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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.07.1998
Aktenzeichen: C-287/96
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2220/85/EWG, Verordnung (EWG) Nr. 1722/93/EWG, Verordnung (EWG) Nr. 1766/92/EWG, Verordnung (EWG) 1418/76/EWG


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2220/85/EWG
Verordnung (EWG) Nr. 1722/93/EWG
Verordnung (EWG) Nr. 1766/92/EWG
Verordnung (EWG) 1418/76/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1722/93 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen Nr. 1766/92 und Nr. 1418/76 hinsichtlich der Produktionserstattungen für Getreide und Reis ist wie folgt auszulegen:

- Bei der durch diese Bestimmung vorgeschriebenen Verwendung eines Erzeugnisses des KN-Codes 3505 10 50 - seiner anschließenden Verarbeitung zu einem anderen Erzeugnis als Stärke oder seiner Ausfuhr in ein Drittland - handelt es sich um eine Hauptpflicht im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2220/85 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse.

- Ihre Erfuellung ist spätestens innerhalb der durch Artikel 28 dieser Verordnung gesetzten Fristen nachzuweisen; andernfalls verfällt die Sicherheit nach Maßgabe des Artikels 22 Absätze 1 und 2 dieser Verordnung in voller Höhe.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 16. Juli 1998. - Kyritzer Stärke GmbH gegen Hauptzollamt Potsdam. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Landwirtschaft - Gemeinsame Marktorganisation - Produktionserstattungen - Regelung der Sicherheiten - Fristen - Hauptpflicht - Nebenpflicht. - Rechtssache C-287/96.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 4. Juli 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 26. August 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. L 205, S. 5) in Verbindung mit der Verordnung (EWG) Nr. 1722/93 der Kommission vom 30. Juni 1993 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen (EWG) Nr. 1766/92 und (EWG) Nr. 1418/76 des Rates hinsichtlich der Produktionserstattungen für Getreide und Reis (ABl. L 159, S. 112) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Kyritzer Stärke GmbH (im folgenden: Klägerin) und dem Hauptzollamt Potsdam (im folgenden: Beklagter) über die Freigabe von Sicherheiten, die im Rahmen von Produktionserstattungsanträgen für Stärke geleistet worden waren.

Die Gemeinschaftsregelung

Die Verordnung Nr. 2220/85

3 In der Verordnung Nr. 2220/85 werden gemäß ihrem Artikel 1 die Durchführungsvorschriften für die Sicherheiten festgelegt, die u. a. aufgrund der Verordnungen über gemeinsame Marktorganisationen für Reis und Getreide oder aufgrund von Durchführungsvorschriften hierzu zu leisten sind.

4 In Artikel 20 sind die verschiedenartigen Pflichten, für deren Einhaltung diese Verordnungen die Leistung einer Sicherheit vorschreiben, definiert und nach ihrer Bedeutung geordnet. Artikel 20 Absätze 1 bis 5 lautet:

"(1) Eine Verpflichtung kann eine Hauptpflicht, Nebenpflicht oder eine untergeordnete Pflicht sein.

(2) Eine Hauptpflicht ist eine Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, die für die Ziele der Verordnung, welche sie auferlegt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

(3) Eine Nebenpflicht ist eine Verpflichtung zur Einhaltung einer Frist für die Erfuellung einer Hauptpflicht.

(4) Eine untergeordnete Pflicht ist jede andere in einer Verordnung vorgeschriebene Verpflichtung.

(5) Dieser Titel gilt nicht in den Fällen, in denen die Gemeinschaftsvorschriften nicht die Hauptpflichten bestimmen."

5 In Artikel 21 sind die Voraussetzungen für die Freigabe der Sicherheit festgelegt:

"Eine Sicherheit wird freigegeben, sobald in der jeweils vorgeschriebenen Form nachgewiesen ist, daß die Hauptpflichten, Nebenpflichten und untergeordneten Pflichten erfuellt sind."

