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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.02.1992
Aktenzeichen: C-3/90
Rechtsgebiete: EWGVtr, EWGV 1612/68


Vorschriften:

EWGVtr Art. 7 Abs. 1
EWGVtr Art. 48
EWGV 1612/68 Art. 7 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Artikels 48 EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 ist nach Gemeinschaftsrecht zu bestimmen und nicht eng auszulegen. Als Arbeitnehmer ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten ausser Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der Umstand, daß die Produktivität eines Praktikanten schwach ist, daß er nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet und daß er infolgedessen nur eine beschränkte Vergütung erhält, steht der Zuerkennung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der genannten Bestimmungen an den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Rahmen einer Berufsausbildung in einem anderen Mitgliedstaat ein Praktikum ableistet, nicht entgegen, wenn das Praktikum unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit durchgeführt wird.

2. Bei einem Wanderarbeitnehmer, der seine Beschäftigung im Aufnahmeland freiwillig aufgibt, um einige Zeit später in dem Land, dessen Staatsangehöriger er ist, ein Studium auf Vollzeitbasis aufzunehmen, ist davon auszugehen, daß er seine Arbeitnehmereigenschaft behält und sich als solcher auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, sofern zwischen seiner früheren Berufstätigkeit und dem betreffenden Studium ein Zusammenhang besteht.

3. Eine Studienfinanzierung, die ein Mitgliedstaat den Kindern von Arbeitnehmern gewährt, stellt für einen Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dar, wenn der Arbeitnehmer weiter für den Unterhalt des Kindes aufkommt. In einem solchen Fall kann sich das Kind auf diese Bestimmung berufen, um diese Finanzierung zu erhalten, wenn sie nach nationalem Recht unmittelbar dem Studenten gewährt wird. Die Gewährung der Finanzierung muß den gleichen Voraussetzungen unterworfen werden, wie sie für die Kinder inländischer Arbeitnehmer gelten, wobei insbesondere kein Wohnorterfordernis aufgestellt werden darf, das die Inländer nicht zu erfuellen haben.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 26. FEBRUAR 1992. - M. J. E. BERNINI GEGEN MINISTER VAN ONDERWIJS EN WETENSCHAPPEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COLLEGE VAN BEROEP STUDIEFINANCIERING - NIEDERLANDE. - DISKRIMINIERUNGSVERBOT - ZUGANG ZUM UNTERRICHT - STUDIENFINANZIERUNG. - RECHTSSACHE C-3/90.

Entscheidungsgründe:

1 Das College van Beroep Studiefinanciering hat mit Beschluß vom 22. Dezember 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Januar 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Reihe von Fragen nach der Auslegung des Artikels 48 EWG-Vertrag sowie der Artikel 7 Absatz 2 und 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau M. J. E. Bernini, der Klägerin des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Klägerin), und dem niederländischen Minister für Unterricht und Wissenschaften, dem Beklagten des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Beklagter), über einen von der Klägerin gemäß der Wet op de Studiefinanciering (niederländisches Gesetz über die Studienfinanzierung vom 24. April 1986; im folgenden: WSF) gestellten Antrag auf finanzielle Unterstützung.

3 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß die Klägerin, die die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, seit ihrem zweiten Lebensjahr, d. h. seit 1964, in den Niederlanden wohnt. Unstreitig ist ihr Vater, der ebenfalls die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, Wanderarbeitnehmer im Sinne des EWG-Vertrags und der Verordnung Nr. 1612/68. Nach Grundschul- und höherer Schulausbildung in den Niederlanden absolvierte die Klägerin dort eine Berufsausbildung, in deren Rahmen sie zwischen März und Mai 1985 zehn Wochen lang eine entgeltliche Tätigkeit als Praktikantin in der Abteilung "Entwurf und Vorbereitung" einer Möbelfabrik in Haarlem ausübte.

4 Im November 1985 nahm die Klägerin an der Universität Neapel (Italien) das Studium der Architektur auf; im Juli 1986 stellte sie beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Studienfinanzierung nach der WSF.

5 Dieser Antrag wurde abgelehnt. Ein gegen diese ablehnende Entscheidung eingelegter Widerspruch wurde vom Beklagten ebenfalls zurückgewiesen, und zwar insbesondere mit der Begründung, daß die Klägerin hinsichtlich der durch die WSF eingeführten Finanzierungsregelung einem niederländischen Staatsangehörigen nicht gleichgestellt werden könne, weil sie nicht in den Niederlanden, sondern in Italien wohne. Unstreitig hätte ein an derselben Universität wie die Klägerin Architektur studierender niederländischer Staatsangehöriger eine Studienfinanzierung nach diesem Gesetz beanspruchen können.

