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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.05.1994
Aktenzeichen: C-294/92
Rechtsgebiete: Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen


Vorschriften:

Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 16 Nr. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Für die Anwendbarkeit von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen reicht es nicht aus, daß ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache von der Klage berührt wird oder daß die Klage in einem Zusammenhang mit einer unbeweglichen Sache steht, sondern die Klage muß auf ein dingliches Recht und ° unbeschadet der für die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen vorgesehenen Ausnahme ° nicht auf ein persönliches Recht gestützt sein.

Daher ist eine Klage auf Feststellung, daß eine Person eine unbewegliche Sache als "trustee" hält, und auf Verurteilung dieser Person, die Schriftstücke auszustellen, deren es bedarf, damit der Kläger Inhaber der "legal ownership" wird, keine dingliche Klage im Sinne von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 17. MAI 1994. - GEORGE LAWRENCE WEBB GEGEN LAWRENCE DESMOND WEBB. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COURT OF APPEAL (ENGLAND) - VEREINIGTES KOENIGREICH. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - ARTIKEL 16 NR. 1 - KLAGE WEGEN DES VORLIEGENS EINES'TRUST'IN BEZUG AUF EINE UNBEWEGLICHE SACHE. - RECHTSSACHE C-294/92.

Entscheidungsgründe:

1 Der Court of Appeal, London, hat mit Beschluß vom 27. Februar 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 1992, gemäß Artikel 3 des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im folgenden: das Übereinkommen) durch den Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit des George Lawrence Webb (im folgenden: der Kläger) gegen seinen Sohn Lawrence Desmond Webb (im folgenden: der Beklagte) um eine in Frankreich belegene unbewegliche Sache.

3 1971 schloß der Kläger einen Kaufvertrag über eine Wohnung in Antibes. Die erforderlichen Mittel hatte er in England angespart.

4 Die nach den britischen Rechtsvorschriften über die Devisenkontrolle erforderlichen Genehmigungen der Bank of England wurden aufgrund der Angabe erteilt, daß die Sache im Namen des Beklagten gekauft würde. Die erforderlichen Mittel wurden dann vom Bankkonto des Klägers in England auf das Konto überwiesen, das der Beklagte in Antibes eröffnet hatte. Im Oktober 1971 übertrug der Verkäufer das Eigentum an der Wohnung auf den Beklagten.

5 Seither nutzten sowohl der Kläger und seine Ehefrau als auch der Beklagte die Sache als Ferienwohnung, wobei der Kläger im wesentlichen die Unterhaltungskosten trug.

6 Am 26. März 1990 erhob der Kläger beim High Court of Justice Klage gegen den Beklagten. Mit dieser Klage wird in erster Linie beantragt, festzustellen, daß der Beklagte die Sache als "trustee" hält, und den Beklagten zu verurteilen, die Schriftstücke auszustellen, deren es bedarf, um die "legal ownership" in seiner Person zu begründen.

7 Der Beklagte rügte die Unzuständigkeit der englischen Gerichte. Zur Begründung machte er geltend, daß die französischen Gerichte ausschließlich zuständig seien, da die Klage ein dingliches Recht zum Gegenstand habe. In diesem Zusammenhang berief er sich auf Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens, der wie folgt lautet:

"Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:

1. a) für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist;

..."

8 Der High Court führte in seiner Entscheidung vom 23. Mai 1991 aus, daß der Kläger seine Klage mit einem zwischen dem Beklagten und ihm bestehenden "trust" begründet habe und daß er weder die Feststellung seiner Eigentümereigenschaft noch eine Besitzeinweisung, noch die Berichtigung des Grundbuchs, sondern eine Verurteilung seines Sohnes beantragt habe, die erforderlichen Schriftstücke auszustellen, um ihm das Eigentum an der Wohnung zu übertragen. Der High Court schloß daraus, daß die Klage kein dingliches Recht im Sinne von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens zum Gegenstand habe, und wies die Einrede der Unzuständigkeit zurück.

9 Zur Begründetheit vertrat der High Court die Ansicht, daß der Beklagte die Wohnung aufgrund eines "resulting trust" halte. Im englischen Recht wird, wenn eine Person den Kauf einer Sache im Namen einer anderen Person finanziert und nicht eindeutig Schenkungsabsicht gegeben ist, vermutet, daß diese Person den "beneficial interest" [materielle Eigentümerstellung] an der Sache behält, während von deren nominellem Eigentümer vermutet wird, daß er "trustee" ist. Um diese Vermutung zu widerlegen, machte der Beklagte geltend, daß ihm die Wohnung als erbrechtlicher Vorempfang geschenkt worden sei ("presumption of advancement"). Dieses Vorbringen überzeugte den High Court jedoch nicht, sondern er schloß von der Verwendung der Wohnung durch den Kläger auf dessen Absicht, die Sache für sich zu behalten.

