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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.01.1997
Aktenzeichen: C-29/95
Rechtsgebiete: EGV, Verordnung 3820/85/EWG, Verordnung 3821/85/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 6
Verordnung 3820/85/EWG
Verordnung 3821/85/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 6 EG-Vertrag steht einer zur Durchführung der Verordnung Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Strassenverkehr und der Verordnung Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Strassenverkehr erlassenen nationalen Regelung entgegen, nach der nur Gebietsfremde, die sich im Falle einer Zuwiderhandlung nicht für die sofortige Zahlung des als Busse vorgesehenen Geldbetrags, sondern für den Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens gegen sie entscheiden, bei Meidung der Einbehaltung ihres Fahrzeugs je Zuwiderhandlung einen bestimmten Betrag als Sicherheit zu hinterlegen haben, der höher ist als der bei sofortiger Bezahlung vorgesehene Betrag.

Zwar ist nämlich in Ermangelung eines Übereinkommens, das die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet, eine unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Betroffener objektiv gerechtfertigt, da durch die Verpflichtung Gebietsfremder, einen Geldbetrag als Sicherheit zu leisten, verhindert werden kann, daß diese sich einer wirksamen Sanktion entziehen können, jedoch dürfen die von einem Mitgliedstaat für den Fall eines Verstosses gegen eine Gemeinschaftsverordnung gewählten Sanktionen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was hierfür unerläßlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn verschiedene Zuwiderhandlungen gleichzeitig festgestellt und in ein und derselben behördlichen Handlung vermerkt werden und dabei der als Kaution zu bezahlende Betrag für jede einzelne dem gebietsfremden Betroffenen zur Last gelegte Zuwiderhandlung bei Meidung der Einbehaltung seines Fahrzeugs verlangt wird, obwohl alle Zuwiderhandlungen zusammen zu einem einheitlichen Verfahren gegen den Betroffenen führen.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 23. Januar 1997. - Eckehard Pastoors und Trans-Cap GmbH gegen Belgischer Staat. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Rechtbank van eerste aanleg Antwerpen - Belgien. - Straßenverkehr - Verordnungen (EWG) Nrn. 3820/85 und 3821/85 des Rates - Nationale Durchführungsbestimmungen. - Rechtssache C-29/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Rechtbank van eerste aanleg Antwerpen hat mit Urteil vom 31. Januar 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 6 EG-Vertrag und des im Gemeinschaftsrecht verankerten allgemeinen Gleichheitssatzes zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit der Trans-Cap GmbH, eines Strassentransportunternehmens mit Sitz in Deutschland, und des in diesem Staat wohnhaften Herrn Pastoors, eines bei der Trans-Cap GmbH beschäftigten Kraftfahrers, gegen den belgischen Staat über die Rechtmässigkeit der Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags anläßlich der Feststellung bestimmter Zuwiderhandlungen im Strassenverkehr.

3 Um die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit im Strassenverkehr zu fördern und die Bedingungen des Wettbewerbs im Strassenverkehrssektor zu harmonisieren, erließ der Rat am 20. Dezember 1985 die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Strassenverkehr (ABl. L 370, S. 1) und die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 über das Kontrollgerät im Strassenverkehr (ABl. L 370, S. 8).

4 Die Artikel 17 der Verordnung Nr. 3820/85 und 19 der Verordnung Nr. 3821/85 sehen mit gleichem Wortlaut die Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, die zur Durchführung der Verordnungen notwendigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die sich insbesondere auf die Organisation, das Verfahren und die Mittel für die Überwachung sowie auf die Ahndung im Falle von Zuwiderhandlungen erstrecken. Die Mitgliedstaaten müssen im übrigen einander Beistand im Hinblick auf die Anwendung dieser Verordnung und deren Überwachung leisten.

5 Ebenfalls am 20. Dezember 1985 nahmen der Rat und die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten eine Entschließung zur Verbesserung der Anwendung der Sozialverordnungen im Strassenverkehr (ABl. C 348, S. 1; im folgenden: Entschließung), d. h. der Verordnungen Nrn. 3820/85 und 3821/85, an. In der letzten Begründungserwägung dieser Entschließung wird hervorgehoben, daß es "notwendig [ist,] sicherzustellen, daß die Mitgliedstaaten die genannten Verordnungen einheitlich und wirksam anwenden, insbesondere um Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen zwischen Verkehrsunternehmen zu vermeiden". Ferner sieht Nummer 2 Buchstabe b der Entschließung die Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, wirksame Mittel und Wege zur Belangung der nichtansässigen Fahrer zu schaffen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Zuwiderhandlung begangen haben, sowie - im Rahmen des geltenden internationalen oder nationalen Rechts - zur Beitreibung der Geldbussen, die diesen Fahrern auferlegt wurden.