6 Nach der Zurückweisung ihres Widerspruchs erhob die Klägerin Klage beim College van Beroep Studiefinanciering (letztinstanzliches Gericht in Rechtsstreitigkeiten über die Gewährung von Studienfinanzierungen nach der WSF). Vor diesem Gericht machte sie geltend, sie habe aufgrund ihrer Praktikantenzeit die Eigenschaft eines Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 48 EWG-Vertrag erworben und könne daher eine Studienfinanzierung nach der WSF beanspruchen, die als eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 anzusehen sei.

7 Die Klägerin trug ausserdem vor, Artikel 12 der Verordnung Nr. 1612/68 begründe für sie einen Anspruch auf Studienfinanzierung in ihrer Eigenschaft als Kind eines Wanderarbeitnehmers; im übrigen stelle die Zahlung einer Studienfinanzierung an sie selbst eine soziale Vergünstigung für ihren Vater im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 dieser Verordnung dar.

8 Unter diesen Voraussetzungen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen, bis der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über folgende Fragen entschieden hat:

1) Ist jemand, der wie Frau Bernini in einem Mitgliedstaat (in diesem Fall den Niederlanden) im Rahmen einer Ausbildung eine Praktikantentätigkeit ausgeuebt hat und anschließend in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, ein Studium aufnimmt, als Wanderarbeitnehmer anzusehen, der in den Anwendungsbereich der Artikel 48 und 49 EWG-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 fällt?

2) Ist die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wie sie sich aus den Urteilen vom 21. Juni 1988 in den Rechtssachen 39/86 (Lair) und 197/86 (Brown) ergibt, so zu verstehen, daß ein Wanderarbeitnehmer in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein (gewisser) nachweisbarer inhaltlicher Zusammenhang zwischen der Art der früher ausgeuebten (echten und tatsächlichen) Tätigkeit und dem später vom Arbeitnehmer aufgenommenen Studium als vorhanden anzusehen ist, den Status eines Wanderarbeitnehmers im Sinne der Artikel 48 EWG-Vertrag und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 auch dann behält, wenn er nicht unfreiwillig arbeitslos geworden ist (z. B. wenn der Arbeitnehmer ganz aus eigenem Entschluß die frühere Tätigkeit aufgegeben hat, um ein Studium aufzunehmen) und wenn er nach Beendigung der früher ausgeuebten Tätigkeit nicht gleich anschließend, sondern erst nach geraumer Zeit das Studium aufnimmt?

3) Anhand welcher Kriterien ist zu entscheiden, ob ein Kind eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder war, im Sinne von Artikel 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 in diesem anderen Mitgliedstaat "wohnt"? Kann dabei ein Kind, das sich aufgrund eines Studiums einige Jahre ausserhalb dieses anderen Mitgliedstaats aufhält, doch noch als in diesem anderen Mitgliedstaat wohnend angesehen werden?

4) Muß aufgrund des Gemeinschaftsrechts ein Mitgliedstaat (wie die Niederlande), der den Kindern der inländischen Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen finanziell die Möglichkeit bietet, bestimmte Ausbildungen in einem anderen Mitgliedstaat zu absolvieren, ohne dies vom Erfordernis eines Wohnorts im Herkunftsmitgliedstaat (den Niederlanden) abhängig zu machen, diese Möglichkeit unter denselben Voraussetzungen auch Kindern von Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft, die in diesem Mitgliedstaat beschäftigt sind, einräumen, selbst wenn bei diesen Kindern zwar zunächst, aber nicht mehr nach Studienbeginn davon gesprochen werden kann, daß sie im Sinne von Artikel 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 in diesem Mitgliedstaat "wohnen"? Ist das Erfordernis eines Wohnorts im Aufnahmemitgliedstaat, das für ein Kind eines Arbeitnehmers aus der Gemeinschaft in diesem Zusammenhang gilt, bei der Anwendung dieses Artikels 12 nicht länger aufrechtzuerhalten, weil die Anwendung dieses Artikels anderenfalls gegen Artikel 48 EWG-Vertrag verstieße?

