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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.03.2000
Aktenzeichen: C-310/98
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2454/93


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 454
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 Art. 455
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, der bei internationalen Warentransporten mit Carnet TIR anwendbar ist, ist so auszulegen, daß der von den Zollbehörden des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung gegen die Zollvorschriften festgestellt wurde, verlangte Nachweis des Ortes, an dem sie begangen wurde, nicht nur durch Vorlage von Urkunden geführt werden kann, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde.

Da der Begriff des Nachweises gemeinschaftsrechtlich nicht geregelt ist, sind grundsätzlich alle Beweismittel zulässig, die die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in vergleichbaren Verfahren zulassen. Aus Artikel 455 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2454/93 in der Fassung der Verordnung Nr. 12/97 kann nichts anderes gefolgert werden. Diese Vorschrift betrifft einen anderen Fall, nämlich den Nachweis der Zuwiderhandlung als solcher. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat zwar ab 1997 die zulässigen Beweismittel für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Transitverfahrens beschränkt; daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß er dies implizit auch für den Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung tun wollte. (vgl. Randnrn. 29, 31, 33, Tenor 1)

2 Artikel 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, der bei internationalen Warentransporten mit Carnet TIR anwendbar ist, ist so auszulegen, daß der darin vorgesehene Ausgleichsmechanismus auch in einem Fall anzuwenden ist, in dem die Abgaben von dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung gegen die Zollvorschriften festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag.

Der Ausgleichsmechanismus greift nämlich ein, wenn ein Mitgliedstaat Abgaben erhoben hat, obwohl er nach dem in Artikel 454 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2454/93 verankerten Grundsatz nicht zuständig war, weil er nicht der Staat war, in dem der später festgestellte Ort der Zuwiderhandlung lag; daher muß er auch in dem davon nicht grundlegend verschiedenen Fall eingreifen, daß der Mitgliedstaat, der die Abgaben erhoben hat, nach demselben Grundsatz nicht zuständig war, jedoch die vorgelegten Nachweise des Ortes der Zuwiderhandlung zu Unrecht zunächst nicht für ausreichend gehalten hat. (vgl. Randnrn. 39-40, Tenor 2)

3 Die Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 und 455 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, die bei internationalen Warentransporten mit Carnet TIR anwendbar sind, sind so auszulegen, daß die Zollbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung gegen die Zollvorschriften festgestellt worden ist, dem Inhaber des Carnet TIR keine Ausschlußfrist zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung von drei Monaten setzen kann.

Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 verweist für die Dauer der betreffenden Frist eindeutig auf Artikel 455 Absatz 1 derselben Verordnung, der seinerseits für die Dauer der darin festgelegten Frist auf Artikel 11 Absatz 1 des Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR verweist. Da dieser Artikel 11 die Frist von einem Jahr nennt, beträgt die Frist, innerhalb deren nach Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 der Ort, an dem die Zuwiderhandlung begangen wurde, nachgewiesen werden kann, ein Jahr. (vgl. Randnrn. 44, 49, Tenor 3)


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 23. März 2000. - Hauptzollamt Neubrandenburg gegen Leszek Labis (C-310/98) und Sagpol SC Transport Miedzynarodowy i Spedycja (C-406/98). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Freier Warenverkehr - Externes Versandverfahren - Warenverkehr mit Carnet TIR - Zuwiderhandlungen - Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung - Nachweisfrist - Zulässige Beweismittel - Ausgleichsverfahren. - Verbundene Rechtssachen C-310/98 und C-406/98.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-310/98 und C-406/98

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Hauptzollamt Neubrandenburg

gegen

Leszek Labis in Firma Przedsiebiorstwo Transportowo-Handlowe "Met-Trans" (C-310/98),

Sagpol SC Transport Miedzynarodowy i Spedycja (C-406/98)

"vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 454 und 455 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1)

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer L. Sevón in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, P. Jann (Berichterstatter), H. Ragnemalm und M. Wathelet,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von L. Labis (C-310/98), vertreten durch Rechtsanwalt P. Galuszka, Engelskirchen,

- der Sagpol SC Transport Miedzynarodowy i Spedycja (C-406/98), vertreten durch Rechtsanwalt M. Leis, Greifswald,

- der französischen Regierung (C-406/98), vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und C. Vasak, stellvertretende Sekretärin für auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung (C-310/98), vertreten durch M. Fierstra, beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

- der finnischen Regierung (C-406/98), vertreten durch T. Pynnä, Rechtsberaterin im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,

