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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.10.2007
Aktenzeichen: C-299/05
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 4 Abs. 2a
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 10a
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Anhang IIA
Verordnung (EG) Nr. 647/2005
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

18. Oktober 2007

"Nichtigkeitsklage - Soziale Sicherheit - Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Art. 4 Abs. 2a und Art. 10a - Anhang IIA - Verordnung (EG) Nr. 647/2005 - Beitragsunabhängige Sonderleistungen"

Parteien:

In der Rechtssache C-299/05

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG, eingereicht am 26. Juli 2005,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M.-J. Jonczy, D. Martin und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch G. Ricci und A. Troupiotis als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Veiga, J. Leppo und G. Curmi als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Republik Finnland, vertreten durch T. Pynnä, J. Heliskoski und E. Bygglin als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Königreich Schweden, vertreten durch A. Kruse und R. Sobocki als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch E. O'Neill und C. Vajda als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J. Makarczyk, P. Kuris und J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterin C. Toader,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. April 2007,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Mai 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Nichtigerklärung der Bestimmungen der Nr. 2 des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 117, S. 1), die in den Abschnitten "FINNLAND", Buchst. b, "SCHWEDEN", Buchst. c, und "VEREINIGTES KÖNIGREICH", Buchst. d, e und f, enthalten sind.

Rechtlicher Rahmen

2 Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten sowie anschließend durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung (im Folgenden: geänderte Verordnung Nr. 1408/71) berücksichtigt - den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 647/2005 zufolge - die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung einiger ihrer Bestimmungen, u. a. solcher über beitragsunabhängige Sonderleistungen, um die Anwendung der Richtlinie zu erleichtern. Die Verordnung Nr. 647/2005 wurde auf Vorschlag der Kommission erlassen und hat u. a. die Änderung des Anhangs IIA der Verordnung Nr. 1408/71 zum Gegenstand.

3 Nach Art. 1 Buchst. u Ziff. i der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 bezeichnet der Begriff "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt sind.

4 Gemäß ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchst. h gilt diese Verordnung für Familienleistungen.

5 Art. 4 Abs. 2a dieser Verordnung lautet:

"Dieser Artikel gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.

Der Ausdruck 'besondere beitragsunabhängige Geldleistungen' bezeichnet die Leistungen,

a) die dazu bestimmt sind:

i) einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,

oder

ii) allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,

b) deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen; jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;

und

c) die in Anhang IIA aufgeführt sind."

6 Diese Vorschriften sind an die Stelle folgender Bestimmungen getreten:

"Diese Verordnung gilt auch für beitragsunabhängige Sonderleistungen, die unter andere als die in Absatz 1 erfassten oder die nach Absatz 4 ausgeschlossenen Rechtsvorschriften oder Systeme fallen, sofern sie

a) entweder in Versicherungsfällen, die den in Absatz 1 Buchstaben a) bis h) aufgeführten Zweigen entsprechen, ersatzweise, ergänzend oder zusätzlich gewährt werden

b) oder allein zum besonderen Schutz der Behinderten bestimmt sind."

7 Art. 10a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

"(1) Die Bestimmungen des Artikels 10 und des Titels III gelten nicht für die in Artikel 4 Absatz 2a genannten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen. Die Personen, für die diese Verordnung gilt, erhalten diese Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIA aufgeführt sind. Die Leistungen werden vom Träger des Wohnorts zu seinen Lasten gewährt.

..."

Sachverhalt

8 Anhang IIA der Verordnung Nr. 1408/71 listet die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen auf, die die Personen, für die diese Verordnung gilt, in Anwendung ihres Art. 10a nur im Wohnmitgliedstaat erhalten können.

9 Die Mitgliedstaaten erhoben keine Einwände gegen den Vorschlag der Kommission zur Änderung von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71, mit dem die Definition der besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen entsprechend den vom Gerichtshof in den Urteilen vom 8. März 2001, Jauch (C-2l5/99, Slg. 2001, I-1901), und vom 31. Mai 2001, Leclere und Deaconescu (C-43/99, Slg. 2001, I-4265), herausgearbeiteten Grundsätzen präzisiert werden sollte.

