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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.12.1996
Aktenzeichen: C-302/94
Rechtsgebiete: RiLi 90/387/EWG


Vorschriften:

RiLi 90/387/EWG Art. 2 Nr. 1
RiLi 90/387/EWG Art. 2 Nr. 2
RiLi 90/387/EWG Art. 2 Nr. 10
RiLi 90/387/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Richtlinie 92/44 zur Einführung des offenen Netzzugangs bei Mietleitungen gilt aufgrund der Verweisung in ihrem Artikel 2 Absatz 1 für die "Fernmeldeorganisationen" im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 90/387 zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open Network Provision - ONP), d. h. für staatliche oder private Einrichtungen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte zur Bereitstellung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und gegebenenfalls zur Erbringung von öffentlichen Telekommunikationsdiensten gewähren.

Insoweit ergibt sich aus Artikel 2 der Richtlinie 94/46, mit dem die in der Richtlinie 90/388 gegebenen und in Artikel 2 Nummern 1 und 2 der Richtlinie 90/387 übernommenen Definitionen geändert wurden, aus dem sachlichen Kontext, in dem die Richtlinien 90/387, 90/388 und 92/44 erlassen wurden, sowie aus den Zielen dieser Richtlinien, daß die besonderen oder ausschließlichen Rechte allgemein als Rechte zu verstehen sind, die die Behörden eines Mitgliedstaats einem Unternehmen oder einer begrenzten Zahl von Unternehmen gewähren, ohne sich dabei an objektive, angemessene und nichtdiskriminierende Kriterien zu halten, und die die Fähigkeit anderer Unternehmen, im selben Gebiet zu im wesentlichen gleichen Bedingungen Telekommunikationsnetze einzurichten oder zu betreiben oder Telekommunikationsdienste zu erbringen, wesentlich beeinträchtigen.

2. Das Bestehen besonderer oder ausschließlicher Rechte zur Bereitstellung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und gegebenenfalls zur Erbringung von öffentlichen Telekommunikationsdiensten im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 90/387 ergibt sich nicht aus

- der blossen Mitteilung des Namens eines Unternehmens durch einen Mitgliedstaat an die Kommission gemäß Artikel 2 Nummer 1 Absatz 2 dieser Richtlinie, der zufolge dieser Mitgliedstaat dem genannten Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte übertragen hat, auch wenn eine solche Mitteilung eine gewichtige Vermutung in diesem Sinne begründen kann, denn die Anwendung der Richtlinien auf bestimmte Einrichtungen kann nicht von den Erklärungen der betroffenen Mitgliedstaaten abhängen;

- dem Umstand, daß nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Betrieb eines Telekommunikationsnetzes auf dem Inlandsmarkt von einer Genehmigung abhängt, wenn die mit einer solchen Genehmigung verbundenen Rechte nach objektiven, angemessenen und nichtdiskriminierenden Kriterien eingeräumt werden und keine Begrenzung der Zahl der Unternehmen bewirken, die öffentliche Telekommunikationsnetze oder -dienste betreiben oder erbringen;

- der Möglichkeit für die zugelassenen Fernmeldeorganisationen, aufgrund bestimmter Befugnisse Grundstücke im Wege der Enteignung zu erwerben, zu Untersuchungszwecken zu betreten und Vereinbarungen zu ihrem Erwerb zu schließen oder Netzeinrichtungen in, über oder unter öffentliche Strassen zu legen und auf Privatgrund mit Zustimmung (von der ein Gericht befreien kann) der betroffenen Personen Einrichtungen aufzustellen, da derartige Befugnisse, die lediglich die Einrichtung der Netze durch die betroffenen Betreiber erleichtern sollen und allen diesen Betreibern eingeräumt werden oder werden können, ihren Inhabern keinen wesentlichen Vorteil gegenüber ihren potentiellen Wettbewerbern einräumen.

3. Behält ein Mitgliedstaat zwei Unternehmen den Betrieb der internationalen und insbesondere innergemeinschaftlichen Verbindungen vor, so genügt dies, um darin die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte an den öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder -diensten an sie zu sehen.

Diesen beiden Unternehmen wird damit nämlich nach Kriterien, die weder objektiv noch angemessen, noch nichtdiskriminierend erscheinen, ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Netzbetreibern und Erbringern von Telekommunikationsdiensten eingeräumt. Zum einen können sie als einzige internationale Leitungen betreiben, die für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten in den Mitgliedstaaten unerläßlich sind. Zum anderen können sie ihre eigenen Inlandsleitungen, die fast das gesamte Staatsgebiet abdecken, leicht an diese internationalen Leitungen anschließen und auf diese Weise eine breitere Palette von Telekommunikationsdiensten über diese Leitungen anbieten.

Auch wenn die genannten Unternehmen verpflichtet sind, im Gegenzug den Anschluß der anderen Betreiber an ihr Netz nach behördlich festgesetzten Tarifen zuzulassen, nimmt ihnen diese Verpflichtung doch nicht die ihnen eingeräumten Vorteile, da zum einen nur sie direkten Zugang zu den ausländischen Netzen haben und somit Tarife für den Zugang zu diesen Netzen aushandeln können und da zum anderen die ihnen behördlich auferlegten Tarife insbesondere verhindern sollen, daß diese Unternehmen ihre Stellung gegenüber den anderen Betreibern mißbrauchen.

Folglich sind diese Unternehmen als "Fernmeldeorganisationen" im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 90/387 und demnach auch der Richtlinie 92/44 zu sehen.

Dies gilt auch für ein Unternehmen, dem ein Mitgliedstaat unter denselben Bedingungen, d. h. nach Kriterien, die weder objektiv noch angemessen, noch nichtdiskriminierend sind, den Betrieb eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes in einem Teil seines Staatsgebiets vorbehält.