6 Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie 88/599/EWG des Rates vom 23. November 1988 über einheitliche Verfahren zur Anwendung der Verordnung Nr. 3820/85 und der Verordnung Nr. 3821/85 (ABl. L 325, S. 55) sieht ferner vor: "Die Strassenkontrollen sind ohne Diskriminierung nach gebietsansässigen oder gebietsfremden Fahrzeugen und Fahrern durchzuführen."

7 Zur Durchführung der Verpflichtungen aus den genannten Verordnungen fügte das Königreich Belgien mit Gesetz vom 6. Mai 1985 (Belgisch Staatsblad vom 13. August 1985) in das Gesetz vom 1. August 1960 betreffend die entgeltliche Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen einen Artikel 11ter ein. Die Einzelheiten der Durchführung dieser neuen Bestimmung wurden durch die Königliche Verordnung vom 12. Juli 1989 betreffend die Erhebung und die Hinterlegung eines Geldbetrags bei der Feststellung bestimmter Zuwiderhandlungen auf dem Gebiet des Strassenverkehrs (Belgisch Staatsblad vom 20. Juli 1989) geregelt.

8 Nach diesen Bestimmungen hat ein Betroffener, gegen den ein Protokoll aufgenommen wurde, bei der Feststellung von Zuwiderhandlungen gegen die Verordnungen Nrn. 3820/85 und 3821/85, wenn kein Dritter von der Zuwiderhandlung betroffen ist, die Möglichkeit, entweder sofort einen Betrag von 10 000 BFR je Zuwiderhandlung zu entrichten (sofortige Erhebung), wodurch die Strafverfolgung in der Regel erledigt ist, oder andernfalls das gesetzlich vorgesehene Strafverfahren gegen sich betreiben zu lassen. Die letztgenannte Möglichkeit unterliegt jedoch einer zusätzlichen Voraussetzung, wenn der Betroffene keinen Wohnsitz oder festen Aufenthaltsort in Belgien hat: In diesem Fall muß er nämlich einen Betrag von 15 000 BFR je Zuwiderhandlung zur Deckung der etwaigen Geldbusse und der Gerichtskosten hinterlegen; andernfalls wird das Fahrzeug auf seine Kosten und seine Gefahr einbehalten.

9 Am 29. November 1991 kontrollierte die Gendarmeriebrigade des Hafens Antwerpen den von Herrn Pastoors geführten Lastkraftwagen, dessen Eigentümer die Trans-Cap GmbH ist. Bei dieser Kontrolle wurden elf Zuwiderhandlungen gegen die Verordnungen Nrn. 3820/85 und 3821/85 festgestellt. Nachdem sich Herr Pastoors mit seinem Arbeitgeber beraten hatte, wählte er die Regelung der unmittelbaren Zahlung und entrichtete einen Gesamtbetrag von 110 000 BFR für die elf festgestellten Zuwiderhandlungen.

10 Herr Pastoors und die Trans-Cap GmbH erhoben sodann beim vorlegenden Gericht Klage gegen den belgischen Staat auf Erstattung des gezahlten Betrages und Ersatz des ihnen entstandenen immateriellen Schadens. Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend, die durch die belgischen Rechtsvorschriften eingeführte Zwangsregelung verstosse erstens gegen das durch Artikel 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) garantierte Recht auf ihre Anhörung durch ein unabhängiges Gericht und zweitens gegen Artikel 6 des Vertrages.

11 Das angerufene nationale Gericht stellt zunächst fest, daß im vorliegenden Fall kein Verstoß gegen Artikel 6 MRK vorliege. Sodann führt es aus, daß auch gegen Artikel 6 des Vertrages oder den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verstossen worden sei, da die unterschiedliche Behandlung Gebietsfremder objektiv gerechtfertigt werden könne, wenn die Schwierigkeiten berücksichtigt würden, die in Strafverfahren sowohl im Rahmen der Ermittlungen als auch bei der Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen aufträten, wenn die Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie eine Zuwiderhandlung begangen hätten, keinen Wohnsitz hätten.

