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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.05.1998
Aktenzeichen: C-3/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Richtlinie 79/409/EWG


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 169
Richtlinie 79/409/EWG Art. 2
Richtlinie 79/409/EWG Art. 4 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Ziel des vorprozessualen Verfahrens gemäß Artikel 169 des Vertrages ist es, dem Mitgliedstaat Gelegenheit zu geben, seinen Standpunkt zu rechtfertigen, oder ihm gegebenenfalls zu ermöglichen, freiwillig den Anforderungen des Vertrages nachzukommen. Bleibt dieses Schlichtungsbemühen erfolglos, so wird der Mitgliedstaat aufgefordert, seinen Verpflichtungen, die in der mit Gründen versehenen und das vorprozessuale Verfahren abschließenden Stellungnahme genau angegeben sind, innerhalb der in dieser Stellungnahme festgesetzten Frist nachzukommen. Der ordnungsgemässe Ablauf dieses Verfahrens stellt eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür dar, daß das eventuelle gerichtliche Verfahren einen klar definierten Rechtsstreit betrifft, dessen Gegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt wird.

Soweit die Ordnungsmässigkeit dieser Stellungnahme und des ihr vorausgegangenen Verfahrens nicht bestritten wird, werden die Verteidigungsrechte eines Mitgliedstaats nicht dadurch verletzt, daß das gerichtliche Verfahren durch eine Klage eingeleitet wird, in der mögliche neue Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der betroffene Staat in seiner Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vorgebracht hat, nicht berücksichtigt werden. Der Mitgliedstaat kann nämlich im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die betreffenden Gesichtspunkte bereits in seinem ersten Verteidigungsschriftsatz uneingeschränkt geltend machen.

4 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/409 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verpflichtet die Mitgliedstaaten, wenn in ihrem Gebiet in Anhang I genannte Arten vorkommen, diejenigen Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmässig am geeignetsten sind, und diese Verpflichtung kann nicht durch den Erlaß anderer besonderer Schutzmaßnahmen umgangen werden. Auch die in Artikel 2 der Richtlinie genannten wirtschaftlichen Erfordernisse dürfen in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden.

Der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der geeignetsten Gebiete bezieht sich nicht darauf, diejenigen Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten erscheinen, sondern nur auf die Anwendung dieser Kriterien für die Bestimmung der Gebiete, die für die Erhaltung der betreffenden Arten am geeignetsten sind.

Hat somit ein Mitgliedstaat Gegenden zu besonderen Schutzgebieten erklärt, deren Zahl und Gesamtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gegenden liegen, die als am geeignetsten angesehen werden, so kann festgestellt werden, daß dieser Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verstossen hat; dabei kann der Gerichtshof veranlasst sein, das "Inventory of Important Bird Areas in the European Community" von 1989, das ein Verzeichnis der Gebiete enthält, die für die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten in der Gemeinschaft von grosser Bedeutung sind, als Bezugsgrundlage zu verwenden, um zu beurteilen, inwieweit der Mitgliedstaat die besagte Verpflichtung beachtet hat.


Urteil des Gerichtshofes vom 19. Mai 1998. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande. - Erhaltung der wildlebenden Vogelarten - Besondere Schutzgebiete. - Rechtssache C-3/96.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 5. Januar 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 103, S. 1; im folgenden: Richtlinie) und aus den Artikeln 5 und 189 EG-Vertrag verstossen hat, daß es nicht in ausreichendem Maß besondere Schutzgebiete im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie ausgewiesen hat.

2 Mit Beschluß des Präsidenten vom 15. Juli 1996 ist die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Beklagten zugelassen worden.

3 Artikel 2 der Richtlinie sieht folgendes vor: "Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Bestände aller unter Artikel 1 fallenden [wildlebenden] Vogelarten [, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf das der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind,] auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird."

4 Artikel 3 der Richtlinie bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der in Artikel 2 genannten Erfordernisse die erforderlichen Maßnahmen, um für alle unter Artikel 1 fallenden Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengrösse der Lebensräume zu erhalten oder wieder herzustellen.

(2) Zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensstätten und Lebensräume gehören insbesondere folgende Maßnahmen:

a) Einrichtung von Schutzgebieten,

b) Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in und ausserhalb von Schutzgebieten,

c) Wiederherstellung zerstörter Lebensstätten,

d) Neuschaffung von Lebensstätten."

5 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie lautet wie folgt:

"(1) Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.