Die Artikel 22 und 24 regeln, welche Folgen die Verletzung einer Hauptpflicht oder einer untergeordneten Pflicht für die Sicherheit hat. Für Hauptflichten heisst es in Artikel 22 Absätze 1 und 2:

"(1) Eine Sicherheit verfällt in voller Höhe für die Menge, für die eine Hauptpflicht nicht erfuellt wurde.

(2) Eine Hauptpflicht gilt als nicht erfuellt, wenn... der entsprechende Nachweis innerhalb der hierfür vorgeschriebenen Frist nicht erbracht wird."

6 Für untergeordnete Pflichten regelt Artikel 24 Absatz 1:

"(1) Die Nichterfuellung einer oder mehrerer untergeordneten Pflichten führt zum Verfall von 15 % des betroffenen Teilbetrags der Sicherheit."

7 Im Hinblick auf die Frist für die Erbringung der Nachweise sieht Artikel 28 vor:

"(1) Ist keine Frist für die Erbringung des zur Freigabe der Sicherheit erforderlichen Nachweises festgesetzt, so beträgt diese

a) zwölf Monate nach Ablauf der für die Erfuellung der Hauptpflicht vorgesehenen Frist oder,

b) sofern keine solche Frist vorgesehen ist, zwölf Monate nach Erfuellung der Hauptpflichten.

(2) Die in Absatz 1 genannte Frist darf nicht mehr als drei Jahre vom Zeitpunkt der Leistung der Sicherheit für die betreffende Verpflichtung an betragen, Fälle höherer Gewalt ausgenommen."

Die Verordnung Nr. 2169/86

8 Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2169/86 der Kommission vom 10. Juli 1986 zur Festlegung der Grundregeln für die Kontrolle und Zahlung der Produktionserstattungen für Getreide und Reis (ABl. L 189, S. 12), die zur Durchführung der Verordnungen über die gemeinsamen Marktorganisationen für diese Bereiche erlassen wurde, sieht als Voraussetzung für die Erteilung einer Erstattungsbescheinigung vor, daß der Hersteller bei der zuständigen Behörde eine Sicherheit in Höhe von 25 ECU je Tonne Primärstärke geleistet hat, gegebenenfalls multipliziert mit dem Koeffizienten, der für die im Anhang aufgeführte zu verwendende Stärkeart gilt. Durch die Verordnung (EWG) Nr. 3642/87 der Kommission vom 2. Dezember 1987 zur Änderung der Verordnung Nr. 2169/86 (ABl. L 342, S. 10) wurde dieser Bestimmung einer neuer Unterabsatz angefügt: "Fällt jedoch das in der Bescheinigung genannte Erzeugnis unter die Tarifstelle 39.06 B I des Gemeinsamen Zolltarifs (KN 3505 10 50), so beläuft sich die Sicherheit auf 105 % der für die Herstellung des betreffenden Erzeugnisses zu gewährenden Produktionserstattung."

9 Artikel 7 Absatz 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 2169/86 lautet:

"Die Hauptpflicht gemäß Artikel 20 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 besteht in der Verarbeitung der im Antrag genannten Stärkemenge zu den angegebenen anerkannten Erzeugnissen innerhalb der Gültigkeitsdauer der Bescheinigung."

10 Gemäß Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2169/86 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 165/89 der Kommission vom 24. Januar 1989 zur Änderung der Verordnung Nr. 2169/86 (ABl. L 20, S. 14) besteht für die Freigabe der Sicherheit eine weitere Voraussetztung, wenn es sich um ein Erzeugnis des KN-Code 3505 10 50 handelt:

"Unbeschadet des Absatzes 2 wird die in Absatz 1 zweiter Unterabsatz genannte Sicherheit nur freigegeben, wenn der zuständigen Behörde nachgewiesen wurde, daß das Erzeugnis des KN-Code 3505 10 50

a) zur Herstellung von anderen als den in Anhang I genannten Erzeugnissen verwendet worden ist,

b) nach Drittländern ausgeführt worden ist."

