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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.05.1991
Aktenzeichen: C-291/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Beschluss 83/516/EWG vom 17.10.1983, Verordnung Nr. 2950/83 vom 17.10.1983


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
Beschluss 83/516/EWG vom 17.10.1983 Art. 1 Abs.2 a
Verordnung Nr. 2950/83 vom 17.10.1983 Art. 5 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Im Rahmen des Verfahrens für die Gewährung von Zuschüssen des Europäischen Sozialfonds für in einem Mitgliedstaat durchgeführte Maßnahmen der beruflichen Bildung und Berufsberatung ist der betreffende Mitgliedstaat der einzige Ansprechpartner des Fonds und übernimmt insoweit selbst die Verantwortung, als er die sachliche und rechnerische Richtigkeit der in den Anträgen auf Restzahlung enthaltenen Angaben bestätigt und sogar gehalten sein kann, die ordnungsgemässe Durchführung der Bildungsmaßnahmen zu gewährleisten. Angesichts der zentralen Stellung dieses Mitgliedstaats und der Bedeutung seiner Verantwortung bei der Vorlage und Prüfung der Finanzierung der Bildungsmaßnahmen stellt die ihm durch Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2950/83 eröffnete Möglichkeit, vor Erlaß einer Entscheidung über die Kürzung des ursprünglich gewährten Zuschusses eine Stellungnahme abzugeben, ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Nichtbeachtung zur Nichtigkeit der Kürzungsentscheidung führt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 7. MAI 1991. - INTERHOTEL, SOCIEDADE INTERNACIONAL DE HOTEIS SARL GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - EUROPAEISCHER SOZIALFONDS - NICHTIGKEITSKLAGE GEGEN DIE KUERZUNG EINES URSPRUENGLICH GEWAEHRTEN FINANZIELLEN ZUSCHUSSES. - RECHTSSACHE C-291/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Gesellschaft Interhotel hat mit Klageschrift, die am 21. September 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 19. Juli 1989, mit der Zuschüsse, die der Europäische Sozialfonds (im folgenden: Fonds) zunächst für ein für Rechnung der Klägerin vorgeschlagenes Bildungsvorhaben genehmigt hatte, gekürzt wurden.

2 Gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a des Beschlusses 83/516/EWG des Rates vom 17. Oktober 1983 über die Aufgaben des Europäischen Sozialfonds (ABl. L 289, S. 38) beteiligt sich der Fonds an der Finanzierung von Maßnahmen der beruflichen Bildung und Berufsberatung.

3 Die Genehmigung eines Zuschussantrags hat gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Verordung (EWG) Nr. 2950/83 des Rates vom 17. Oktober 1983 zur Anwendung des Beschlusses 83/516/EWG (ABl. L 289, S. 1; im folgenden: Verordnung) zur Folge, daß ein Vorschuß in Höhe von 50 % des gewährten Zuschusses zu dem Zeitpunkt gezahlt wird, zu dem der Beginn der Maßnahme vorgesehen ist. Gemäß Artikel 5 Absatz 4 enthalten die Anträge auf Restzahlung einen ins einzelne gehenden Bericht über den Inhalt, die Ergebnisse und die finanziellen Einzelheiten der Maßnahme.

4 Wird gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung der Zuschuß des Fonds nicht gemäß den Bedingungen der Entscheidung über die Genehmigung verwandt, so kann die Kommission ihn aussetzen, kürzen oder streichen, nachdem sie dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Artikel 6 Absatz 2 bestimmt, daß ein Betrag, der nicht gemäß den in der Entscheidung über die Genehmigung festgelegten Bedingungen verwendet wurde, zu erstatten ist und der betroffene Mitgliedstaat subsidiär für die ohne Rechtsgrund empfangenen Beträge haftet, die für Maßnahmen gezahlt wurden, für die er die ordnungsgemässe Verwirklichung gemäß Artikel 2 Absatz 2 des Beschlusses 83/516 gewährleistet.

5 Die Abteilung für Angelegenheiten des Europäischen Sozialfonds des portugiesischen Arbeits- und Sozialministeriums (im folgenden: DAFSE) stellte für die Portugiesische Republik und zugunsten der Klägerin einen Antrag auf Zuschuß bei den Dienststellen des Fonds.

6 Die Kommission genehmigte das Bildungsvorhaben, für das der Zuschuß beantragt wurde, durch Entscheidung vorbehaltlich gewisser Änderungen bezueglich des Zuschußbetrags und der Zahl der auszubildenden Personen. Diese Entscheidung wurde der DAFSE übermittelt, die sie ihrerseits der Klägerin mitteilte.