In diesem Zusammenhang ist folgendes zu berücksichtigen:

a) vom Aussterben bedrohte Arten,

b) gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindliche Arten,

c) Arten, die wegen ihres geringen Bestands oder ihrer beschränkten örtlichen Verbreitung als selten gelten,

d) andere Arten, die aufgrund des spezifischen Charakters ihres Lebensraums einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen.

Bei den Bewertungen werden Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten berücksichtigt.

Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmässig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind."

6 Anhang I der Richtlinie wurde durch den Anhang der Richtlinie 85/411/EWG der Kommission vom 25. Juli 1985 zur Änderung von Anhang I der Richtlinie 79/409 (ABl. L 233, S. 33) ersetzt.

7 Da die Kommission der Auffassung war, daß das Königreich der Niederlande nicht in ausreichendem Maß besondere Schutzgebiete für die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten ausgewiesen habe, forderte sie die niederländische Regierung am 25. September 1989 auf, sich innerhalb von zwei Monaten zu äussern.

8 Die niederländische Regierung leugnete den behaupteten Verstoß mit Schreiben vom 29. Dezember 1989. Sie machte im wesentlichen geltend, daß sie ihren Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie nachgekommen sei, da sie unter Abwägung zwischen dem Interesse an der Erhaltung der geschützten Arten und den wirtschaftlichen und Freizeitinteressen genug Gebiete, die für die Erhaltung der in Anhang I genannten Arten geeignet seien, zu besonderen Schutzgebieten erklärt und auch andere für den Schutz der Vögel geeignete Maßnahmen eingeführt habe.

9 Da die Kommission der Ansicht war, daß diese Erklärungen ihren Standpunkt hinsichtlich der behaupteten Vertragsverletzung nicht ändern konnten, richtete sie am 14. Juni 1993 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die niederländische Regierung, in der sie das Königreich der Niederlande aufforderte, innerhalb von zwei Monaten nach deren Bekanntgabe der Rüge Rechnung zu tragen, es habe nicht in ausreichendem Maß Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt, um einen wirksamen Schutz der in Anhang I der Richtlinie genannten Arten zu gewährleisten.

10 Die niederländische Regierung behauptet, sie habe auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 1. Dezember 1993 geantwortet. Die Kommission dagegen erklärt, sie habe diese Antwort nie erhalten.

Zur Zulässigkeit

11 Das Königreich der Niederlande bestreitet aus mehreren Gründen die Zulässigkeit der Klage.

Zur fehlenden Berücksichtigung der Antwort des Königreichs der Niederlande auf die mit Gründen versehene Stellungnahme

12 Die niederländische Regierung macht geltend, die Kommission habe, da sie ihre Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht berücksichtigt habe, die Verteidigungsrechte nicht beachtet, so daß die Klage unzulässig sei.

13 Die Kommission entgegnet, daß - selbst wenn sie dieses Schreiben erhalten hätte - die Nichtberücksichtigung der Antwort der niederländischen Regierung auf die mit Gründen versehene Stellungnahme in ihrer Klageschrift kein Unzulässigkeitsgrund sein könne. Die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzte Frist solle nur dem Mitgliedstaat, an den die Stellungnahme gerichtet sei, eine letzte Möglichkeit geben, sich nach dem Standpunkt der Kommission zu richten. Im übrigen enthalte dieses Schreiben, von dem sie im vorliegenden Verfahren erfahren habe, als einzigen neuen Gesichtspunkt die Angabe, daß in der Zwischenzeit drei zusätzliche Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt worden seien. Dies habe sie in ihrer Klageschrift jedoch berücksichtigt.

14 Das in Artikel 169 des Vertrages geregelte Verfahren besteht aus zwei aufeinanderfolgenden Stadien, nämlich einem vorprozessualen oder Verwaltungsstadium und einem prozessualen Stadium vor dem Gerichtshof (vgl. Beschluß vom 11. Juli 1995 in der Rechtssache C-266/94, Kommission/Spanien, Slg. 1995, I-1975, Randnr. 15).

15 In Artikel 169 Absatz 1 heisst es: "Hat nach Auffassung der Kommission ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus diesem Vertrag verstossen, so gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme hierzu ab; sie hat dem Staat zuvor Gelegenheit zur Äusserung zu geben."

