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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.11.1996
Aktenzeichen: C-313/94
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, RL 89/104


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 30
EG-Vertrag Art. 36
RL 89/104 Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. In einer Situation, in der es dem Inhaber einer Marke in einem Mitgliedstaat untersagt ist, eine bestimmte Art von Erzeugnissen unter dieser Marke zu vertreiben, stellt eine Anordnung an ein Unternehmen, das mit der gleichen Marke versehene Erzeugnisse der gleichen Art aus einem anderen Mitgliedstaat einführt, deren Vertrieb einzustellen, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne des Artikels 30 des Vertrages dar. In einer solchen Situation können sich Händler, die die Erzeugnisse unter der fraglichen Marke vertreiben wollen, diese Erzeugnisse nämlich nur im Wege der Einfuhr beschaffen, so daß eine Anordnung, den Vertrieb dieser Produkte einzustellen, praktisch darauf hinausläuft, ihre Einfuhr zu verhindern, und somit ein Hindernis für den innergemeinschaftlichen Handel darstellt.

2. Die Artikel 30 und 36 des Vertrages sind dahin auszulegen, daß nach diesen Vorschriften unzulässig ist, den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu dem Zweck geltend zu machen, einem Unternehmen zu verbieten, von seinem Recht Gebrauch zu machen, Erzeugnisse, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, unter einer bestimmten Marke in einen anderen Mitgliedstaat einzuführen und dort zu vertreiben, wenn die anderen Wirtschaftsteilnehmer das gleiche Recht haben, auch wenn sie keinen Gebrauch davon machen.

Hingegen ist nach diesen Vorschriften nicht unzulässig, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, aus Gründen des Schutzes der Verbraucher vor der irreführenden Wirkung einer Marke allen Wirtschaftsteilnehmern verboten wird, sofern dieses Verbot zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes erforderlich ist und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck steht und sofern dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat das nationale Gericht insbesondere zu prüfen, ob die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher so schwer wiegt, daß sie den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgehen kann. Insoweit ist es möglich, daß wegen sprachlicher, kultureller und sozialer Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten eine Marke, die in einem Mitgliedstaat nicht geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen, diese Eignung in einem anderen Mitgliedstaat besitzt.

3. Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b der Ersten Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104) ist dahin auszulegen, daß es danach nicht unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, verboten wird, weil sie mit einer Marke versehen sind, deren Benutzung ihrem Inhaber im Einfuhrmitgliedstaat ausdrücklich untersagt ist, da dort entschieden worden ist, daß sie die Verbraucher irreführen könnte. Die Richtlinie überlässt nämlich den Mitgliedstaaten die Befugnis, festzulegen, ob und wieweit die Benutzung einer verfallenen Marke zu verbieten ist.


Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1996. - F.lli Graffione SNC gegen Ditta Fransa. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale di Chiavari - Italien. - Verbot der Benutzung einer Marke in einem Mitgliedstaat - Verbot der Einfuhr eines Erzeugnisses aus einem anderen Mitgliedstaat unter der gleichen Marke - Artikel 30 EG-Vertrag und Richtlinie über die Marken. - Rechtssache C-313/94.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale Chiavari hat mit Beschluß vom 29. Oktober 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 28. November 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag und des Artikels 12 Absatz 2 Buchstabe b der Ersten Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG; ABl. 1989, L 40, S. 1; im folgenden: Markenrichtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der F.lli Graffione SNC, einer Großhandelsfirma in Ligurien (Italien) (im folgenden: Graffione), und der Ditta Fransa (im folgenden: Fransa), die in Gattorna in der Provinz Genua (Italien) einen Supermarkt besitzt.

3 Bis Oktober 1993 vertrieb der multinationale Scott-Konzern (im folgenden: Scott) in Italien Toilettenpapier und Papiertaschentücher unter der Marke "Cotonelle" und zwei Varianten dieser Marke (im folgenden: Marke Cotonelle).

