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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.02.1996
Aktenzeichen: C-308/94
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.07.1971, Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.06.1971


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 177
Verordnung Nr. 1408/71 vom 14.07.1971 Art. 13 Abs. 2 a
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 13 Abs. 2 d
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 Art. 71 Abs. 1 b Ziff. i
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Auf einen im Dienst eines Mitgliedstaats stehenden Beamten, der seine Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt und zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsvertrags von dem ersten Mitgliedstaat rückwirkend fiktiv so behandelt wird, als habe er seine Tätigkeit als Arbeitnehmer und nicht als Beamter ausgeuebt, damit er Arbeitslosenunterstützung erhalten kann und ihm die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Invaliditätsversicherung zugute kommen können, gelten gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 kodifizierten Fassung die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, zu dem die Verwaltung gehört, die ihn beschäftigt. Diese rückwirkende Einstufung kann nämlich nicht dazu führen, daß der Betroffene einer anderen Verordnungsbestimmung unterliegt als derjenigen, die während der Beschäftigungszeit anzuwenden war.

2. Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 ist so auszulegen, daß ein Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnt, bei Vollarbeitslosigkeit die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu Lasten des zuständigen Staates erhalten kann, sofern er sich bei den Dienststellen dieses Staates als Arbeitsuchender meldet und sich ihrer Kontrolle unterwirft. Dieser Leistungsanspruch kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß der Betreffende seinen Wohnsitz im Ausland hat, denn diese Bestimmung erfasst gerade die Arbeitslosen, die nicht im zuständigen Mitgliedstaat wohnen, und kommt arbeitslosen Beamten zugute, da die Tatsache, daß die Beamten in Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung für die Bestimmung der auf sie anzuwendenden Rechtsvorschriften als eine besondere Gruppe angesehen werden, ihnen für die Anwendung anderer Bestimmungen der Verordnung nicht die Arbeitnehmereigenschaft nimmt.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 1. Februar 1996. - Office national de l'emploi gegen Heidemarie Naruschawicus. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour du travail de Liège - Belgien. - Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Verordnung Nr. 1408/71 des Rates - In einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnender Arbeitnehmer - Leistungen bei Arbeitslosigkeit. - Rechtssache C-308/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour du travail Lüttich hat mit Urteil vom 15. November 1994, im Gerichtshof eingegangen am 22. November 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 13 Absatz 2 Buchstaben a und d und 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) kodifizierten Fassung (im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Office national de l' emploi (ONEM), dem Berufungskläger des Ausgangsverfahrens, und Frau Naruschawicus, der Berufungsbeklagten des Ausgangsverfahrens (im folgenden: Berufungsbeklagte), über einen Bescheid, mit dem der Inspecteur régional die Berufungsbeklagte vom Bezug der Arbeitslosenunterstützung ausschloß.

3 Aus den Akten ergibt sich, daß die Berufungsbeklagte, eine belgische Staatsangehörige, vom 1. Juni 1981 bis 20. April 1991 bei den belgischen Streitkräften in Deutschland vollzeitbeschäftigt war. Während dieser Zeit wohnte sie in Deutschland, hatte jedoch wegen ihrer Beamteneigenschaft ihren gesetzlichen Wohnsitz in Blégny in Belgien. Am 1. Juli 1991 wurde sie von den belgischen Streitkräften in Deutschland teilzeitbeschäftigt als Arbeiterin wiedereingestellt.

4 Während die Berufungsbeklagte nach wie vor in Deutschland wohnte, beantragte sie bei dem aufgrund ihres gesetzlichen Wohnsitzes zuständigen Regionalamt für Arbeitslose Lüttich Arbeitslosenunterstützung ab 22. April 1991. Sie unterwarf sich der Arbeitslosenkontrolle dieses Amtes, indem sie sich hierfür regelmässig von ihrem Wohnort Arnsberg (Deutschland) nach Lüttich begab.