16 Ziel des vorprozessualen Verfahrens ist es also, dem Mitgliedstaat Gelegenheit zu geben, seinen Standpunkt zu rechtfertigen, oder ihm gegebenenfalls zu ermöglichen, freiwillig den Anforderungen des Vertrages nachzukommen. Bleibt dieses Schlichtungsbemühen erfolglos, so wird der Mitgliedstaat aufgefordert, seinen Verpflichtungen, die in der mit Gründen versehenen und das vorprozessuale Verfahren des Artikels 169 abschließenden Stellungnahme genau angegeben sind, innerhalb der in dieser Stellungnahme festgesetzten Frist nachzukommen (vgl. u. a. Urteile vom 31. Januar 1984 in der Rechtssache 74/82, Kommission/Irland, Slg. 1984, 317, Randnr. 13, und vom 18. März 1986 in der Rechtssache 85/85, Kommission/Belgien, Slg. 1986, 1149, Randnr. 11).

17 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, stellt der ordnungsgemässe Ablauf des vorprozessualen Verfahrens eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie nicht nur für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür dar, daß das eventuelle gerichtliche Verfahren einen klar definierten Rechtsstreit zum Gegenstand hat (vgl. Beschluß Kommission/Spanien, a. a. O., Randnr. 17, und Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 15).

18 Der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage wird durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt (vgl. Urteil vom 17. Juni 1987 in der Rechtssache 154/85, Kommission/Italien, Slg. 1987, 2717, Randnr. 6).

19 Die Ordnungsmässigkeit der mit Gründen versehenen Stellungnahme und des ihr vorausgegangenen Verfahrens wird im vorliegenden Fall nicht bestritten.

20 Daher sind die Verteidigungsrechte des betroffenen Mitgliedstaats selbst dann nicht verletzt, wenn das gerichtliche Verfahren durch eine Klage der Kommission eingeleitet worden ist, in der mögliche neue Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der Staat in seiner Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vorgebracht hat, nicht berücksichtigt werden. Der Staat kann nämlich im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die betreffenden Gesichtspunkte bereits in seinem ersten Verteidigungsschriftsatz uneingeschränkt geltend machen. Es ist dann Aufgabe des Gerichtshofes, ihre Erheblichkeit für die Entscheidung über die Vertragverletzungsklage zu prüfen.

21 Dieser erste Unzulässigkeitsgrund ist daher zurückzuweisen.

Zur Art der Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie

22 Die niederländische Regierung macht zweitens geltend, daß der angebliche Verstoß nicht aus einer einzigen Handlung oder Unterlassung bestehe, sondern aus einer Reihe von Verstössen gegen die Verpflichtung, einzelne Entscheidungen über die Ausweisung von besonderen Schutzgebieten zu treffen. Um die Verteidigungsrechte zu gewährleisten, sei es rechtlich unerläßlich, Verstösse gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie für das jeweilige Gebiet festzustellen. Die niederländische Regierung macht im wesentlichen geltend, daß die Kommission ihr vorwerfe, allgemein gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verstossen zu haben, ohne daß sie zuvor eine kontradiktorische Verhandlung über die der Klage zugrunde liegenden speziellen Rügen eingeleitet habe.

23 Nach Ansicht der Kommission kann nicht behauptet werden, daß die Verstösse gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie nur für das jeweilige Gebiet festgestellt werden könnten. Ein Verstoß könne ebenso gut festgestellt werden, wenn sich zeige, daß ein Mitgliedstaat offensichtlich weit weniger Lebensräume zu besonderen Schutzgebieten erklärt habe, als nach ornithologischen Kriterien erforderlich sei.

24 Wie der Generalanwalt in Nummer 14 seiner Schlussanträge bemerkt hat, ist dieser Unzulässigkeitsgrund, da er mit der richtigen Auslegung von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie zusammenhängt und das Wesen der Rügen der Kommission betrifft, im Rahmen der Begründetheit zu prüfen.

Zu den neuen Gesichtspunkten

25 Die niederländische Regierung macht drittens geltend, die Kommission habe die Rüge, daß die Gesamtfläche und die Qualität der zu besonderen Schutzgebieten erklärten Gebiete unzureichend seien, sowie die speziellen Rügen, daß die friesische Ijsselmeerküste und die Hooge Platen an der Westerschelde nicht ausgewiesen worden seien, erstmals im Stadium der Klageschrift erhoben und den beklagten Staat so daran gehindert, im vorprozessualen Stadium zu reagieren. Das gleiche gelte für die Rüge, daß die Süßwasserseen und -sumpfgebiete sowie die Heidegebiete nur in sehr begrenztem Ausmaß zu besonderen Schutzgebieten erklärt worden seien. Diese Rügen seien daher unzulässig.

26 Ferner dürfe die Studie über die ornithologisch wichtigen Gebiete in den Niederlanden (Review of Areas Important for Birds in the Netherlands vom Dezember 1994; im folgenden: IBA 94), die veröffentlicht worden sei, nachdem die mit Gründen versehene Stellungnahme an die niederländische Regierung abgesandt worden sei, im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden, da sie sich zu ihr im vorprozessualen Verfahren nicht habe äussern können.