4. Um die Entwicklung der Telekommunikationsdienste über Mietleitungen in der gesamten Gemeinschaft herzustellen, hat es der Gemeinschaftsgesetzgeber für erforderlich gehalten, den Benutzern im gesamten Gebiet der Gemeinschaft ein Mindestangebot an Mietleitungen mit einheitlichen technischen Merkmalen zur Verfügung zu stellen. Artikel 7 der Richtlinie 92/44 sieht vor, daß dieses Mindestangebot an Mietleitungen, deren technische Merkmale im Anhang II der Richtlinie festgelegt sind, in jedem Mitgliedstaat von einer oder mehreren Telekommunikationsorganisationen bereitzustellen ist.

Somit ist es Sache der Behörden der Mitgliedstaaten, festzulegen, welche Fernmeldeorganisationen Mietleitungen mit den im Anhang II der Richtlinie festgelegten technischen Merkmalen bereitzustellen zu haben, damit ein Mindestangebot an derartigen Leistungen im gesamten Staatsgebiet zur Verfügung steht.

Folglich ist ein Mitgliedstaat befugt, die Verpflichtungen aus Artikel 7 der Richtlinie nur bestimmten Fernmeldeorganisationen aufzuerlegen, wenn dies genügt, um den Benutzern im gesamten Staatsgebiet ein Mindestangebot an Mietleitungen mit den in der Richtlinie vorgesehenen Merkmalen zur Verfügung zu stellen. Ein Mitgliedstaat ist insbesondere befugt, diese Verpflichtungen nur den Fernmeldeorganisationen aufzuerlegen, die die Hauptbetreiber von Telekommunikationsleitungen in den einzelnen Teilen seines Staatsgebiets sind.

5. Artikel 7 der Richtlinie 92/44 zur Einführung des offenen Netzzugangs bei Mietleitungen soll ein gemeinschaftsweit harmonisiertes Mindestangebot an Mietleitungen gemäß den Spezifikationen im Anhang II dieser Richtlinie sowohl innerhalb eines Mitgliedstaats als auch zwischen den Mitgliedstaaten garantieren.

Folglich ist Ziel der Richtlinie sowohl die Harmonisierung der Angebotsbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten als auch die Beseitigung der technischen Hindernisse für die grenzueberschreitenden Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation.

Daher kann in der Richtlinie nicht deshalb ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gesehen werden, weil es bei ihrem Erlaß oder bei ihrer Umsetzung in nationales Recht auf dem nationalen Markt eines Mitgliedstaats keine Nachfrage nach Diensten eines Typs gab, die nach der Richtlinie angeboten werden müssen.


Urteil des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1996. - The Queen gegen Secretary of State for Trade and Industry, ex parte British Telecommunications plc. - Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice, Queen's Bench Division - Vereinigtes Königreich. - Telekommunikation - ONP-Richtlinie - Besondere oder ausschließliche Rechte - Mietleitungsrichtlinie - Bereitstellung eines Mindestangebots an Mietleitungen. - Rechtssache C-302/94.

Entscheidungsgründe:

1 Der High Court of Justice (Queen' s Bench Division) hat mit Beschluß vom 25. Juli 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 14. November 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 90/387/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open Network Provision - ONP) (ABl. L 192, S. 1; im folgenden: ONP-Richtlinie) sowie nach der Auslegung und der Gültigkeit der Richtlinie 92/44/EWG des Rates vom 5. Juni 1992 zur Einführung des offenen Netzzugangs bei Mietleitungen (ABl. L 165, S. 27; im folgenden: Mietleitungsrichtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Die ONP-Richtlinie, die am selben Tag wie die Richtlinie 90/388/EWG der Kommission vom 28. Juni 1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste (ABl. L 192, S. 10; im folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) erlassen wurde, fügt sich in das Handeln der Gemeinschaft im Hinblick auf die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienste ein. Sie ist auf Artikel 100a des Vertrages gestützt und soll zur vollständigen Verwirklichung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienste den offenen Netzzugang schaffen (vgl. vierte Begründungserwägung der ONP-Richtlinie).

3 Die ONP-Richtlinie definiert in Artikel 2 Nummern 1 und 2 die Begriffe "Fernmeldeorganisationen" und "besondere oder ausschließliche Rechte" in der gleichen Weise wie Artikel 1 Absatz 1 erster und zweiter Gedankenstrich der Dienstleistungsrichtlinie wie folgt:

"Für die Zwecke dieser Richtlinie sind

1. 'Fernmeldeorganisationen' staatliche oder private Einrichtungen, denen ein Mitgliedstaat besondere oder ausschließliche Rechte zur Bereitstellung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und gegebenenfalls zur Erbringung von öffentlichen Telekommunikationsdiensten gewährt.

Im Rahmen der Durchführung dieser Richtlinie teilen die Mitgliedstaaten der Kommission die Einrichtungen mit, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewährt haben;

2. 'besondere oder ausschließliche Rechte' , die von einem Mitgliedstaat oder einer Behörde einer oder mehreren öffentlichen oder privaten Einrichtungen auf dem Gesetzes- oder Verwaltungsweg gewährt werden und diesen die Erbringung einer Dienstleistung oder die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit vorbehalten."

4 Gemäß Artikel 2 Nummer 10 der ONP-Richtlinie sind

"' Bedingungen für den offenen Zugang (Open Network Provision - ONP)' die nach Maßgabe dieser Richtlinie harmonisierten Bedingungen, die den offenen und effizienten Zugang zu öffentlichen Telekommunikationsnetzen und gegebenenfalls zu öffentlichen Telekommunikationsdiensten sowie deren effiziente Benutzung betreffen (im folgenden 'ONP-Bedingungen' genannt)."