5 Die beantragte Unterstützung wurde der Berufungsbeklagten ab 22. April 1991 bewilligt und bis 30. Juni 1991 gezahlt. Mit Bescheid vom 21. November 1991 schloß der Inspecteur régional die Berufungsbeklagte jedoch rückwirkend ab 22. April 1991 vom Bezug dieser Leistungen aus und forderte die inwischen bezogenen Leistungen mit der Begründung zurück, daß die Berufungsbeklagte dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe, da ihr tatsächlicher Wohnort nicht in Belgien gelegen habe.

6 Die Berufungsbeklagte focht diesen Bescheid vor dem Tribunal du travail Lüttich an. Mit Urteil vom 25. Februar 1993 entschied das Gericht, daß die Berufungsbeklagte gegen das ONEM einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung habe.

7 Das ONEM legte gegen dieses Urteil Berufung bei der Cour du travail Lüttich ein. Diese hat sich verschiedene Fragen nach der Auslegung der Artikel 13 Absatz 2 Buchstaben a und d und 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 gestellt.

8 Artikel 13 Absatz 2 bestimmt:

"Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

...

d) Beamte und ihnen gleichgestellte Personen unterliegen den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Behörde sie beschäftigt sind;

..."

9 Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 eröffnet arbeitslosen Arbeitnehmern, die nicht Grenzgänger sind und die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnten, die Möglichkeit, die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit entweder nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates (Fall der Ziffer i) oder nach denen des Wohnstaats (Fall der Ziffer ii) zu beziehen.

10 Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i im besonderen bestimmt:

"Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin ihrem Arbeitgeber oder der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen, erhalten bei Kurzarbeit, sonstigem vorübergehendem Arbeitsausfall oder Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staat wohnten; diese Leistungen gewährt der zuständige Träger."

11 Im Vorlageurteil weist die Cour du travail Lüttich zunächst darauf hin, daß der belgische Staat (Verteidigungsministerium) als Arbeitgeber während der Beschäftigung der Berufungsbeklagten die Sozialversicherungsbeiträge an das ONEM entrichtet habe, so daß zuständiger Staat im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 das Königreich Belgien sei.

12 Sie stellt jedoch fest, die Besonderheit des vorliegenden Falles bestehe darin, daß die Berufungsbeklagte während ihrer Beschäftigung Beamtin im Dienst des Verteidigungsministeriums gewesen, zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung jedoch von diesem Ministerium fiktiv so behandelt worden sei, als habe sie als Arbeitnehmerin gearbeitet; im Hinblick darauf habe sie die im belgischen Recht vorgesehene Bescheinigung "Modell B" erhalten. Diese rückwirkende Einstufung sei vorgenommen worden, damit die Berufungsbeklagte Arbeitslosenunterstützung erhalten könne und ihr die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Invaliditätsversicherung zugute kommen könnten. Wenn die Berufungsbeklagte von Beginn ihrer Tätigkeit an als Arbeitnehmerin behandelt würde, würde gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 das deutsche Recht gelten; wenn sie jedoch als Beamtin oder als zum Kreis der den Beamten gleichgestellten Personen gehörig behandelt würde, würde gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 das belgische Recht gelten.

13 Die Cour du travail Lüttich ist sodann der Auffassung, daß bei Anwendbarkeit des belgischen Rechts noch zu bestimmen sei, was unter Verfügbarkeit im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 zu verstehen sei, und insbesondere, ob die Meldung bei der zuständigen Arbeitsverwaltung ausreiche oder ob sich aus dem Umstand, daß der tatsächliche Wohnort ausserhalb des Staatsgebiets gelegen habe, eine unwiderlegbare Vermutung für das Fehlen der Verfügbarkeit ergebe.

14 Das vorlegende Gericht hat daher dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Rechtsvorschriften, die auf einen im Dienst eines Mitgliedstaats, hier: Belgiens (Verteidigungsministerium), stehenden Beamten anzuwenden sind, der seine Dienste im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, hier: Deutschlands, wo er tatsächlich wohnt, erbringt und zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsvertrags rückwirkend so behandelt wird, als habe er seine Dienste als Arbeitnehmer erbracht, damit er Arbeitslosenunterstützung erhalten kann und ihm die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Invaliditätsversicherung zugute kommen können, nach Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a oder nach Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 zu bestimmen?