27 Die Kommission entgegnet, daß die angeblich neuen Klagegründe in Wirklichkeit nur Beispiele oder Weiterentwicklungen ein und desselben, seit Beginn des Verfahrens ständig geltend gemachten Klagegrundes seien, wonach das Königreich der Niederlande nicht in ausreichendem Maß besondere Schutzgebiete gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie ausgewiesen habe. Diese Bestimmung enthalte, soweit danach die Mitgliedstaaten die Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklären müssten, die zahlen- und flächenmässig für die Erhaltung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Arten am geeignetsten seien, eine nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Verpflichtung in dem Sinne, daß jeder Mitgliedstaat aufgrund der in dieser Bestimmung normierten Erfolgspflicht an Zahl, Fläche und Vielfalt in ausreichendem Maß besondere Schutzgebiete ausweisen müsse, um das Überleben und die Vermehrung aller in Anhang I genannten Vogelarten, die in seinem Gebiet vorkämen, sicherzustellen.

28 Die Kommission macht ferner geltend, sie habe ihre Behauptungen unter Heranziehung der 1989 veröffentlichten ornithologischen Studie (Inventory of Important Bird Areas in the European Community vom Juli 1989; im folgenden: IBA 89) und, rein ergänzend, des IBA 94 belegt.

29 Soweit die Klage Rügen betrifft, die nicht Gegenstand des vorprozessualen Verfahrens waren, ist sie unzulässig (in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 298/86, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 4343, Randnr. 10, und vom 25. April 1996 in der Rechtssache C-274/93, Kommission/Luxemburg, Slg. 1996, I-2019, Randnr. 11).

30 Im vorliegenden Fall hat die Kommission sowohl im Mahnschreiben als auch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme ausdrücklich auf die Pflicht des Königreichs der Niederlande Bezug genommen, sicherzustellen, daß die Zahl und die Grösse der in den Mitgliedstaaten ausgewiesenen Gebiete Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie entsprechen. Daher ist der Unzulässigkeitsgrund zurückzuweisen, soweit er die Rüge betrifft, daß das Königreich der Niederlande keine ausreichende Gesamtfläche von besonderen Schutzgebieten ausgewiesen habe.

31 Zur Rüge der qualitativen Unzulänglichkeit der im Königreich der Niederlande ausgewiesenenen besonderen Schutzgebiete, die die Kommission mit der Behauptung präzisiert hat, daß die Süßwasserseen und -sumpfgebiete sowie die Heidegebiete nur in begrenztem Ausmaß zu besonderen Schutzgebieten erklärt worden seien, ist festzustellen, daß die Mitgliedstaaten zwar, um Artikel 4 Absatz 1 nachzukommen, quantitativ und qualitativ in ausreichendem Maß Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklären müssen, um die Erhaltung der in Anhang I aufgeführten Arten sicherzustellen; daraus folgt jedoch nicht, daß die Rüge, daß ein Mitgliedstaat nicht in ausreichendem Maß besondere Schutzgebiete gemäß dieser Vorschrift ausgewiesen habe, notwendig auch den qualitativen Aspekt dieser Verpflichtung umfasst.

32 Im vorprozessualen Stadium hat die Kommission ihre Rüge gegenüber dem Königreich der Niederlande auf eine angebliche Unzulänglichkeit von Zahl und Grösse der von diesem Mitgliedstaat zu besonderen Schutzgebieten erklärten Gebiete, also auf eine quantitative Unzulänglichkeit, gestützt. Dagegen ist die angebliche qualitative Unzulänglichkeit der von diesem Staat ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete vorliegend erstmals bei der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht worden.

33 Die Klage ist daher insoweit für unzulässig zu erklären.

34 Die Bezugnahmen auf die friesische Ijsselmeerküste und die Hooge Platen an der Westerschelde stellen keine selbständige neue Rüge dar, da sie nur Beispiele sind, mit denen der behauptete Verstoß veranschaulicht werden soll und die dem Verzeichnis der nach Auffassung der Kommission für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete geeigneten Gebiete entnommen sind, das dem Mahnschreiben und der mit Gründen versehenen Stellungnahme beigefügt war. Diese Bezugnahmen sind somit zulässig, da sie nicht verlangen, daß der Gerichtshof speziell zu der Frage Stellung nimmt, ob diese beiden Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt werden müssen.

