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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: C-285/02
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen


Vorschriften:

EGV Art. 141
Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen Art. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 27. Mai 2004. - Edeltraud Elsner-Lakeberg gegen Land Nordrhein-Westfalen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgericht Minden - Deutschland. - Artikel 141 EG - Richtlinie 75/117/EWG - Nationale Regelung, wonach vollzeit- und teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung erst ab der gleichen Zahl geleisteter Mehrarbeitsstunden haben - Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Frauen. - Rechtssache C-285/02.

Parteien:

In der Rechtssache C-285/02

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Verwaltungsgericht Minden (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Edeltraud Elsner-Lakeberg

gegen

Land Nordrhein-Westfalen

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 141 EG und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter), der Richter A. La Pergola und S. von Bahr sowie der Richterin R. Silva de Lapuerta und des Richters K. Lenaerts,

Generalanwalt: F. G. Jacobs,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen:

- von Frau Elsner-Lakeberg, vertreten durch Rechtsanwalt H. Bubenzer,

- des Landes Nordrhein-Westfalen, vertreten durch A. Machwirth als Bevollmächtigten,

- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrell und H. Kreppel als Bevollmächtigte,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

16. Oktober 2003,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Verwaltungsgericht Minden hat mit Beschluss vom 26. Juli 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 2. August 2002, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 141 EG und der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Elsner-Lakeberg (im Folgenden: Klägerin) und ihrem Arbeitgeber, dem Land NordrheinWestfalen, über die Forderung der Klägerin, eine Vergütung der von ihr geleisteten Mehrarbeit zu erhalten.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

3. Artikel 1 der Richtlinie 75/117 lautet:

Der in Artikel 119 des Vertrages genannte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, im Folgenden als Grundsatz des gleichen Entgelts bezeichnet, bedeutet bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und bedingungen.

...

Nationale Regelung

4. Gemäß § 78a des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesbeamtengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Mai 1981 (GV.NRW.S. 234) sind die Beamten verpflichtet, Mehrarbeit zu leisten, wenn der Dienst dies erfordert. Übersteigt diese Mehrarbeit fünf Stunden im Kalendermonat, so ist dem Beamten für die geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist die Gewährung dieser Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können bestimmte Beamte eine Vergütung für die entsprechende Mehrarbeit erhalten.

5. § 5 Absatz 2 Nummer 1 der Verordnung vom 13. März 1992 über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte (BGBl. I S. 528) in der Fassung vom 3. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3494) bestimmt, dass bei Mehrarbeit im Schuldienst drei Unterrichtsstunden als fünf Stunden gelten.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

6. Die Klägerin steht als beamtete teilzeitbeschäftigte Studienrätin im Dienst des Landes NordrheinWestfalen. Vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte unterrichten dort 24,5 Stunden pro Woche, was - bei einem Durchschnitt von vier Wochen pro Monat - 98 Stunden im Monat entspricht, während die Klägerin 15 Stunden pro Woche - d. h. 60 Stunden im Monat - unterrichtet.

7. Im Dezember 1999 erbrachte sie auf Anordnung 2,5 Unterrichtsstunden Mehrarbeit. Ihr Antrag auf Vergütung dieser Stunden wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die einschlägigen Rechtsvorschriften eine Vergütung für die geleistete Mehrarbeit bei beamteten Lehrern nur dann vorsähen, wenn die Mehrarbeit drei Unterrichtsstunden im Monat überschreite. Deshalb erhielt sie keine Vergütung für die zusätzlich geleisteten 2,5 Stunden.

8. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens rief die Klägerin das Verwaltungsgericht Minden an.

9. Da das Verwaltungsgericht Minden eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für erforderlich hielt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Artikel 141 EG in Verbindung mit der Richtlinie 75/117/EWG vereinbar, dass teilzeitbeschäftigten - ebenso wie vollzeitbeschäftigten - beamteten Lehrerinnen und Lehrern im Land NordrheinWestfalen für Mehrarbeit keine Vergütung gewährt wird, sofern die Mehrarbeit drei Unterrichtsstunden im Kalendermonat nicht übersteigt?

Zur Vorlagefrage

10. Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Artikel 141 EG und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 so auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der teilzeitbeschäftigten - ebenso wie vollzeitbeschäftigten - Lehrkräften keine Vergütung für Mehrarbeit gewährt wird, wenn die Mehrarbeit drei Unterrichtsstunden im Kalendermonat nicht übersteigt.

11. Das Land NordrheinWestfalen und die deutsche Regierung tragen vor, dass teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte genau wie vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte behandelt würden. Alle Lehrkräfte hätten einen Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung, wenn sie mehr als drei Unterrichtsstunden Mehrarbeit im Monat geleistet hätten. Dann würden die zusätzlichen Stunden in der gleichen Weise vergütet. Die Gleichheit der Vergütung sei sowohl für die Regelarbeitszeit als auch für die Mehrarbeit garantiert.

12. Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, der in Artikel 141 EG und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 verankert ist, beinhaltet, dass für gleiche oder gleichwertige Arbeit jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und bedingungen verboten ist, soweit die unterschiedliche Behandlung nicht durch ein Ziel gerechtfertigt werden kann, das nichts mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht zu tun hat, oder zur Erreichung des verfolgten Ziels nicht erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 30. März 2000 in der Rechtssache C236/98, JämO, Slg. 2000, I2189, Randnr. 36, und vom 26. Juni 2001 in der Rechtssache C381/99, Brunnhofer, Slg. 2001, I4961, Randnrn. 27 und 28).

13. Demgemäß hat der Gerichtshof zu teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entschieden, dass die Angehörigen der benachteiligten Gruppe, sei es die der Männer oder die der Frauen, entsprechend dem Umfang ihrer Beschäftigung Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Arbeitnehmer haben (Urteil vom 27. Juni 1990 in der Rechtssache C33/89, Kowalska, I2591, Randnr. 19).

14. Der Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 141 EG und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 umfasst nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung alle gegenwärtigen oder künftigen in bar oder in Sachleistungen gewährten Vergütungen, sofern sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses gewährt (vgl. insbesondere Urteile vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C262/88, Barber, Slg. 1990, I1889, Randnr. 12, und Brunnhofer, Randnr. 33).

15. Was die Methode angeht, mit der bei einem Vergleich der den Arbeitnehmern und den Arbeitnehmerinnen gewährten Vergütungen zu prüfen ist, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts beachtet worden ist, so ergibt sich zudem aus der Rechtsprechung, dass eine echte Transparenz, die eine wirksame Kontrolle erlaubt, nur dann gewährleistet ist, wenn dieser Grundsatz für jeden einzelnen Bestandteil des den Arbeitnehmern und den Arbeitnehmerinnen gezahlten Entgelts gilt und nicht nur im Wege einer Gesamtbewertung der diesen gewährten Vergütungen angewandt wird (vgl. Urteile Barber, Randnrn. 34 und 35, und Brunnhofer, Randnr. 35). Folglich sind die Entgelte für die Regelarbeitszeit und die Mehrarbeitsvergütungen gesondert zu vergleichen.

16. Im Ausgangsverfahren ist das Entgelt für die Mehrarbeit eine Vergütung, die das Land NordrheinWestfalen an die betroffenen Lehrkräfte aufgrund ihres Beschäftigungsverhältnisses zahlt.

17. Auch wenn dieses Entgelt insoweit gleich erscheint, als der Anspruch auf Vergütung der Mehrarbeit sowohl für die teilzeitbeschäftigten als auch für die vollzeitbeschäftigten Lehrkräfte erst entsteht, wenn die Mehrarbeit drei Unterrichtsstunden übersteigt, so ist doch festzustellen, dass drei Unterrichtsstunden Mehrarbeit für teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte eine größere Belastung darstellen als für vollzeitbeschäftigte. Während eine vollzeitbeschäftigte Lehrkraft drei Unterrichtsstunden mehr als ihre monatliche Arbeitszeit von 98 Stunden - also etwa 3 % mehr - leisten muss, um eine Vergütung ihrer Mehrarbeit zu erhalten, muss eine teilzeitbeschäftigte Lehrkraft drei Unterrichtsstunden mehr als ihre monatliche Arbeitszeit von 60 Stunden - also etwa 5 % mehr - leisten. Da für teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte die Zahl der zusätzlichen Unterrichtsstunden, ab der ein Anspruch auf Vergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert wird, werden sie gegenüber vollzeitbeschäftigten Lehrkräften in Bezug auf die Vergütung für die zusätzlichen Unterrichtsstunden ungleich behandelt.

18. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu entscheiden, ob, erstens, die nach den betreffenden Rechtsvorschriften vorgesehene Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft und ob, zweitens, diese Ungleichbehandlung einem Ziel dient, das nichts mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht zu tun hat, und zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist (in diesem Sinne Urteil vom 7. März 1996 in der Rechtssache C278/93, Freers und Speckmann, Slg. 1996, I1165, Randnr. 28).

19. Daher ist auf die Vorabentscheidungsfrage zu antworten, dass Artikel 141 EG und Artikel 1 der Richtlinie 75/117 so auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, nach der teilzeitbeschäftigten - ebenso wie vollzeitbeschäftigten - Lehrkräften keine Vergütung für Mehrarbeit gewährt wird, wenn die Mehrarbeit drei Unterrichtsstunden im Kalendermonat nicht übersteigt, entgegenstehen, wenn diese Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft und wenn sie nicht durch ein Ziel, das nichts mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht zu tun hat, gerechtfertigt werden kann oder zur Erreichung des verfolgten Zieles nicht erforderlich ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

20. Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Minden mit Beschluss vom 26. Juli 2002 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 141 EG und Artikel 1 der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sind so auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, nach der teilzeitbeschäftigten - ebenso wie vollzeitbeschäftigten - Lehrkräften keine Vergütung für Mehrarbeit gewährt wird, wenn die Mehrarbeit drei Unterrichtsstunden im Kalendermonat nicht übersteigt, entgegenstehen, wenn diese Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer betrifft und wenn sie nicht durch ein Ziel, das nichts mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht zu tun hat, gerechtfertigt werden kann oder zur Erreichung des verfolgten Zieles nicht erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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