Die Verordnung Nr. 1722/93

11 Die Verordnung Nr. 1722/93, die ebenfalls zur Durchführung der Verordnungen über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide und Reis erlassen wurde, übernimmt nach ihrer dreizehnten Begründungserwägung unter Anpassung an die derzeitige Marktlage die Vorschriften der durch sie aufgehobenen Verordnung Nr. 2169/86.

12 Gemäß Artikel 8 Absatz 1 setzt die Erteilung einer Erstattungsbescheinigung voraus, daß der Hersteller bei der zuständigen Behörde eine Sicherheit in Höhe von 15 ECU je Tonne Primärstärke geleistet hat, gegebenenfalls multipliziert mit dem Koeffizienten, der für die in Anhang II aufgeführte zu verwendende Stärkeart gilt.

13 Nach Artikel 8 Absatz 2 erfolgt die Freigabe dieser Sicherheit gemäß den Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85, wobei die Hauptpflicht gemäß Artikel 20 dieser Verordnung in der "Verarbeitung der im Antrag genannten Stärkemenge zu den angegebenen anerkannten Erzeugnissen innerhalb der Gültigkeitsdauer der Bescheinigung" besteht.

14 Fällt das fragliche Erzeugnis unter den KN-Code 3505 10 50, so ist gemäß Artikel 9 Absatz 2 zusätzlich eine weitere Sicherheit zu leisten, die der für die Herstellung des betreffenden Erzeugnisses zu zahlenden Erstattung entspricht.

15 Nach Artikel 10 Absatz 1 ist Voraussetzung für die Freigabe dieser Sicherheit, daß nachgewiesen wird, daß dieses Erzeugnis

"a) im Zollgebiet der Gemeinschaft zur Herstellung anderer als der in Anhang II aufgeführten Erzeugnisse verwendet wurde oder

b) in Drittländer ausgeführt wurde. Im Falle der direkten Ausfuhr in ein Drittland wird die Sicherheit erst freigegeben, wenn bei der zuständigen Behörde der Nachweis eingegangen ist, daß das fragliche Erzeugnis das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen hat".

16 Die Verordnung Nr. 1722/93 ist am 1. Juli 1993 in Kraft getreten. Ihr Artikel 14 Absatz 2 enthält folgende Übergangsregelung:

"Im Hinblick auf die Freigabe der Sicherheit nach den Bestimmungen von Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 2169/86 gelten die Bestimmungen von Artikel 10 auch für Vorgänge, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung noch nicht abgeschlossen sind."

Der Ausgangsrechtsstreit

17 Die Klägerin verarbeitet native Stärke zu anerkannten Erzeugnissen im Sinne der Verordnungen über Produktionserstattungen für Getreide und Reis, insbesondere zu veresterter Stärke. Sie erhält hierfür Produktionserstattungen.

18 Im Dezember 1991 und im Januar 1992 wurden der Klägerin Erstattungsbescheinigungen für die Herstellung von veresterter Stärke des KN-Codes 3505 10 50 gewährt, für die sie Sicherheiten nach Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2169/86 leistete.

19 Im Januar und Februar 1992 zeigte die Klägerin die Herstellung bestimmter Mengen an veresterter Stärke an.

20 Da jedoch der Nachweis der zweckgerechten Verwendung dieses Erzeugnisses, also seiner anschließenden Verarbeitung zu einem anderen Erzeugnis als Stärke oder seiner Ausfuhr in ein Drittland (im folgenden: zweckgerechte Verwendung), nur für einen Teil dieser Mengen erbracht wurde, erklärte der Beklagte im Mai 1995 die von der Klägerin geleisteten Sicherheiten teilweise für verfallen.