5 Nach Artikel 3 der ONP-Richtlinie müssen die ONP-Bedingungen auf objektiven Kriterien beruhen, transparent sein und in geeigneter Form veröffentlicht werden sowie gleichen Zugang gewährleisten und in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht Diskriminierung ausschließen. Ferner dürfen sie den Zugang zu öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder -diensten nicht beschränken, es sei denn aus Gründen, die auf grundlegenden Anforderungen beruhen (Sicherheit des Netzbetriebs, Aufrechterhaltung der Netzintegrität, Interoperabilität der Dienste und Datenschutz) oder sich aus der Ausübung besonderer oder ausschließlicher Rechte ergeben, die die Mitgliedstaaten gewährt haben,

6 Nach Artikel 6 der ONP-Richtlinie erlässt der Rat gemäß Artikel 100a des Vertrages Einzelrichtlinien zur Festlegung der ONP-Bedingungen.

7 In Anwendung dieser Bestimmung wurde die demgemäß auf Artikel 100a gestützte Mietleitungsrichtlinie erlassen. Sie betrifft nach ihrem Artikel 1 "die Harmonisierung der Bedingungen für den offenen und effizienten Zugang zu und die Nutzung von Mietleitungen, die Benutzern des öffentlichen Telekommunikationsnetzes bereitgestellt werden, sowie die Bereitstellung eines gemeinschaftsweiten Mindestangebots von Mietleitungen mit harmonisierten technischen Merkmalen".

8 Artikel 2 Absatz 1 der Mietleitungsrichtline lautet:

"Die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 90/387/EWG gelten gegebenenfalls auch für die vorliegende Richtlinie."

9 Nach Artikel 2 Absatz 2 sind "' Mietleitungen' : im Zusammenhang mit der Einrichtung, der Entwicklung und dem Betrieb der öffentlichen Telekommunikationseinrichtungen, die transparente Übertragungskapazität zwischen Netzabschlusspunkten...".

10 Die Artikel 3 bis 10 der Mietleitungsrichtlinie erlegen den Mitgliedstaaten bestimmte Verpflichtungen für die Bereitstellung der Mietleitungen auf:

- Nach Artikel 3 Absatz 3 müssen sie sicherstellen, daß Informationen über neue Arten von Mietleitungsangeboten innerhalb eines bestimmten Zeitraums veröffentlicht werden.

- Nach Artikel 5 stellen sie sicher, daß Angebote für eine angemessene Dauer aufrechterhalten werden, daß die Aufhebung eines Angebots nur in Abstimmung mit den betroffenen Benutzern erfolgt und daß Benutzer den Fall der nationalen Regulierungsbehörde vortragen können, wenn sie mit dem von der Telekommunikationsorganisation vorgesehenen Datum der Aufhebung des Angebots nicht einverstanden sind.

- Artikel 6 legt bestimmte Bedingungen für den Zugang zu Mietleitungen und für deren Nutzung fest.

- Nach Artikel 7 Absatz 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, daß die Telekommunikationsorganisationen einzeln oder gemeinsam ein Mindestangebot an Mietleitungen gemäß Anhang II der Richtlinie bereitstellen, um ein gemeinschaftsweit harmonisiertes Angebot zu garantieren.

- Nach Artikel 8 stellen die nationalen Regulierungsbehörden sicher, daß die Telekommunikationsorganisationen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beachten, wenn sie das öffentliche Telekommunikationsnetz für die Bereitstellung von Diensten nutzen, die auch von anderen Diensteanbietern bereitgestellt werden können.

- Nach Artikel 10 stellen die Mitgliedstaaten sicher, daß die Tarife für Mietleitungen bestimmten Grundsätzen der Kostenorientierung und Transparenz folgen.

11 Wie sich aus den Akten ergibt, ist im Vereinigten Königreich der Betrieb eines Telekommunikationssystems ohne eine gemäß Section 7 des Telecommunications Act 1984 vom zuständigen Minister erteilte Lizenz strafbar.

12 Der Minister ist nach Section 9 des Telecommunications Act befugt, ein Telekommunikationssystem, für das eine Lizenz erteilt worden ist, in die die in Section 8 des Telecommunications Act aufgestellten Bedingungen, darunter die Pflicht zur Erbringung der dort genannten Dienste und zum Anschluß anderer Telekommunikationssysteme, aufgenommen worden sind, zum "öffentlichen Telekommunikationssystem" zu bestimmen. Die Betreiber solcher Systeme werden als "Public Telecommunications Operators" (im folgenden: PTO) bezeichnet.

13 Zur Erfuellung der Aufgaben, für die ihnen die Lizenz erteilt worden ist, können den PTO bestimmte Sonderrechte eingeräumt werden, wie das Recht, Grundstücke im Wege der Enteignung zu erwerben, Grundstücke zu Untersuchungszwecken zu betreten, Netzeinrichtungen in, über und unter öffentliche Strassen zu legen und auf Privatgrundstücken mit Zustimmung der betroffenen Personen Einrichtungen aufzustellen; die Gerichte können von diesem Zustimmungserfordernis befreien.

14 Wie sich aus den Angaben im Vorlagebeschluß und aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt, erteilte die Regierung des Vereinigten Königreichs zwischen 1983 und 1991 Lizenzen für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten zwischen ortsfesten Endpunkten nur der British Telecommunications plc (im folgenden: BT) und dem Kingston-upon-Hull City Council (Kingston Communications plc; im folgenden: Kingston) auf der einen und der Mercury Communications Ltd (im folgenden: Mercury) auf der anderen Seite.

15 BT betreibt ein öffentliches Telekommunikationsnetz und erbringt öffentliche Telekommunikationsdienste im gesamten Staatsgebiet mit Ausnahme des Gebietes von Hull, wo Kingston ihr eigenes Netz betreibt. Für diese beiden Unternehmen gilt eine "Verpflichtung zur flächendeckenden Versorgung", d. h., sie müssen in dem gesamten Gebiet, in dem sie ein Netz betreiben, jedem, der dies verlangt, Sprechtelefondienste anbieten.

16 Mercury betreibt ebenfalls ein Netz und erbringt öffentliche Telekommunikationsdienste im gesamten Staatsgebiet. Sie unterliegt jedoch nicht der Verpflichtung zur flächendeckenden Versorgung.

