der Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht auf die Bewährungszeit angerechnet werden, auch die Zeit von der Anrechnung auszunehmen, in der das Arbeitsverhältnis deshalb geruht hat, weil die Arbeitnehmerin nach Ablauf der anrechnungsfähigen achtwöchigen Schutzfrist gemäß § 6 MuSchG bis zum Ende der 20. Woche nach der Entbindung Wochenurlaub nach § 244 Absatz 1 AGB-DDR in Anspruch genommen hat?

III - Würdigung durch den Gerichtshof

22. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 141 EG und/oder die Richtlinie 76/207 einer Regelung in einem Tarifvertrag wie dem BATO entgegenstehen, wonach die Zeit, in der eine Arbeitnehmerin Wochenurlaub nach dem Recht der ehemaligen DDR in Anspruch genommen hat, insoweit von der Anrechnung auf eine Bewährungszeit ausgeschlossen ist, als sie über die Schutzfrist von acht Wochen nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, auf das der Tarifvertrag abstellt, hinausgeht.

23. Frau Sass regt an, diese Frage zu bejahen. Das Land Brandenburg und die Kommission vertreten den gegenteiligen Standpunkt. Die Kommission ist insbesondere der Ansicht, dass das Gemeinschaftsrecht auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

24. Dazu ist erstens darauf zu verweisen, dass das Gemeinschaftsrecht beim Abschluss des BATO am 10. Dezember 1990 Anwendung fand, da der Vertrag vom 31. August 1990 über die Herstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 in Kraft getreten war (BGBl. II 1990 S. 889). Somit müssen die nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands erlassenen Bestimmungen zur Regelung der Stellung der nunmehr dem Recht der Bundesrepublik Deutschland unterliegenden Arbeitnehmer das einschlägige Gemeinschaftsrecht beachten.

25. Zweitens ist zu beachten, dass der Gerichtshof im Zusammenhang mit Artikel 141 EG bereits entschieden hat, dass das Verbot der diskriminierenden Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern wegen seines zwingenden Charakters nicht nur für staatliche Stellen verbindlich ist, sondern sich auch auf alle Tarifverträge erstreckt, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln (vgl. u. a. Urteile vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75, Defrenne, Slg. 1976, 455, Randnr. 39, vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C184/89, Nimz, Slg. 1991, I297, Randnr. 11, und vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C333/97, Lewen, Slg. 1999, I7243, Randnr. 26). Da der BATO die Verhältnisse zwischen den Angestellten und den öffentlichen Körperschaften regeln soll, gilt im Zusammenhang mit der Richtlinie 76/207 nichts anderes (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 1997 in der Rechtssache C1/95, Gerster, Slg. 1997, I5253, Randnr. 18).

26. Somit wären die Verfasser des BATO in der Lage gewesen, die Stellung der Frauen, die in ihrem Arbeitsverhältnis vom Übergang infolge der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands betroffen waren, mit der der ebenfalls aus der ehemaligen DDR stammenden männlichen Arbeitnehmer zu vergleichen.

27. Folglich beruft sich Frau Sass zu Recht auf das Gemeinschaftsrecht, um ihre Rechte geltend zu machen.

28. Was die in der vorliegenden Rechtssache gestellte Frage betrifft, so ist für deren sachdienliche Beantwortung zunächst zu prüfen, ob die nicht vollständige Berücksichtigung eines nach dem Recht der ehemaligen DDR genommenen Wochenurlaubs bei der Berechnung einer Bewährungszeit nach dem BATO nach Artikel 141 EG oder vielmehr nach der Richtlinie 76/207 zu beurteilen ist.

29. Insoweit ergibt sich aus den Akten, dass es im Ausgangsrechtsstreit um die für eine mögliche Eingruppierung in eine höhere Vergütungsgruppe zurückzulegenden Bewährungszeiten und um die Art der Unterbrechungszeiten geht, die auf eine solche Zeit ungeachtet dessen angerechnet werden können, dass grundsätzlich die Bewährungszeit ununterbrochen zurückzulegen ist und die zulässigen Unterbrechungszeiten darauf nicht angerechnet werden.

30. Zwar verfolgt Frau Sass das Ziel eines früheren Aufstiegs in die höhere Vergütungsgruppe. Hierfür kommt es jedoch darauf an, ob ihr gesamter Wochenurlaub auf die Bewährungszeit angerechnet werden kann, die zurückzulegen ist, um in eine andere Kategorie, hier die höhere Vergütungsgruppe, eingruppiert werden zu können. Somit wäre die höhere Vergütung in der vorliegenden Rechtssache nur die Folge einer Berücksichtigung des genannten Wochenurlaubs.