4 Mit Urteil vom 1. Oktober 1993 untersagte die Corte d' appello Mailand unter Aufhebung eines Urteils des Tribunale Mailand Scott in einem Rechtsstreit zwischen dieser und der Firma Kayserberger die Benutzung der Marke Cotonelle. Die Marke wurde von der Corte d' appello Mailand wegen Verstosses gegen das italienische Markengesetz für ungültig erklärt, weil sie den Verbraucher dahin gehend irreführen könne, daß die betreffenden Erzeugnisse tatsächlich Baumwolle enthielten. Gegen dieses Urteil legte Scott ein Rechtsmittel bei der Corte di Cassazione ein.

5 Von Wettbewerbern in Frankreich und Spanien wurden gleichartige Klagen gegen Scott erhoben. In diesen Mitgliedstaaten wurde die Marke Cotonelle jedoch nicht für ungültig erklärt.

6 Im Anschluß an das Urteil der Corte d' appello Mailand gab Scott den Vertrieb von mit dieser Marke versehenen Erzeugnissen in Italien auf. Daraufhin teilte Graffione ihren Kunden, die sie bis dahin mit diesen Erzeugnissen beliefert hatte, mit, daß sie dazu nicht mehr in der Lage sei.

7 Da Graffione erfahren hatte, daß Fransa in Italien mit der Marke Cotonelle versehene Erzeugnisse verkaufte, beantragte sie beim Tribunale Chiavari, Fransa im Hinblick auf das Urteil der Corte d' appello Mailand und darauf, daß durch die Verkäufe von Fransa der Wettbewerb verfälscht werde, den Vertrieb von mit dieser Marke versehenen Erzeugnissen durch einstweilige Verfügung zu verbieten.

8 Aus den Akten geht hervor, daß der von Graffione gegen Fransa gerichtete Unterlassungsantrag auf die Vorschriften des italienischen Zivilgesetzbuchs über den unlauteren Wettbewerb gestützt ist und daß Graffione deshalb Opfer eines unlauteren Wettbewerbs zu sein glaubt, weil sie infolge des Urteils der Corte d' appello Mailand in Italien nicht unmittelbar von Scott mit der Marke Cotonelle versehene Erzeugnisse erhalten könne und dadurch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Fransa erleide, die diese Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat, in dem die Marke weiterhin gültig sei, einführe.

9 Fransa hält dem entgegen, das Urteil der Corte d' appello Mailand betreffe eine Marke für ein Erzeugnis, das in Italien hergestellt und in den Verkehr gebracht werde, während das von ihr verkaufte Erzeugnis aus Frankreich eingeführt werde, wo es unter der gleichen Marke rechtmässig in den Verkehr gebracht werde. Eine Anordnung, mit der ihr der Verkauf solcher Erzeugnisse in Italien untersagt würde, wäre daher eine gegen Artikel 30 des Vertrages verstossende Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung. Fransa stützt sich insoweit auf das sogenannte "Clinique"-Urteil des Gerichtshofes vom 2. Februar 1994 in der Rechtssache C-315/92 (Verband Sozialer Wettbewerb, Slg. 1994, I-317), das den angeblich irreführenden Charakter der Bezeichnung "Clinique" für ein aus Frankreich nach Deutschland eingeführtes Erzeugnis betroffen habe. Fransa beruft sich ausserdem auf die Markenrichtlinie, insbesondere auf deren Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b betreffend den Verfall von Marken, deren Benutzung den Verbraucher irreführen könne. Sie vertritt die Ansicht, die Anwendung dieser Richtlinienbestimmung würde im Ausgangsverfahren zu einem anderen Ergebnis als dem führen, zu dem die Corte d' appello Mailand gelangt sei.

10 Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b der Markenrichtlinie bestimmt:

"Eine Marke wird ferner für verfallen erklärt, wenn sie nach dem Zeitpunkt ihrer Eintragung

...

b) infolge ihrer Benutzung durch den Inhaber oder mit seiner Zustimmung für Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, geeignet ist, das Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geographische Herkunft dieser Waren oder Dienstleistungen irrezuführen."

11 Unter diesen Umständen hat das Tribunale Chiavari das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Artikel 30 und 36 dahin auszulegen, daß sie einer restriktiven Anwendung der nationalen Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, der den Verkehr eines Erzeugnisses, das aus einem anderen Mitgliedstaat stammt, in dem es rechtmässig hergestellt und mit einer Marke versehen worden ist, in seinem Hoheitsgebiet verbietet?