17 Die Regierung des Vereinigten Königreichs gab diese Duopol-Politik im März 1991 auf und beschloß, Anträgen auf Lizenzen für den Betrieb landesweiter Telekommunikationsnetze grundsätzlich stattzugeben, sofern keine berechtigten Ablehnungsgründe bestehen.

18 Den Akten zufolge wurden seitdem etwa 600 Lizenzen erteilt. Etwa 140 Betreiber haben die Stellung von PTO, und zwar BT, Mercury, Kingston, über 100 Betreiber von Kabelnetzen und einige Zellularfunkbetreiber.

19 Nach wie vor sind jedoch BT und Mercury als einzige Betreiber zur Bereitstellung internationaler und insbesondere innergemeinschaftlicher Verbindungen befugt. Das vorlegende Gericht führt in seinem Beschluß hierzu aus, daß seit 1991 keine Lizenz für die Bereitstellung solcher Verbindungen erteilt worden sei, daß aber die anderen Erbringer von Telekommunikationsdiensten sich an die Netze von BT und Mercury anschließen oder von diesen Leitungen mieten könnten, um internationale Telekommunikationsdienste zu erbringen.

20 Was Mietleitungen angeht, betrieb BT ausweislich der Akten 1993/1994 etwa 800 000 solcher Leitungen im Vereinigten Königreich und international, Mercury betrieb etwa 8 300 Leitungen im Vereinigten Königreich und 800 internationale Leitungen, Kingston etwa 4 000 Leitungen im Vereinigten Königreich, während sich die 130 anderen PTO die restlichen 200 bis 300 Leitungen im Vereinigten Königreich teilten.

21 Gemäß Artikel 2 Nummer 1 der ONP-Richtlinie teilte das Vereinigte Königreich der Kommission mit, daß es BT, Mercury, Kingston, zwölf anderen Gesellschaften und über 100 Kabelgesellschaften besondere oder ausschließliche Rechte gewährt habe.

22 Das Vereinigte Königreich setzte die Mietleitungsrichtlinie mit den Telecommunications (Leased Lines) Regulations 1993 (SI 1993 Nr. 2330) um. Mit dieser Regelung wurden die Lizenzbedingungen für BT, Kingston und Mercury so geändert, daß ihnen alle oder einige Bedingungen dieser Richtlinie auferlegt wurden. Keinem anderen Betreiber, auch nicht denjenigen, die der Kommission nach Artikel 2 Nummer 1 der ONP-Richtlinie mitgeteilt worden waren, wurden diese Bedingungen auferlegt.

23 BT erhob eine Klage gegen den Secretary of State for Trade and Industry, mit der sie die Umsetzung der ONP-Richtlinie beanstandet. Sie macht geltend, sie habe keine besonderen oder ausschließlichen Rechte im Sinne der ONP-Richtlinie und könne daher nicht den Verpflichtungen aus der Mietleitungsrichtlinie unterworfen werden. Selbst wenn das Vereinigte Königreich ihr diese Verpflichtungen auferlegen könnte, verlange es das Diskriminierungsverbot, daß diese Verpflichtungen allen Betreibern auferlegt würden, die Mietleitungen anbieten dürften; die Mietleitungsrichtlinie sehe keine Schwelle vor, unterhalb deren ein Betreiber den Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht unterliege (Ausnahme der Geringfügigkeit). Schließlich verstosse die Verpflichtung, ein Mindestangebot an Mietleitungen mit bestimmten harmonisierten technischen Merkmalen bereitzustellen, gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, da es im Vereinigten Königreich keine Nachfrage nach solchen Diensten gebe.

24 Mercury und Kingston sind diesem Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung von BT beigetreten.

25 Der High Court of Justice (Queen' s Bench Division) hat dem Gerichtshof in diesem Zusammenhang folgende Fragen vorgelegt:

1. a) Sind die Richtlinien 90/387/EWG und 92/44/EWG des Rates dahin auszulegen, daß sie die Mitgliedstaaten berechtigen oder verpflichten, zur Erfuellung der ihnen durch die Artikel 3 bis 10 der Richtlinie 92/44 auferlegten Verpflichtungen nur öffentlichen oder privaten Einrichtungen ("Unternehmen") im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 92/44 Anforderungen aufzuerlegen, d. h. denjenigen, denen ein Mitgliedstaat "besondere oder ausschließliche Rechte" hinsichtlich der Bereitstellung von Mietleitungen gewährt hat?

b) Falls die Frage 1 a verneint wird: Unter welchen Umständen ist ein Mitgliedstaat berechtigt oder verpflichtet, die genannten Verpflichtungen dadurch zu erfuellen, daß er einem Unternehmen, das keine solchen "besonderen oder ausschließlichen Rechte" hat, Anforderungen auferlegt?

2. a) Darf ein Mitgliedstaat im Rahmen der Richtlinie 92/44 ein Unternehmen so behandeln, als hätte es "besondere oder ausschließliche Rechte" im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 90/387, wenn

i) der Betrieb eines Telekommunikationssystems in dem betreffenden Mitgliedstaat ohne Lizenz der zuständigen Behörden dieses Staates ein Straftatbestand ist;

ii) es die erklärte Politik des betreffenden Mitgliedstaats ist, daß er alle Anträge auf Lizenzen zur Bereitstellung des fraglichen Dienstes im Rahmen des geltenden nationalen Rechts, nach der Sachlage und auf der Grundlage einer allgemeinen Vermutung der lizenzerteilenden Behörde beurteilt, daß Anträgen, sofern kein besonderer Grund entgegensteht, ohne Begrenzung der Anzahl der erteilten Lizenzen stattgegeben wird;

iii) mehrere Unternehmen (einschließlich der Klägerin und der Streithelferinnen in der vorliegenden Rechtssache) tatsächlich Mietleitungen entsprechend solchen Lizenzen bereitstellen?

b) Falls es für die Beantwortung der Frage 2 a auf die dort genannten Umstände nicht ankommt, welche anderen Kriterien sind dann maßgebend?