2. Ist Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen, daß ein Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist, bei Vollarbeitslosigkeit die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ungeachtet der Wohnortvoraussetzung zu Lasten des zuständigen Staates erhalten kann, sofern er sich bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Trägers als Arbeitsuchender meldet, obwohl er wegen der Entfernung weniger in der Lage ist, auf die Beschäftigungsangebote dieser Stellen zu antworten, und obwohl er nicht einer Kontrolle durch die zuständigen Stellen dieses Trägers daraufhin unterzogen werden kann, ob er die Voraussetzungen für die Gewährung der Arbeitslosenunterstützung erfuellt?

3. Kann nicht ein belgischer Arbeitnehmer, der seit mehr als zehn Jahren in Deutschland wohnt, wo er vom belgischen Staat beschäftigt wurde, einem Arbeitgeber, bei dem er nach einigen Monaten der Vollarbeitslosigkeit den Dienst wiederaufnehmen wird, angesichts der besonderen persönlichen und beruflichen Bindungen an den zuständigen Staat, den in Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b genannten Arbeitnehmern gleichgestellt werden?

15 Vor der Prüfung der Vorabentscheidungsfragen ist festzustellen, daß Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1408/71 die Sondersysteme für Beamte und ihnen Gleichgestellte vom sachlichen Geltungsbereich der Verordnung ausnimmt. Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht jedoch hervor, daß das vorlegende Gericht der Auffassung ist, die Berufungsbeklagte sei als Beamtin des belgischen Staates nicht einem Sondersystem der Arbeitlosenversicherung für Beamte, sondern dem System angeschlossen gewesen, das nach belgischem Recht allgemein für Arbeitnehmer gelte.

Zur ersten Frage

16 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Rechtsvorschriften, die auf einen im Dienst eines Mitgliedstaats stehenden Beamten anzuwenden sind, der seine Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt und zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsvertrags von dem ersten Mitgliedstaat rückwirkend fiktiv so behandelt wird, als habe er seine Tätigkeit als Arbeitnehmer und nicht als Beamter ausgeuebt, damit er Arbeitslosenunterstützung erhalten kann und ihm die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Invaliditätsversicherung zugute kommen können, auf der Grundlage des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe a oder nach Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 zu bestimmen sind.

17 Aus den Akten geht hervor, daß die Berufungsbeklagte bis zur Beendigung ihres Beschäftigungsvertrags Beamtin war. Folglich waren auf sie bis zu diesem Zeitpunkt die Rechtsvorschriften anzuwenden, auf die Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 verweist. Dies war demnach das Recht, dem die Verwaltung unterlag, die die Berufungsbeklagte beschäftigte, also das belgische Recht.

18 An dieser Feststellung und den sich daraus gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 ergebenden Folgen kann auch der Umstand nichts ändern, daß die Berufungsbeklagte bei Vertragsbeendigung von dem Staat, der sie beschäftigte, rückwirkend fiktiv so eingestuft wurde, als habe sie als Arbeitnehmerin gearbeitet, damit sie Arbeitslosenunterstützung und Leistungen bei Krankheit und Invalidität erhalten kann.

19 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen ist, daß die Rechtsvorschriften, die auf einen im Dienst eines Mitgliedstaats stehenden Beamten anzuwenden sind, der seine Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt und zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsvertrags von dem ersten Mitgliedstaat rückwirkend fiktiv so behandelt wird, als habe er seine Tätigkeit als Arbeitnehmer und nicht als Beamter ausgeuebt, damit er Arbeitslosenunterstützung erhalten kann und ihm die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Invaliditätsversicherung zugute kommen können, auf der Grundlage des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe d dieser Verordnung zu bestimmen sind.

Zur zweiten Frage

20 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen ist, daß ein Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnt, bei Vollarbeitslosigkeit die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu Lasten des zuständigen Staates erhalten kann, sofern er sich bei den Dienststellen dieses Staates als Arbeitsuchender meldet, obwohl er wegen der Entfernung weniger in der Lage ist, auf die Beschäftigungsangebote dieser Stellen zu antworten, und obwohl er nicht einer Kontrolle durch die zuständigen Stellen dieses Staates daraufhin unterzogen werden kann, ob er die Voraussetzungen für die Gewährung der Arbeitslosenunterstützung erfuellt.