- der schwedischen Regierung (C-310/98 und C-406/98), vertreten durch A. Kruse, Departementsråd im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (C-310/98 und C-406/98), vertreten in der Rechtssache C-310/98 durch R. Tricot, Juristischer Dienst, und K. Schreyer, zum Juristischen Dienst abgeordnete nationale Beamtin, sowie in der Rechtssache C-406/98 durch Hauptrechtsberater R. B. Wainwright und J. C. Schieferer, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von L. Labis, vertreten durch Rechtsanwalt P. Galuszka, der Sagpol SC Transport Miedzynarodowy i Spedycja, vertreten durch Rechtsanwalt M. Leis, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde, Abteilungsleiter im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der französischen Regierung, vertreten durch C. Vasak, der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Fierstra, der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, und der Kommission, vertreten durch R. Tricot und J. C. Schieferer, in der Sitzung vom 14. Oktober 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Dezember 1999,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschlüssen vom 7. Juli 1998 (C-310/98) und 6. Oktober 1998 (C-406/98), beim Gerichtshof eingegangen am 10. August 1998 und 16. November 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) fünf Fragen nach der Auslegung der Artikel 454 und 455 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Hauptzollamt Neubrandenburg (im folgenden: HZA) und zwei polnischen Speditionsunternehmen - Leszek Labis in Firma Przedsiebiorstwo Transportowo-Handlowe "Met-Trans" (im folgenden: Met-Trans) (C-310/98) und Sagpol SC Transport Miedzynarodowy i Spedycja (im folgenden: Sagpol) (C-406/98) - über die Erhebung von Eingangsabgaben, die aufgrund von Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit internationalen Transporten von zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigten Waren mit Carnet TIR geschuldet sind.

Rechtlicher Rahmen

3 Das Genfer Zollübereinkommen vom 14. November 1975 über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR (TIR-Übereinkommen) wurde mit der Verordnung (EWG) Nr. 2112/78 des Rates vom 25. Juli 1978 (ABl. L 252, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.

4 Das externe Versandverfahren mit Carnet TIR ist ordnungsgemäß erledigt, wenn die Waren bei der Grenzausgangsstelle der Gemeinschaft oder der Bestimmungszollstelle in der Gemeinschaft wiedergestellt werden und dies von dieser Stelle der Abgangszollstelle bzw. der Grenzeingangszollstelle der Gemeinschaft mitgeteilt wird.

5 Artikel 454 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 2454/93 bestimmt:

"(2) Wird im Zusammenhang mit einem Transport mit Carnet TIR oder einem Versandvorgang mit Carnet ATA in einem bestimmten Mitgliedstaat eine Zuwiderhandlung festgestellt, so erhebt dieser Mitgliedstaat die Zölle und anderen gegebenenfalls zu entrichtenden Abgaben...

(3) Kann nicht festgestellt werden, in welchem Gebiet die Zuwiderhandlung begangen worden ist, so gilt sie als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie festgestellt worden ist, es sei denn, die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens oder der Ort, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, wird den Zollbehörden innerhalb der gemäß Artikel 455 Absatz 1 vorgeschriebenen Frist glaubhaft nachgewiesen.

Gilt die Zuwiderhandlung in Ermangelung eines solchen Nachweises als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie festgestellt worden ist, so werden die für die betreffenden Waren geltenden Zölle und anderen Abgaben von diesem Mitgliedstaat nach den gemeinschaftlichen oder innerstaatlichen Vorschriften erhoben.

Wird später festgestellt, in welchem Mitgliedstaat die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist, so werden die Zölle und anderen Abgaben mit Ausnahme der nach Unterabsatz 2 als eigene Einnahmen der Gemeinschaft erhobenen Abgaben, denen die Waren in dem betreffenden Mitgliedstaat unterliegen, diesem von dem Mitgliedstaat erstattet, der sie ursprünglich erhoben hatte. In diesem Fall wird ein etwaiger Mehrbetrag der Person erstattet, die die Abgaben ursprünglich entrichtet hatte.

Ist der Betrag der Zölle und anderen Abgaben, die ursprünglich von dem Mitgliedstaat erhoben und erstattet worden sind, in dem sie entrichtet worden waren, niedriger als der Betrag der Zölle und anderen Abgaben, die in dem Mitgliedstaat geschuldet werden, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, so wird der Differenzbetrag nach den geltenden gemeinschaftlichen oder innerstaatlichen Vorschriften erhoben.

..."