3. Je nach den Antworten auf die Fragen 1 und/oder 2:

a) Ist die Richtlinie 92/44 dahin auszulegen, daß sie einen Mitgliedstaat berechtigt, davon abzusehen, die in den Artikeln 3 bis 10 dieser Richtlinie genannten Verpflichtungen einem Unternehmen aufzuerlegen,

i) dem der Mitgliedstaat gestattet hat, Mietleitungen bereitzustellen, das jedoch diesen Dienst derzeit nicht anbietet;

ii) das diesen Dienst anbietet?

b) Falls die vorstehenden Fragen 3 a i und/oder ii bejaht werden: Unter welchen Umständen und anhand welcher Kriterien ist die Richtlinie 92/44 dahin auszulegen, daß sie einen Mitgliedstaat berechtigt, davon abzusehen, einem Unternehmen einzelne oder alle der genannten Verpflichtungen aufzuerlegen?

c) Insbesondere:

i) Ist die Richtlinie dahin auszulegen, daß sie einen Mitgliedstaat deshalb zu dieser Nichtauferlegung von Verpflichtungen berechtigt, weil ein Unternehmen nach Auffassung dieses Mitgliedstaats Mietleitungen tatsächlich in geringfügigem Umfang bereitstellt?

ii) Falls ja, wie ist die Ausnahme der Geringfügigkeit zu definieren? Darf ein Mitgliedstaat seine Beurteilung auf die Marktstellung zum Zeitpunkt der Durchführung der Richtlinie beschränken, oder muß er auch die mögliche Marktentwicklung in Betracht ziehen?

iii) Verlangt das Diskriminierungsverbot in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, daß eine Geringfügigkeitsschwelle, sofern sie zulässig ist, in den nationalen Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie festgelegt wird?

4. Je nach den Antworten auf die vorstehenden Fragen 1 und/oder 2: Ist die Richtlinie 92/44 und insbesondere Artikel 7 Absatz 1 dahin auszulegen, daß sie einen Mitgliedstaat berechtigen oder verpflichten, zwei Unternehmen, denen von dem Mitgliedstaat gestattet wurde, den fraglichen Dienst anzubieten, die Verpflichtung zur Bereitstellung eines Mindestangebots von Mietleitungen entsprechend Anhang II aufzuerlegen, anderen Unternehmen aber nicht?

5. Falls irgendein Teil der Fragen 3 oder 4 bejaht wird: Ist dann die Richtlinie 92/44 insoweit ungültig, als sie u. a. gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstösst?

6. Ist die Richtlinie 92/44, insbesondere Artikel 7 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang II, wegen Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit insoweit ungültig, als sie die Bereitstellung von Mietleitungen des Typs 2 048 kbit/s, digital strukturiert, die den technischen Merkmalen dieses Anhangs entsprechen, in allen Mitgliedstaaten verlangt?

7. a) Haftet ein Mitgliedstaat nach Gemeinschaftsrecht gegenüber einem Unternehmen auf Schadensersatz für Verluste, die diesem entstanden sind als Folge

i) der fehlerhaften Durchführung einzelner oder aller der in den Artikeln 3 bis 10 der Richtlinie 92/44 genannten Verpflichtungen hinsichtlich dieses Unternehmens;

ii) der Durchführung der fraglichen Richtlinie in einer Art und Weise, die gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstösst;

iii) der Durchführung der fraglichen Verpflichtungen in einer Situation, in der die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie wegen Verstosses gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und/oder den Grundsatz der Verhältnismässigkeit ungültig sind?

b) Falls die Fragen 7 a i, ii und iii oder einzelne von ihnen bejaht werden: Unter welchen Voraussetzungen wird eine solche Haftung begründet?

Zu den ersten vier Fragen

26 Mit seinen ersten vier Fragen, die wegen des zwischen ihnen bestehenden engen Zusammenhangs gemeinsam zu prüfen sind, fragt das vorlegende Gericht nach dem Geltungsbereich der Mietleitungsrichtlinie. Es möchte wissen, ob diese Richtlinie für die "Fernmeldeorganisationen" im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der ONP-Richtlinie, also für die staatlichen oder privaten Einrichtungen, gilt, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte zur Bereitstellung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder zur Erbringung von öffentlichen Telekommunikationsdiensten gewährt haben (erste Frage), und wie diese Rechte zu definieren sind (zweite Frage), oder ob die Mietleitungsrichtlinie für andere Unternehmen gilt und, wenn ja, für welche (dritte Frage), und zwar insbesondere ihr Artikel 7 (vierte Frage).

27 Nach der zweiten Begründungserwägung der Dienstleistungsrichtlinie waren die Errichtung und Nutzung der Fernmeldenetze und die Erbringung der dazugehörigen Dienstleistungen beim Erlaß dieser Richtlinie wie auch der ONP-Richtlinie in allen Mitgliedstaaten in der Regel einer oder mehreren Fernmeldeorganisationen übertragen, die zu diesem Zweck über "besondere oder ausschließliche" Rechte verfügten, die "dem Ermessensspielraum des Staates bei der Regelung des Zutritts zum Markt für Telekommunikationsdienstleistungen [unterliegen]".

28 Die Dienstleistungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die diesen Unternehmen gewährten besonderen oder ausschließlichen Rechte bei der Erbringung der meisten Telekommunikationsdienstleistungen zu beseitigen, damit diese in der ganzen Gemeinschaft frei angeboten werden können (vgl. insbesondere Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie).

29 Dagegen sind die diesen Unternehmen eingeräumten besonderen oder ausschließlichen Rechte zur Errichtung und zum Betrieb der Netze nicht in Frage gestellt worden.

30 Um zu verhindern, daß die Beibehaltung dieser besonderen oder ausschließlichen Rechte an den Telekommunikationsnetzen die freie Erbringung von Telekommunikationsdiensten in den Mitgliedstaaten und zwischen ihnen behindert, sieht die ONP-Richtlinie für alle Betreiber innerhalb der Gemeinschaftden offenen Netzzugang unter den gleichen Bedingungen vor. Damit harmonisiert diese Richtlinie bestimmte Bedingungen des Zugangs zu den Telekommunikationsnetzen und der Nutzung dieser Netze.