5) Kann die Gewährung einer Studienfinanzierung (wie der Studienfinanzierung nach der niederländischen WSF) für ein Kind eines Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 als eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 dieser Verordnung angesehen werden, wenn der betreffende Arbeitnehmer sonst für die Kosten des Lebensunterhalts und des Studiums dieses Kindes ganz oder teilweise aufkommen müsste und wenn deshalb die Gewährung dem betreffenden Arbeitnehmer nachweislich eine finanzielle Ersparnis bringt?

Wenn diese Frage zu bejahen ist, führt dies dann dazu, daß das Kind dieses Arbeitnehmers einen eigenen Anspruch auf Studienfinanzierung geltend machen kann, wenn die nationale Regelung des Mitgliedstaats (wie die niederländische WSF) diesen Anspruch ausschließlich dem studierenden Kind und nicht dem als Arbeitnehmer beschäftigten Elternteil einräumt? Besteht der Anspruch auf Studienfinanzierung dann uneingeschränkt oder z. B. nur insoweit, als die Gewährung der Studienfinanzierung für das Kind dem betreffenden Arbeitnehmer eine nachweisbare finanzielle Ersparnis bringt? Ist in diesem Zusammenhang noch danach zu unterscheiden, ob das studierende Kind in dem Mitgliedstaat wohnt, in dem der betreffende Elternteil als Arbeitnehmer tätig ist, wenn die innerstaatliche gesetzliche Regelung dieses Mitgliedstaats (wie die niederländische WSF) das Erfordernis eines Wohnorts in diesem Mitgliedstaat für Kinder inländischer Arbeitnehmer nicht aufstellt?

9 Mit Schreiben vom 1. März 1991 hat der amtierende Präsident des College van Beroep Studiefinanciering dem Gerichtshof mitgeteilt, daß der Beklagte nach dem Urteil vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-308/89 (Di Leo, Slg. 1990, I-4185) seine Auffassung geändert habe und davon ausgehe, daß die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Kind eines Wanderarbeitnehmers eine Studienbeihilfe beanspruchen könne. In dem Schreiben wird jedoch angegeben, daß das vorlegende Gericht eine möglichst vollständige Antwort auf die in der vorliegenden Rechtssache gestellten und "noch unbeantwortet gebliebenen" Vorabentscheidungsfragen erhalten möchte. Ausserdem hat der Bevollmächtigte der niederländischen Regierung in der mündlichen Verhandlung versichert, die von der Klägerin beanspruchte Studienfinanzierung sei ihr zuerkannt und ausbezahlt worden.

10 Auch wenn die von der Klägerin beantragte Studienbeihilfe gewährt worden ist, geht weder aus dem genannten Schreiben des vorlegenden Gerichts noch aus den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen hervor, daß die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat. Es ist daher beim vorlegenden Gericht immer noch ein Rechtsstreit anhängig, in dessen Rahmen dieses Gericht eine Entscheidung zu erlassen hat, bei der ein Vorabentscheidungsurteil berücksichtigt werden kann.

11 Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, die Erheblichkeit der in einem Rechtsstreit aufgeworfenen Rechtsfragen und die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß seines Urteils zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 21. April 1988 in der Rechtssache 338/85, Pardini, Slg. 1988, 2041, Randnr. 8). In diesem Zusammenhang geht aus dem genannten Schreiben des vorlegenden Gerichts hervor, daß sich nach dessen Auffassung die Antworten auf die dritte und die vierte Frage aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere aus dem oben genannten Urteil vom 13. November 1990 in der Rechtssache Di Leo, ableiten lassen. Dagegen möchte es eine Antwort auf die anderen von ihm gestellten Fragen erhalten. Somit sind nur die erste, die zweite und die fünfte Frage des vorlegenden Gerichts zu beantworten.

12 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

13 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen einer Berufsausbildung als Praktikant gearbeitet hat, als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 anzusehen ist.

14 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung der Begriff des Arbeitnehmers nach Gemeinschaftsrecht zu bestimmen und nicht eng auszulegen ist. Arbeitnehmer ist nur, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten ausser Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, daß sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, daß jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. insbesondere Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 197/86, Brown, Slg. 1988, 3205, Randnr. 21).

15 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85 (Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 19 bis 21) entschieden hat, ist jemand, der im Rahmen einer Berufsausbildung ein Praktikum ableistet, als Arbeitnehmer anzusehen, wenn das Praktikum unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis durchgeführt wird.