6 Artikel 455 der Verordnung Nr. 2454/93 lautet:

"(1) Wird im Verlauf oder anläßlich einer Beförderung mit Carnet TIR oder eines Versands mit Carnet ATA festgestellt, daß eine Zuwiderhandlung begangen worden ist, so teilen die Zollbehörden dies dem Inhaber des Carnet TIR oder des Carnet ATA sowie dem bürgenden Verband innerhalb der in Artikel 11 Absatz 1 des TIR-Übereinkommens oder in Artikel 6 Absatz 4 des ATA-Übereinkommens vorgeschriebenen Frist mit.

(2) Der Nachweis für die ordnungsgemäße Durchführung der Beförderung mit Carnet TIR oder des Versands mit Carnet ATA im Sinne des Artikels 454 Absatz 3 erster Unterabsatz ist innerhalb der in Artikel 11 Absatz 2 des TIR-Übereinkommens oder Artikel 7 Absätze 1 und 2 des ATA-Übereinkommens vorgeschriebenen Frist zu erbringen.

(3) Der Nachweis kann den Zollbehörden insbesondere erbracht werden:

a) durch Vorlage eines von den Zollbehörden bescheinigten Papiers, aus dem hervorgeht, daß die Waren der Bestimmungsstelle gestellt worden sind. Dieses Papier muß Angaben zur Identifizierung der Waren enthalten;

oder

b) durch Vorlage eines in einem Drittland ausgestellten Zollpapiers über die Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr oder eine Abschrift oder Fotokopie dieses Papiers; diese Abschrift oder Fotokopie muß entweder von der Stelle, die das Original abgezeichnet hat, oder einer Behörde des betreffenden Drittlandes oder einer Behörde eines Mitgliedstaats beglaubigt worden sein. Dieses Papier muß Angaben zur Identifizierung der Waren enthalten;

oder

c) im Falle des ATA-Übereinkommens durch die in Artikel 8 des Übereinkommens genannten Beweismittel."

7 Der Ausdruck "insbesondere" in Artikel 455 Absatz 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 wurde bei einer Änderung, die sich aus der Verordnung (EG) Nr. 12/97 der Kommission vom 18. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 9, S. 1) ergab, gestrichen. Die neue Fassung war jedoch zur maßgeblichen Zeit nicht in Kraft.

8 Artikel 11 Absätze 1 und 2 des TIR-Übereinkommens lautet:

"(1) Ist ein Carnet TIR nicht oder unter Vorbehalt erledigt worden, so können die zuständigen Behörden vom bürgenden Verband die Entrichtung der in Artikel 8 Absätze 1 und 2 genannten Beträge nur verlangen, wenn sie dem bürgenden Verband innerhalb eines Jahres nach der Annahme des Carnet TIR durch die Zollbehörden die Nichterledigung oder die Erledigung unter Vorbehalt schriftlich mitgeteilt haben. Das gleiche gilt, wenn die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist, jedoch beträgt in diesen Fällen die Frist zwei Jahre.

(2) Die Aufforderung zur Entrichtung der in Artikel 8 Absätze 1 und 2 genannten Beträge ist an den bürgenden Verband frühestens drei Monate und spätestens zwei Jahre nach dem Tage der Mitteilung an den Verband zu richten, daß das Carnet nicht oder nur unter Vorbehalt erledigt oder die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist. Ist jedoch innerhalb der genannten Frist von zwei Jahren die Sache zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht worden, so muß die Zahlungsaufforderung binnen einem Jahr nach dem Tage ergehen, an dem die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig geworden ist."

Die Ausgangsverfahren

9 Met-Trans ließ als Inhaberin eines Carnet TIR am 9. August 1994 bei einem deutschen Zollamt, der Abgangszollstelle, eine Sendung Weißzucker von Polen nach Portugal zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abfertigen. Die Frist für die Wiedergestellung der Ware beim Zollamt Porto, der Bestimmungszollstelle, wurde auf den 16. August 1994 festgesetzt.

10 Auf eine vom HZA später veranlaßte Überprüfung des bei ihm eingegangenen Carnet TIR, das Unterschrift und Stempel einer portugiesischen Zollstelle mit Datum vom 16. August 1994 trug, stellte sich heraus, daß sowohl Stempel als auch Unterschrift offensichtlich gefälscht waren. Nach Auskunft der portugiesischen Zollbehörden war ihnen die Ware in Wirklichkeit nie gestellt worden.

11 Das HZA teilte Met-Trans daher mit, daß das Versandgut der Bestimmungszollstelle nicht wiedergestellt worden sei; da der Ort, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden sei, nicht habe ermittelt werden können, gelte diese gemäß Artikel 454 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 2454/93 als in Deutschland begangen, sofern nicht innerhalb von drei Monaten die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung nachgewiesen werden könne.