2. Ist Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 89/104/EWG dahin auszulegen, daß er in bezug auf Erzeugnisse, die gemeinschaftsweit vertrieben werden, die Harmonisierung der nationalen Vorschriften über den aus den darin angegebenen Gründen eintretenden Verfall des Rechts mit sich bringt?

3. Ist die in Frage 2 genannte Vorschrift in einem Fall wie dem dargestellten, auch im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit, dahin auszulegen, daß sie einer restriktiven Anwendung der nationalen Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die darauf gerichtet ist, in diesem Mitgliedstaat den Verkehr eines Erzeugnisses, das in einem anderen Mitgliedstaat, aus dem es stammt, rechtmässig hergestellt und mit einer Marke versehen worden ist, zu verhindern?

12 Es ist darauf hinzuweisen, daß die Corte di Cassazione mit Urteil vom 17. November 1995, in ihrer Kanzlei eingegangen am 9. April 1996 und dem Gerichtshof übermittelt durch Schreiben des Anwalts der Klägerin im Ausgangsverfahren vom 24. Mai 1996, das von Scott gegen das Urteil der Corte d' appello Mailand eingelegte Rechtsmittel zurückgewiesen hat. Da über das Urteil der Corte di Cassazione im Verfahren vor dem Gerichtshof nicht verhandelt worden ist, muß sich der Gerichtshof in jedem Fall darauf beschränken, die Fragen so zu beantworten, wie sie ihm gestellt und vor ihm erörtert worden sind.

Zur ersten Frage

13 Angesichts des rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhangs, wie er im Vorlagebeschluß beschrieben ist, ist diese Frage dahin zu verstehen, daß mit ihr geklärt werden soll, ob es nach den Artikeln 30 und 36 des Vertrages unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, gemäß den nationalen Vorschriften zum Schutz gegen unlauteren Wettbewerb verboten wird, weil sie mit einer Marke versehen sind, deren Benutzung ihrem Inhaber im Einfuhrmitgliedstaat ausdrücklich untersagt ist, da dort entschieden worden ist, daß sie die Verbraucher irreführen könnte.

14 Hierzu ist zunächst festzustellen, daß eine Anordnung wie die im Ausgangsverfahren beantragte eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne des Artikels 30 des Vertrages darstellt.

15 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes bezweckt diese Bestimmung nämlich das Verbot jeder Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

16 In einer Situation, in der es dem Inhaber einer Marke untersagt ist, Erzeugnisse unter dieser Marke zu vertreiben, können sich Händler, die die Erzeugnisse unter der fraglichen Marke vertreiben wollen, diese Erzeugnisse jedoch nur im Wege der Einfuhr beschaffen. Unter diesen Umständen läuft eine Anordnung, den Vertrieb dieser Produkte einzustellen, praktisch darauf hinaus, ihre Einfuhr zu verhindern, und stellt somit ein Hindernis für den innergemeinschaftlichen Handel dar.

17 Gleichfalls nach ständiger Rechtsprechung müssen Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel, die sich aus den Unterschieden zwischen den nationalen Rechtsvorschriften ergeben, hingenommen werden, soweit solche Bestimmungen unterschiedslos für einheimische wie für eingeführte Erzeugnisse gelten und notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen, insbesondere des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs, gerecht zu werden. Die betreffenden Bestimmungen sind jedoch nur zulässig, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und wenn dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken (Urteile vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, "Cassis de Dijon", Rewe, Slg. 1979, 649, Randnr. 8, vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-238/89, Pall, Slg. 1990, I-4827, Randnr. 12, vom 18. Mai 1993 in der Rechtssache C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361, Randnr. 12, und vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-470/93, Mars, Slg. 1995, I-1923, Randnr. 15).

18 Im vorliegenden Fall ist im Vorlagebeschluß nicht angegeben, ob das Urteil der Corte d' appello Mailand, durch das dem Inhaber der Marke ihre Benutzung in Italien untersagt wurde, auch Dritte am Vertrieb der betreffenden Erzeugnisse unter dieser Marke hindert oder ob es ° jedenfalls bis es Rechtskraft erlangt ° nur den Inhaber der Marke bindet, so daß Dritte Erzeugnisse, die mit dieser Marke versehen sind und aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt wurden, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, vertreiben dürfen.