35 Bezueglich der Bezugnahme auf das IBA 94 ist erstens festzustellen, daß diese Studie, die vom Dezember 1994 datiert, ein Verzeichnis der Gebiete enthält, die nach von der Kommission akzeptierten wissenschaftlichen Kriterien in den Niederlanden zu besonderen Schutzgebieten zu erklären sind.

36 Zweitens ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist befand; später eingetretene Änderungen können vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden (vgl. u. a. Urteil vom 3. Juli 1997 in der Rechtssache C-60/96, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-3827, Randnr. 15).

37 Die Akte enthält keinen Hinweis darauf, daß sich das IBA 94 auf eine Zeit vor Ablauf der Frist bezieht, die dem beklagten Staat eingeräumt wurde, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 14. Juni 1993 nachzukommen. Die vorliegende Klage ist daher jedenfalls insoweit unzulässig, als sie auf das IBA 94 Bezug nimmt, um das Vorliegen des behaupteten Verstosses gegen die Richtlinie zu beweisen.

38 Infolgedessen ist die Klage innerhalb der oben dargestellten Grenzen zulässig.

Zur Begründetheit

39 Die Kommission weist vorab darauf hin, daß nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie jeder Mitgliedstaat die spezifische Verpflichtung habe, in ausreichendem Maß besondere Schutzgebiete auszuweisen, um das Überleben und die Vermehrung aller in Anhang I genannten Vogelarten, die in seinem Gebiet vorkommen, sicherzustellen.

40 In den Niederlanden bezeichne das IBA 89 anhand der in dieser Studie aufgestellten und erläuterten ornithologischen Kriterien 70 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 797 920 Hektar, die geeignet seien, zu besonderen Schutzgebieten erklärt zu werden.

41 Das niederländische Ministerium für Landwirtschaft und Fischerei habe sein eigenes Verzeichnis potentiell geeigneter Gebiete erstellt, das 53 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 398 180 Hektar umfasse. Diese 53 Gebiete entsprächen teilweise den 57 im IBA 89 genannten Gebieten. Die niederländische Regierung habe aber keine Erklärungen zu den wissenschaftlichen Kriterien abgegeben, auf denen ihr Verzeichnis der Gebiete, die zu besonderen Schutzgebieten erklärt werden könnten, beruhe.

42 Auf jeden Fall habe das Königreich der Niederlande dadurch, daß es nur 23 Gebiete mit einer Gesamtfläche von 327 602 Hektar zu besonderen Schutzgebieten erklärt habe, die Grenzen des den Mitgliedstaaten durch Artikel 4 der Richtlinie eingeräumten Ermessens offensichtlich überschritten.

43 Zum einen deckten die vom Königreich der Niederlande ausgewiesenen Gebiete ganz oder teilweise 33 der im IBA 89 genannten Gebiete ab, also weniger als die Hälfte der Gesamtzahl der Gebiete, die nach dieser wissenschaftlichen Studie geeignet seien, zu besonderen Schutzgebieten erklärt zu werden, und ihre Zahl mache nur etwas mehr als die Hälfte der im IBA 89 genannten 57 Gebiete aus, die die niederländischen Behörden selbst als für die Vögel wichtige Gebiete betrachtet hätten. Zum anderen sei auch die Gesamtfläche der 23 niederländischen Schutzgebiete weitgehend unzureichend: 327 602 Hektar im Vergleich zu den 797 920 Hektar der im IBA 89 genannten 70 Gebiete. Da sich allein ein Schutzgebiet, das Wattenmeer, über 250 000 Hektar erstrecke, umfassten die übrigen besonderen Schutzgebiete nur 77 602 Hektar, was für einen angemessenen Schutz einer grossen Zahl von im Anhang I der Richtlinie genannten Vogelarten nicht ausreiche.

44 Es liege nämlich ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Ausweisung der Gebiete vor, wenn ein Mitgliedstaat die Zahl und die Fläche der Gebiete des IBA 89 offensichtlich nicht beachte. Das sei der Fall, wenn ein Mitgliedstaat sowohl in bezug auf die Zahl der Gebiete als auch auf ihre Gesamtfläche nur die Hälfte der im IBA 89 verzeichneten Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erkläre.

45 Ein weiterer Hinweis auf die Unzulänglichkeit des Schutzes der in Anhang I der Richtlinie genannten Vogelarten durch das Königreich der Niederlande ergebe sich daraus, daß der Bestand von neun dieser Vogelarten um mehr als 50 % zurückgegangen sei. Besonders signifikant sei insoweit der Rückgang des Bestandes von Standvogelarten wie Birkhuhn und Rohrdommel.