12 Das vorlegende Gericht hat jedoch "aus Gründen der Rechtssicherheit" das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstösst es gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 6 EG-Vertrag oder den im Gemeinschaftsrecht verankerten allgemeinen Gleichheitssatz, wenn in einer zur Durchführung der Verordnungen Nr. 3820/85 und Nr. 3821/85 des Rates erlassenen nationalen Regelung eines Mitgliedstaats ein Sanktionssystem vorgesehen ist, das natürlichen oder juristischen Personen, gegen die wegen Zuwiderhandlungen gegen diese Regelung ein Protokoll aufgenommen wird, die Wahl lässt zwischen

a) der sofortigen Zahlung eines Betrages, im vorliegenden Fall 10 000 BFR je Zuwiderhandlung, wodurch die Strafverfolgung in der Regel erledigt ist, und

b) dem Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens gegen sie,

jedoch mit der Maßgabe, daß ein Betroffener, der die zweite Lösung wählt und der in Belgien keinen Wohnsitz oder festen Aufenthaltsort hat, auch dann, wenn er Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, bei Meidung der Einbehaltung des vom Zuwiderhandelnden geführten Fahrzeugs einen bestimmten Betrag - im vorliegenden Fall 15 000 BFR - je festgestellte Zuwiderhandlung zur Deckung der etwaigen Geldbussen und Gerichtskosten zu hinterlegen hat?

13 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 6 einer zur Durchführung der Verordnungen Nrn. 3820/85 und 3821/85 ergangenen nationalen Regelung entgegensteht, nach der nur Gebietsfremde, die sich bei einer Zuwiderhandlung nicht für die sofortige Zahlung des als Busse vorgesehenen Geldbetrags, sondern für den Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens gegen sie entscheiden, bei Meidung der Einbehaltung ihres Fahrzeugs je Zuwiderhandlung einen bestimmten Betrag als Sicherheit zu hinterlegen haben, der höher ist als der bei sofortiger Zahlung vorgesehene Betrag.

14 Artikel 6 des Vertrages ist ein spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes des Gemeinschaftsrechts und verbietet jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

15 Im vorliegenden Fall führt die nationale Regelung nicht zu einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, da die Verpflichtung, einen Geldbetrag als Sicherheit zu hinterlegen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit für jeden Betroffenen gilt, der nicht in Belgien wohnt.

16 Nach ständiger Rechtsprechung verbieten jedoch die Vorschriften über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (Urteile vom 29. Oktober 1980 in der Rechtssache 22/80, Boussac Saint-Frères, Slg. 1980, 3427, Randnr. 9, und vom 8. Mai 1990 in der Rechtssache C-175/88, Biehl, Slg. 1990, I-1779, Randnr. 13).

17 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, daß sich eine nationale Regelung, die eine Unterscheidung aufgrund des Kriteriums des Wohnsitzes trifft, indem sie Gebietsfremden eine bestimmte Vergünstigung verweigert, die sie Gebietsansässigen gewährt, hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirkt, da Gebietsfremde meist Ausländer sind, und daß sie somit eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit darstellen kann (vgl. Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93, Slg. 1995, I-225, Randnrn. 28 und 29).

18 Unstreitig betrifft die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nur ganz selten Staatsangehörige des in Rede stehenden Mitgliedstaats, die dort weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, und führt in der Praxis zum gleichen Ergebnis wie eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

19 Diese Feststellung genügt jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht, um daraus auf die Unvereinbarkeit einer solchen Regelung mit Artikel 6 des Vertrages zu schließen. Vielmehr ist dafür weiter erforderlich, daß die fragliche Regelung nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 10. Februar 1994 in der Rechtssache C-398/92, Mund & Fester, Slg. 1994, I-467, Randnrn. 16 und 17).

20 Die belgische Regierung macht hierzu geltend, die unterschiedliche Behandlung von Inländern und Ausländern sei hier objektiv dadurch gerechtfertigt, daß sich die Rechtsstellung der Gebietsfremden unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeiten der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen von der Gebietsansässiger unterscheide und daß ein Strafverfahren gegen Gebietsfremde komplexer sei und höhere Kosten verursache.

21 Die auf Gemeinschaftsebene für die Bereiche des Zivil- und des Handelsrechts durch das Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aus diesen Bereichen eingeführte Harmonisierung und Zusammenarbeit erstrecken sich zwar nicht auf das Strafrecht, und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen ist zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland durch keine vergleichbare Übereinkunft gewährleistet. Somit besteht tatsächlich eine Gefahr, daß ein gegen einen Gebietsfremden ergangenes Urteil nicht oder zumindest nur sehr viel schwerer und unter höheren Kosten vollstreckt werden kann.

22 Dieser Sachverhalt rechtfertigt daher objektiv eine unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Betroffener, da durch die Verpflichtung Gebietsfremder, einen Geldbetrag als Sicherheit zu leisten, verhindert werden kann, daß diese sich einer wirksamen Sanktion einfach durch die Erklärung entziehen, sie beabsichtigten nicht, der sofortigen Erhebung der Geldbusse zuzustimmen, und entschieden sich für den Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens.