16 Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Produktivität eines Praktikanten schwach ist, daß er nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet und daß er infolgedessen nur eine beschränkte Vergütung erhält (vgl. Urteil vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache Lawrie-Blum, a. a. O., Randnr. 21, und Urteil vom 31. Mai 1989 in der Rechtssache 344/87, Bettray, Slg. 1989, 1621, Randnr. 15). Da ein im Rahmen einer Berufsausbildung durchgeführtes Praktikum vor allem dazu bestimmt ist, berufliche Fähigkeiten zu entwickeln, ist das innerstaatliche Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob es sich jeweils um tatsächliche und echte Leistungen handelt, berechtigt, u. a. auch zu prüfen, ob der Betroffene genügend Stunden geleistet hat, um sich mit der Arbeit vertraut zu machen.

17 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen einer Berufsausbildung gearbeitet hat, als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EWG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 anzusehen ist, wenn er Leistungen erbracht hat, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalten hat, sofern er tatsächliche und echte Tätigkeiten ausgeuebt hat.

Zur zweiten Frage

18 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob ein Wanderarbeitnehmer seine Rechtsstellung als Arbeitnehmer behält und somit die durch Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 gewährleisteten Vergünstigungen beanspruchen kann, wenn er seine Beschäftigung im Aufnahmeland freiwillig aufgibt, um einige Zeit später ein Studium auf Vollzeitbasis aufzunehmen, das in einem gewissen Zusammenhang mit seiner früheren Berufstätigkeit steht.

19 Im Bereich der Hochschulausbildungsförderung hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß die Aufrechterhaltung der Arbeitnehmereigenschaft - ausser im Falle unfreiwilliger Arbeitslosigkeit - von dem Zusammenhang zwischen der früheren Berufstätigkeit und dem durchgeführten Studium abhängt (Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnr. 37). Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, zu beurteilen, ob die gesamte frühere Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat, unabhängig davon, ob sie durch Zeiten der Ausbildung, der Umschulung oder der Fortbildung unterbrochen war, einen Zusammenhang mit dem Gegenstand des betreffenden Studiums erkennen lässt. Insoweit hat das Gericht die verschiedenen für diese Beurteilung sachdienlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wie z. B. die Art und die Verschiedenartigkeit der ausgeuebten Tätigkeiten sowie die Dauer der Zeitspanne, die zwischen dem Ende dieser Tätigkeiten und dem Beginn des Studiums liegt.

20 Was das Argument der dänischen Regierung angeht, ein Arbeitnehmer, der den Aufnahmemitgliedstaat verlasse, um in dem Mitgliedstaat zu studieren, dessen Staatsangehöriger er sei, könne sich nicht auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen, so ist darauf hinzuweisen, daß, wenn ein Mitgliedstaat den inländischen Arbeitnehmern eine Studienbeihilfe für ein Studium in einem anderen Mitgliedstaat bietet, diese Möglichkeit auf die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Arbeitnehmer aus der Gemeinschaft erstreckt werden muß (vgl. Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 235/87, Matteucci, Slg. 1988, 5589, Randnr. 16). Wie sich aus dem erwähnten Urteil vom 13. November 1990 in der Rechtssache Di Leo ergibt, ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, daß das Studium in dem Staat stattfindet, dem der Betroffene angehört.

21 Auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß ein Wanderarbeitnehmer, der seine Beschäftigung freiwillig aufgibt, um einige Zeit später in dem Land, dessen Staatsangehöriger er ist, ein Studium auf Vollzeitbasis aufzunehmen, seine Rechtsstellung als Arbeitnehmer behält, sofern zwischen seiner früheren Berufstätigkeit und dem betreffenden Studium ein Zusammenhang besteht.

Zur fünften Frage

22 Die fünfte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Gewährung einer Studienfinanzierung an das Kind eines Wanderarbeitnehmers für den Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt, wenn der Arbeitnehmer weiter für den Unterhalt dieses Kindes aufkommt. Wenn ja, möchte das Gericht wissen, ob sich das Kind auf diese Bestimmung berufen kann, um einen eigenen Anspruch auf eine solche Finanzierung geltend zu machen, wenn die Finanzierung nach nationalem Recht unmittelbar dem Studenten gewährt wird, und ob der Wohnort des Kindes in diesem Zusammenhang erheblich ist, wenn für die Kinder inländischer Arbeitnehmer kein Wohnorterfordernis gilt.

23 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß eine Förderung, die für den Lebensunterhalt und für die Ausbildung zur Durchführung eines mit einer beruflichen Qualifikation abgeschlossenen Hochschulstudiums gewährt wird, für den Studenten, der sie erhält, eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt (vgl. insbesondere Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache Lair, a. a. O. Randnr. 23).