12 Met-Trans trug daraufhin vor, daß die Zuwiderhandlung in Portugal begangen worden sei. Zum Nachweis legte sie dem HZA insbesondere eine Erklärung ihres Fahrers vor, wonach die Waren in der zollfreien Zone auf dem Hafengelände von Porto entladen und die Zollförmlichkeiten von einem vermeintlichen Zollagenten erledigt worden seien.

13 Diese Angaben reichten nach Ansicht des HZA nicht aus, um den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung glaubhaft nachzuweisen und die Vermutung zu widerlegen, daß die Zuwiderhandlung in Deutschland, wo sie festgestellt wurde, begangen worden sei; das HZA ging daher davon aus, daß es für die Erhebung der Einfuhrzölle und anderen Abgaben zuständig sei, und nahm Met-Trans als Zollschuldner in Höhe von 24 724,11 DM in Anspruch. Der Einspruch von Met-Trans gegen den Steuerbescheid wurde zurückgewiesen.

14 Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, bei dem Met-Trans Klage erhoben hatte, stellte fest, daß das HZA für die Erhebung der fraglichen Zölle und Abgaben nicht zuständig gewesen sei und hob den Steuerbescheid auf. Gegen diese Entscheidung legte das HZA Revision an den Bundesfinanzhof ein.

15 Sagpol ließ als Inhaberin eines Carnet TIR am 2. Juni 1994 beim deutschen Zollamt Pomellen, der Abgangszollstelle, eine Sendung Butter von Polen nach Spanien zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren abfertigen. Die Frist für die Wiedergestellung der Ware beim Zollamt Madrid, der Bestimmungszollstelle, wurde auf den 9. Juni 1994 festgesetzt.

16 Da von der Bestimmungszollstelle keine Rückmeldung erfolgte, fragte das HZA bei ihr mit einer Suchanzeige nach dem Verbleib der Sendung, erhielt darauf aber keine Antwort.

17 Mit Schreiben vom 23. Dezember 1994 unterrichtete das HZA Sagpol darüber, daß die Sendung der Bestimmungszollstelle nicht wiedergestellt worden sei und der Ort der Zuwiderhandlung nicht habe ermittelt werden können. Es setzte Sagpol eine Frist von drei Monaten, innerhalb deren sie die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachweisen könne. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist gelte die Zuwiderhandlung als in Deutschland begangen.

18 Da dem HZA dieser Nachweis nicht fristgemäß erbracht wurde, erließ es am 18. Mai 1995 gegen Sagpol einen Steuerbescheid über Einfuhrzölle und sonstige Abgaben in Höhe von 162 251,69 DM.

19 Am 8. August 1995 teilten die spanischen Zollbehörden dem HZA mit, es sei erwiesen, daß das Carnet TIR einen falschen Stempelabdruck trage.

20 Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Steuerbescheid legte Sagpol dem HZA mit Schreiben vom 31. August 1995 den Frachtbrief vor, auf dem die Empfangsbestätigung eines spanischen Unternehmens eingestempelt ist. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1995 legte Sagpol außerdem eine Erklärung des LKW-Fahrers, der den streitigen Transport durchgeführt hatte, vor, daß die Ware in Madrid abgenommen worden sei. Schließlich trug Sagpol vor, daß in Polen ein Strafverfahren wegen Warenschmuggels eingeleitet worden sei, das sich aber nicht gegen sie richte. Der Einspruch von Sagpol wurde vom HZA zurückgewiesen.

21 Auf die Klage von Sagpol entschied das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, daß das HZA für die Erhebung der fraglichen Zölle und Abgaben nicht zuständig gewesen sei, da Sagpol fristgemäß den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung in Madrid glaubhaft nachgewiesen habe, und hob daher den Steuerbescheid auf. Das HZA legte gegen diese Entscheidung Revision an den Bundesfinanzhof ein.

22 Der Bundesfinanzhof hat in beiden Rechtssachen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

In der Rechtssache C-310/98:

1. Welche Anforderungen sind an den glaubhaften Nachweis des Ortes zu stellen, an dem die Zuwiderhandlung im Verlauf der Beförderung einer Sendung mit Carnet TIR tatsächlich begangen wurde (Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung [EWG] Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993, ABl. L 253, S. 1)? Können für den Nachweis die Aussage des Carnet-Inhabers und das Zeugnis des LKW-Fahrers ausreichen, der den Transport für den Carnet-Inhaber durchgeführt hat, oder kann der Nachweis nur durch Urkunden geführt werden, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde?

2. Für den Fall, daß der Gerichtshof den Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung durch Aussagen des Carnet-Inhabers und Zeugnis des LKW-Fahrers, der den Transport durchgeführt hat, für möglich hält:

Sind Artikel 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 dahin auszulegen, daß sie auch in einem Fall anzuwenden sind, in dem die Abgaben in dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag?