31. Die im Ausgangsrechtsstreit streitigen Bestimmungen stellen Regeln für den Bewährungsaufstieg eines Arbeitnehmers in eine höhere Kategorie auf. Folglich betrifft die hier vorgelegte Frage die Präzisierung der Bedingungen des Zugangs zu einer höheren Stufe der beruflichen Rangordnung und fällt damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie 76/207.

32. Im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung erkennt diese Richtlinie an, dass der Schutz zum einen der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die an die Schwangerschaft und die Entbindung anschließt, rechtmäßig ist (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 184/83, Hofmann, Slg. 1984, 3047, Randnr. 25, und vom 18. März 2004 in der Rechtssache C342/01, Merino Gómez, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 32).

33. Zu diesem Zweck lässt Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie nationale Vorschriften zu, die den Frauen Sonderrechte wegen Schwangerschaft und Mutterschaft sichern. Davon erfasst ist auch das Recht auf Mutterschaftsurlaub (vgl. Urteil vom 30. April 1998 in der Rechtssache C136/95, Thibault, Slg. 1998, I2011, Randnr. 24).

34. Außerdem darf die Ausübung der Rechte, die einer Frau nach Maßgabe des genannten Artikels gewährt werden, nicht zu Nachteilen hinsichtlich der Voraussetzungen für ihren Zugang zu einer höheren Stufe der beruflichen Rangordnung führen. Die Richtlinie 76/207 zielt insofern auf eine inhaltliche, nicht auf eine formale Gleichheit ab (vgl. in diesem Sinne Urteile Merino Gómez, Randnr. 37, und Thibault, Randnr. 26).

35. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine Arbeitnehmerin in ihrem Arbeitsverhältnis vor jeder Benachteiligung geschützt ist, die auf der Tatsache beruht, dass sie im Mutterschaftsurlaub ist oder war.

36. Eine Frau, die aufgrund ihrer durch den Mutterschaftsurlaub bedingten Abwesenheit benachteiligt wird, wird nämlich wegen ihrer Schwangerschaft und wegen dieses Urlaubs diskriminiert. Ein solches Verhalten stellt eine unmittelbar auf dem Geschlecht beruhende Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 76/207 dar (vgl. Urteile vom 13. Februar 1996 in der Rechtssache C342/93, Gillespie u. a., Slg. 1996, I475, Randnr. 22, Thibault, Randnrn. 29 und 32, und vom 30. März 2004 in der Rechtssache C147/02, Alabaster, Slg. 2004, I-0000, Randnr. 47).

37. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Frau Sass gegenüber einem männlichen Kollegen, der seine Arbeit in der ehemaligen DDR am selben Tag wie sie aufgenommen hat, benachteiligt ist, da sie wegen der Inanspruchnahme ihres Wochenurlaubs die höhere Vergütungsgruppe erst zwölf Wochen später als dieser erreichen wird.

38. Das vorlegende Gericht geht bei seinen Erwägungen indessen von der Prämisse aus, dass der von Frau Sass erlittene Nachteil nicht auf dem Geschlecht beruhe, sondern vielmehr darauf, dass ihr Arbeitsverhältnis während der zwölf in Rede stehenden Wochen geruht habe.

39. Dazu ist darauf zu verweisen, dass eine Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs durch den Arbeitsvertrag an ihren Arbeitgeber gebunden bleibt (vgl. Urteile Gillespie u. a., Randnr. 22, Thibault, Randnr. 29, und Alabaster, Randnr. 47). Die Art und Weise, wie die Arbeitnehmerin während des genannten Urlaubs bezahlt wird, ändert daran nichts.

40. Die Kommission zieht dagegen für den Fall, dass es sich um eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts handeln sollte, die Richtlinie 92/85 heran, um die möglichen Auswirkungen eines über die in der Richtlinie vorgesehene Mindestzeit hinausgehenden Mutterschaftsurlaubs auf die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte zu prüfen. Dazu verweist sie auf das Urteil vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C411/96 (Boyle u. a., Slg. 1998, I6401, Randnr. 79), aus dem sie den Schluss zu ziehen scheint, dass es sich bei den 20 Wochen, die Frau Sass in freier Entscheidung nach § 244 AGBDDR in Anspruch genommen habe, nur um eine ihr angebotene Vergünstigung handele, da die Rechte einer Arbeitnehmerin bei einem über die Mindestbestimmungen des Artikels 8 der Richtlinie hinausgehenden Mutterschaftsurlaub beschränkt werden dürften.

