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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.1991
Aktenzeichen: C-31/90
Rechtsgebiete: Richtlinie 79/7/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 79/7/EWG Art. 2
Richtlinie 79/7/EWG Art. 3 Abs. 1a
Richtlinie 79/7/EWG Art. 4
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 2 der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, daß die Richtlinie auf eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, und durch Krankheit daran gehindert ist, wieder eine Beschäftigung aufzunehmen, nur dann Anwendung findet, wenn sich diese Person auf Arbeitsuche befand und diese Suche durch den Eintritt eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochen wurde, wobei nicht nach dem Grund zu unterscheiden ist, aus dem die Person ihre frühere Beschäftigung aufgegeben hat. Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, festzustellen, ob sich derjenige, der sich auf die Richtlinie 79/7 beruft, im Zeitpunkt des Eintritts eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken tatsächlich auf Arbeitsuche befand.

2. Seit dem Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 79/7 kann sich ein Betroffener auf Artikel 4 dieser Richtlinie berufen, um zu erreichen, daß innerstaatliche Rechtsvorschriften unangewendet bleiben, die den Anspruch auf eine Leistung davon abhängig machen, daß der Betroffene zuvor eine andere, inzwischen abgeschaffte Leistung beantragt hatte, die an eine weibliche Arbeitnehmer diskriminierende Bedingung geknüpft war. In Ermangelung angemessener Maßnahmen zur Durchführung von Artikel 4 der Richtlinie haben Frauen, die infolge der Aufrechterhaltung der Diskriminierung einen Nachteil erleiden, Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht korrekt durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 11. JULI 1991. - ELSIE RITA JOHNSON GEGEN CHIEF ADJUDICATION OFFICER. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL OF SOCIAL SECURITY COMMISSIONERS - VEREINIGTES KOENIGREICH. - GLEICHBEHANDLUNG VON MAENNERN UND FRAUEN IM BEREICH DER SOZIALEN SICHERHEIT - ARTIKEL 2 UND 4 DER RICHTLINIE 79/7/EWG. - RECHTSSACHE C-31/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Social Security Commissioners haben mit Entscheidung vom 25. Januar 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 2 und 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem vor den Social Security Commissioners anhängigen Rechtsstreit zwischen Elsie Rita Johnson und dem Adjudication Officer über dessen Weigerung, Frau Johnsons Antrag auf Gewährung von Schwerbehindertenbeihilfe stattzugeben.

3 Aus den Akten geht hervor, daß Frau Johnson ihre Beschäftigung um 1970 aufgegeben hat, um für ihre Tochter zu sorgen, die damals sechs Jahre alt war und mit der sie allein zusammenlebte. 1980 wollte sie die Arbeit wiederaufnehmen, war jedoch hierzu wegen eines Rückenleidens nicht imstande. 1981 wurde ihr wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit aufgrund der damals geltenden Section 36 (2) des Social Security Act 1975 [Gesetz über die soziale Sicherheit] eine beitragsunabhängige Invaliditätsrente gewährt. Die Zahlung der Rente wurde jedoch eingestellt, als Frau Johnson begann, mit ihrem gegenwärtigen Lebensgefährten zusammenzuleben, und zwar mit der Begründung, sie könne nicht nachweisen, daß sie die von der vorerwähnten Section 36 (2) für in einem eheähnlichen Verhältnis lebende Frauen aufgestellte Bedingung erfuelle, das heisst nicht in der Lage sei, ihren normalen Haushaltspflichten nachzukommen.

4 Durch Section 11 des Health and Social Security Act 1984 [Gesetz über Gesundheit und soziale Sicherheit] wurde die beitragsunabhängige Invaliditätsrente mit Wirkung vom 20. November 1984 abgeschafft und als neue Leistung mit Wirkung vom 29. November 1984 die Schwerbehindertenbeihilfe eingeführt, auf die Antragsteller beiderlei Geschlechts unter den gleichen Voraussetzungen Anspruch haben. Regulation 20 (1) der Social Security (Severe Disablement Allowance) Regulations 1984 ermöglichte es jedoch Personen, die einen Anspruch auf die frühere beitragsunabhängige Invaliditätsrente gehabt hatten, vom 29. November 1984 an automatisch die neue Schwerbehindertenbeihilfe zu beziehen, ohne den Nachweis führen zu müssen, daß sie die neuen Voraussetzungen erfuellten.