31 Die ONP-Richtlinie sieht jedoch vor, daß die Harmonisierung stufenweise erfolgt, damit der unterschiedlichen Lage in den einzelnen Mitgliedstaaten und den bestehenden technischen und verwaltungsmässigen Zwängen Rechnung getragen wird (vgl. fünfte Begründungserwägung und Artikel 4 der Richtlinie).

32 Die Mietleitungsrichtlinie ist eine Einzelrichtlinie, mit der gemäß Artikel 6 der ONP-Richtlinie die Bedingungen für den Zugang zu den Mietleitungen festgelegt werden, die von den Betreibern der Telekommunikationsnetze der Mitgliedstaaten angeboten werden. Sie harmonisiert bestimmte Bedingungen des Zugangs zu diesen Leitungen, insbesondere im Bereich der Tarife (Artikel 3 bis 10), und sieht die Bereitstellung eines Mindestangebots an Mietleitungen mit einheitlichen technischen Merkmalen für die Benutzer in jedem Mitgliedstaat vor (Artikel 7).

33 Wie sich aus den Begründungserwägungen und den Bestimmungen der ONP-Richtlinie und der Mietleitungsrichtlinie ergibt (vgl. insbesondere die Artikel 6 Absatz 4, 7 Absatz 1, 8 Absatz 2 und 10 Absatz 2 der Mietleitungsrichtlinie), sollen diese verschiedenen Verpflichtungen für die "Fernmeldeorganisationen" gelten, d. h. nach der Definition in Artikel 2 Nummer 1 der ONP-Richtlinie, auf den Artikel 2 Absatz 1 der Mietleitungsrichtlinie verweist, die staatlichen oder privaten Einrichtungen, denen ein Mitgliedstaat besondere oder ausschließliche Rechte zur Bereitstellung von öffentlichen Telekommunikationsnetzen und gegebenenfalls zur Erbringung von öffentlichen Telekommunikationsdiensten gewährt.

34 Aus Artikel 2 der Richtlinie 94/46/EG der Kommission vom 13. Oktober 1994 zur Änderung der Richtlinie 88/301/EWG und 90/388/EWG, insbesondere betreffend die Satelliten-Kommunikation (ABl. L 268, S. 15), mit der die Definitionen in Artikel 1 Absatz 1 der Dienstleistungsrichtlinie, denen die Definitionen in Artikel 2 Nummern 1 und 2 der ONP-Richtlinie entsprechen, geändert wurden, aus dem sachlichen Kontext, in dem die Dienstleistungsrichtlinie, die Mietleitungsrichtlinie und die ONP-Richtlinie erlassen wurden, sowie aus den Zielen dieser Richtlinien, ergibt sich, daß die besonderen oder ausschließlichen Rechte allgemein als Rechte zu verstehen sind, die die Behörden eines Mitgliedstaats einem Unternehmen oder einer begrenzten Zahl von Unternehmen gewähren, ohne sich dabei an objektive, angemessene und nichtdiskriminierende Kriterien zu halten, und die die Fähigkeit anderer Unternehmen, im selben Gebiet zu im wesentlichen gleichen Bedingungen Telekommunikationsnetze einzurichten oder zu betreiben oder Telekommunikationsdienste zu erbringen, wesentlich beeinträchtigen.

35 Da das vorlegende Gericht nach der Bedeutung des Begriffes der besonderen oder ausschließlichen Rechte für seine nationalen Rechtsvorschriften fragt, ist zu prüfen, ob die Angaben im Vorlagebeschluß und insbesondere in der zweiten Vorlagefrage auf das Bestehen solcher Rechte schließen lassen.

36 Das vorlegende Gericht erwähnt zunächst den Umstand, daß die nationalen Behörden der Kommission gemäß Artikel 2 Nummer 1 Absatz 2 der ONP-Richtlinie mitgeteilt hätten, sie hätten BT, Kingston und Mercury sowie etwa 100 anderen Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte gewährt.

37 Die blosse Mitteilung des Namens eines Unternehmens an die Kommission genügt nicht, um die diesem Unternehmen zustehenden Rechte als besondere oder ausschließliche Rechte anzusehen, auch wenn sie eine gewichtige Vermutung in diesem Sinne begründen kann. Denn die Anwendung der Richtlinien auf bestimmte Einrichtungen kann nicht von den Erklärungen der betroffenen Mitgliedstaaten abhängen. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat im übrigen vorgetragen, die Namen der meisten Unternehmen seien in Beantwortung einer Frage der Kommission vorsorglich genannt worden.

38 Das vorlegende Gericht weist sodann darauf hin, daß nach der im Vereinigten Königreich geltenden Regelung der Betrieb von Telekommunikationsnetzen auf dem Inlandsmarkt von einer Genehmigung der zuständigen Behörde abhänge, die nach einer Sachprüfung des Antrags erteilt werde, sofern keine besonderen Gründe entgegenstuenden; die Zahl der Genehmigungen sei nicht begrenzt. Die Anträge, denen nicht stattgegeben worden sei, seien "aus sachlichen Gründen abgelehnt worden".

39 Die Erteilung einer Genehmigung unter solchen Umständen kann nicht als Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte angesehen werden. Die mit einer solchen Genehmigung verbundenen Rechte werden nach Kriterien eingeräumt, die nach der Darlegung des vorlegenden Gerichts objektiv, angemessen und nicht diskriminierend sind und keine Begrenzung der Zahl der Unternehmen bewirken, die öffentliche Telekommunikationsnetze oder -dienste betreiben oder erbringen.

