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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 06.04.1995
Aktenzeichen: C-310/93 P
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 86 | |
EWG-Vertrag Art. 190 | |
EWG-Vertrag Art. 85 |
1. Im Rahmen eines Verfahrens zur Feststellung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages verlangt die Wahrung der Verteidigungsrechte u. a., daß dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben wurde, zu den von der Kommission für ihre Behauptung einer Zuwiderhandlung herangezogenen Unterlagen sinnvoll Stellung zu nehmen.
Die Kommission darf es jedoch ablehnen, den beschuldigten Unternehmen Unterlagen für den rein internen Gebrauch und Schriftverkehr mit den Mitgliedstaaten, die vertraulichen Charakter besitzen, sowie veröffentlichte Studien und Informationen, die ihnen definitionsgemäß zugänglich sind, zu übermitteln.
Die Kommission darf auch die Einsicht in Unterlagen verweigern, die ihr im Rahmen von Schriftverkehr oder einer Antwort auf ein Auskunftsverlangen von dritten Unternehmen unter dem Vorbehalt vertraulicher Behandlung übergeben wurden. Da nämlich ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung Vergeltungsmaßnahmen gegen die Konkurrenten, Lieferanten oder Kunden ergreifen kann, die an der Untersuchung der Kommission mitgewirkt haben, können dritte Unternehmen, die der Kommission während der von ihr durchgeführten Untersuchungen Unterlagen übergeben, deren Übergabe ihrer Ansicht nach zu Repressalien ihnen gegenüber führen könnte, dies nur tun, wenn sie wissen, daß ihrem Ersuchen um vertrauliche Behandlung Rechnung getragen wird.
Schließlich können Berichte über Prüfungen bei dritten Unternehmen als Unterlagen, die geeignet sind, von Dritten begangene Zuwiderhandlungen aufzudecken, offenkundig nicht übermittelt werden.
2. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen Unternehmen wegen ihres Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht festgesetzten Geldbussen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 6. APRIL 1995. - BPB INDUSTRIES PLC UND BRITISH GYPSUM LTD GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - MISSBRAUCH EINER BEHERRSCHENDEN STELLUNG - ALLEINBEZUGSVERTRAG - TREUERABATT - BEEINTRAECHTIGUNG DES HANDELS ZWISCHEN MITGLIEDSTAATEN - ZURECHENBARKEIT DES VERSTOSSES. - RECHTSSACHE C-310/93 P.
Entscheidungsgründe:
1 Die BPB Industries plc und die British Gypsum Ltd (im folgenden: BPB und BG) haben mit Rechtsmittelschrift, die am 8. Juni 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung des Gerichtshofes Rechtsmittel gegen das Urteil vom 1. April 1993 in der Rechtssache T-65/89 (BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1993, II-389; im folgenden: das angefochtene Urteil) eingelegt, mit dem das Gericht erster Instanz ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 89/22/EWG der Kommission vom 5. Dezember 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 86 EWG-Vertrag (IV/31.900, BPB Industries plc, ABl. 1989, L 10, S. 50; im folgenden: die Entscheidung) abgewiesen und sie zur Tragung der Kosten verurteilt hat.
2 Aus den Feststellungen des Gerichts im angefochtenen Urteil (Randnrn. 2 bis 10) ergibt sich folgendes:
° BPB ist die britische Holdinggesellschaft eines Konzerns, der etwa die Hälfte der Produktionskapazität für Gipskartonplatten in der Gemeinschaft kontrolliert und dessen konsolidierter Nettojahresumsatz in dem Ende März 1987 abgelaufenen Geschäftsjahr 1,116 Milliarden ECU betrug. In Großbritannien ist BPB auf dem Markt für Baugips und Gipskartonplatten im wesentlichen durch eine hundertprozentige Tochtergesellschaft, BG, tätig. In Irland werden Gipserzeugnisse, insbesondere Baugips und Gipskartonplatten, von Gypsum Industries plc, der irischen Tochtergesellschaft von BPB, hergestellt, die den irischen Markt und über BG auch den nordirischen Markt beliefert.