10 Aufgrund dieser Rechtsprechung dürfen nur solche Leistungen in die Liste des Anhangs IIA aufgenommen werden, die das doppelte Merkmal aufweisen, sowohl eine Sonderleistung als auch beitragsunabhängig zu sein.

11 Nachdem die Kommission alle Leistungen, die für eine Einordnung als "beitragsunabhängige Sonderleistungen" in Frage kommen, anhand der Kriterien des Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 und anhand der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung dieser Vorschrift geprüft hatte, erstellte sie einen Vorschlag für eine neue Liste von Leistungen, die für eine Aufnahme in Anhang IIA in Frage kamen.

12 In Anwendung der aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgegangenen Kriterien sah sich die Kommission dazu veranlasst, folgende Leistungen nicht in die neue Liste aufzunehmen:

- unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 fallende Leistungen, also "Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind";

- Leistungen an behinderte Kinder, die hauptsächlich einen Ausgleich für die zusätzlichen Kosten schaffen sollen, die der Familie durch die Betreuung eines behinderten Kindes entstehen;

- Pflegeleistungen, die vom Gerichtshof im Urteil Jauch als Geldleistungen bei Krankheit qualifiziert wurden, da ihr Zweck darin besteht, den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern, selbst wenn diese Leistungen Aspekte aufweisen können, die mit der Krankheit selbst nichts zu tun haben.

13 Auf Antrag der Republik Finnland, des Königreichs Schweden und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland war der Rat der Europäischen Union gleichwohl bereit, in die von der Kommission vorgeschlagene Liste des Anhangs IIA folgende Leistungen (im Folgenden zusammen: streitige Leistungen) wieder aufzunehmen:

- für die Republik Finnland die Kinderbetreuungsbeihilfe;

- für das Königreich Schweden die Behindertenbeihilfe und die Pflegebeihilfe für behinderte Kinder;

- für das Vereinigte Königreich die Unterhaltsbeihilfe für Behinderte (disability living allowance - DLA), die Unterstützungsbeihilfe (attendance allowance - AA) und das Pflegegeld (carer's allowance - CA).

14 Das Europäische Parlament billigte in der zweiten Lesung des Entwurfs der Änderungsverordnung den Standpunkt des Rates und nahm eine Erklärung zur Kenntnis, mit der sich die Kommission vorbehielt, den Gerichtshof anzurufen und erforderlichenfalls auf der Grundlage seines Urteils einen Vorschlag zur Überarbeitung der Liste der Einträge in Anhang IIA vorzulegen.

15 Am 13. April 2005 wurde die Verordnung Nr. 647/2005 unter Berücksichtigung der Anträge der drei in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils genannten Mitgliedstaaten vom Parlament und vom Rat erlassen. Die Kommission beantragt, diese Verordnung insoweit für nichtig zu erklären, als sie die streitigen Leistungen in der Liste des Anhangs IIA der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 (im Folgenden: geänderter Anhang IIA) aufführt.

16 Sie ist der Auffassung, dass diese Leistungen nicht die Bedingungen erfüllten, die es erlaubten, sie nur Personen mit Wohnsitz im jeweiligen Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten zu gewähren.

Zur Klage

Zum Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

17 Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2007 hat das Vereinigte Königreich eine Erklärung zu den Schlussanträgen der Generalanwältin abgegeben. Es ist der Auffassung, dass es sich nicht zu der in deren Schlussanträgen vertretenen These habe äußern können, wonach die Aufnahme der DLA in den geänderten Anhang IIA insgesamt für nichtig zu erklären sei, obwohl unbestritten ist, dass der "Mobilitätsbestandteil" dieser Beihilfe die Bedingungen erfülle, um als Sonderleistung angesehen zu werden.

18 Das Vereinigte Königreich beantragt daher, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, um die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Möglichkeit der teilweisen Nichtigerklärung einer Rechtsvorschrift geltend machen zu können. Es beruft sich insoweit auf die im Urteil vom 24. Mai 2005, Frankreich/Parlament und Rat (C-244/03, Slg. 2005, I-4021, Randnrn. 13 bis 15), wiedergegebenen Grundsätze bezüglich der teilweisen Nichtigerklärung einer Bestimmung eines Rechtsakts.