10 Der Beklagte legte Rechtsmittel ein und führte als einzigen Rechtsmittelgrund an, daß der High Court zu Unrecht darauf erkannt habe, daß Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens auf den Rechtsstreit nicht anwendbar sei. Mit Beschluß vom 27. Februar 1992 hat der Court of Appeal, London, da er Zweifel in bezug auf die richtige Auslegung dieser Bestimmung hat, dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Artikel 16 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens so auszulegen, daß die bei der Chancery Division des High Court of Justice erhobene Klage mit der Kurzbezeichnung und dem Aktenzeichen Webb/Webb 1990 W. Nr. 2827 keine Klage ist, für die die französischen Gerichte ausschließlich zuständig sind?

11 Mit seiner Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob eine Klage auf Feststellung, daß eine Person eine unbewegliche Sache als "trustee" hält, und auf Verurteilung dieser Person zur Ausstellung der Schriftstücke, deren es bedarf, damit der Kläger Inhaber der "legal ownership" wird, eine dingliche Klage im Sinne von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens ist.

12 Der Beklagte und die Kommission sind der Ansicht, daß das Kriterium für die Anwendung von Artikel 16 Nr. 1 in dem letztlich vom Kläger verfolgten Zweck bestehe und daß der Kläger mit seiner Klage letztlich das Eigentum an der Wohnung anstrebe. Daher falle der Rechtsstreit im Ausgangsverfahren unter Artikel 16 Nr. 1.

13 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

14 Artikel 16 verleiht den Gerichten des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, eine ausschließliche Zuständigkeit für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben. Aus dem Urteil vom 10. Januar 1990 in der Rechtssache C-115/88 (Reichert und Kockler, Slg. 1990, I-27), in dem darüber zu entscheiden war, ob diese ausschließliche Zuständigkeit im Fall einer Klage gegeben ist, mit der ein Gläubiger anstrebt, daß eine Verfügungshandlung über eine unbewegliche Sache, die sein Schuldner nach seinem Vorbringen absichtlich zur Beeinträchtigung seiner Rechte vorgenommen hat, ihm gegenüber für unwirksam erklärt wird, geht hervor, daß es für die Anwendbarkeit von Artikel 16 Nr. 1 nicht ausreicht, daß ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache von der Klage berührt wird oder daß die Klage in einem Zusammenhang mit einer unbeweglichen Sache steht. Die Klage muß auf ein dingliches Recht und - unbeschadet der für die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen vorgesehenen Ausnahme - nicht auf ein persönliches Recht gestützt sein.

15 Mit der Klage, die hier beim vorlegenden Gericht anhängig ist, wird die Feststellung begehrt, daß der Beklagte die Wohnung ausschließlich zugunsten des Klägers hält und daß er aufgrund dessen verpflichtet ist, die Schriftstücke auszustellen, deren es bedarf, um dem Kläger das Eigentum an der Wohnung zu übertragen. Der Kläger macht nicht geltend, daß er bereits Inhaber von Rechten sei, die sich unmittelbar auf die unbewegliche Sache beziehen und gegenüber allen wirken würden, sondern er beruft sich nur auf Rechte gegenüber dem Beklagten. Daher ist seine Klage keine dingliche Klage im Sinne von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens, sondern eine persönliche Klage.

16 Im übrigen finden die Erwägungen eines sachgerechten Rechtsschutzes, die Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens zugrunde liegen, auf den vorliegenden Fall keine Anwendung.

17 Wie der Gerichtshof entschieden hat, rechtfertigt sich die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, daß Streitigkeiten über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen häufig Nachprüfungen, Ermittlungen und die Tätigkeit von Sachverständigen erfordern, die notwendigerweise am Ort erfolgen müssen (Urteil vom 14. Dezember 1977 in der Rechtssache 73/77, Sanders, Slg. 1977, 2383, Randnr. 13).

18 Wie der Kläger und das Vereinigte Königreich zu Recht ausführen, sind die Unbeweglichkeit und die Belegenheit der im Trustverhältnis gehaltenen Sache ohne Einfluß auf die Ausgestaltung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens. Dieser wäre vielmehr in der gleichen Form entstanden, wenn er sich auf eine im Vereinigten Königreich belegene Wohnung oder auf eine Jacht bezogen hätte.

19 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß eine Klage auf Feststellung, daß eine Person eine unbewegliche Sache als "trustee" hält, und auf Verurteilung dieser Person zur Ausstellung der Schriftstücke, deren es bedarf, damit der Kläger Inhaber der "legal ownership" wird, keine dingliche Klage im Sinne von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Court of Appeal, London, mit Beschluß vom 27. Februar 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Eine Klage auf Feststellung, daß eine Person eine unbewegliche Sache als "trustee" hält, und auf Verurteilung dieser Person, die Schriftstücke auszustellen, deren es bedarf, damit der Kläger Inhaber der "legal ownership" wird, ist keine dingliche Klage im Sinne von Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

Ende der Entscheidung

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