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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.02.1993
Aktenzeichen: C-291/91
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1999/85/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 1999/85/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1999/85 über den aktiven Veredelungsverkehr in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 7 der Durchführungsverordnung Nr. 3677/86 ist dahin auszulegen, daß dann, wenn im Rahmen eines Lohnveredelungsvertrags zur Durchführung von Veredelungsvorgängen an Nichtgemeinschaftswaren, der zwischen einem Auftraggeber und einem Veredeler, die in der Gemeinschaft ansässig sind, geschlossen wurde, der Veredeler den Bewilligungsantrag bei den zuständigen Zollbehörden stellt, dieser Antrag im Namen seines Auftraggebers zu stellen ist. Die zuständige Zollbehörde muß vom Auftraggeber die Beweise für die Erfuellung der wirtschaftlichen Voraussetzungen, von der die Erteilung der Bewilligung abhängt, verlangen und prüfen können, ob dieser die von ihr insoweit für nötig gehaltene Gewähr bietet.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 11. FEBRUAR 1993. - TEXTILVEREDLUNGSUNION GMBH & CO KG GEGEN HAUPTZOLLAMT NUERNBERG-FUERTH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: FINANZGERICHT MUENCHEN - DEUTSCHLAND. - ZOLLUNION - AKTIVER VEREDELUNGSVERKEHR. - RECHTSSACHE C-291/91.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht München hat mit Beschluß vom 10. September 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 20. November 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr (ABl. L 188, S. 1; im folgenden: Grundverordnung) und der Artikel 3 Absatz 7 und 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 1999/85 (ABl. L 351, S. 1; im folgenden: Durchführungsverordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Textilveredlungsunion GmbH & Co. KG (im folgenden: Klägerin) und dem Hauptzollamt Nürnberg-Fürth (im folgenden: Beklagter) über die Erstattung von Zoll.

3 Im Januar 1980 bewilligte der Beklagte der Klägerin einen aktiven Veredelungsverkehr für eigene Rechnung ("Eigenveredelungsverkehr"). Aufgrund der seit dem 1. Januar 1987 anwendbaren Grundverordnung wurde diese Bewilligung mit Verfügung vom 17. Dezember 1987 neu gefasst. In ihrer neuen Fassung sah die Bewilligung vor, daß die Veredelung in "Eigenveredelung" durchzuführen sei.

4 Am 23. Juli 1989 verbrachte die Klägerin Garne in ihr Zollager, die ein anderes deutsches Unternehmen, die Gebrüder Schäfer GmbH, in Südkorea gekauft hatte. Im Oktober 1989 erklärte die Klägerin gegenüber den Zollbehörden, daß sie einen Teil der Ware in den zollrechtlich freien Verkehr überführt habe, und entrichtete hierfür Einfuhrzoll. Mit Antrag vom 15. Dezember 1989 verlangte sie jedoch die Erstattung dieses Zolls; sie führte dazu aus, sie habe im Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs einen Teil der Garne der Gebrüder Schäfer GmbH aufgrund eines Lohnauftrags gefärbt, und diese Garne seien sodann nach Bulgarien ausgeliefert worden.

5 Mit Bescheid vom 22. März 1990 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, sie besitze für die fragliche Veredelung keine entsprechende Bewilligung, da der Veredelungsvorgang im Rahmen eines Lohnauftrags und nicht für eigene Rechnung stattgefunden habe.

6 Nach erfolglosem Einspruch gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin vor dem Finanzgericht München eine Klage, die sie auf Artikel 3 Absatz 2 der Grundverordnung stützt, wonach die "Bewilligung... auf Antrag der Person erteilt [wird], die die Veredelungsvorgänge durchführt oder durchführen lässt". Die Klägerin macht dazu geltend, aufgrund der ihr erteilten Bewilligung eines Eigenveredelungsverkehrs habe sie auch Waren veredeln können, die einer anderen im Zollgebiet der Gemeinschaft ansässigen Person gehörten. Der Beklagte beruft sich dagegen auf Artikel 3 Absatz 7 der Durchführungsverordnung, wonach "der Bewilligungsantrag vom Auftraggeber oder in seinem Namen zu stellen" sei, wenn die Veredelungsvorgänge im Rahmen eines Lohnveredelungsvertrags zwischen zwei in der Gemeinschaft ansässigen Personen durchgeführt würden.

7 Das Finanzgericht hat Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der letztgenannten Bestimmung mit Artikel 3 Absatz 2 der Grundverordnung einerseits und Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Durchführungsverordnung andererseits, der "Lohnveredelung" als "Veredelung, die nach den Anweisungen und für Rechnung eines ausserhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft ansässigen Auftraggebers durchgeführt wird", definiere. Demgemäß hat das Finanzgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 7 und Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 dahin auszulegen, daß ein aktiver Veredelungsverkehr, der einer Person, die Nichtgemeinschaftswaren auf eigene Rechnung be- oder verarbeitet, als Eigenveredelung bewilligt worden ist, auch die Be- oder Verarbeitung von Nichtgemeinschaftswaren, die von ihr aufgrund eines Lohnauftrags eines in der Gemeinschaft ansässigen Auftraggebers durchgeführt wird, umfasst?