In der Rechtssache C-406/98:

1. a) Ist es mit Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1, Artikel 455 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1) zu vereinbaren, wenn im Falle einer Nichtwiedergestellung der zum externen Versandverfahren mit Carnet TIR abgefertigten Sendung die Zollbehörde des Abgangsmitgliedstaats dem Carnet-Inhaber eine Ausschlußfrist zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung von drei Monaten setzt, mit der Folge, daß später vorgelegte Nachweise die Zuständigkeit des Abgangsmitgliedstaats für die Abgabenerhebung unberührt lassen?

b) Für den Fall der Verneinung vorstehender Frage:

Innerhalb welcher Frist kann der Carnet-Inhaber den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachweisen?

2. Sofern die Beantwortung der unter Ziffer 1 gestellten Fragen zu dem Ergebnis führt, daß der Carnet-Inhaber die Frist zum Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung nicht versäumt hat:

Welche Anforderungen sind an den glaubhaften Nachweis des Ortes zu stellen, an dem die Zuwiderhandlung im Verlauf der Beförderung einer Sendung mit Carnet TIR tatsächlich begangen wurde (Artikel 455 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93)? Können für den Nachweis die Aussage des Carnet-Inhabers und das Zeugnis des LKW-Fahrers ausreichen, der den Transport für den Carnet-Inhaber durchgeführt hat, oder kann der Nachweis nur durch Urkunden geführt werden, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde?

3. Für den Fall, daß der Gerichtshof den Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung als rechtzeitig ansieht und den Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung in der beschriebenen Art und Weise für möglich hält:

Sind Artikel 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 2454/93 dahin auszulegen, daß sie auch in einem Fall anzuwenden sind, in dem die Abgaben in dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl innerhalb der dafür nach Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1, Artikel 455 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 vorgeschrieben Frist glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag?

23 Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 30. April 1999 sind die beiden Rechtssachen zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C-310/98 und zur zweiten Frage in der Rechtssache C-406/98

24 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C-310/98 und die zweite Frage in der Rechtssache C-406/98, die denselben Gegenstand haben, gehen im wesentlichen dahin, ob Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 so auszulegen ist, daß der von den Zollbehörden des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, verlangte Nachweis des Ortes, an dem sie begangen wurde, nur durch Vorlage von Urkunden geführt werden kann, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung tatsächlich auf ihrem Gebiet begangen wurde.

25 Nach Ansicht von Met-Trans, Sagpol sowie der dänischen und der schwedischen Regierung ergibt sich die Antwort aus dem Wortlaut von Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93. In dieser Vorschrift sei nämlich kein bestimmtes Beweismittel genannt, so daß alle klassischen Beweismittel einschließlich des Zeugenbeweises zulässig seien. Eine enge Auslegung, die die zulässigen Beweismittel auf die Vorlage amtlicher Urkunden beschränke, sei daher mit der Verordnung Nr. 2454/93 nicht vereinbar. Für die Einzelheiten der Nachweiserbringung und die Frage der erforderlichen Beweiskraft seien die nationalen Verfahrensrechte heranzuziehen, die in Ermangelung einer ausführlicheren Gemeinschaftsregelung auf diesem Gebiet in vollem Umfang anwendbar seien.

26 Die französische, die niederländische und die finnische Regierung sowie die Kommission teilen dagegen im wesentlichen die Auffassung des vorlegenden Gerichts, wonach es wünschenswert wäre, daß der Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung objektiv erbracht werde, also mit Urkunden, aus denen eindeutig hervorgehe, daß die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen hätten, nach denen die Zuwiderhandlung tatsächlich auf ihrem Gebiet begangen worden sei. Insbesondere sei die Aussage einer Person, der eine Beteiligung an der Zuwiderhandlung vorgeworfen werden könnte, nicht glaubwürdig. Würden solche Beweismittel zugelassen, so könnte dies außerdem häufig zur Folge haben, daß das Recht, die Abgaben zu erheben, verjährt sei, bevor die Frage beantwortet sei, welche Behörde es ausüben könne. Auf diese Weise werde der Zweck der Verordnung Nr. 2454/93 gefährdet, der darin bestehe, die Erhebung der Eigenmittel der Gemeinschaft sowie bestimmter Mittel des Mitgliedstaats, in dem die Waren rechtswidrig in den Verkehr gebracht worden seien, zu gewährleisten.