19 Der Gerichtshof kann von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auf Antrag der Parteien die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. Urteile vom 19. Februar 2002, Wouters u. a., C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Randnr. 42, sowie vom 14. Dezember 2004, Arnold André, C-434/02, Slg. 2004, I-11825, Randnr. 27, und Swedish Match, C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Randnr. 25).

20 Zum einen ist jedoch die Frage der Abtrennbarkeit der DLA in den Schriftsätzen der Kommission angesprochen worden, so dass das Vereinigte Königreich dazu in seinem Streithilfeschriftsatz Stellung nehmen konnte. Zum anderen verfügt der Gerichtshof über alle erforderlichen Angaben, um über die aufgeworfenen Fragen zu entscheiden.

21 Demzufolge besteht kein Anlass, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen.

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

22 Das Parlament ist der Ansicht, dass die in Art. 230 EG vorgesehene Frist bei Klageerhebung bereits abgelaufen gewesen sei. Diese Frist sei ab der Veröffentlichung des Rechtsakts zu berechnen, mit dem die Verordnung Nr. 1408/71 dahin gehend geändert worden sei, dass die streitigen Leistungen erstmals in die Liste des Anhangs IIA aufgenommen worden seien. Die DLA, die AA und die CA stünden seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 136, S. 1) auf dieser Liste; die finnische Beihilfe und die schwedischen Leistungen seien der Liste durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1) hinzugefügt worden.

23 Der Gesetzgeber habe dadurch, dass er bei Erlass der Verordnung Nr. 647/2005 den gesamten Anhang IIA ersetzt habe, anstatt sich darauf zu beschränken, darin die beabsichtigten Änderungen vorzunehmen, nicht ermöglichen wollen, die Aufnahme von Leistungen, die bereits in diesem Anhang gestanden hätten, in Frage zu stellen.

24 Zwar habe der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 1 Nr. 2 der Verordnung Nr. 647/2005 den Wortlaut von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 geändert. Er habe jedoch lediglich die Definition der beitragsunabhängigen Sonderleistungen sprachlich neu gefasst. Der Inhalt der bereits bestehenden Definition hingegen sei nicht verändert worden. Dafür spreche auch, dass der Gerichtshof die Bestimmungen des letztgenannten Artikels in ihrer früheren Fassung geprüft und ausgelegt habe, als er die Urteile Jauch sowie Leclere und Deaconescu erlassen habe.

25 Das Parlament ist daher der Auffassung, dass die verwendeten Kriterien, die mit der Verordnung Nr. 647/2005 neu gefasst worden seien, bereits zu den für diese Leistungen einschlägigen Tatbestandsmerkmalen gehört hätten und dass sich der Gesetzgeber darauf beschränkt habe, diese in den Wortlaut des Art. 4 Abs. 2a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 aufzunehmen.

26 Die Kommission ist der Ansicht, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber, wenn er neue Vorschriften des Sekundärrechts erlassen habe - selbst wenn er den Inhalt eines Anhangs unberührt gelassen habe -, eine neue "Entscheidung" über diesen Anhang getroffen habe. Dies gelte umso mehr, wenn die Kommission den Gesetzgeber darauf aufmerksam gemacht habe, dass der bisherige Anhang in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs teilweise nicht mehr mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.

27 Diese neue Entscheidung müsse daher der Kontrolle durch den Gerichtshof unterworfen werden, ohne dass im Rahmen einer Nichtigkeitsklage vorgebracht werden könne, dass der beanstandete Teil der Regelung unverändert geblieben sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

28 Nach dem letzten Absatz von Art. 230 EG ist eine Nichtigkeitsklage binnen zwei Monaten zu erheben, wobei diese Frist je nach Fall mit der Bekanntgabe oder Mitteilung der angefochtenen Handlung oder in Ermangelung dessen mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt.

29 Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift wie auch aus ihrem Zweck ergibt sich, dass eine nicht fristgerecht angefochtene Handlung bestandskräftig wird. Die Bestandskraft betrifft nicht nur die Handlung selbst, sondern auch jede spätere Handlung mit rein bestätigendem Charakter. Dies ist durch das Erfordernis rechtlicher Stabilität gerechtfertigt und gilt sowohl für Einzelakte als auch für solche mit normativem Charakter, wie eine Verordnung.