° In Großbritannien stellt BG in acht in den Midlands, in Südost- und in Nordengland ansässigen Fabriken Gipskartonplatten her. BPB beliefert den britischen Gipskartonplattenmarkt gewöhnlich von den Fabriken in Großbritannien aus, während ihre Fabriken in Irland den irischen und den nordirischen Markt beliefern.
° Die im Vereinigten Königreich und in Irland verwendeten Gipskartonplatten werden fast ausschließlich über Baustoffhändler vertrieben. Das System der Händler erlaubt es, den Bauunternehmen eine leistungsfähige Absatzkette zur Verfügung zu stellen. Ausserdem übernehmen die Händler das Kreditrisiko der Bauunternehmen. In dem betreffenden Zeitraum war im Baustoffhandel ein zunehmender Konzentrationsprozeß zu verzeichnen.
° Bis 1982 gab es keine regelmässigen Einfuhren von Gipskartonplatten nach Großbritannien. In diesem Jahr begann die Lafarge UK Ltd (im folgenden: Lafarge), die zum französischen Konzern Lafarge Coppée gehört, in Frankreich hergestellte Gipskartonplatten einzuführen. Lafarge steigerte nach und nach ihre Einfuhren. Sie war indessen wegen Lieferschwierigkeiten aufgrund ihrer Abhängigkeit von ihrer Produktionsstätte in Frankreich nicht in der Lage, viele Kunden regelmässig zu beliefern.
° Im Mai 1984 begann die Iberian Trading UK Ltd (im folgenden: Iberian) mit der Einfuhr von Gipskartonplatten, die in Spanien von Española de Placas de Yeso hergestellt wurden. Ihre Preise lagen im allgemeinen um 5 % bis 7 % unter denen von BG, wobei jedoch auch grössere Preisunterschiede festzustellen waren. Iberian lieferte nur eine beschränkte Produktpalette von Standard-Gipskartonplatten mit den am häufigsten nachgefragten Abmessungen. Ausserdem hatte auch Iberian mehrfach Lieferschwierigkeiten.
° 1985 und 1986 lieferte BG ungefähr 96 % der im Vereinigten Königreich abgesetzten Gipskartonplatten; den Rest des Marktes teilten sich Lafarge und Iberian.
° Am 17. Juni 1986 beantragte Iberian bei der Kommission gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204; im folgenden: Verordnung Nr. 17), die Feststellung von Verstössen von BPB gegen Artikel 86 EWG-Vertrag. Am 3. Dezember 1987 beschloß die Kommission, das Verfahren nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 einzuleiten.
° Nachdem die Kommission den Unternehmen Gelegenheit gegeben hatte, sich zu den von ihr in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten gemäß Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) zu äussern, und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen erließ sie am 5. Dezember 1988 die streitige Entscheidung.
3 Der verfügende Teil dieser Entscheidung lautet wie folgt:
"Artikel 1
Zwischen Juli 1985 und August 1986 hat British Gypsum Ltd gegen Artikel 86 verstossen, indem es seine beherrschende Stellung auf dem britischen Markt für Gipskartonplatten durch ein System von Zahlungen an Baustoffhändler, die sich bereit erklärten, Gipskartonplatten ausschließlich von British Gypsum Ltd zu beziehen, mißbräuchlich ausnützte.
Artikel 2
Im Juli und August 1985 hat British Gypsum Ltd gegen Artikel 86 verstossen, indem es eine Strategie verfolgte, wonach Kunden, die nicht mit eingeführten Gipskartonplatten handelten, durch die Gewährung von Lieferprioritäten für Baugipse bei Lieferengpässen bevorzugt wurden, welches einen Mißbrauch seiner beherrschenden Stellung auf dem britischen Gipskartonplattenmarkt darstellte.