27 Überdies dränge sich eine Analogie zwischen Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 und Artikel 455 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2454/93 auf. Die letztgenannte Vorschrift beschränke, seitdem sie 1997 durch die Verordnung Nr. 12/97 geändert worden sei, die zulässigen Beweismittel für eine Frage, die der in Artikel 454 der Verordnung Nr. 2454/93 geregelten ähnlich sei, nämlich ob die Beförderung mit Carnet TIR ordnungsgemäß durchgeführt sei, auf die Vorlage von Papieren, die von den Zollbehörden ausgestellt seien.

28 Dazu ist festzustellen, daß der Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung nach dem Wortlaut des Artikels 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 anders als nach Artikel 455 Absatz 3 in der Fassung der Verordnung Nr. 12/97 nicht auf bestimmte Beweismittel beschränkt ist.

29 Folglich sind, da der Begriff des Nachweises gemeinschaftsrechtlich nicht geregelt ist, grundsätzlich alle Beweismittel zulässig, die die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in vergleichbaren Verfahren zulassen.

30 Daher haben die nationalen Behörden in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nach ihrem nationalen Beweisrecht zu bestimmen, ob im konkret zu beurteilenden Fall der Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung in Anbetracht aller Umstände glaubhaft erbracht worden ist, ob also z. B. eine Zeugenaussage zuzulassen und ihr Beweiskraft beizumessen ist. Insbesondere haben sie die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen, der an dem Transport beteiligt war, bei dem es zu der betreffenden Zuwiderhandlung kam.

31 Aus Artikel 455 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2454/93 in der Fassung der Verordnung Nr. 12/97 kann nichts anderes gefolgert werden. Wie der Generalanwalt in den Nummern 96 bis 101 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, betrifft diese Vorschrift einen anderen Fall, nämlich den Nachweis der Zuwiderhandlung als solcher. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat zwar ab 1997 die zulässigen Beweismittel für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Transitverfahrens beschränkt; daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß er dies implizit auch für den Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung tun wollte.

32 Unabhängig von den Gründen, die - wie die von der französischen, der niederländischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission vorgetragenen - für das Erfordernis eines objektiven Nachweises des Ortes der Zuwiderhandlung angeführt werden könnten, steht es dem Gerichtshof nicht zu, an die Stelle des Gemeinschaftsgesetzgebers zu treten und eine Vorschrift entgegen ihrem ausdrücklichen Inhalt auszulegen. Es ist Sache der Kommission, insoweit zweckdienliche Gesetzesänderungen vorzuschlagen.

33 Daher ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-310/98 und auf die zweite Frage in der Rechtssache C-406/98 zu antworten, daß Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 so auszulegen ist, daß der von den Zollbehörden des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, verlangte Nachweis des Ortes, an dem sie begangen wurde, nicht nur durch Vorlage von Urkunden geführt werden kann, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde.

Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-310/98 und zur dritten Frage in der Rechtssache C-406/98

34 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C-310/98 und die dritte Frage in der Rechtssache C-406/98 gehen im wesentlichen dahin, ob Artikel 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 2454/93 so auszulegen ist, daß der darin vorgesehene Ausgleichsmechanismus auch in einem Fall anzuwenden ist, in dem die Abgaben von dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag.

35 Met-Trans und Sagpol tragen vor, aus den fraglichen Vorschriften ergebe sich klar, daß der dort geregelte Ausgleichsmechanismus nur den Fall betreffe, daß der nach der Zuständigkeitsvermutung des Artikels 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 zunächst zuständige Mitgliedstaat die Abgaben erhebe, bevor nach weiteren tatsächlichen Feststellungen der Mitgliedstaat bestimmt werde, in dem die Zuwiderhandlung begangen worden sei, nicht aber den Fall, daß die Abgaben rechtswidrig, weil von einem von Anfang an unzuständigen Mitgliedstaat, erhoben würden. In diesem zweitgenannten Fall müßten die Behörden, die den Irrtum begangen hätten, die zu Unrecht erhaltenen Beträge erstatten, während die Behörden des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden sei, die Zölle und anderen Abgaben erheben könnten, ohne daß insoweit der Ausgleichsmechanismus eingreife.

36 Die dänische, die französische, die niederländische und die finnische Regierung sowie die Kommission vertreten die Ansicht, daß der Ausgleichsmechanismus auch in einem Fall wie dem vom vorlegenden Gericht geschilderten anzuwenden sei, in dem sich die Unzuständigkeit der Zollbehörden, die die Zölle und anderen Abgaben erhoben hätten, lediglich daraus ergebe, daß die ursprünglich vorgelegten Nachweise im nachhinein als ausreichend anerkannt würden. Wäre der Ausgleichsmechanismus nicht anwendbar, so bestuende in allen Fällen, in denen die vorgelegten Nachweise erst später als ausreichend anerkannt würden, die ernstliche Gefahr, daß die Ansprüche verjährt seien.