30 Wird hingegen eine Bestimmung einer Verordnung geändert, wird die Klagemöglichkeit wieder eröffnet, nicht nur gegen diese Bestimmung allein, sondern gegen alle Bestimmungen, die, auch wenn sie nicht geändert worden sind, mit dieser eine Einheit bilden.

31 In Anwendung dieser Grundsätze ist die Klage der Kommission für zulässig zu erklären.

32 Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 unterscheidet sich nämlich wesentlich vom früheren Wortlaut dieses Artikels und ändert offenkundig dessen Geltungsbereich; der vom Parlament angeführte Umstand, dass der Gerichtshof den früheren Text in einem Sinne ausgelegt habe, der dem neuen Wortlaut entspreche, verleiht dem neuen Wortlaut nicht den Charakter einer Bestätigung des alten Wortlauts. Diese Änderung wurde vielmehr erlassen, um den Inhalt der Liste der nicht exportierbaren Leistungen in Anhang IIA neu festzulegen.

33 Folglich bildet Art. 4 Abs. 2a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 mit der Liste des Anhangs IIA eine Einheit, was sich auch unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 10a dieser Verordnung ergibt, dem zufolge "[d]ie Personen, für die diese Verordnung gilt, [die in Art. 4 Abs. 2a genannten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen] ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften [erhalten], sofern diese Leistungen i[m geänderten] Anhang IIA aufgeführt sind".

34 Die Klage der Kommission ist demzufolge zulässig.

Zur Begründetheit

35 Die Kommission stützt ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund. Ihrer Ansicht nach ist die Verordnung Nr. 647/2005 insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet, als sie den streitigen Leistungen mit ihrer Aufnahme in die Liste des geänderten Anhangs IIA Sonderleistungscharakter zuerkennt.

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

36 In Bezug auf die finnische Kinderbetreuungsbeihilfe räumt die Kommission ein, dass diese Leistung die Integration des behinderten Kindes in sein soziales Umfeld fördern könne, ist aber der Ansicht, dass sie auch zum Ausgleich der Lasten diene, die der Familie des behinderten Kindes durch dessen Behinderung oder Krankheit entstünden. Der Gerichtshof habe jedenfalls entschieden, dass eine Leistung, die die Kosten des Unterhalts von Kindern verringern solle, in die Kategorie der Familienleistungen im Sinne des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 falle und sich auf das in Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung genannte Risiko beziehe (Urteile vom 15. März 2001, Offermanns, C-85/99, Slg. 2001, I-2261, und vom 7. November 2002, Maaheimo, C-333/00, Slg. 2002, I-10087).

37 Die Tatsache, dass die Leistung auf der Grundlage einer einzelfallbezogenen Bewertung der Bedürfnisse des behinderten oder kranken Kindes gewährt werde, sei nicht geeignet, den Charakter dieser Leistung zu verändern.

38 Die Kommission macht hinsichtlich der schwedischen Pflegebeihilfe für behinderte Kinder dieselben Argumente wie hinsichtlich der finnischen Kinderbetreuungsbeihilfe geltend, mit der Erstere zahlreiche Ähnlichkeiten aufweise. Aus denselben Gründen müsse auch die schwedische Leistung als eine "Familienleistung" im Sinne des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden.

39 Die schwedische Behindertenbeihilfe bezweckt nach Ansicht der Kommission im Wesentlichen einen Ausgleich der Zusatzkosten, die einer Person möglicherweise aufgrund ihrer Behinderung entstehen, um ihren Gesundheitszustand und ihre Lebensqualität als pflegebedürftige Person zu verbessern.

40 Sie müsse folglich im Licht des Urteils Jauch als "Leistung bei Krankheit" im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden.

41 Die DLA, die AA und die CA bezwecken nach Auffassung der Kommission im Wesentlichen einen Ausgleich der Zusatzkosten, die einer Person möglicherweise aufgrund ihrer Behinderung entstehen, um ihren Gesundheitszustand und ihre Lebensqualität als pflegebedürftige Person zu verbessern. Sie ergänzten, wie der Gerichtshof im Urteil Jauch festgestellt habe, die Leistungen der Krankenversicherung.