Artikel 3
BPB Industries PLC hat gegen Artikel 86 verstossen, indem es über ihre Tochtergesellschaft British Gypsum Ltd ihre beherrschende Stellung auf dem Gipsplattenmarkt in Irland und Nordirland dadurch mißbrauchte, daß sie
° im Juni und Juli 1985 erfolgreich Druck auf eine Gruppe von Importeuren ausgeuebt hat, mit dem Ergebnis, daß sich diese verpflichteten, von der Einfuhr von Gipskartonplatten nach Nordirland abzusehen;
° Baustoffhändlern in Nordirland zwischen Juni und Dezember 1985 eine Reihe von Preisnachlässen auf BG-Erzeugnisse unter der Bedingung eingeräumt hat, daß sie keine importierten Gipskartonplatten vertreiben.
Artikel 4
Es werden folgende Geldbussen festgesetzt:
° gegen British Gypsum Ltd eine Geldbusse von 3 000 000 ECU wegen der in Artikel 1 genannten Verstösse gegen Artikel 86 EWG-Vertrag,
° gegen BPB Industries PLC eine Geldbusse von 150 000 ECU wegen der in Artikel 3 genannten Verstösse gegen Artikel 86 EWG-Vertrag.
..."
4 Die Nichtigkeitsklage von BPB und BG gegen die Entscheidung führte zu dem angefochtenen Urteil, das folgenden Tenor hat:
"1) Artikel 2 der Entscheidung 89/22/EWG... wird für nichtig erklärt, soweit er sich auf Juli 1985 bezieht.
2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
..."
5 Zur Stützung ihres Rechtsmittels führen die Rechtsmittelführerinnen vier Hauptgründe und einen hilfsweise vorgetragenen Grund an.
6 Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Artikel 86 und 190 EWG-Vertrag geltend gemacht, der darin bestehen soll, daß das Gericht die Ansicht vertreten habe, daß eine Prüfung der Möglichkeit der Einflußnahme der Muttergesellschaft auf ihre hundertprozentige Tochtergesellschaft überfluessig gewesen sei, da davon auszugehen gewesen sei, daß erstere die Kontrolle über letztere ausübe, und daß der Umstand, daß der in Artikel 3 der Entscheidung festgestellte Verstoß BPB zuzurechnen sei, ausreichend begründet worden sei.
7 Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Artikel 85 Absatz 3 und 86 EWG-Vertrag geltend gemacht, der darin bestehen soll, daß das Gericht den Standpunkt vertreten habe, daß die Liefervereinbarungen und die Zahlungen zur Absatzförderung unter Artikel 86 fielen und daß eine etwaige Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 die Anwendung von Artikel 86 nicht beeinträchtige.
8 Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen Artikel 86 geltend gemacht, der in der Feststellung des Gerichts bestehen soll, daß die vorrangigen Gipslieferungen den Mißbrauch einer beherrschenden Stellung dargestellt hätten.
9 Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Verteidigungsrechte geltend gemacht, der darin bestehen soll, daß das Gericht die Ansicht vertreten habe, daß die Weigerung der Kommission, bestimmte Unterlagen den Rechtsmittelführerinnen bekanntzugeben, die sie mit dem vertraulichen Charakter dieser Unterlagen begründet habe, im vorliegenden Fall die Rechtmässigkeit der Entscheidung nicht beeinträchtigen könne.
10 Hilfsweise beantragen die Rechtsmittelführerinnen, den Betrag der festgesetzten Geldbussen herabzusetzen.
Zu den ersten drei Rechtsmittelgründen
11 Aus den in den Nummern 20 bis 31, 42 bis 69 und 76 bis 86 der Schlussanträge des Generalanwalts genannten Gründen sind der erste, der zweite und der dritte Rechtsmittelgrund als nicht stichhaltig zurückzuweisen.
Zum vierten Rechtsmittelgrund
12 Mit diesem Rechtsmittelgrund wird dem Gericht vorgeworfen, es habe die Auffassung vertreten, daß das Verwaltungsverfahren vor der Kommission unter Wahrung der Verteidigungsrechte abgelaufen sei.