40 Das vorlegende Gericht führt weiter aus, daß "die PTO ermächtigt werden [können], Grundstücke im Wege der Enteignung zu erwerben, zu Untersuchungszwecken zu betreten und Vereinbarungen zu ihrem Erwerb zu schließen", und daß "die meisten PTO... ermächtigt [wurden], Netzeinrichtungen in, über und unter öffentliche Strassen zu legen, und... auf Privatgrund mit Zustimmung (von der ein Gericht... befreien kann) der betroffenen Personen Einrichtungen aufstellen [dürfen]".

41 Auch solche Befugnisse können nicht als ausschließliche oder besondere Rechte angesehen werden. Derartige Befugnisse, die lediglich die Errichtung der Netze durch die betroffenen Betreiber erleichtern sollen und allen diesen Betreibern eingeräumt werden oder werden können, verleihen ihren Inhabern keinen wesentlichen Vorteil gegenüber ihren potentiellen Wettbewerbern.

42 Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, daß nur zwei Unternehmen, nämlich PT und Mercury, die Genehmigung zum Betrieb internationaler Leitungen, einschließlich innergemeinschaftlicher Leitungen, erhalten hätten. Allerdings hätten die anderen Betreiber das Recht, sich an die Netze dieser Unternehmen anzuschließen, und sie könnten internationale Leitungen von diesen Unternehmen mieten.

43 Aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen, namentlich aus den Erklärungen von PT, geht ferner hervor, daß die Behörden des Vereinigten Königreichs derzeit nicht beabsichtigen, anderen Unternehmen den Betrieb internationaler Leitungen zu genehmigen, da sie die Voraussetzungen für eine Änderung der Politik in diesem Bereich noch nicht für gegeben halten.

44 Wird zwei Unternehmen, wie den Unternehmen BT und Mercury, der Betrieb der internationalen und insbesondere innergemeinschaftlichen Verbindungen vorbehalten, so genügt dies, um darin die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte an den öffentlichen Telekommunikationsnetzen oder -diensten an sie zu sehen.

45 Diesen beiden Unternehmen wird damit nämlich nach Kriterien, die weder objektiv noch angemessen, noch nichtdiskriminierend erscheinen, ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen Netzbetreibern und Erbringern von Telekommunikationsdiensten eingeräumt. Zum einen können sie als einzige internationale Leitungen betreiben, die für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten in den Mitgliedstaaten unerläßlich sind. Zum anderen können sie ihre eigenen Inlandsleitungen, die fast das gesamte Staatsgebiet abdecken, leicht an diese internationalen Leitungen anschließen und auf diese Weise eine breitere Palette von Telekommunikationsdiensten über diese Leitungen anbieten.

46 Auch wenn die genannten Unternehmen verpflichtet sind, im Gegenzug den Anschluß der anderen Betreiber an ihr Netz nach behördlich festgesetzten Tarifen zuzulassen, nimmt ihnen diese Verpflichtung doch nicht die ihnen eingeräumten Vorteile. Zunächst haben nur diese Unternehmen, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission zu Recht ausführen, direkten Zugang zu den ausländischen Netzen und können somit Tarife für den Zugang zu diesen Netzen aushandeln. Ausserdem sollen die ihnen behördlich auferlegten Tarife, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs bestätigt, insbesondere verhindern, daß diese Unternehmen ihre Stellung gegenüber den anderen Betreibern mißbrauchen.

47 Folglich sind derartige Unternehmen als "Fernmeldeorganisationen" im Sinne der ONP-Richtlinie und der Mietleitungsrichtlinie anzusehen.

48 Der Vorlagebeschluß lässt schließlich vermuten, daß Kingston über eine Lizenz verfügt, die nach Kriterien erteilt wurde, die weder objektiv noch angemessen, noch nicht diskriminierend sind, und die ihr das ausschließliche Recht gewährt, ein öffentliches Telekommunikationsnetz in einem bestimmten geographischen Gebiet zu betreiben.

49 Ob es sich tatsächlich so verhält, hat das vorlegende Gericht festzustellen; wenn dies der Fall ist, müssen auch die diesem Unternehmen eingeräumten Rechte als besondere oder ausschließliche Rechte angesehen werden.

50 Auch ein Unternehmen dieser Art ist somit eine "Fernmeldeorganisation" im Sinne der ONP-Richtlinie und der Mietleitungsrichtlinie.

51 Folglich gelten für Unternehmen, wie sie im Ausgangsverfahren angesprochen sind, die Bestimmungen der Mietleitungsrichtlinie.

52 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht jedoch vom Gerichtshof wissen, ob ein Mitgliedstaat befugt ist, Artikel 7 dieser Richtlinie nur auf bestimmte Unternehmen anzuwenden.

53 Um die Entwicklung der Telekommunikationsdienste über Mietleitungen in der gesamten Gemeinschaft sicherzustellen, hat es der Gemeinschaftsgesetzgeber für erforderlich gehalten, den Benutzern im gesamten Gebiet der Gemeinschaft ein Mindestangebot an Mietleitungen mit einheitlichen technischen Merkmalen zur Verfügung zu stellen (vgl. die zwölfte Begründungserwägung der Richtlinie).

54 Artikel 7 der Richtlinie sieht vor, daß dieses Mindestangebot an Mietleitungen, deren technische Merkmale im Anhang II der Richtlinie festgelegt sind, in jedem Mitgliedstaat von einer oder mehreren Telekommunikationsorganisationen bereitzustellen ist.

55 Somit ist es Sache der Behörden der Mitgliedstaaten, festzulegen, welche Fernmeldeorganisationen Mietleitungen mit den im Anhang II der Richtlinie festgelegten technischen Merkmalen bereitzustellen haben, damit ein Mindestangebot an derartigen Leitungen im gesamten Staatsgebiet zur Verfügung steht.

56 Folglich ist ein Mitgliedstaat befugt, die Verpflichtungen aus Artikel 7 der Richtlinie nur bestimmten Fernmeldeorganisationen aufzuerlegen, wenn dies genügt, um den Benutzern im gesamten Staatsgebiet ein Mindestangebot an Mietleitungen mit den in der Richtlinie vorgesehenen Merkmalen zur Verfügung zu stellen. Insbesondere ist er befugt, diese Verpflichtungen nur den Fernmeldeorganisationen aufzuerlegen, die die Hauptbetreiber von Telekommunikationsleitungen in den einzelnen Teilen seines Staatsgebiets sind.