5 Am 17. August 1987 stellte ein Citizens' Advice Bureau für Frau Johnson einen Antrag auf Gewährung einer Schwerbehindertenbeihilfe gemäß Regulation 20 (1) der Social Security (Severe Disablement Allowance) Regulations 1984. Sie machte geltend, sie hätte für die dem 29. November 1984 unmittelbar vorausgegangene Zeit einen Anspruch auf die beitragsunabhängige Invaliditätsrente gehabt, wenn dem nicht das Kriterium der Haushaltspflichten entgegengestanden hätte, das eine zusätzliche Bedingung für verheiratete oder in einem eheähnlichen Verhältnis lebende Frauen darstelle und, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 1987 in der Rechtssache 384/85 (Borrie Clarke, Slg. 1987, 2865) festgestellt habe, als diskriminierend anzusehen sei.

6 Der Adjudication Officer lehnte den Antrag mit Entscheidung vom 13. November 1987 ab; das Sutton Social Security Appeal Tribunal wies die hiergegen erhobene Klage mit Entscheidung vom 24. Oktober 1988 ab.

7 Vor den Social Security Commissioners, bei denen hiergegen Berufung eingelegt worden war, machte der Adjudication Officer in erster Linie geltend, Frau Johnson falle nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7, wie er in deren Artikel 2 näher bestimmt sei. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 27. Juni 1989 in den verbundenen Rechtssachen 48/88, 106/88 und 107/88 (Achterberg-te Riele, Slg. 1989, 1963) führte er aus, Frau Johnson könne nicht als jemand angesehen werden, dessen Erwerbstätigkeit durch Krankheit oder ein anderes in Artikel 3 der Richtlinie genanntes Risiko unterbrochen worden sei, da sie ihre Arbeit freiwillig aufgegeben habe, um für ihre Tochter zu sorgen. In zweiter Linie machte der Adjudication Officer geltend, selbst wenn Frau Johnson in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fiele, würde sie, da sie vor dem 29. November 1984 niemals eine beitragsunabhängige Invaliditätsrente beantragt habe, nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Schwerbehindertenbeihilfe erfuellen, denn sie könne nicht nachweisen, daß sie Anspruch auf diese Rente gehabt oder sie zumindest beantragt habe.

8 Da die Social Security Commissioners der Ansicht waren, daß eine Auslegung der Richtlinie für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sei, haben sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist Artikel 2 der Richtlinie 79/7/EWG dahin auszulegen, daß eine Frau (oder ein Mann), die (der) Arbeitnehmer(in) war, die Beschäftigung aber aufgegeben hat, um ein Kind zu betreuen, und später durch Krankheit an der Wiederaufnahme der Beschäftigung gehindert wurde, in seinen persönlichen Anwendungsbereich fällt?

2) Insbesondere, ist eine solche Frau (oder ein solcher Mann) als in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallend anzusehen, wenn sie arbeiten oder eine Beschäftigung suchen würde, wäre sie nicht krank, oder ist es in jedem Fall erforderlich, daß jemand, der in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie zu fallen behauptet, die Beschäftigung nicht in erster Linie aufgegeben hat, um ein Kind zu betreuen, sondern weil eines der in Artikel 3 genannten Risiken eingetreten ist?

3) Kommt es für die Beurteilung der Rechtsstellung einer solchen Frau in bezug auf Artikel 2 der Richtlinie auf die Feststellung an, ob sie in dem Zeitraum zwischen dem Ende ihrer Kinderbetreuungstätigkeit und dem Auftreten der Krankheit, die sie jetzt an der Aufnahme einer Arbeit hindert, eine Beschäftigung gesucht hat?

4) Hat Artikel 4 der Richtlinie 79/7/EWG unmittelbare Wirkung in der Weise, daß er für eine Frau einen Anspruch auf eine Leistung (Leistung 'B' ) für den Zeitraum nach ihrer Antragstellung in einem Fall begründet, in dem:

i) ein Mitgliedstaat eine Leistung bei Invalidität (wie die in der Rechtssache Clarke geprüfte beitragsunabhängige Leistung bei Invalidität) (Leistung 'A' ) vorgesehen hatte, die unter dem Vorbehalt einer Vorschrift stand, nach der verheiratete oder in einem eheähnlichen Verhältnis lebende Frauen die Voraussetzungen für diese Leistungen nicht erfuellen konnten, es sei denn, sie erfuellten eine zusätzliche Voraussetzung, die für Männer nicht galt;

ii) die Leistung 'A' abgeschafft und durch die Leistung 'B' ersetzt wurde;

iii) der Anspruch auf die Leistung 'B' sich zumindest in einigen Fällen auf einen früheren Anspruch auf die abgeschaffte Leistung 'A' stützt;