42 Sie seien daher ungeachtet gewisser Besonderheiten "Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71.

43 Der Rat, das Parlament, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich vertreten die Auffassung, dass es sich bei diesen Leistungen angesichts ihres Wesens, ihres Zwecks und der Voraussetzungen für ihre Gewährung vielmehr um "beitragsunabhängige Sonderleistungen" handele, da sie die in Art. 4 Abs. 2a der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 festgelegten Kriterien, wie sie der Gerichtshof ausgelegt habe, erfüllten.

44 Um als "Sonderleistung" eingeordnet werden zu können, müsse eine Leistung ihrem persönlichen Anwendungsbereich, ihren Zielen und den Einzelheiten ihrer Anwendung nach zugleich sowohl in die Kategorie der sozialen Sicherheit als auch in die der Sozialhilfe fallen. Die streitigen Leistungen ähnelten Sozialhilfeleistungen, da der Begriff der Bedürftigkeit ein wesentliches Kriterium darstelle und ihre Gewährung nicht von der Zusammenrechnung von Beschäftigungs- oder Beitragszeiten abhänge, während sie in anderen Merkmalen insofern Leistungen der sozialen Sicherheit nahekämen, als die zuständigen Stellen für ihre Gewährung über keinerlei Ermessen verfügten und ihre Gewährung den Begünstigten eine gesetzlich umschriebene Stellung verschaffe.

45 Die streitigen Leistungen seien daher "gemischte" Leistungen, die - so der Rat - einen engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage der drei betroffenen Mitgliedstaaten aufwiesen.

46 Der Standpunkt, den der Gerichtshof im Urteil vom 5. März 1998, Molenaar (C-160/96, Slg. 1998, I-843), und in den Urteilen Jauch sowie Leclere und Deaconescu eingenommen habe, ändere an dieser Einordnung nichts, da sich die Merkmale und die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen, um die es in diesen Rechtssachen gegangen sei, wesentlich von denen der streitigen Leistungen unterschieden.

47 Das Parlament ist zudem der Ansicht, dass der Umstand, dass die streitigen Leistungen in Anbetracht einiger ihrer Merkmale als Leistungen der sozialen Sicherheit eingeordnet werden könnten, nicht mit ihrem Sonderleistungscharakter unvereinbar sei.

48 Diese Betrachtungsweise werde durch das Urteil vom 29. April 2004, Skalka (C-160/02, Slg. 2004, I-5613, Randnr. 25), gestützt, wonach eine Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung Nr. 1408/71 durch ihren Zweck definiert werde. Sie müsse eine Leistung der sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen, den Charakter einer Sozialhilfeleistung haben, die aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gerechtfertigt sei, und es müsse nach einer Regelung, die objektive Kriterien festlege, über sie entschieden werden.

49 Eine Leistung könne, mit anderen Worten, zugleich unter Abs. 1 und unter Abs. 2a von Art. 4 der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 fallen.

50 Das Vereinigte Königreich erinnert daran, dass der Gerichtshof bereits mit den Urteilen vom 4. November 1997, Snares (C-20/96, Slg. 1997, I-6057), und vom 11. Juni 1998, Partridge (C-297/96, Slg. 1998, I-3467), entschieden habe, dass es sich bei der DLA und der AA um Beihilfen handele, die unter Art. 4 Abs. 2a Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 fielen.

Würdigung durch den Gerichtshof

51 Nach dem Wortlaut und der Systematik von Art. 4 der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 kann eine Leistung nicht zugleich als Familienleistung und als Sonderleistung eingeordnet werden. Denn Familienleistungen werden von Abs. 1 dieses Artikels erfasst, Sonderleistungen hingegen von dessen Abs. 2a, wobei diese Unterscheidung ermöglichen soll, den jeweiligen Regelungsbereich dieser beiden Leistungskategorien festzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2006, Hosse, C-286/03, Slg. 2006, I-1771, Randnrn. 36 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52 Es ist daher zu prüfen, ob die streitigen Leistungen, die auf der Liste des geänderten Anhangs IIA stehen, einen Sonderleistungscharakter haben, da nicht bestritten wird, dass sie beitragsunabhängig sind.