37 Die Ausgleichsregelung des Artikels 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 2454/93 bildet einen Mechanismus zur administrativ vereinfachten Erhebung der Zölle und anderen Abgaben in den Fällen, in denen Ungewißheit bezüglich des Ortes, an dem gegen die Zollvorschriften verstoßen wurde, zum völligen Verlust der geschuldeten Beträge führen könnte. Kann der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Zuwiderhandlung begangen worden ist, nicht mit Sicherheit festgestellt werden, so greift danach bis auf weiteres eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten des Mitgliedstaats ein, in dessen Gebiet die Zuwiderhandlung festgestellt worden ist. Wird später die Zuständigkeit des erstgenannten Staates festgestellt, so erlischt die zugunsten des zweitgenannten Staates bestehende Vermutung, und es kommt zu einem Ausgleich zwischen beiden Mitgliedstaaten, wodurch verhindert werden kann, daß der erstgenannte Staat die Zölle und anderen Abgaben aus Verjährungsgründen nicht mehr erheben kann.

38 Dieser Mechanismus wird somit dem Gedanken gerecht, daß die Mitgliedstaaten gegenüber den Drittländern, die von einem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren betroffen sind, ein einziges Zollgebiet darstellen und daß die Bestimmung des für die Erhebung der Zölle zuständigen Mitgliedstaats eine gemeinschaftsinterne Frage ist, so daß ein Wechsel des zuständigen Mitgliedstaats ohne Auswirkungen darauf ist, daß der Zollschuldner diese Abgaben zu entrichten hat.

39 Der Ausgleichsmechanismus greift ein, wenn ein Mitgliedstaat Abgaben erhoben hat, obwohl er nach dem in Artikel 454 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2454/93 verankerten Grundsatz nicht zuständig war, weil er nicht der Staat war, in dem der später festgestellte Ort der Zuwiderhandlung lag; daher muß er auch in dem davon nicht grundlegend verschiedenen Fall eingreifen, daß der Mitgliedstaat, der die Abgaben erhoben hat, nach demselben Grundsatz nicht zuständig war, jedoch die vorgelegten Nachweise des Ortes der Zuwiderhandlung zu Unrecht zunächst nicht für ausreichend gehalten hat.

40 Folglich ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C-310/98 und die dritte Frage in der Rechtssache C-406/98 zu antworten, daß Artikel 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 2454/93 so auszulegen ist, daß der darin vorgesehene Ausgleichsmechanismus auch in einem Fall anzuwenden ist, in dem die Abgaben von dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C-406/98

41 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C-406/98 geht im wesentlichen dahin, ob die Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 und 455 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 so auszulegen sind, daß die Zollbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt worden ist, berechtigt ist, dem Inhaber des Carnet TIR eine Ausschlußfrist zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung von drei Monaten zu setzen mit der Folge, daß nach Fristablauf vorgelegte Nachweise die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats für die Abgabenerhebung unberührt lassen. Für den Fall, daß die Frage verneint wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, innerhalb welcher Frist nach Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 der Ort der Zuwiderhandlung nachgewiesen werden kann.

42 Für Sagpol folgt aus dem Wortlaut der betreffenden Vorschriften, daß die Frist, innerhalb deren der Inhaber des Carnet TIR den Ort der Zuwiderhandlung nachweisen könne, ein Jahr und nicht drei Monate betrage. Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 verweise nämlich bezüglich der Dauer der Nachweisfrist auf Artikel 455 Absatz 1 derselben Verordnung, der eindeutig auf Artikel 11 Absatz 1 des TIR-Übereinkommens verweise, worin einzig eine Frist von einem Jahr genannt sei. Eine dreimonatige Ausschlußfrist sei somit mit dem Gesetz unvereinbar; darüber hinaus würde sie auch den Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung praktisch unmöglich machen.

43 Die dänische, die französische und die finnische Regierung sowie die Kommission machen dagegen geltend, daß die fraglichen Vorschriften unklar seien und eine Regelungslücke oder ein legistisches Versehen vorliege, da die Frist des Artikels 11 Absatz 1 des TIR-Übereinkommens, auf die verwiesen werde, für die Zollbehörden und nicht für den Inhaber des Carnet TIR gelte; außerdem werde diese Frist mit der Annahme des Carnet TIR durch die Zollbehörden in Lauf gesetzt, die mit dem Eintritt einer Zuwiderhandlung in keinem Zusammenhang stehe. Die nach den gegenwärtigen Vorschriften bestehende Regelungslücke sei durch ein Verwaltungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten gefuellt worden, in dem die Frist zum Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung auf drei Monate festgelegt worden sei. Der Inhalt dieses Abkommens entspreche außerdem den Artikeln 378 und 379 der Verordnung Nr. 2454/93 über das externe gemeinschaftliche Versandverfahren sowie dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts im allgemeinen, da eine längere Frist aus Verjährungsgründen ein Hindernis für die Erhebung der Zölle darstellen könnte.