iv) die Frau den Anspruch auf die Leistung 'A' nach innerstaatlichem Recht nicht dadurch begründet hat, daß sie diese Leistung vor deren Abschaffung beantragt hat, und ein jetzt gestellter Antrag ihr keinen Leistungsanspruch sichern würde, weil kein Anspruch für einen Zeitraum begründet werden kann, der mehr als zwölf Monate vor dem Zeitpunkt liegt, in dem der Antrag auf Gewährung dieser Leistung gestellt wird?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Die Vorlagefragen der Social Security Commissioners werfen zwei verschiedene Probleme auf: zum einen die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie 79/7 (erste, zweite und dritte Frage), zum anderen die Feststellung der Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, auf den sich Artikel 4 der Richtlinie 79/7 im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit bezieht (vierte Frage).

11 Die Richtlinie 79/7 hat ihrem Artikel 1 zufolge zum Ziel,

"daß auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit - im folgenden 'Grundsatz der Gleichbehandlung' genannt - schrittweise verwirklicht wird".

12 Gemäß ihrem Artikel 2

"findet [diese Richtlinie] Anwendung auf die Erwerbsbevölkerung - einschließlich der selbständigen, deren Erwerbstätigkeit durch Krankheit, Unfall oder unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist, und der Arbeitsuchenden - sowie auf die im Ruhestand befindlichen oder arbeitsunfähigen Arbeitnehmer und Selbständigen".

13 Nach ihrem Artikel 3 Absatz 1 findet die Richtlinie Anwendung

"a) auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:

- Krankheit,

- Invalidität,

- Alter,

- Arbeitsunfall und Berufskrankheit,

- Arbeitslosigkeit;

b) auf Sozialhilferegelungen, soweit sie die unter Buchstabe a genannten Systeme ergänzen oder ersetzen sollen."

14 In Artikel 4 heisst es:

"Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im besonderen betreffend:

- den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen;

- die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge;

- die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen."

15 Ihrem Artikel 7 Absatz 1 zufolge

"steht [diese Richtlinie] nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:

a)...

b)...; den Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen im Anschluß an Zeiträume der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung;...".

Zum persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7

16 Die ersten drei Fragen der Social Security Commissioners, die gemeinsam zu prüfen sind, zielen im wesentlichen darauf ab, ob eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen hat, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, und durch Krankheit an der Wiederaufnahme einer Beschäftigung gehindert ist, in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt.

17 Mit der zweiten und der dritten Frage wird der Gerichtshof im besonderen ersucht, klarzustellen, ob:

- eine Person, die, wenn sie nicht krank wäre, arbeiten oder sich auf Arbeitsuche befinden würde, ihre frühere Erwerbstätigkeit wegen des Eintritts eines der in Artikel 3 der Richtlinie genannten Risiken aufgegeben haben muß, um in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 zu fallen;

- der Umstand, daß sich diese Person im Zeitpunkt des Eintritts eines der in Artikel 3 der Richtlinie genannten Risiken auf Arbeitsuche befand oder nicht befand, ausschlaggebend für die Beantwortung der Frage ist, ob diese Person in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt.

18 Aus Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 3 der Richtlinie 79/7 ergibt sich, daß die Richtlinie nur auf Personen Anwendung findet, die auf dem Arbeitsmarkt verfügbar oder wegen des Eintritts eines der in der Richtlinie genannten Risiken nicht mehr verfügbar sind.

19 Hieraus folgt erstens, daß eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, nicht als Arbeitnehmer, dessen Erwerbstätigkeit durch den Eintritt eines der in der Richtlinie aufgezählten Risiken unterbrochen wurde, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt, da eine Unterbrechung der Beschäftigung durch die Erziehung von Kindern nicht zu den in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken gehört.

20 Zweitens folgt hieraus, daß diese Person trotzdem in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fallen kann, nämlich als Arbeitsuchender, dem der Eintritt eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken die Fortsetzung der Arbeitsuche unmöglich macht.

21 Um zur Erwerbsbevölkerung im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie zu zählen, genügt es nämlich, wenn der Betroffene Arbeitsuchender ist, wobei es keiner Unterscheidung nach dem Grund, aus dem er eine frühere Beschäftigung aufgegeben, ja nicht einmal danach, ob er früher eine Erwerbstätigkeit ausgeuebt hat, bedarf.