53 Erstens kann eine Leistung nach Art. 4 Abs. 2a Buchst. a Ziff. ii der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 nur als Sonderleistung eingeordnet werden, wenn sie allein dem besonderen Schutz des Behinderten dienen soll, indem sie eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist.

54 Im vorliegenden Fall haben die streitigen Leistungen nicht nur diese Funktion. Denn sie fördern zwar unbestreitbar die Eigenständigkeit der begünstigten Personen und dienen dem Schutz der Behinderten in ihrem nationalen sozialen Umfeld; sie bezwecken aber auch, die erforderliche Pflege und die Betreuung dieser Menschen, sofern sie unerlässlich ist, innerhalb ihrer Familie oder einer spezialisierten Einrichtung sicherzustellen. Sie können daher nicht als Sonderleistungen im Sinne von Art. 4 Abs. 2a Buchst. a Ziff. ii der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 eingeordnet werden.

55 Zweitens wird - außer in dem in den vorstehenden Randnummern angesprochenen Sonderfall - eine Sonderleistung im Sinne von Art. 4 Abs. 2a Buchst. a Ziff. i der geänderten Verordnung Nr. 1408/71 dieser Vorschrift zufolge auch durch ihren Zweck definiert. Sie muss eine Leistung der sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen, sich zugleich aber von dieser unterscheiden, sie muss den Charakter einer Sozialhilfeleistung haben, die aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gerechtfertigt ist, und es muss nach einer Regelung, die objektive Kriterien festlegt, über sie entschieden werden (vgl. Urteil vom 6. Juli 2006, Kersbergen-Lap und Dams-Schipper, C-154/05, Slg. 2006, I-6249, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56 Eine Leistung ist hingegen dann eine Leistung der sozialen Sicherheit, wenn sie den Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt wird, ohne dass im Einzelfall eine in das Ermessen gestellte Prüfung des persönlichen Bedarfs erfolgt, und wenn sie sich auf eines der in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (Urteile vom 27. März 1985, Hoeckx, 249/83, Slg. 1985, 973, Randnrn. 12 bis 14, vom 20. Juni 1991, Newton, C-356/89, Slg. 1991, I-3017, vom 16. Juli 1992, Hughes, C-78/91, Slg. 1992, I-4839, Randnr. 15, Molenaar, Randnr. 20, und Jauch, Randnr. 25). Dieser Rechtsprechung folgend und unter Berücksichtigung der wesentlichen Merkmale der Leistungen der deutschen Pflegeversicherung hat der Gerichtshof im Urteil Molenaar entschieden, dass diese Leistungen als "Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 (Randnr. 25) und als u. a. in Art. 19 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung genannte "Geldleistungen" der Krankenversicherung (Randnr. 36) zu betrachten sind (vgl. auch Urteil Jauch, Randnr. 25).

57 Was erstens die finnische Kinderbetreuungsbeihilfe und die schwedische Pflegebeihilfe für behinderte Kinder betrifft, sollen diese - den betreffenden Regierungen zufolge - den Eltern behinderter Kinder ermöglichen, deren Pflege, Betreuung und gegebenenfalls Rehabilitation sicherzustellen. Sie sind in Finnland im Gesetz über die Kinderbetreuungsbeihilfe (laki lapsen hoitotuesta) und in Schweden im Gesetz über die Sozialversicherung (lag om allmän försäkring) vorgesehen.

58 Der Umstand, dass die Gewährung dieser Beihilfen nicht von der Dauer der Beschäftigung oder Beitragszahlung abhängt, dass sie einzelfallbezogen nach Maßgabe des Bedarfs des Kindes und nach gesetzlich festgelegten Kriterien gewährt wird und dass sie darüber hinaus Teil einer Gesamtheit von Leistungen und Hilfen für behinderte Menschen und demzufolge eng mit dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld der betreffenden Mitgliedstaaten verknüpft ist, ist nicht geeignet, sich auf ihren Hauptzweck auszuwirken, der medizinischer Natur ist.

59 Da diese Beihilfen folglich als "Leistungen bei Krankheit" einzuordnen sind, vertritt die Kommission zu Recht die Auffassung, dass die Verordnung Nr. 647/2005 insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet ist, als diese Beihilfen auf der Liste des geänderten Anhangs IIA stehen, die beitragsunabhängigen Sonderleistungen vorbehalten ist.