19 Da Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fallen und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Ausgangsverfahren von der Antwort auf die gerade aufgeworfene Frage abhängt, sind bei der Auslegung der Artikel 30 und 36 beide Fälle ins Auge zu fassen.

20 Sollte das Urteil der Corte d' appello Mailand nur den Inhaber der Marke binden, so wären Dritte, darunter Fransa und Graffione, auch nach Erlaß dieses Urteils nicht gehindert, die betreffenden Erzeugnisse einzuführen und in Italien unter dieser Marke zu vertreiben. Folglich wäre die von Graffione beantragte Anordnung nicht zu rechtfertigen. Zwar ist der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, woran in Randnummer 17 des vorliegenden Urteils erinnert worden ist, einer der vom Gerichtshof anerkannten Gründe, derentwegen Beschränkungen des freien Warenverkehrs zulässig sein können. Es geht jedoch nicht an, daß der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb geltend gemacht wird, um einem Unternehmen zu verbieten, von seinem Recht Gebrauch zu machen, Erzeugnisse aus einem Mitgliedstaat, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, unter einer bestimmten Marke in einen anderen Mitgliedstaat einzuführen und dort zu vertreiben, wenn die anderen Wirtschaftsteilnehmer das gleiche Recht haben, auch wenn sie keinen Gebrauch davon machen.

21 Sollte aufgrund des Urteils der Corte d' appello Mailand der Vertrieb der betreffenden Erzeugnisse unter der Marke Cotonelle in Italien allgemein verboten sein, so müsste man ° wie es die Parteien des Ausgangsverfahrens zu Recht getan haben ° die Frage stellen, ob ein solches, durch dieses Urteil geschaffenes Hindernis für den freien Warenverkehr aus Gründen des Schutzes der Verbraucher vor der irreführenden Wirkung der Marke Cotonelle gerechtfertigt wäre, da diese Marke den Verbraucher zu der falschen Annahme veranlassen könnte, daß die mit dieser Marke versehenen Erzeugnisse Baumwolle enthalten.

22 Die Möglichkeit, ein auf den irreführenden Charakter einer Marke gestütztes Vertriebsverbot zuzulassen, ist grundsätzlich nicht etwa deswegen ausgeschlossen, weil der gleichen Marke in anderen Mitgliedstaaten nicht diese Eigenschaft zugeschrieben wird. Wie der Generalanwalt in Nummer 10 seiner Schlussanträge dargelegt hat, ist es nämlich möglich, daß wegen sprachlicher, kultureller und sozialer Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten eine Marke, die in einem Mitgliedstaat nicht geeignet ist, den Verbraucher irrezuführen, diese Eignung in einem anderen Mitgliedstaat besitzt.

23 Wie in Randnummer 17 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist es zur Rechtfertigung der zum Schutz der Verbraucher erlassenen Maßnahme darüber hinaus jedoch notwendig, daß sie zur Erreichung dieses Zieles tatsächlich erforderlich ist, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht und daß dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken.

24 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht insbesondere hervor, daß die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher den Erfordernissen des freien Warenverkehrs nur dann vorgehen und somit Handelshemmnisse rechtfertigen kann, wenn sie hinreichend schwer wiegt (vgl. insbesondere die vorgenannten Urteile Clinique und Mars).

25 Da die Angaben in den Akten der vorliegenden Rechtssache es dem Gerichtshof nicht ermöglichen, zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen hier gegeben sind, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, diese Beurteilung vorzunehmen.

26 Bei dieser Beurteilung muß das vorlegende Gericht alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigen; dazu gehören die Umstände, unter denen die Erzeugnisse verkauft werden, die auf der Verpackung der Erzeugnisse angebrachten Informationen und die Klarheit, mit der sie gegeben werden, Aufmachung und Inhalt der Werbung sowie die Gefahr einer Irreführung der betroffenen Verbrauchergruppe.