22 Der Betroffene muß jedoch nachweisen, daß er sich im Zeitpunkt des Eintritts eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken auf Arbeitsuche befand. In dieser Hinsicht ist es Sache des innerstaatlichen Gerichts, festzustellen, ob sich der Betroffene tatsächlich auf Arbeitsuche befand, als bei ihm eines der in der Richtlinie aufgezählten Risiken eintrat, wobei namentlich zu prüfen ist, ob er sich bei einer Stelle gemeldet hat, die mit der Bearbeitung von Stellenangeboten oder der Hilfe für Arbeitsuchende befasst ist, ob er Bewerbungsschreiben an Arbeitgeber gesandt hat und ob Bescheinigungen von Unternehmen vorliegen, wonach er zu Einstellungsgesprächen erschienen ist.

23 Der Schutz, den die Richtlinie 79/7 denjenigen gewährt, die ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben haben, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, wird somit nur solchen zu diesem Kreis gehörenden Personen gewährt, die während eines Zeitraums, in dem sie Arbeit suchten, arbeitsunfähig geworden sind.

24 Zwar trifft es zu, wie das Vereinigte Königreich und die Kommission dargelegt haben, daß es hauptsächlich Frauen sind, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, und die deshalb einen Nachteil erleiden, wenn sie erkranken oder arbeitsunfähig werden, bevor sie überhaupt wieder Arbeit gesucht haben.

25 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie 79/7 gemäß ihrer ersten Begründungserwägung und ihrem Artikel 1 lediglich die schrittweise Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit anstrebt. Was dagegen den sozialen Schutz der zu Hause bleibenden Mütter betrifft, so folgt aus Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie, daß der Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen im Anschluß an Zeiten der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung noch in die Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.

26 Unter diesen Umständen ist es Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, die er für geeignet hält, um die Diskriminierungen, die in bestimmten nationalen Rechtsvorschriften noch fortbestehen, zu beseitigen.

27 Auf die ersten drei Fragen ist daher zu antworten, daß Artikel 2 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, daß die Richtlinie auf eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, und durch Krankheit daran gehindert ist, wieder eine Beschäftigung aufzunehmen, nur dann Anwendung findet, wenn sich diese Person auf Arbeitsuche befand und diese Suche durch den Eintritt eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochen wurde, wobei nicht nach dem Grund zu unterscheiden ist, aus dem die Person ihre frühere Beschäftigung aufgegeben hat. Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, festzustellen, ob sich derjenige, der sich auf die Richtlinie 79/7 beruft, im Zeitpunkt des Eintritts eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken tatsächlich auf Arbeitsuche befand.

Zum Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 4 der Richtlinie 79/7

28 Mit ihrer vierten Frage wollen die Social Security Commissioners erfahren, ob Artikel 4 der Richtlinie 79/7 innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegensteht, die den Anspruch auf eine Leistung davon abhängig machen, daß der Betroffene zuvor eine andere, inzwischen abgeschaffte Leistung beantragt hatte, die an eine weibliche Arbeitnehmer diskriminierende Bedingung geknüpft war. Für den Fall, daß diese Frage zu bejahen ist, wird ausserdem um Aufschluß darüber gebeten, welche Folgen sich aus der Unvereinbarkeit der in Rede stehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit Artikel 4 der Richtlinie ergeben.

29 Wie aus den Akten hervorgeht, wirkt sich Section 165A des Social Security Act 1975, die die Voraussetzungen für Leistungsansprüche der Betroffenen festlegt, dahin aus, daß jemand, der vor der Abschaffung der beitragsunabhängigen Invaliditätsrente eine solche Rente nicht beantragt hatte, nicht automatisch einen Anspruch auf Schwerbehindertenbeihilfe nach Regulation 20 (1) der Social Security (Severe Disablement Allowance) Regulations 1984 geltend machen kann.

30 Hierzu muß man sich vergegenwärtigen, daß die Gewährung der beitragsunabhängigen Invaliditätsrente an verheiratete oder in einem eheähnlichen Verhältnis lebende Frauen unter anderem an die Voraussetzung geknüpft war, daß die Betroffene nicht in der Lage war, ihren Haushaltspflichten nachzukommen, eine Voraussetzung, deren diskriminierender Charakter unstreitig ist.

31 Indem sie die Forderung aufstellt, daß diese Frauen einen Antrag auf beitragsunabhängige Invaliditätsrente gestellt haben müssen, um eine Schwerbehindertenbeihilfe beanspruchen zu können, erhält die obengenannte Section 165A in Verbindung mit der bereits erwähnten Regulation 20 (1) diese Diskriminierung aufrecht, da praktisch keine der Frauen, die Opfer der durch das Kriterium der Haushaltspflichten bewirkten Diskriminierung geworden sind, künftig automatisch die Zahlung von Schwerbehindertenbeihilfe beanspruchen können, während in vergleichbarer Lage befindliche Männer hierzu automatisch berechtigt sind. Diese Männer hatten in der Tat Anspruch auf die beitragsunabhängige Invaliditätsrente und konnten somit vernünftigerweise die Gewährung dieser Leistung beantragen, während die Frauen keinen Anlaß hatten, einen derartigen Antrag zu stellen, da sie wussten, daß sie auf diese Leistung keinen Anspruch hatten.