7 Nach Abschluß der Bildungsmaßnahme legte die Klägerin der DAFSE die Unterlagen zum Nachweis der Durchführung der Maßnahme sowie die Anträge auf Restzahlung und den in Artikel 5 Absatz 4 vorgesehenen Bericht über Inhalt, Ergebnisse und finanzielle Einzelheiten der Maßnahme vor.

8 Gemäß dieser Vorschrift bestätigte die Portugiesische Republik die sachliche und rechnerische Richtigkeit der in den Zahlungsanträgen enthaltenen Angaben und übermittelte diese der Kommission.

9 Nach Prüfung des Antrags auf Restzahlung stellte die Kommission einen bestimmten Betrag nicht zuschußfähiger Ausgaben fest. Demgemäß entschied die Kommission in der angefochtenen Entscheidung, die der DAFSE übermittelt und sodann der Klägerin mitgeteilt wurde, daß ein Restguthaben zugunsten der Klägerin nicht bestehe und ein Teil der als Vorschuß gezahlten Zuschüsse zu streichen sei, und verfügte die Rückzahlung eines bestimmten Betrags.

10 Die Klägerin stützt ihre Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung auf zwei Klagegründe, mit denen sie das Fehlen einer ausreichenden Begründung der angefochtenen Entscheidung und die Verletzung der Bestimmungen über den Fonds geltend macht.

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

12 Es ist festzustellen, daß die Kommission die angefochtene Entscheidung den zuständigen portugiesischen Behörden in Form eines mit Gründen versehenen Bescheids übermittelte, der diese davon in Kenntnis setzte, daß gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung der Zuschuß des Fonds auf einen Betrag gekürzt werde, der unter dem ursprünglich genehmigten Betrag liege.

13 Insoweit betrifft die streitige Entscheidung, obwohl sie an die Portugiesische Republik gerichtet ist, die Klägerin unmittelbar und individuell im Sinne des Artikels 173 Absatz 2 EWG-Vertrag, da sie dieser einen Teil der ihr ursprünglich zugestandenen Zuschüsse entzieht, ohne daß der Mitgliedstaat insoweit über ein eigenes Ermessen verfügt.

14 Der Gerichtshof ist nach seiner Rechtsprechung befugt, die Verletzung wesentlicher Formvorschriften von Amts wegen zu prüfen (vgl. die Urteile vom 21. Dezember 1954 in der Rechtssache 1/54, Französische Republik/Hohe Behörde, Slg. 1954, 7, und in der Rechtssache 2/54, Italienische Republik/Hohe Behörde, Slg. 1954, 81, sowie das Urteil vom 20. März 1959 in der Rechtssache 18/57, Nold/Hohe Behörde, Slg. 1959, 91).

15 Es ist unstreitig, daß die Kommission der Portugiesischen Republik vor Erlaß der angefochtenen Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Damit hat sie gegen die Pflicht verstossen, die ihr Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung in eindeutiger Weise auferlegt.

16 Im übrigen steht fest, daß der Mitgliedstaat der einzige Ansprechpartner des Fonds ist (vgl. Urteil vom 15. März 1984 in der Rechtssache 310/81, EISS/Kommission, Slg. 1984, 1341, Randnr. 15) und insoweit selbst die Verantwortung übernimmt, als er die sachliche und rechnerische Richtigkeit der in den Anträgen auf Restzahlung enthaltenen Angaben bestätigt und sogar gehalten sein kann, die ordnungsgemässe Durchführung der Bildungsmaßnahmen zu gewährleisten.

17 Angesichts der zentralen Stellung des Mitgliedstaats und der Bedeutung seiner Verantwortung bei der Vorlage und Prüfung der Finanzierung der Bildungsmaßnahmen stellt die ihm eröffnete Möglichkeit, vor Erlaß einer endgültigen Kürzungsentscheidung eine Stellungnahme abzugeben, ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Nichtbeachtung zur Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung führt.

18 Demgemäß ist die streitige Kürzungsentscheidung für nichtig zu erklären, ohne daß die von der Klägerin vorgebrachten Klagegründe zu prüfen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung vom 19. Juli 1989, mit der Ausgaben in Höhe von 62 479 600 ESC im Rahmen des Zuschussantrags Nr. 870840/P1 an den Europäischen Sozialfonds für nicht zuschußfähig erklärt wurden, wird für nichtig erklärt.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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