21 Das Finanzgericht wies die Klage gegen diese Entscheidungen ab. Der mit der Revision angerufene Bundesfinanzhof hält die Verordnung Nr. 2220/85 für anwendbar. Da er jedoch Zweifel hat, welche Vorschriften dieser Verordnung auf die fraglichen Sicherheiten anzuwenden sind, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei der in Artikel 10 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1722/93 für die Verarbeitungserzeugnisse des KN-Codes 3505 10 50 vorgeschriebenen Verwendung um eine Hauptpflicht im Sinne von Artikel 20 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 2220/85, deren Erfuellung spätestens innerhalb der durch Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2220/85 gesetzten Frist mit der Folge nachzuweisen ist, daß andernfalls die geleistete Sicherheit nach Maßgabe des Artikels 22 Absätze 1 und 2 dieser Verordnung verfällt?

2. Falls die Frage zu 1 verneint wird: Lässt sich dem maßgebenden Gemeinschaftsrecht sonst eine Frist entnehmen, innerhalb deren die Verwendung gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1722/93 nachzuweisen ist, mit der Folge, daß die Sicherheit ganz oder teilweise (in welcher Höhe?) verfällt, wenn der Nachweis verspätet erbracht wird?

Zur ersten Frage

22 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, zu welcher Art von Pflichten die für Erzeugnisse des KN-Codes 3505 10 50 vorgesehene Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung gehört und innerhalb welcher Frist der Nachweis ihrer Erfuellung zu erbringen ist, da von diesen Gesichtspunkten das Schicksal der Sicherheit abhängt.

Zur Qualifizierung der streitigen Verpflichtung

23 Die Klägerin macht geltend, in der sechsten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2169/86 und der zwölften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1722/93 werde es ausdrücklich als notwendig bezeichnet, in diesen beiden Verordnungen die Hauptpflichten zu definieren, die den Herstellern oblägen und deren Einhaltung durch eine Sicherheitsleistung gewährleistet werden solle. Der Gemeinschaftsgesetzgeber habe zwar eine Sonderregelung für Erzeugnisse des KN-Codes 3505 10 50 eingeführt, doch habe er nirgends festgelegt, daß die zusätzliche Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung dieser Erzeugnisse eine Hauptpflicht sei. Diese Qualifizierung sei ausdrücklich der Verarbeitung zu anerkannten Erzeugnissen vorbehalten, die mit der Herstellung dieser Erzeugnisse abgeschlossen werde.

24 Die Kommission führt aus, die Sonderregelung für Erzeugnisse des KN-Codes 3505 10 50 diene der Verhinderung von Betrügereien und sei wegen der besonderen Beschaffenheit dieser Erzeugnisse erforderlich, die wieder zu dem Grundstoff verarbeitet werden könnten, so daß der Hersteller die Produktionserstattungen zu Unrecht mehrfach in Anspruch nehmen könnte. Die durch Artikel 7 der Verordnung Nr. 2169/86 vorgeschriebene zweckgerechte Verwendung der fraglichen Erzeugnisse sei als Fortsetzung der Verarbeitung und damit als deren Teil anzusehen. Zwar unterscheide die Verordnung Nr. 1722/93 zwischen dem Stadium der Verarbeitung im Sinne von Artikel 8 und der zweckgerechten Verwendung gemäß Artikel 10, doch stelle diese Unterscheidung die - durch den verfolgten Zweck gerechtfertigte - Qualifizierung der Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung als Hauptpflicht nicht in Frage.

25 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die streitige Sicherheit zwar in Anwendung von Artikel 7 der Verordnung Nr. 2169/86 gestellt worden ist, daß für ihre Freigabe jedoch gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 1722/93 die Bestimmungen von Artikel 10 dieser Verordnung gelten. Dieser Umstand und die Ähnlichkeiten zwischen beiden Verordnungen rechtfertigen es, sie gemeinsam zu prüfen.