41. Dem ist nicht zu folgen.

42. Was zunächst die Richtlinie 92/85 anbelangt, so war diese von den Mitgliedstaaten erst bis zum 19. Oktober 1994 umzusetzen, d. h. bis zu einem Zeitpunkt nach dem maßgebenden Sachverhalt.

43. Im Übrigen ist, auch wenn man davon ausgeht, dass diese Richtlinie hier herangezogen werden kann, darauf hinzuweisen, dass mit dem Arbeitsvertrag verbundene Rechte nach ihrem Artikel 11 zum Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen [i]n dem in Artikel 8 genannten Fall gewährleistet sein müssen. Artikel 8 sieht aber gerade einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung vor.

44. Dass Rechtsvorschriften Frauen einen Mutterschaftsurlaub von mehr als 14 Wochen zugestehen, hindert folglich nicht daran, diesen dennoch als Mutterschaftsurlaub im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 92/85 anzusehen und damit als Zeit, in der die mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte nach Artikel 11 dieser Richtlinie gewährleistet sein müssen.

45. Überdies kann für die hier aufgeworfene Frage nicht entscheidend sein, ob ein solcher Urlaub obligatorisch ist oder nicht. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass das Beschäftigungsverbot nach der Richtlinie 92/85 nur einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen innerhalb des Mutterschaftsurlaubs von mindestens 14 Wochen betrifft.

46. Dass Frau Sass sich dafür entschieden hat, die gesamten 20 Urlaubswochen nach dem AGBDDR in Anspruch zu nehmen, während die acht Urlaubswochen nach dem MuSchG ein Beschäftigungsverbot implizieren, hindert daher nicht daran, ihren Urlaub in vollem Umfang als gesetzlichen Urlaub zum Schutz der Frau nach der Entbindung anzusehen.

47. Sodann ist zum Urteil Boyle u. a. festzustellen, dass es entgegen der anscheinend von der Kommission vertretenen Ansicht keinen Präzedenzfall für die in dieser Rechtssache vorgelegte Frage darstellt, da dieses Urteil keinen gesetzlichen Urlaub betraf, sondern einen vom Arbeitgeber gewährten Zusatzurlaub.

48. Aus alledem ergibt sich, dass das Gemeinschaftsrecht im Fall eines vom nationalen Recht zum Schutz der körperlichen Verfassung der Frau und der besonderen Beziehungen zu ihrem Kind in der Zeit nach der Schwangerschaft und der Entbindung vorgesehenen Mutterschaftsurlaubs verlangt, dass die Inanspruchnahme dieses gesetzlichen Schutzurlaubs zum einen weder das Arbeitsverhältnis der betreffenden Frau noch die Anwendung der damit verknüpften Rechte unterbricht und zum anderen nicht zu einer Benachteiligung der Frau führt.

49. Der BATO bezieht sich insoweit allerdings nur auf das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland, während der in Rede stehende Urlaub dem Recht der ehemaligen DDR unterlag.

50. Daher ist zuletzt zu prüfen, ob der von Frau Sass tatsächlich genommene Urlaub seiner Natur nach einer Frist zum Schutz der Frau nach der Entbindung wie der im MuSchG vorgesehenen gleichgestellt werden kann.

51. Wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, dann hätte dieser Urlaub bei der Berechnung der Bewährungszeit in gleicher Weise wie eine solche Schutzfrist berücksichtigt werden müssen, d. h. in voller Länge. Da er nicht in dieser Weise berücksichtigt wurde, wäre Frau Sass wegen ihrer durch den Mutterschaftsurlaub bedingten Abwesenheit benachteiligt und damit im Sinne der Richtlinie 76/207 unmittelbar aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden, da sie die höhere Vergütungsgruppe erst zwölf Wochen nach einem männlichen Kollegen erreichen wird, der seine Arbeit in der ehemaligen DDR am selben Tag wie sie aufgenommen hat.

52. Bedeutsam ist hier, dass sich aus den Antworten der deutschen Regierung auf die schriftlichen Fragen des Gerichtshofes ergibt, dass sich die Ziele des achtwöchigen Mutterschaftsurlaubs nach § 6 MuSchG und die des von Frau Sass in Anspruch genommenen zwanzigwöchigen Wochenurlaubs nach § 244 AGBDDR weitgehend deckten. Nach den Angaben der deutschen Regierung dienten beide Urlaubsregelungen der körperlichen Erholung der Mutter nach der Entbindung und sollten es ihr ermöglichen, ihr Kind persönlich zu betreuen.