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Vorab ist festzustellen, daß die Auslegung der der Klägerin 1987 von den deutschen Zollbehörden erteilten Bewilligung in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt. Der Gerichtshof kann lediglich die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen auslegen.

10 Zur Einordnung des Artikels 3 Absatz 7 der Durchführungsverordnung in seinen Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 3 Absatz 2 der Grundverordnung der Bewilligungsantrag von einer der beiden dort genannten Personen, das heisst von demjenigen, der die Veredelungsvorgänge durchführt, oder demjenigen, der sie durchführen lässt, zu stellen ist.

11 Nach Artikel 3 Absatz 1 der Durchführungsverordnung ist unbeschadet bestimmter Ausnahmen "der Bewilligungsantrag schriftlich nach dem Muster in Anhang II zu stellen". In diesem Formblatt sind "Name oder Firma und Anschrift... des Antragstellers" und ° "wenn Antragsteller und Veredeler nicht ein und dieselbe Person sind" ° "des Veredelers" anzugeben. Damit trifft Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung für den Fall der Veredelung für Rechnung eines anderen eine deutliche Unterscheidung zwischen "Antragsteller" und "Veredeler".

12 In diesem Zusammenhang bezieht sich Artikel 3 Absatz 7 der Durchführungsverordnung auf den besonderen Fall, daß zwei in der Gemeinschaft ansässige Personen an in der Gemeinschaft durchzuführenden Veredelungsvorgängen beteiligt sind, nämlich zum einen der Auftraggeber, für dessen Rechnung diese Vorgänge durchgeführt werden, und zum anderen der Veredeler, der sie durchführt.

13 Wie die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, ergibt sich aus Sinn und Zweck und aus dem Wortlaut der beiden fraglichen Verordnungen, daß die zuständige Zollbehörde in einer solchen Situation vom Auftraggeber die Beweise für die Erfuellung der wirtschaftlichen Voraussetzungen, von der die Erteilung der Bewilligung abhängt, verlangen und prüfen können muß, ob dieser die von ihr für nötig gehaltene Gewähr im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b der Grundverordnung bietet. Indem Artikel 3 Absatz 7 vorsieht, daß "der Bewilligungsantrag vom Auftraggeber oder in seinem Namen zu stellen" ist, stellt er in Verbindung mit Absatz 1 dieser Bestimmung und dem Anhang II der Durchführungsverordnung sicher, daß endgültig und amtlich angegeben wird, wer der Auftraggeber ist. Das schließt jedoch nicht aus, daß sich der Veredeler an die Zollbehörden wendet, sofern der Bewilligungsantrag im Namen seines Auftraggebers gestellt wird.

14 Die in Artikel 3 Absätze 1 und 7 der Durchführungsverordnung aufgestellten Erfordernisse ermöglichen somit eine angemessene Überwachung der Veredelungsvorgänge in der Gemeinschaft. Artikel 3 Absatz 7 greift eine der beiden in Artikel 3 Absatz 2 der Grundverordnung vorgesehenen Möglichkeiten auf. Er kann daher nicht als mit den Bestimmungen der Grundverordnung unvereinbar angesehen werden.

15 Die Definition des Ausdrucks "Lohnveredelung" in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Durchführungsverordnung steht in einem anderen Kapitel dieser Verordnung, das die "Allgemeine(n) Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung" und insbesondere die Beweismittel für den Nachweis der Erfuellung der in den Artikeln 5 und 6 der Grundverordnung genannten "wirtschaftlichen Voraussetzungen" betrifft. Dagegen bezieht sich Artikel 3 der Durchführungsverordnung auf die Form des Bewilligungsantrags. Die Definition in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Durchführungsverordnung gilt nach dem Wortlaut von Absatz 1 "für die Erfuellung der wirtschaftlichen Voraussetzungen" und kann daher für die Auslegung des Artikels 3 Absatz 7 der Verordnung nicht herangezogen werden.

16 Daher ist auf die Frage des Finanzgerichts München zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 2 der Grundverordnung in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 7 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, daß dann, wenn im Rahmen eines Lohnveredelungsvertrags zur Durchführung von Veredelungsvorgängen an Nichtgemeinschaftswaren, der zwischen einem Auftraggeber und einem Veredeler, die in der Gemeinschaft ansässig sind, geschlossen wurde, der Veredeler den Bewilligungsantrag bei den zuständigen Zollbehörden stellt, dieser Antrag im Namen seines Auftraggebers zu stellen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Finanzgericht München mit Beschluß vom 10. September 1991 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates vom 16. Juli 1985 über den aktiven Veredelungsverkehr in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 7 der Verordnung (EWG) Nr. 3677/86 des Rates vom 24. November 1986 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 ist dahin auszulegen, daß dann, wenn im Rahmen eines Lohnveredelungsvertrags zur Durchführung von Veredelungsvorgängen an Nichtgemeinschaftswaren, der zwischen einem Auftraggeber und einem Veredeler, die in der Gemeinschaft ansässig sind, geschlossen wurde, der Veredeler den Bewilligungsantrag bei den zuständigen Zollbehörden stellt, dieser Antrag im Namen seines Auftraggebers zu stellen ist.

Ende der Entscheidung

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