24 Es ist daher zu prüfen, ob die Gewährung einer solchen Förderung an ein Kind eines Arbeitnehmers für diesen Arbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt, wenn der betreffende Arbeitnehmer weiter für den Unterhalt seines Kindes aufkommt.

25 Aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache 94/84 (Deak, Slg. 1985, 1873) geht hervor, daß sich ein Wanderarbeitnehmer auf Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 berufen kann, um Sozialleistungen zu erlangen, die nach dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats zugunsten der Kinder inländischer Arbeitnehmer vorgesehen sind (vgl. Randnr. 24 des Urteils). Dies stellt jedoch für den Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne dieser Bestimmung nur insoweit dar, als er seinen Abkömmling weiter unterstützt (vgl. Urteil vom 8. Juni 1987 in der Rechtssache 316/85, Lebon, Slg. 1987, 2811, Randnr. 13).

26 Das vorlegende Gericht möchte sodann wissen, ob das Kind des Arbeitnehmers aufgrund von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 einen eigenen Anspruch auf Studienfinanzierung geltend machen kann. In diesem Zusammenhang geht aus dem erwähnten Urteil vom 8. Juni 1987 in der Rechtssache Lebon hervor, daß die unterhaltsberechtigten Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers mittelbare Nutznießer der diesem zuerkannten Gleichbehandlung sind. Da die Gewährung der Finanzierung an ein Kind eines Wanderarbeitnehmers für diesen eine soziale Vergünstigung darstellt, kann sich das Kind folglich selbst auf Artikel 7 Absatz 2 berufen, um diese Finanzierung zu erhalten, wenn sie nach nationalem Recht unmittelbar dem Studenten gewährt wird.

27 Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Gewährung einer Studienfinanzierung als soziale Vergünstigung davon abhängig gemacht werden kann, daß das Kind eines Arbeitnehmers aus der Gemeinschaft im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats wohnt, wenn dieses Erfordernis für Kinder inländischer Arbeitnehmer nicht gilt.

28 In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis darauf, daß der in Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung auch bezweckt, die Diskriminierung der Verwandten absteigender Linie, denen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt, zu verhindern (vgl. Urteil vom 20. Juni 1985 in der Rechtssache Deak, a. a. O., Randnr. 22). Wenn die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften für Kinder inländischer Arbeitnehmer kein Wohnorterfordernis aufstellen, darf ein solches Erfordernis daher auch nicht für Kinder von Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft gelten.

29 Auf die fünfte Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß eine Studienfinanzierung, die ein Mitgliedstaat den Kindern von Arbeitnehmern gewährt, für einen Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 darstellt, wenn der Arbeitnehmer weiter für den Unterhalt des Kindes aufkommt. In einem solchen Fall kann sich das Kind auf Artikel 7 Absatz 2 berufen, um eine Studienfinanzierung unter den gleichen Voraussetzungen zu erhalten, wie sie für die Kinder inländischer Arbeitnehmer gelten, wobei für dieses Kind kein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden darf.

Kostenentscheidung:

Kosten

30 Die Auslagen der niederländischen, der französischen, der italienischen, der dänischen und der belgischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom College van Beroep Studiefinanciering mit Beschluß vom 22. Dezember 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen einer Berufsausbildung gearbeitet hat, ist als Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 EWG-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft anzusehen, wenn er Leistungen erbracht hat, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalten hat, sofern er tatsächliche und echte Tätigkeiten ausgeuebt hat.

2) Ein Wanderarbeitnehmer, der seine Beschäftigung freiwillig aufgibt, um einige Zeit später in dem Land, dessen Staatsangehöriger er ist, ein Studium auf Vollzeitbasis aufzunehmen, behält seine Rechtsstellung als Arbeitnehmer, sofern zwischen seiner früheren Berufstätigkeit und dem betreffenden Studium ein Zusammenhang besteht.

3) Eine Studienfinanzierung, die ein Mitgliedstaat den Kindern von Arbeitnehmern gewährt, stellt für einen Wanderarbeitnehmer eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dar, wenn der Arbeitnehmer weiter für den Unterhalt des Kindes aufkommt. In einem solchen Fall kann sich das Kind auf Artikel 7 Absatz 2 berufen, um eine Studienfinanzierung unter den gleichen Voraussetzungen zu erhalten, wie sie für die Kinder inländischer Arbeitnehmer gelten, wobei für dieses Kind kein zusätzliches Erfordernis in bezug auf seinen Wohnort aufgestellt werden darf.

Ende der Entscheidung

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