53. Wie der Gerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, wird mit der Richtlinie 76/207 und insbesondere ihrem Artikel 2 Absatz 3 gerade das Ziel dieses doppelten Schutzes der Frau verfolgt (vgl. u. a. die in Randnr. 34 dieses Urteils angeführte Rechtsprechung).

54. Somit wurden mit dem zwanzigwöchigen Wochenurlaub nach § 244 AGBDDR offensichtlich dieselben Ziele und derselbe Zweck verfolgt wie mit der achtwöchigen Schutzfrist nach § 6 MuSchG, so dass dieser zwanzigwöchige Urlaub als gesetzlicher Urlaub zum Schutz der Frau nach der Entbindung angesehen und ebenfalls auf eine Bewährungszeit angerechnet werden muss, die den Zugang zu einer höheren Vergütungsgruppe eröffnet.

55. Allerdings ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, nationales Recht auszulegen, da dies allein in die Zuständigkeit des nationalen Richters fällt. Im Fall eines Verstoßes gegen die Richtlinie 76/207 durch Rechtsvorschriften, die eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, sind die nationalen Gerichte jedoch gehalten, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie diese Vorschriften zugunsten der benachteiligten Gruppe anwenden (vgl. Urteile vom 20. März 2003 in der Rechtssache C187/00, Kutz-Bauer, Slg. 2003, I2741, Randnr. 75, und vom 11. September 2003 in der Rechtssache C77/02, Steinicke, Slg. 2003, I9027, Randnr. 72).

56. Daher ist es Sache des nationalen Richters, anhand des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zu prüfen, ob der von Frau Sass genommene Urlaub und die Schutzfrist, auf die der BATO abstellt, hinsichtlich ihrer Ziele und ihres Zweckes einander gleichzustellen sind, so dass der nach dem Recht der ehemaligen DDR genommene gesetzliche Urlaub in voller Länge auf die im BATO vorgesehene Bewährungszeit angerechnet werden kann.

57. Zu beachten ist jedoch, dass bei der Prüfung der Ziele und des Zweckes dieser beiden Regelungen weder der zwingende Charakter des Urlaubs noch die Art, wie die Arbeitnehmerin während des Urlaubs vergütet wird, ein entscheidendes Kriterium ist.

58. Kommt der nationale Richter zu dem Schluss, dass der Wochenurlaub nach § 244 AGBDDR ein derartiger gesetzlicher Urlaub zum Schutz der Frau nach der Entbindung ist, so ist dieser Urlaub demnach in voller Länge auf die vor dem möglichen Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe zurückzulegende Bewährungszeit anzurechnen, um zu verhindern, dass eine Frau, die diesen Urlaub genommen hat, aufgrund ihrer Schwangerschaft und ihres Mutterschaftsurlaubs gegenüber einem männlichen Kollegen benachteiligt wird, der seine Arbeit in der ehemaligen DDR am selben Tag wie sie aufgenommen hat.

59. Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass die Richtlinie 76/207 einer Regelung in einem Tarifvertrag wie dem BATO entgegensteht, wonach die Zeit, in der eine Arbeitnehmerin Wochenurlaub nach dem Recht der ehemaligen DDR in Anspruch genommen hat, insoweit von der Anrechnung auf eine Bewährungszeit ausgeschlossen ist, als sie über die Schutzfrist nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, auf das der Tarifvertrag abstellt, hinausgeht, sofern die Ziele und der Zweck beider Urlaubsregelungen den Zielen des Schutzes der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft entsprechen, wie er in Artikel 2 Absatz 3 der genannten Richtlinie normiert ist. Die Prüfung, ob diese Bedingungen erfuellt sind, ist Sache des nationalen Gerichts.

Kostenentscheidung:

Kosten

60. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen steht einer Regelung in einem Tarifvertrag wie dem Bundes-AngestelltentarifvertragOst entgegen, wonach die Zeit, in der eine Arbeitnehmerin Wochenurlaub nach dem Recht der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik in Anspruch genommen hat, insoweit von der Anrechnung auf eine Bewährungszeit ausgeschlossen ist, als sie über die Schutzfrist nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, auf das der Tarifvertrag abstellt, hinausgeht, sofern die Ziele und der Zweck beider Urlaubsregelungen den Zielen des Schutzes der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft entsprechen, wie er in Artikel 2 Absatz 3 der genannten Richtlinie normiert ist. Die Prüfung, ob diese Bedingungen erfuellt sind, ist Sache des nationalen Gerichts.

Ende der Entscheidung

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