46 Die niederländische Regierung macht zunächst geltend, daß die Ausweisung von besonderen Schutzgebieten nur eine der Maßnahmen sei, mit denen ein Mitgliedstaat seine Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie, besondere Schutzmaßnahmen zu treffen, erfuellen könne. Die Mitgliedstaaten könnten dieser Verpflichtung nämlich auch durch Anwendung anderer Schutzmaßnahmen nachkommen. Daher könne ein Verstoß gegen diese Vorschrift nur dann vorliegen, wenn ein Mitgliedstaat keine einzige besondere Schutzmaßnahme erlassen habe. Die Regierung ist der Auffassung, sie habe die Richtlinie dadurch eingehalten, daß sie andere in diesem Zusammenhang relevante Erhaltungsmaßnahmen getroffen habe, wie z. B. das Naturschutzgesetz, die Veräusserung von Gebieten an Naturschutzorganisationen und Pläne zur ornithologischen Erhaltung.

47 Die Mitgliedstaaten verfügten über einen bestimmten Ermessensspielraum bei der Umsetzung von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie. Im Zusammenhang mit der Ausweisung von besonderen Schutzgebieten schreibe diese Vorschrift nur die Ausweisung der geeignetsten Gebiete vor. Die Regelung des Artikels 4 Absatz 1 beruhe daher auf einer konkreten Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Gegend zu den geeignetsten Gebieten gehöre.

48 Die Präzedenzfälle, die der Gerichtshof entschieden habe, beträfen alle die Frage, ob ein Mitgliedstaat eine bestimmte Gegend zum besonderen Schutzgebiet hätte erklären müssen. Im vorliegenden Fall habe die Kommission nicht dargelegt und erst recht nicht nachgewiesen, daß das Königreich der Niederlande bei der Umsetzung von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie in bestimmten Fällen die Grenzen seines Ermessens überschritten habe.

49 Im übrigen müssten die Mitgliedstaaten beim Erlaß besonderer Schutzmaßnahmen gemäß dieser Bestimmung nicht nur den in der Richtlinie genannten spezifischen Faktoren Rechnung tragen, sondern gemäß Artikel 2 der Richtlinie auch wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen.

50 Die deutsche Regierung macht unter Berufung auf den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten geltend, daß Artikel 4 Absatz 1 den Mitgliedstaaten die Auswahl der besonderen Schutzgebiete überlasse und daß allein entscheidend sei, daß die Gebiete nach Anzahl und Art den Schutzerfordernissen der betroffenen Arten gerecht würden und im Verbund mit den von den übrigen Mitgliedstaaten ausgewiesenen Gebieten geeignet seien, ein zusammenhängendes Schutzgebietsnetz zu knüpfen. Diese Vorschrift verlange nicht die Ausweisung einer bestimmen Zahl von Gebieten, sondern die Mitgliedstaaten hätten vielmehr darauf zu achten, daß die geschaffenen Schutzgebiete für die Erhaltung der bedrohten Vogelarten geeignet seien.

51 Die niederländische Regierung trägt darüber hinaus vor, sie habe sich für die Erstellung ihres Verzeichnisses der zu schützenden Gegenden auf drei Kriterien gestützt, die auch dem IBA 89 zugrunde lägen. Die Anwendung dieser Kriterien führe jedoch wegen ihres allgemeinen Charakters nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Das erkläre, warum zwischen den Gebieten, die nach dem IBA 89 den Kriterien des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie entsprächen, und den Gebieten, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als besondere Schutzgebiete ausgewiesen würden, Unterschiede bestehen könnten.

52 Das Kriterium der Kommission, daß die Mitgliedstaaten zahlen- und flächenmässig mindestens die Hälfte der im IBA 89 verzeichneten Gebiete als besondere Schutzgebiete ausweisen müssten, finde sich im übrigen nicht in der Richtlinie.

53 Die deutsche Regierung macht ferner geltend, daß das IBA 89 nur ein Verzeichnis der Gebiete enthalte, die nach wissenschaftlichen Kriterien potentiell der Erhaltung der bedrohten Arten dienen könnten. Dieses Verzeichnis sei jedoch weder in die Richtlinie aufgenommen worden noch rechtlich verbindlich. Ausserdem fehle auf Gemeinschaftsebene eine Abstimmung sowohl über die dem Verzeichnis zugrunde liegenden Kriterien als auch über das Verzeichnis selbst. Die Festsetzung eines Minimums von 50 % ausgewiesener Gegenden sei willkürlich und fachlich nicht nachvollziehbar.