27 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Artikel 30 und 36 des Vertrages dahin auszulegen sind, daß nach diesen Vorschriften

° unzulässig ist, den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu dem Zweck geltend zu machen, einem Unternehmen zu verbieten, von seinem Recht Gebrauch zu machen, Erzeugnisse, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, unter einer bestimmten Marke in einen anderen Mitgliedstaat einzuführen und dort zu vertreiben, wenn die anderen Wirtschaftsteilnehmer das gleiche Recht haben, auch wenn sie keinen Gebrauch davon machen;

° hingegen nicht unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, aus Gründen des Verbraucherschutzes allen Wirtschaftsteilnehmern verboten wird, sofern dieses Verbot zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes erforderlich ist und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck steht und sofern dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken. Das vorlegende Gericht hat insoweit insbesondere zu prüfen, ob die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher so schwer wiegt, daß sie den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgehen kann.

Zur zweiten und zur dritten Frage

28 Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b der Markenrichtlinie dahin auszulegen ist, daß es danach unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, verboten wird, weil sie mit einer Marke versehen sind, deren Benutzung ihrem Inhaber im Einfuhrmitgliedstaat ausdrücklich untersagt ist, da dort entschieden worden ist, daß sie die Verbraucher irreführen könnte.

29 Die Markenrichtlinie, bei der es sich ihrem Titel zufolge um die erste Richtlinie auf dem fraglichen Gebiet handelt, bezweckt keine vollständige Harmonisierung des Markenrechts der Mitgliedstaaten; ihr Artikel 12 ist darauf beschränkt, die Gründe aufzuführen, aus denen eine Marke für verfallen erklärt werden kann. Darüber hinaus geht aus der fünften Begründungserwägung hervor, daß die Mitgliedstaaten weiterhin festlegen können, welche Rechtswirkung dem Verfall oder der Ungültigerklärung einer Marke zukommt.

30 Im übrigen ergibt sich aus der sechsten Begründungserwägung, daß die Markenrichtlinie nicht ausschließt, daß auf die Marken andere Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als die des Markenrechts, wie die Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb, über die zivilrechtliche Haftung oder über den Verbraucherschutz, Anwendung finden.

31 Demnach überlässt es Artikel 12 Absatz 2 der Markenrichtlinie, wie der Generalanwalt in Nummern 19 und 20 seiner Schlussanträge dargelegt hat, dem innerstaatlichen Recht, festzulegen, ob und wieweit die Benutzung einer verfallenen Marke zu verbieten ist.

32 Daraus folgt, daß diese Bestimmung für die Lösung des im Mittelpunkt des Ausgangsverfahrens stehenden Problems ohne Bedeutung ist.

33 Unter diesen Umständen ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, daß Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b der Markenrichtlinie dahin auszulegen ist, daß es danach nicht unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, verboten wird, weil sie mit einer Marke versehen sind, deren Benutzung ihrem Inhaber im Einfuhrmitgliedstaat ausdrücklich untersagt ist, da dort entschieden worden ist, daß sie die Verbraucher irreführen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Die Auslagen der italienischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunale Chiavari mit Beschluß vom 29. Oktober 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß nach diesen Vorschriften

° unzulässig ist, den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb zu dem Zweck geltend zu machen, einem Unternehmen zu verbieten, von seinem Recht Gebrauch zu machen, Erzeugnisse, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, unter einer bestimmten Marke in einen anderen Mitgliedstaat einzuführen und dort zu vertreiben, wenn die anderen Wirtschaftsteilnehmer das gleiche Recht haben, auch wenn sie keinen Gebrauch davon machen;

° hingegen nicht unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, aus Gründen des Verbraucherschutzes allen Wirtschaftsteilnehmern verboten wird, sofern dieses Verbot zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes erforderlich ist und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck steht und sofern dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken. Das vorlegende Gericht hat insoweit insbesondere zu prüfen, ob die Gefahr einer Irreführung der Verbraucher so schwer wiegt, daß sie den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgehen kann.

2. Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe b der Ersten Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG) ist dahin auszulegen, daß es danach nicht unzulässig ist, daß der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus einem Mitgliedstaat stammen, wo sie rechtmässig in den Verkehr gebracht worden sind, verboten wird, weil sie mit einer Marke versehen sind, deren Benutzung ihrem Inhaber im Einfuhrmitgliedstaat ausdrücklich untersagt ist, da dort entschieden worden ist, daß sie die Verbraucher irreführen könnte.

Ende der Entscheidung

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