60 Was zweitens die schwedische Behindertenbeihilfe betrifft, ergibt sich insbesondere aus den Erklärungen der schwedischen Regierung, dass diese im Gesetz über Behindertenbeihilfe und Pflegegeld (lag om handickappersättning och vårdbigrad) vorgesehene Leistung Behinderten gewährt wird, bei denen die Funktionseinschränkung im Alter zwischen 19 und 65 aufgetreten ist. Sie ist dazu bestimmt, eine Hilfe durch einen Dritten zu finanzieren oder dem behinderten Menschen zu ermöglichen, die durch seine Erkrankung verursachten Kosten zu tragen, und seinen Gesundheitszustand und seine Lebensqualität zu verbessern, soweit er pflegebedürftig ist.

61 Leistungen, die objektiv aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt werden und die darauf abzielen, den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen Pflegebedürftiger zu verbessern, bezwecken im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung und sind damit als "Leistungen bei Krankheit" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten (Urteile Molenaar, Randnrn. 24 und 25, Jauch, Randnr. 28, und Hosse, Randnr. 38).

62 Die schwedische Behindertenbeihilfe, die diese Merkmale und diesen Zweck aufweist, ist folglich als Leistung bei Krankheit einzuordnen, wie der Gerichtshof in den vorerwähnten Urteilen Molenaar, Jauch oder Hosse entschieden hat, auch wenn sich das in dem schwedischen Gesetz vorgesehene System von dem unterscheidet, das für die in diesen Rechtssachen in Rede stehenden Beihilfen galt.

63 Entgegen dem Vorbringen des Königreichs Schweden ist der Umstand, dass die Funktionseinschränkung von erheblicher Dauer und vor Vollendung des 65. Lebensjahre aufgetreten sein muss, nicht geeignet,den Zweck der schwedischen Behindertenbeihilfe zu ändern, der darin besteht, den sich aus der Behinderung ergebenden Bedarf zu befriedigen und das Risiko zu decken, das durch die Krankheit hervorgerufen wird, die die Ursache der Behinderung ist.

64 Demzufolge vertritt die Kommission zu Recht die Auffassung, dass die Verordnung Nr. 647/2005 insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet ist, als diese Beihilfe auf der Liste des geänderten Anhangs IIA steht, die beitragsunabhängigen Sonderleistungen vorbehalten ist.

65 Was drittens die DLA, die AA und die CA betrifft, so haben alle diese Leistungen - die DLA allerdings nur zum Teil - den Charakter von Pflegebeihilfen.

66 Dem Vereinigten Königreich zufolge sind diese Leistungen spezielle Leistungen und bezwecken, einen Beitrag zur Förderung der Eigenständigkeit und sozialen Integration behinderter Menschen zu leisten und diesen auch so weit wie möglich dabei zu helfen, ein dem Leben von Menschen ohne Behinderung vergleichbares Leben zu führen. Die Erforderlichkeit einer Hilfe ist das entscheidende Kriterium für den Anspruch auf diese Leistungen. Der Anspruch auf die DLA oder die AA hängt nicht von der Erwerbsunfähigkeit ab, und die drei fraglichen Leistungen werden unabhängig von der Höhe des Einkommens ihres Empfängers gewährt; lediglich der Leistungssatz ist veränderlich.

67 Entgegen dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs kann lediglich bei der DLA von einer Sozialhilfekomponente ausgegangen werden. Die beiden anderen in Rede stehenden Leistungen haben nur einen Zweck, der dem der schwedischen Behindertenbeihilfe nahekommt, nämlich dem behinderten Menschen so weit wie möglich zu helfen, bei Verrichtungen des täglichen Lebens seine Behinderung zu überwinden.

68 Folglich sind diese drei Beihilfen ebenso wie die zuvor behandelten als Leistungen bei Krankheit anzusehen, auch wenn die DLA noch einen anderen Aspekt umfasst, der die Mobilität betrifft.