21 Zunächst ist festzustellen, daß der Umstand, daß die Beamten in Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1408/71 im Hinblick auf die Bestimmung der auf sie anzuwendenden Rechtsvorschriften als eine besondere Gruppe aufgeführt werden, ihnen nicht ihre Arbeitnehmereigenschaft nimmt; dieser Begriff hat für die Zwecke der Anwendung anderer Bestimmungen der Verordnung einen weiteren Sinn (in diesem Sinn Urteil vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-71/93, Van Poucke, Slg. 1994, I-1101, Randnrn. 17 und 18).

22 Folglich gilt Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 für Beamte ebenso wie für jeden Arbeitnehmer schlechthin.

23 Nach dieser Bestimmung erhalten "Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und weiterhin... der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung stehen,... bei... Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie in diesem Staat wohnten..."

24 Die Bestimmung nennt allerdings nicht die Umstände, unter denen die Voraussetzung der Verfügbarkeit erfuellt ist.

25 Es ist jedoch sogleich darauf hinzuweisen, daß die Tatsache, daß der betroffene Arbeitnehmer im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnt, die Anwendung dieser Bestimmung nicht ausschließt, sondern im Gegenteil eine Voraussetzung für ihre Anwendung darstellt.

26 Folglich dürfen die Umstände, die vorliegen müssen, damit die Voraussetzung der Verfügbarkeit erfuellt ist, sich nicht unmittelbar oder mittelbar so auswirken, daß der Arbeitnehmer zu einem Wohnortwechsel gezwungen ist.

27 Im Licht dieser Erwägungen ist festzustellen, daß ein solcher Arbeitnehmer der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates zur Verfügung steht, sofern er sich bei diesen Stellen als Arbeitsuchender meldet (in diesem Sinn Urteil vom 27. Mai 1982 in der Rechtssache 227/81, Aubin, Slg. 1982, 1991, Randnr. 20) und sich der Kontrolle der zuständigen Stellen dieses Staates unterwirft.

28 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 so auszulegen ist, daß ein Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnt, bei Vollarbeitslosigkeit die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu Lasten des zuständigen Staates erhalten kann, sofern er sich bei den Dienststellen dieses Staates als Arbeitsuchender meldet und sich ihrer Kontrolle unterwirft.

Zur dritten Frage

29 Diese Frage ist für den Fall gestellt worden, daß ein Arbeitnehmer wie die Berufungsbeklagte grundsätzlich vom Geltungsbereich des Artikels 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 ausgenommen ist. Aus den Antworten auf die erste und die zweite Vorabentscheidungsfrage ergibt sich jedoch, daß, wer sich in der Lage der Berufungsbeklagten des Ausgangsverfahrens befindet, in den Geltungsbereich dieser Bestimmung fällt.

30 Die dritte Frage braucht daher nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von der Cour du travail Lüttich mit Urteil vom 15. November 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung ist so auszulegen, daß die Rechtsvorschriften, die auf einen im Dienst eines Mitgliedstaats stehenden Beamten anzuwenden sind, der seine Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausübt und zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsvertrags von dem ersten Mitgliedstaat rückwirkend fiktiv so behandelt wird, als habe er seine Tätigkeit als Arbeitnehmer und nicht als Beamter ausgeuebt, damit er Arbeitslosenunterstützung erhalten kann und ihm die Rechtsvorschriften über die Kranken- und Invaliditätsversicherung zugute kommen können, auf der Grundlage des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe d dieser Verordnung zu bestimmen sind.

2. Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 ist so auszulegen, daß ein Arbeitnehmer, der nicht Grenzgänger ist und der im Gebiet eines anderen als des zuständigen Mitgliedstaats wohnt, bei Vollarbeitslosigkeit die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu Lasten des zuständigen Staates erhalten kann, sofern er sich bei den Dienststellen dieses Staates als Arbeitsuchender meldet und sich ihrer Kontrolle unterwirft.

Ende der Entscheidung

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