26 In Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2169/86 und Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1722/93 wird die Verarbeitung zu anerkannten Erzeugnissen ausdrücklich als Hauptpflicht bezeichnet. Ferner ergibt sich aus der ersten Begründungserwägung der Verordnungen Nr. 3642/87 und Nr. 165/89, durch die in die Verordnung Nr. 2169/86 - später im wesentlichen in die Verordnung Nr. 1722/93 übernommene - besondere Bestimmungen für Erzeugnisse des KN-Codes 3505 10 50 eingefügt wurden, daß mit der Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung der besonderen Beschaffenheit veresterter Stärke Rechnung getragen werden soll, die sich wieder in den Grundstoff zurückverwandeln lässt, für dessen Verwendung erneut eine Produktionserstattung beantragt werden kann.

27 Die Verarbeitung zu anerkannten Erzeugnissen stellt also offensichtlich den wesentlichen vom Gemeinschaftsgesetzgeber bezweckten Vorgang dar, und die Sonderregelung für Erzeugnisse des KN-Codes 3505 10 50 soll sicherstellen, daß dieser Vorgang nicht rückgängig gemacht werden kann. Die mit Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung Nr. 2169/86 eingeführte und in Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1722/93 übernommene Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung ist demnach unabhängig davon, welche Stellung sie in der im Einzelfall anwendbaren Verordnung hat, als Teil der Verarbeitungsverpflichtung anzusehen. Da der Gemeinschaftsgesetzgeber die Verarbeitungspflicht ausdrücklich als Hauptpflicht eingestuft hat, ist diese Einstufung somit auch auf die Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung zu erstrecken.

28 Für diese Auslegung spricht auch die Bedeutung, die der Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung für die Verwirklichung der Ziele der Verordnungen zukommt, die diese Verpflichtung enthalten. Wie der Generalanwalt in Nummer 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehört nämlich zweifellos die Bekämpfung von Betrug im Bereich der Verarbeitung von Stärke zu veresterter Stärke seit 1987 zu den vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit den anwendbaren Verordnungen verfolgten Zielen. Die zweckgerechte Verwendung der Verarbeitungserzeugnisse wurde als Mittel gewählt, um dieses Ziel zu erreichen. Sie entspricht daher der Definition der Hauptpflicht in Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2220/85 als einer Verpflichtung, die für die Ziele der Verordnung, welche sie auferlegt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Zur Nachweisfrist

29 Zu der Frist für die Erbringung des Nachweises der zweckgerechten Verwendung macht die Klägerin geltend, in Artikel 28 der Verordnung Nr. 2220/85 sei keine Sanktion für die Überschreitung der dort geregelten Fristen festgelegt und Artikel 24 sehe nur für den Fall der Nichterfuellung untergeordneter Pflichten Sanktionen vor. Der Nachweis für die Einhaltung dieser Verpflichtung könne daher zu einem späteren Zeitpunkt erbracht werden.

30 Dieses Argument geht fehl, da die streitige Verpflichtung, wie bereits festgestellt wurde, als Hauptpflicht anzusehen ist.

31 Die Kommission führt aus, für die zweckgerechte Verwendung gelte die Frist für die Verarbeitung zu anerkannten Erzeugnissen. Zur Zeit der Leistung der streitigen Sicherheit sei diese Frist in Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2169/86 geregelt gewesen und habe der Gültigkeitsdauer der Erstattungsbescheinigung entsprochen.

32 Dieses Vorbringen beruht auf einer zu engen Auslegung von Artikel 14 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1722/93, aus dem sich eindeutig ergibt, daß Artikel 10 dieser Verordnung im Hinblick auf die Freigabe einer nach Artikel 7 der Verordnung Nr. 2169/86 geleisteten Sicherheit für alle Vorgänge gilt, die - wie der den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildende Vorgang - am 1. Juli 1993 noch nicht abgeschlossen waren.