57 Sonach ist auf die ersten vier Fragen zu antworten, daß die Mietleitungsrichtlinie für die "Fernmeldeorganisationen" im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der ONP-Richtlinie gilt. "Fernmeldeorganisationen" im Sinne dieser Bestimmung sind insbesondere die beiden Unternehmen, denen ein Mitgliedstaat nach Kriterien, die nicht objektiv, angemessen und nicht diskriminierend sind, den Betrieb der internationalen und insbesondere innergemeinschaftlichen Telekommunikationsleitungen vorbehalten hat, sowie das Unternehmen, dem der Mitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen den Betrieb eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes in einem Teil seines Staatsgebiets vorbehalten hat. Ein Mitgliedstaat ist befugt, die Verpflichtungen aus Artikel 7 der Mietleitungsrichtlinie nur bestimmten "Fernmeldeorganisationen" aufzuerlegen, wenn dies genügt, um den Benutzern im gesamten Staatsgebiet ein Mindestangebot an Mietleitungen mit den in der Richtlinie vorgesehenen Merkmalen zur Verfügung zu stellen. Ein Mitgliedstaat ist insbesondere befugt, diese Verpflichtungen nur den "Fernmeldeorganisationen" aufzuerlegen, die die Hauptbetreiber von Telekommunikationsleitungen in den einzelnen Teilen seines Staatsgebiets sind.

Zur fünften und zur sechsten Frage

58 Die fünfte und die sechste Frage des vorlegenden Gerichts betreffen die Gültigkeit der Mietleitungsrichtlinie.

59 Die fünfte Frage wird nur für den Fall gestellt, daß der Gerichtshof die Mietleitungsrichtlinie für anwendbar auf andere Unternehmen als die "Fernmeldeorganisationen" erklärt. Angesichts der Antworten auf die ersten vier Fragen ist diese Frage nicht zu beantworten.

60 Die sechste Frage geht dahin, ob die Mietleitungsrichtlinie, insbesondere ihr Artikel 7 Absatz 1 und ihr Anhang II, gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen.

61 Im Vorlagebeschluß führt das vorlegende Gericht aus, daß die Richtlinie die Bereitstellung eines bestimmten Typs von digital strukturierten Mietleitungen gemäß den im Anhang II festgelegten technischen Merkmalen in allen Mitgliedstaaten verlange, ohne zu berücksichtigen, ob auf dem nationalen Markt eine entsprechende Nachfrage bestehe. Auf dem Markt des Vereinigten Königreichs gebe es aber keine Nachfrage nach Mietleitungen, die den im Anhang II festgelegten Normen entsprächen.

62 Artikel 7 der Richtlinie soll ein gemeinschaftsweit harmonisiertes Mindestangebot an Mietleitungen gemäß den Spezifikationen im Anhang II dieser Richtlinie garantieren.

63 Wie es in der zwölften Begründungserwägung der Richtlinie heisst, soll die Garantie eines solchen Mindestangebots an Mietleitungen mit einheitlichen Merkmalen die Kommunikation sowohl innerhalb eines Mitgliedstaats als auch zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen.

64 Folglich ist Ziel der Richtlinie sowohl die Harmonisierung der Angebotsbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten als auch die Beseitigung der technischen Hindernisse für die grenzueberschreitenden Dienstleistungen im Bereich der Telekommunikation.

65 Daher kann in der Richtlinie nicht deshalb ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gesehen werden, weil es bei ihrem Erlaß oder bei ihrer Umsetzung in nationales Recht auf dem nationalen Markt eines Mitgliedstaats keine Nachfrage nach Diensten eines Typs gab, die nach der Richtlinie angeboten werden müssen.

66 Demgemäß ist zu antworten, daß die Prüfung der vorgelegten Fragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Mietleitungsrichtlinie beeinträchtigen könnte.

Zur siebten Frage

67 Angesichts der Antworten auf die vorstehenden Fragen ist diese Frage nicht zu beantworten.

Kostenentscheidung:

Kosten

68 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der französischen Regierung, des Rates der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom High Court of Justice (Queen' s Bench Division) mit Beschluß vom 25. Juli 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Richtlinie 92/44/EWG des Rates vom 5. Juni 1992 zur Einführung des offenen Netzzugangs bei Mietleitungen gilt für die "Fernmeldeorganisationen" im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 90/387/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 zur Verwirklichung des Binnenmarktes für Telekommunikationsdienste durch Einführung eines offenen Netzzugangs (Open Network Provision - ONP). "Fernmeldeorganisationen" im Sinne dieser Bestimmung sind insbesondere die beiden Unternehmen, denen ein Mitgliedstaat nach Kriterien, die nicht objektiv, angemessen und nicht diskriminierend sind, den Betrieb der internationalen und insbesondere innergemeinschaftlichen Telekommunikationsleitungen vorbehalten hat, sowie das Unternehmen, dem der Mitgliedstaat unter den gleichen Bedingungen den Betrieb eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes in einem Teil seines Staatsgebiets vorbehalten hat. Ein Mitgliedstaat ist befugt, die Verpflichtungen aus Artikel 7 der Richtlinie 92/44 nur bestimmten "Fernmeldeorganisationen" aufzuerlegen, wenn dies genügt, um den Benutzern im gesamten Staatsgebiet ein Mindestangebot an Mietleitungen mit den in der Richtlinie vorgesehenen Merkmalen zur Verfügung zu stellen. Ein Mitgliedstaat ist insbesondere befugt, diese Verpflichtungen nur den "Fernmeldeorganisationen" aufzuerlegen, die die Hauptbetreiber von Telekommunikationsleitungen in den einzelnen Teilen seines Staatsgebiets sind.

2. Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 92/44 beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

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