69 Die "Mobilitätskomponente" der DLA, die als beitragsunabhängige Sonderleistung angesehen werden könnte, lässt sich nämlich - wie im Übrigen auch die Kommission feststellt - abtrennen, so dass diese Komponente allein für eine Aufnahme in die Liste des geänderten Anhangs IIA in Betracht käme, sofern das Vereinigte Königreich beschließt, eine Beihilfe zu schaffen, die nur diese Komponente betrifft.

70 Die Tatsache, dass die DLA, die AA und die CA - im Gegensatz zu der in den Urteilen Jauch und Hosse in Rede stehenden Leistung - nicht hauptsächlich bezwecken, die Leistungen der Krankenversicherung zu ergänzen, hat keine Auswirkung auf die Einordnung dieser Beihilfen.

71 Auch der Umstand, dass der Gerichtshof in den Urteilen Snares und Partridge festgestellt hat, dass die DLA und die AA im damaligen rechtlichen Kontext Beihilfen waren, die unter Art. 4 Abs. 2a Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 fielen, hat keine Auswirkungen auf die Einordnung dieser Beihilfen durch den Gerichtshof im rechtlichen Kontext nach Erlass des Urteils Jauch.

72 Folglich vertritt die Kommission zu Recht die Auffassung, dass die Verordnung Nr. 647/2005 insoweit mit einem Rechtsfehler behaftet ist, als die DLA, die AA und die CA auf der Liste des geänderten Anhangs IIA stehen, der beitragsunabhängigen Sonderleistungen vorbehalten ist.

73 Nach alledem sind die Bestimmungen der Nr. 2 des Anhangs I der Verordnung Nr. 647/2005, die in den Abschnitten betreffend "Finnland", Buchst. b, "Schweden", Buchst. c, und "Vereinigtes Königreich", Buchst. d, e und f, enthalten sind, mit einem Rechtsfehler behaftet und demzufolge für nichtig zu erklären.

Zeitliche Aufrechterhaltung

74 Der Gerichtshof hat jedoch zu berücksichtigen, dass die schlichte Nichtigerklärung der Aufnahme der DLA in die Liste des geänderten Anhangs IIA zur Folge hätte, dass das Vereinigte Königreich gezwungen wäre, das "Mobilitätselement" dieser Leistung einer unbestimmten Zahl von Begünstigten in der gesamten Europäischen Union zu gewähren, obwohl sich der Sonderleistungscharakter dieses Teils der DLA nicht bestreiten lässt und dieser Teil der Leistung als nicht exportierbare Leistung rechtmäßig in den Anhang IIA der Verordnung aufgenommen werden könnte.

75 Dieser Umstand rechtfertigt es, dass der Gerichtshof von der ihm in Art. 231 Abs. 2 EG für den Fall der Nichtigerklärung einer Verordnung ausdrücklich eingeräumten Befugnis Gebrauch macht und die Wirkungen der Aufnahme der DLA in die Liste des geänderten Anhangs IIA, beschränkt auf den "Mobilitätsteil" der Beihilfe, vorläufig aufrechterhält, damit innerhalb einer angemessenen Frist die geeigneten Maßnahmen für dessen Aufnahme in den genannten Anhang getroffen werden können.

Kostenentscheidung:

Kosten

76 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 69 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt oder wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist. Da der Rat und das Parlament mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, haben sie ihre eigenen Kosten und zu gleichen Teilen die Kosten der Kommission zu tragen. Nach Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bestimmungen der Nr. 2 des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die in den Abschnitten betreffend "Finnland", Buchst. b, "Schweden", Buchst. c, und "Vereinigtes Königreich", Buchst. d, e und f, enthalten sind, werden für nichtig erklärt.

2. Die Wirkungen der Aufnahme der Unterhaltsbeihilfe für Behinderte in den Abschnitt "Vereinigtes Königreich", Buchst. d, des Anhangs IIA der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten sowie anschließend durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung werden, beschränkt auf den "Mobilitätsteil" dieser Beihilfe, vorläufig aufrechterhalten, damit innerhalb einer angemessenen Frist die geeigneten Maßnahmen für dessen Aufnahme in diesen Anhang getroffen werden können.

3. Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union tragen ihre eigenen Kosten und zu gleichen Teilen die Kosten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften.

4. Die Republik Finnland, das Königreich Schweden und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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