23 Diese unterschiedliche Behandlung steht im übrigen mit Nummer 2 Buchstabe b der Entschließung im Einklang.

24 Wenn eine Gemeinschaftsverordnung keine besondere Sanktion für den Fall eines Verstosses gegen die Verordnung vorsieht, sondern insoweit auf die nationalen Vorschriften verweist, verbleibt den Mitgliedstaaten jedoch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Ermessen hinsichtlich der Wahl der Sanktionen, die jedenfalls nicht nur wirksam und abschreckend, sondern auch verhältnismässig sein müssen (vgl. Urteil vom 2. Oktober 1991 in der Rechtssache C-7/90, Vandevenne u. a., Slg. 1991, I-4371, Randnr. 11). Diese Sanktionen müssen daher zur Erreichung des angestrebten Zieles angemessen und erforderlich sein, ohne die Grenzen dessen zu überschreiten, was hierfür unerläßlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 1988 in der Rechtssache 299/86, Drexl, Slg. 1988, I-1213, Randnr. 18).

25 Die im Ausgangsverfahren anwendbare nationale Regelung sieht nur zu Lasten der Gebietsfremden, die sich für den Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens entscheiden, die Hinterlegung eines Betrages von 15 000 BFR als Sicherheit für die Bezahlung der etwaigen Geldbusse und der Gerichtskosten vor. Dieser Betrag, der den bei der Entscheidung für die sofortige Bezahlung zur Erledigung des Strafverfahrens zu zahlenden Betrag um 50 % übersteigt, wird für jede einzelne dem Betroffenen zur Last gelegte Zuwiderhandlung verlangt. In Fällen, in denen verschiedene Zuwiderhandlungen gleichzeitig festgestellt und in ein und derselben behördlichen Handlung vermerkt werden, ist jedoch nicht jede von ihnen Gegenstand eines gesonderten Strafverfahrens, denn sie führen alle zusammen zu einem einheitlichen Verfahren gegen den Betroffenen. Daher erscheint eine nationale Maßnahme wie diejenige, um die es im Ausgangsverfahren geht, die die Zahlung solcher Beträge bei Meidung der Einbehaltung der Fahrzeuge gebietsfremder Betroffener verlangt, als übermässig.

26 Dies gilt um so mehr, als einem gebietsfremden Betroffenen, der den als Sicherheit verlangten Betrag nicht bezahlen kann, durch die sofortige Einbehaltung und Stillegung seines Fahrzeugs ein erheblicher Nachteil entsteht, mit der tatsächlichen Gefahr wirtschaftlicher Verluste und des Verderbs der beförderten Waren.

27 Diese Regelung zwingt nämlich gebietsfremde Betroffene, sich für die sofortige Bezahlung zur Erledigung des Strafverfahrens zu entscheiden, und beschneidet praktisch ihre Möglichkeiten des Zugangs zu gerichtlichem Rechtsschutz erheblich, während Gebietsansässige frei zwischen den beiden Möglichkeiten wählen können, da sie, falls sie dem Strafverfahren gegen sie seinen Lauf lassen wollen, keine Sicherheit hinterlegen müssen, und ihr Fahrzeug weder einbehalten noch stillgelegt wird.

28 Daher ist eine nationale Regelung wie diejenige, um die es im Ausgangsverfahren geht, offensichtlich unverhältnismässig, so daß sie nach Artikel 6 des Vertrages verboten ist.

29 Nach allem braucht nicht geprüft zu werden, ob eine solche nationale Regelung mit einem Artikel 6 MRK entsprechenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist.

30 Somit ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß Artikel 6 des Vertrages einer zur Durchführung der Verordnungen Nrn. 3820/85 und 3821/85 des Rates erlassenen nationalen Regelung entgegensteht, nach der nur Gebietsfremde, die sich im Falle einer Zuwiderhandlung nicht für die sofortige Zahlung des als Busse vorgesehenen Geldbetrags, sondern für den Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens gegen sie entscheiden, bei Meidung der Einbehaltung ihres Fahrzeugs je Zuwiderhandlung einen bestimmten Betrag als Sicherheit zu hinterlegen haben, der höher ist als der bei sofortiger Bezahlung vorgesehene Betrag.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Die Auslagen der belgischen, der französischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Antwerpen mit Urteil vom 31. Januar 1995 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 6 EG-Vertrag steht einer zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Strassenverkehr und der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über das Kontrollgerät im Strassenverkehr erlassenen nationalen Regelung entgegen, nach der nur Gebietsfremde, die sich im Falle einer Zuwiderhandlung nicht für die sofortige Zahlung des als Busse vorgesehenen Geldbetrags, sondern für den Fortgang des gewöhnlichen Strafverfahrens gegen sie entscheiden, bei Meidung der Einbehaltung ihres Fahrzeugs je Zuwiderhandlung einen bestimmten Betrag als Sicherheit zu hinterlegen haben, der höher ist als der bei sofortiger Bezahlung vorgesehene Betrag.

Ende der Entscheidung

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