13 Die Rechtsmittelführerinnen haben nämlich vor dem Gericht geltend gemacht (Randnr. 21 des angefochtenen Urteils), die Entscheidung müsse für nichtig erklärt werden, weil die Kommission ihnen nicht alle in ihrem Besitz befindlichen relevanten Schriftstücke übermittelt habe und diese Unterlassung ihnen schwer geschadet habe.
14 Um zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß das Verwaltungsverfahren unter Wahrung der Verteidigungsrechte abgelaufen sei, hat das Gericht daran erinnert, daß sich die Kommission in ihrem Zwölften Bericht über die Wettbewerbspolitik (S. 40 und 41) selbst eine Anzahl von Regeln für die Akteneinsicht in Wettbewerbssachen auferlegt habe und daß das Gericht daraus in seinem Urteil vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89 (Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnrn. 53 und 54) abgeleitet habe, daß die Kommission "verpflichtet [ist], den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen" (Randnr. 29 des angefochtenen Urteils).
15 Das Gericht hat ferner darauf hingewiesen, daß es in seinem Urteil vom 18. Dezember 1992 in den verbundenen Rechtssachen T-10/92, T-11/92, T-12/92 und T-15/92 (Cimenteries CBR u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2667, Randnr. 38) wie folgt entschieden habe: "Bei Wettbewerbssachen soll das Verfahren der Akteneinsicht die Empfänger einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzen, die Beweisstücke in der Akte der Kommission zur Kenntnis zu nehmen, damit sie sinnvoll zu den Schlußfolgerungen Stellung nehmen können, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist" (Randnr. 30 des angefochtenen Urteils).
16 Das Gericht hat sodann festgestellt, daß gemäß den vorerwähnten Verpflichtungen, die sich die Kommission selbst auferlegt habe, der Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Rechtsmittelführerinnen eine zusammenfassende Aufstellung sämtlicher 2 095 Schriftstücke beigefügt gewesen sei, aus denen die Akte der Kommission bestanden habe, wobei für jedes Schriftstück oder jede Gruppe von Schriftstücken angegeben gewesen sei, ob sie für die Rechtsmittelführerinnen zugänglich gewesen seien, und daß sechs Kategorien von Unterlagen genannt worden seien, in die keine Einsicht gewährt worden sei: erstens Unterlagen für den rein internen Gebrauch der Kommission, zweitens bestimmte Korrespondenzen mit dritten Unternehmen, drittens bestimmte Korrespondenzen mit den Mitgliedstaaten, viertens bestimmte veröffentlichte Studien und Informationen, fünftens bestimmte Prüfungsberichte und sechstens die Antwort auf ein Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 (Randnrn. 31 und 32 des angefochtenen Urteils).
17 In Randnummer 33 hat das Gericht daher entschieden, aus dieser Prüfung ergebe sich,
"daß sich die Klägerinnen nicht mit Erfolg darüber beschweren können, daß die Kommission ihnen bestimmte rein interne Unterlagen nicht zugänglich gemacht habe, die, wie das Gericht bereits entschieden hat, nicht übermittelt zu werden brauchten. Das gleiche gilt für den Schriftverkehr mit den Mitgliedstaaten. Ebenso verhält es sich bei den veröffentlichten Studien und Informationen. Nichts anderes gilt für die Prüfungsberichte, die Antwort auf ein Auskunftsverlangen der Kommission und bestimmte Korrespondenzen mit dritten Unternehmen, in die die Kommission die Einsicht wegen ihres vertraulichen Charakters verweigern durfte. Ein Unternehmen, an das eine Mitteilung von Beschwerdepunkten gerichtet ist und das eine beherrschende Stellung auf dem Markt einnimmt, könnte dies nämlich dazu veranlassen, Vergeltungsmaßnahmen gegen ein Konkurrenzunternehmen, einen Lieferanten oder einen Kunden zu ergreifen, die an der Untersuchung der Kommission mitgewirkt haben. Schließlich können die Klägerinnen aus dem gleichen Grund auch nicht geltend machen, daß die der Kommission nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 eingereichte Beschwerde ihnen zu Unrecht nur teilweise zugänglich gemacht worden sei (Schriftstücke 1 bis 233). Folglich kann die Weigerung der Kommission, den Klägerinnen diese Unterlagen zu übermitteln, im vorliegenden Fall die Rechtmässigkeit der Entscheidung nicht beeinträchtigen."