32 Wie aber der Gerichtshof unter Randnummer 10 seines Urteils in der Rechtssache Borrie Clarke, a. a. O., ausgeführt hat, sieht die Richtlinie keine Ausnahme von dem in ihrem Artikel 4 Absatz 1 verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz vor, die die Verlängerung der diskriminierenden Wirkungen früherer innerstaatlicher Vorschriften erlauben würde. Ein Mitgliedstaat darf daher nach dem 22. Dezember 1984, dem Datum, an dem die in der Richtlinie gesetzte Frist ablief, innerhalb deren die innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie in Einklang zu bringen waren, keine Ungleichbehandlung mehr fortbestehen lassen.

33 Somit ist festzustellen, daß innerstaatliche Rechtsvorschriften wie Section 165A des Social Security Act 1975 in Verbindung mit Regulation 20 (1) der Social Security (Severe Disablement Allowance) Regulations 1984, die den Anspruch auf eine Leistung davon abhängig machen, daß die betroffene Person zuvor einen Antrag auf Gewährung einer anderen Leistung gestellt hatte, die an eine weibliche Arbeitnehmer diskriminierende Bedingung geknüpft war, als mit Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 unvereinbar angesehen werden muß.

34 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 4 Absatz 1, wie der Gerichtshof unter Randnummer 9 seines Urteils in der Rechtssache Borrie Clarke, a. a. O., ausgeführt hat, für sich betrachtet, unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Richtlinie und ihres Inhalts hinreichend genau und unbedingt ist, um von einem einzelnen vor einem innerstaatlichen Gericht in Anspruch genommen werden zu können, so daß dieses Gericht alle mit diesem Artikel nicht vereinbaren innerstaatlichen Bestimmungen unangewendet zu lassen hat.

35 Aus Randnummer 12 dieses Urteils geht ausserdem hervor, daß Frauen seit dem 23. Dezember 1984 Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer haben, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht korrekt durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

36 Auf die vierte Frage ist deshalb zu antworten, daß sich seit dem 23. Dezember 1984 ein Betroffener auf Artikel 4 der Richtlinie 79/7 berufen kann, um zu erreichen, daß innerstaatliche Rechtsvorschriften unangewendet bleiben, die den Anspruch auf eine Leistung davon abhänging machen, daß der Betroffene zuvor eine andere, inzwischen abgeschaffte Leistung beantragt hatte, die an eine weibliche Arbeitnehmer diskriminierende Bedingung geknüpft war. In Ermangelung angemessener Maßnahmen zur Durchführung von Artikel 4 der Richtlinie 79/7 haben Frauen, die infolge der Aufrechterhaltung der Diskriminierung einen Nachteil erleiden, Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht korrekt durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von den Social Security Commissioners mit Entscheidung vom 25. Januar 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 2 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, daß die Richtlinie auf eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu kümmern, und durch Krankheit daran gehindert ist, wieder eine Beschäftigung aufzunehmen, nur dann Anwendung findet, wenn sich diese Person auf Arbeitsuche befand und diese Suche durch den Eintritt eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken unterbrochen wurde, wobei nicht nach dem Grund zu unterscheiden ist, aus dem die Person ihre frühere Beschäftigung aufgegeben hat. Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, festzustellen, ob sich derjenige, der sich auf die Richtlinie 79/7/EWG beruft, im Zeitpunkt des Eintritts eines der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie genannten Risiken tatsächlich auf Arbeitsuche befand.

2) Seit dem 23. Dezember 1984 kann sich ein Betroffener auf Artikel 4 der Richtlinie 79/7/EWG berufen, um zu erreichen, daß innerstaatliche Rechtsvorschriften unangewendet bleiben, die den Anspruch auf eine Leistung davon abhängig machen, daß der Betroffene zuvor eine andere, inzwischen abgeschaffte Leistung beantragt hatte, die an eine weibliche Arbeitnehmer diskriminierende Bedingung geknüpft war. In Ermangelung angemessener Maßnahmen zur Durchführung von Artikel 4 der Richtlinie 79/7/EWG haben Frauen, die infolge der Aufrechterhaltung der Diskriminierung einen Nachteil erleiden, Anspruch auf die gleiche Behandlung und auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht korrekt durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.

Ende der Entscheidung

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