33 Durch Artikel 10 der Verordnung Nr. 1722/93 sind die bis dahin für den Nachweis und die Überprüfung der Einhaltung der Verpflichtung zu zweckgerechter Verwendung geltenden Bestimmungen geändert worden. Dabei wurde jedoch weder für die Einhaltung dieser Verpflichtung noch für die Erbringung der Nachweise dafür eine spezifische Frist festgelegt. Demnach sind die allgemeinen Vorschriften des Artikels 28 der Verordnung Nr. 2220/85 anzuwenden, die für Fälle gelten, in denen keine Frist für die Erbringung des zur Freigabe der Sicherheit erforderlichen Nachweises festgesetzt ist.

34 Gemäß Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 der Verordnung Nr. 2220/85 ist der Nachweis der zweckgerechten Verwendung daher ausser in Fällen höherer Gewalt binnen zwölf Monaten nach Erfuellung dieser Pflicht und spätestens binnen drei Jahren vom Zeitpunkt der Sicherheitsleistung an zu erbringen. Werden diese Fristen nicht eingehalten, so verfällt gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 2220/85 die Sicherheit in voller Höhe.

35 Die Klägerin macht ferner geltend, die Hersteller von Erzeugnissen des KN-Codes 3505 10 50 würden gegenüber den Herstellern anderer anerkannter Erzeugnisse diskriminiert, wenn die Sicherheit bei Überschreitung der Fristen für die Erbringung des Nachweises der zweckgerechten Verwendung verfiele.

36 Insoweit genügt der Hinweis, daß die unterschiedliche Behandlung der Hersteller von Erzeugnissen des KN-Codes 3505 10 50 und der Hersteller anderer anerkannter Erzeugnisse durch die mit der Tätigkeit der Erstgenannten verbundenen Betrugsgefahren gerechtfertigt wird. Da die Sachverhalte unterschiedlich sind, steht es im Einklang mit dem Diskriminierungsverbot, daß sie nicht gleich behandelt werden.

37 Die Klägerin macht schließlich geltend, es verstosse gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz, wenn die Sicherheit in voller Höhe verfalle, falls der Nachweis der zweckgerechten Verwendung nicht innerhalb einer bestimmten Frist erbracht werde.

38 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Zum einen ist eine solche Sanktion unzweifelhaft geeignet, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Betrugsbekämpfung zu erreichen. Zum anderen ist die Festsetzung einer Frist, nach deren Ablauf die Nichterbringung des erforderlichen Nachweises als Nichterfuellung der Verpflichtung gilt, erforderlich, um die Nachteile abzuwenden, die sich aus einem zeitlich unbegrenzten Fortbestand einer unsicheren Rechtslage hinsichtlich der geleisteten Sicherheit ergeben würden.

39 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1722/93 dahin auszulegen ist, daß es sich bei der durch diese Bestimmung vorgeschriebenen Verwendung eines Erzeugnisses des KN-Codes 3505 10 50 um eine Hauptpflicht im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2220/85 handelt, deren Erfuellung spätestens innerhalb der durch Artikel 28 dieser Verordnung gesetzten Fristen mit der Folge nachzuweisen ist, daß andernfalls die Sicherheit nach Maßgabe des Artikels 22 Absätze 1 und 2 dieser Verordnung in voller Höhe verfällt.

Zur zweiten Frage

40 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Die Auslagen der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 4. Juli 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1722/93 der Kommission vom 30. Juni 1993 mit Durchführungsbestimmungen zu den Verordnungen (EWG) Nr. 1766/92 und (EWG) Nr. 1418/76 des Rates hinsichtlich der Produktionserstattungen für Getreide und Reis ist wie folgt auszulegen:

- Bei der durch diese Bestimmung vorgeschriebenen Verwendung eines Erzeugnisses des KN-Codes 3505 10 50 handelt es sich um eine Hauptpflicht im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse.

- Ihre Erfuellung ist spätestens innerhalb der durch Artikel 28 dieser Verordnung gesetzten Fristen nachzuweisen; andernfalls verfällt die Sicherheit nach Maßgabe des Artikels 22 Absätze 1 und 2 dieser Verordnung in voller Höhe.

Ende der Entscheidung

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