18 Zur Stützung ihres Rechtsmittelgrundes tragen die Rechtsmittelführerinnen erstens vor, das Gericht habe zu Unrecht entschieden, daß die Kommission ihrer Verpflichtung, sämtliche belastenden und entlastenden Unterlagen zugänglich zu machen, die in ihren Akten enthalten seien und keinen vertraulichen Charakter hätten, nachgekommen sei.
19 Zweitens machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht hätte die in den Akten enthaltenen Unterlagen selbst prüfen müssen.
20 Drittens kritisieren die Rechtsmittelführerinnen, daß das Gericht die Tatsache, daß die Kommission bestimmte Unterlagen nicht bekanntgegeben habe, aus dem einzigen, unzureichenden Grund gutgeheissen habe, weil bei ihrer Bekanntgabe möglicherweise gegen denjenigen, der die Informationen geliefert habe, Vergeltungsmaßnahmen ergriffen worden wären. Die kategorische Verweigerung jeder Einsichtnahme in irgendeine der Informationen, die in einer Unterlage enthalten seien, die nicht im strengen Sinne vertraulich sei, verstosse gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.
21 Bei der Prüfung der Frage, ob der geltend gemachte Rechtsmittelgrund stichhaltig ist, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Wahrung der Verteidigungsrechte u. a. verlangt, daß dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit gegeben wurde, zu den von der Kommission für ihre Behauptung einer Zuwiderhandlung herangezogenen Unterlagen sinnvoll Stellung zu nehmen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7).
22 Sodann ist festzustellen, daß die Rechtsmittelführerinnen nicht bestreiten, daß das Gericht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte habe entscheiden können, daß die Kommission nicht verpflichtet sei, interne Unterlagen und andere vertrauliche Informationen zugänglich zu machen. Sie werfen dem Gericht lediglich vor, dadurch gegen diesen Grundsatz verstossen zu haben, daß es die Ansicht vertreten habe, daß die in Randnummer 33 des angefochtenen Urteils genannten Unterlagen zu bestimmten Kategorien gehörten, die nicht bekanntgegeben zu werden brauchten, oder daß es diese Feststellung zumindest nicht ausreichend begründet habe.
23 Schließlich haben sich die Rechtsmittelführerinnen, wie der Generalanwalt in Nummer 125 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, vor dem Gericht nicht über die unterbliebene Übermittlung eines belastenden Schriftstücks beklagt, sondern darüber, daß nicht bekanntgegebene Unterlagen ihrer Argumentation hätten dienlich sein können. Sie haben nämlich vorgetragen, das Kriterium für die Nichtbekanntgabe eines Schriftstücks müsse sein vertraulicher Charakter und nicht seine etwaige Verwendung durch die Kommission sein (Randnr. 22 des angefochtenen Urteils).
24 Somit ist zu prüfen, ob das Gericht zu der Feststellung berechtigt war, daß die nicht bekanntgegebenen Unterlagen zu den Kategorien von Schriftstücken gehörten, deren Übermittlung die Kommission wegen ihres vertraulichen Charakters ablehnen darf.
25 Hinsichtlich der Weigerung, den Rechtsmittelführerinnen die Unterlagen für den rein internen Gebrauch der Kommission, den Schriftverkehr mit den Mitgliedstaaten und die veröffentlichten Studien und Informationen zu übermitteln, genügt der Hinweis darauf, daß das Gericht zu der Feststellung berechtigt war, daß die ersten beiden Kategorien von Unterlagen vertraulichen Charakter besässen und daß die letzte Kategorie Unterlagen betreffe, die den Rechtsmittelführerinnen definitionsgemäß zugänglich gewesen seien.