54 Die niederländische Regierung trägt schließlich vor, die Feststellung eines Rückgangs von mehr als 50 % bei neun Arten, ohne die verschiedenen möglichen Ursachen dafür zu berücksichtigen, genüge nicht, um einen Verstoß des Königreichs der Niederlande gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie nachzuweisen. Insbesondere sei der Rückgang beim Birkhuhn die Folge einer verheerenden Brutzeit, die vermutlich durch atmosphärische Niederschläge aus Quellen ausserhalb der betroffenen Gebiete verursacht worden sei. Was die Rohrdommel betreffe, so gehe deren Bestand, obwohl 10 % dieser Art in besonderen Schutzgebieten lebe, wie in allen anderen europäischen Gebieten zurück. Das zeige, daß der Rückgang dieser Art nicht von der Unzulänglichkeit der im Königreich der Niederlande getroffenen besonderen Schutzmaßnahmen abhänge.

55 Erstens ist festzustellen, daß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten entgegen dem Vorbringen des Königreichs der Niederlande verpflichtet, diejenigen Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die für die Erhaltung der in Anhang I genannten Arten zahlen- und flächenmässig am geeignetsten sind, und daß diese Verpflichtung nicht durch den Erlaß anderer besonderer Schutzmaßnahmen umgangen werden kann.

56 Aus dieser Vorschrift in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof geht hervor, daß ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet es solche Arten gibt, für diese Arten insbesondere Schutzgebiete bestimmen muß (vgl. Urteil vom 17. Januar 1991 in der Rechtssache C-334/89, Kommission/Italien, Slg. 1991, I-93, Randnr. 10).

57 Eine solche Auslegung der Ausweisungsverpflichtung entspricht im übrigen der speziell ausgerichteten und verstärkten Schutzregelung, die Artikel 4 der Richtlinie insbesondere für die in Anhang I aufgezählten Arten vorsieht (vgl. Urteil vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-44/95, Royal Society for the Protection of Birds, Slg. 1996, I-3805, Randnr. 23), zumal auch nach Artikel 3 für alle unter die Richtlinie fallenden Arten zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensstätten und Lebensräume u. a. Maßnahmen wie die Einrichtung von Schutzgebieten gehören.

58 Im übrigen würde, wie der Generalanwalt in Nummer 33 seiner Schlussanträge ausführt, das Ziel der Bildung eines zusammenhängenden Netzes von besonderen Schutzgebieten gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie möglicherweise nicht erreicht, wenn sich die Mitgliedstaaten der Verpflichtung zur Ausweisung von besonderen Schutzgebieten entziehen könnten, sofern sie andere besondere Schutzmaßnahmen für ausreichend halten, um das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I genannten Arten zu gewährleisten.

59 Zweitens dürfen die in Artikel 2 genannten wirtschaftlichen Erfordernisse bei der Auswahl und Abgrenzung eines Schutzgebiets nicht berücksichtigt werden (vgl. Urteil Royal Society for the Protection of Birds, a. a. O., Randnr. 27).

60 Im übrigen verfügen die Mitgliedstaaten zwar bei der Auswahl der besonderen Schutzgebiete über einen Ermessensspielraum, doch folgt die Ausweisung dieser Gebiete bestimmten, in der Richtlinie festgelegten ornithologischen Kriterien (vgl. Urteil vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-355/90, Kommission/Spanien, Slg. 1993, I-4221, Randnr. 26).

61 Der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Gebiete, die für die Ausweisung als besondere Schutzgebiete am geeignetsten sind, bezieht sich daher nicht darauf, diejenigen Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten erscheinen, sondern nur auf die Anwendung dieser Kriterien für die Bestimmung der Gebiete, die für die Erhaltung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Arten am geeignetsten sind.

62 Folglich sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle Gegenden zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die nach ornithologischen Kriterien am geeignetsten für die Erhaltung der betreffenden Arten erscheinen.

63 Hat somit ein Mitgliedstaat Gegenden zu besonderen Schutzgebieten erklärt, deren Zahl und Gesamtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gegenden liegen, die für die Erhaltung der betreffenden Arten als die geeignetsten angesehen werden, so kann festgestellt werden, daß dieser Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verstossen hat.

64 Der Auffassung des Königreichs der Niederlande, daß die Kommission spezifische Verstösse gegen diese Vorschrift für das jeweilige Gebiet feststellen müsse, kann somit nicht gefolgt werden.