44 Insoweit genügt die Feststellung, daß Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 für die Dauer der betreffenden Frist eindeutig auf Artikel 455 Absatz 1 derselben Verordnung verweist. Die letztgenannte Vorschrift verweist ihrerseits für die Dauer der darin festgelegten Frist auf Artikel 11 Absatz 1 des TIR-Übereinkommens. In Artikel 11 Absatz 1 des TIR-Übereinkommens ist nur eine Frist genannt, nämlich eine Frist von einem Jahr.

45 Unter diesen Umständen kann keinerlei Regelungslücke festgestellt werden. Insbesondere ergibt sich aus den genannten Vorschriften offensichtlich, daß sich diese Verweisung ungeachtet der in den verschiedenen Vorschriften behandelten Tatbestände auf die Dauer der Frist beschränkt.

46 Der Generalanwalt legt zwar in den Nummern 31 bis 42 seiner Schlußanträge dar, daß bei einem Vergleich der Artikel 454 und 455 der Verordnung Nr. 2454/93 Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Gesetzgeber die Frist anders regeln wollte; derartige Vermutungen reichen jedoch nicht aus, um eine Auslegung in dem von der dänischen, der französischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission vorgeschlagenen Sinn zu stützen. Selbst wenn eine Frist von drei Monaten für die Zollverwaltung günstiger sein sollte, würde sich eine solche Auslegung zu sehr vom Wortlaut der betreffenden Vorschrift entfernen, der den einzelnen durch ausdrückliche und klare Verweisungen eine Frist von einem Jahr zum Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung gewährt.

47 Wenn sich ergibt, daß die einschlägigen Rechtsvorschriften wenig kohärent und den Bedürfnissen der Kontrolle und der Betrugsbekämpfung nicht angepaßt sind, so hat der Gemeinschaftsgesetzgeber einzugreifen und die geeigneten Maßnahmen zu treffen.

48 Soweit der Wortlaut des Gesetzes eine Frist von einem Jahr vorsieht, kann diese Regelung im übrigen nicht durch ein zwischen Mitgliedstaaten geschlossenes Verwaltungsabkommen ohne Gesetzeskraft, das eine kürzere Frist vorsieht, beseitigt werden.

49 Daher ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-406/98 zu antworten, daß die Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 und 455 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 so auszulegen sind, daß die Zollbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt worden ist, dem Inhaber des Carnet TIR keine Ausschlußfrist zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung von drei Monaten setzen kann. Die Frist, innerhalb deren nach Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 der Ort, an dem die Zuwiderhandlung begangen wurde, nachgewiesen werden kann, beträgt ein Jahr.

Kostenentscheidung:

Kosten

50 Die Auslagen der dänischen, der französischen, der niederländischen, der finnischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschlüssen vom 7. Juli 1998 (C-310/98) und 6. Oktober 1998 (C-406/98) vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist so auszulegen, daß der von den Zollbehörden des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, verlangte Nachweis des Ortes, an dem sie begangen wurde, nicht nur durch Vorlage von Urkunden geführt werden kann, aus denen sich eindeutig ergibt, daß die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats Feststellungen getroffen haben, nach denen die Zuwiderhandlung auf ihrem Gebiet begangen wurde.

2. Artikel 454 Absatz 3 Unterabsätze 3 und 4 der Verordnung Nr. 2454/93 ist so auszulegen, daß der darin vorgesehene Ausgleichsmechanismus auch in einem Fall anzuwenden ist, in dem die Abgaben von dem Mitgliedstaat erhoben wurden, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, obwohl glaubhaft nachgewiesen wurde, daß der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat lag.

3. Die Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 und 455 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 sind so auszulegen, daß die Zollbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt worden ist, dem Inhaber des Carnet TIR keine Ausschlußfrist zum glaubhaften Nachweis des tatsächlichen Ortes der Zuwiderhandlung von drei Monaten setzen kann. Die Frist, innerhalb deren nach Artikel 454 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 der Ort, an dem die Zuwiderhandlung begangen wurde, nachgewiesen werden kann, beträgt ein Jahr.

Ende der Entscheidung

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