26 In bezug auf den Schriftverkehr mit dritten Unternehmen und die Antwort auf ein Auskunftsverlangen ist zu bemerken, daß ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung Vergeltungsmaßnahmen gegen die Konkurrenten, Lieferanten oder Kunden ergreifen kann, die an der Untersuchung der Kommission mitgewirkt haben. Unter diesen Umständen können also dritte Unternehmen, die der Kommission während der von ihr durchgeführten Untersuchungen Unterlagen übergeben, deren Übergabe ihrer Ansicht nach zu Repressalien ihnen gegenüber führen könnte, dies nur tun, wenn sie wissen, daß ihrem Ersuchen um vertrauliche Behandlung Rechnung getragen wird.
27 Das Gericht hat somit zu Recht die Auffassung vertreten, daß die Kommission die Einsicht in diese Unterlagen unter Berufung auf ihren vertraulichen Charakter verweigern durfte.
28 Was schließlich die Prüfungsberichte angeht, so haben die Rechtsmittelführerinnen in ihrer Rechtsmittelschrift eingeräumt, daß sie Prüfungen bei dritten Unternehmen beträfen. Insoweit genügt der Hinweis darauf, daß Unterlagen, die geeignet sind, von Dritten begangene Zuwiderhandlungen aufzudecken, die im übrigen mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun haben, den Rechtsmittelführerinnen offenkundig nicht übermittelt werden können.
29 Zu dem Vorwurf, den die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht dahin gehend gemacht haben, daß es seine Entscheidung über die Weigerung der Kommission, ihnen die genannten Unterlagen zu übermitteln, nicht ausreichend begründet habe, ist zu bemerken, daß ihre Erklärungen zu einem angeblichen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte, wie sich aus den Feststellungen des Gerichts in Randnummer 35 des angefochtenen Urteils ergibt, "nur in zweifelnder und hypothetischer Form" vorgebracht worden sind.
30 In Anbetracht dieser Feststellung lassen die Schlußfolgerungen des angefochtenen Urteils, wie sie oben (Randnrn. 14 bis 17) zusammengefasst sind, die Gründe, die das Gericht berücksichtigt hat, um diese Erklärungen zurückzuweisen, klar erkennen. Unter diesen Umständen kann man dem Gericht auch nicht vorwerfen, wie es die Rechtsmittelführerinnen tun, daß es die Natur der fraglichen Unterlagen in allgemeiner Weise geprüft hat, ohne jede nicht bekanntgegebene Unterlage aus eigener Initiative eingesehen zu haben, um die Argumente zu überprüfen, die die Kommission dafür angeführt hatte, sie nicht zu übermitteln.
31 Die Rechtsmittelführerinnen werfen dem Gericht schließlich vor, nicht in Erwägung gezogen zu haben, daß die Kommission ihnen zumindest nicht vertrauliche Zusammenfassungen bestimmter Unterlagen hätte zur Verfügung stellen müssen.
32 Auch diese Rüge ist zurückzuweisen. Es steht nämlich weder fest, daß die Rechtsmittelführerinnen solche Zusammenfassungen gefordert haben, noch, daß eine solche Forderung gerechtfertigt gewesen wäre.
33 Nach alledem können sich die Rechtsmittelführerinnen nicht darauf berufen, daß das Gericht gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte verstossen habe, so daß der vierte Rechtsmittelgrund als nicht stichhaltig zurückzuweisen ist.
Zum hilfsweise vorgetragenen Rechtsmittelgrund
34 In bezug auf den hilfsweise vorgetragenen Rechtsmittelgrund genügt der Hinweis darauf, daß es nicht Sache des Gerichtshofes ist, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen Unternehmen wegen ihres Verstosses gegen das Gemeinschaftsrecht festgesetzten Geldbussen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.
35 Da kein Rechtsmittelgrund durchgreifen konnte, ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
36 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind sie zur Tragung der Kosten dieser Instanz einschließlich der Kosten der Streithelferin zu verurteilen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2) Die Rechtsmittelführerinnen tragen die Kosten einschließlich der Kosten der Streithelferin.
Ende der Entscheidung
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