65 Drittens ist daran zu erinnern, daß die niederländische Regierung, auch wenn sie die wissenschaftliche Zuverlässigkeit des IBA 89 nicht in Zweifel zieht, geltend macht, daß die Anwendung der dieser Studie zugrunde liegenden Kriterien wegen deren allgemeinen Charakters nicht zu eindeutigen Ergebnissen bei der Ausweisung besonderer Schutzgebiete führen könne. Die Regierung hat vorgetragen, sie sei aufgrund der Kriterien, die auch dem IBA 89 zugrunde lägen, in ihrem Verzeichnis der potentiellen besonderen Schutzgebiete zu einem ganz anderen als dem in dieser Studie befürworteten Ergebnis gelangt. In der mündlichen Verhandlung hat sie jedoch eingeräumt, daß sich ihre Kriterien von denen des IBA 89 unterschieden.

66 Dazu ist festzustellen, daß das Königreich der Niederlande bis heute kein Schriftstück des nationalen Verfahrens zur Ausweisung der besonderen Schutzgebiete vorgelegt hat, das die Kriterien angibt, die bei der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete in diesem Mitgliedstaat ausschlaggebend waren.

67 Ausserdem hat das Königreich der Niederlande während des gesamten vorprozessualen Verfahrens sowie in seiner Klagebeantwortung und seiner Gegenerwiderung hervorgehoben, daß es bei der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete gemäß Artikel 2 der Richtlinie wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung tragen müsse. Dieser Standpunkt verträgt sich jedoch nicht mit der Erklärung der niederländischen Regierung, daß sie bei der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete ausschließlich ornithologische Kriterien angewandt habe.

68 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß das IBA 89 ein Verzeichnis der Gebiete, die für die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten in der Gemeinschaft von grosser Bedeutung sind, enthält, das von der Europäischen Gruppe für die Erhaltung der Vögel und der Lebensräume gemeinsam mit dem Internationalen Rat für Vogelschutz in Zusammenarbeit mit Sachverständigen der Kommission für die zuständige Generaldirektion der Kommission erarbeitet wurde.

69 Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist das IBA 89 das einzige Dokument, das die wissenschaftlichen Beweismittel für die Beurteilung der Frage enthält, ob der beklagte Staat seiner Verpflichtung nachgekommen ist, diejenigen Gebiete zu besonderen Schutzgebieten zu erklären, die zahlen- und flächenmässig am geeignetsten für die Erhaltung der geschützten Arten sind. Etwas anderes würde gelten, wenn das Königreich der Niederlande wissenschaftliche Beweismittel vorgelegt hätte, insbesondere um zu belegen, daß die genannte Verpflichtung dadurch erfuellt werden kann, daß nach Zahl und Gesamtfläche weniger Gebiete als nach dem IBA 89 zu besonderen Schutzgebieten erklärt werden.

70 Dieses Verzeichnis kann daher, obwohl es für die betreffenden Mitgliedstaaten rechtlich nicht verbindlich ist, vorliegend aufgrund seines in diesem Fall anerkannten wissenschaftlichen Wertes vom Gerichtshof als Bezugsgrundlage verwendet werden, um zu beurteilen, inwieweit das Königreich der Niederlande seine Verpflichtung zur Ausweisung von besonderen Schutzgebieten beachtet hat.

71 Selbst wenn die Anwendung der im IBA 89 berücksichtigten ornithologischen Kriterien verschiedene Beteiligte veranlassen könnte, Ausweisungen von besonderen Schutzgebieten vorzunehmen, die sich erheblich voneinander unterscheiden, so kann diese blosse Möglichkeit, deren Eintritt im vorliegenden Fall nicht erwiesen ist, als solche nicht in Betracht kommen, um den Beweiswert des IBA 89 im vorliegenden Fall zu entkräften.

72 Da die Zahl und die Gesamtfläche der vom Königreich der Niederlande zu besonderen Schutzgebieten erklärten Gebiete offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gebiete liegen, die nach dem IBA 89 geeignet sind, zu besonderen Schutzgebieten erklärt zu werden, können die Erfordernisse des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie nicht als erfuellt betrachtet werden.

73 Folglich ist, ohne daß die anderen in diesem Verfahren dargelegten Argumente zu prüfen wären, festzustellen, daß das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie verstossen hat, daß es Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt hat, deren Zahl und Gesamtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gebiete liegen, die geeignet sind, zu besonderen Schutzgebieten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie erklärt zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

74 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich der Niederlande mit seinem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Verfahren als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Königreich der Niederlande hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten verstossen, daß es Gebiete zu besonderen Schutzgebieten erklärt hat, deren Zahl und Gesamtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der Gebiete liegen, die geeignet sind, zu besonderen Schutzgebieten im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie erklärt zu werden.

2. Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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