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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: C-317/05
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 89/105/EWG
Vorschriften:
EG Art. 234 | |
Richtlinie 89/105/EWG Art. 6 Nr. 1 | |
Richtlinie 89/105/EWG Art. 6 Nr. 2 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
26. Oktober 2006
"Richtlinie 89/105/EWG - Artikel 6 Nummern 1 und 2 - Positivliste - Pflicht zur Begründung und zur Rechtsmittelbelehrung"
Parteien:
In der Rechtssache C-317/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Sozialgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. August 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 17. August 2005, in dem Verfahren
G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG
gegen
Gemeinsamer Bundesausschuss,
Beigeladene:
AOK-Bundesverband KdöR,
IKK-Bundesverband,
Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BBK),
Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen,
Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V.,
AEV-Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e. V.,
Bundesknappschaft,
Seekrankenkasse,
Bundesrepublik Deutschland,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer J. Klucka in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und des Richters J. Makarczyk,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG, vertreten durch die Rechtsanwälte W. Kozianka und N. Hußmann,
- des Gemeinsamen Bundesausschusses, vertreten durch Rechtsanwalt M. Grüne,
- des AOK-Bundesverbands KdöR, vertreten durch K.-H. Mühlhausen und J. Ihle als Bevollmächtigte,
- des IKK-Bundesverbands, vertreten durch S. Reitzenstein als Bevollmächtigte,
- des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen (BBK), vertreten durch K.-P. Adelt und P. Kraftberger als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Schima und B. Stransky als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 6 der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. 1989, L 40, S. 8).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG (im Folgenden: Pohl-Boskamp) und dem Gemeinsamen Bundesausschuss wegen dessen Weigerung, zwei Fertigarzneien der Klägerin des Ausgangsverfahrens in eine Liste der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aufzunehmen, die ausnahmsweise verordnet und damit in der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden können.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 6 der Richtlinie 89/105 sieht vor:
"Ist ein Arzneimittel durch das staatliche Krankenversicherungssystem nur gedeckt, wenn die zuständigen Behörden beschlossen haben, das betreffende Arzneimittel in eine Positivliste der unter das staatliche Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel aufzunehmen, so gilt Folgendes:
1. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Entscheidung über einen Antrag auf Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel, der vom Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats gestellt worden ist, innerhalb von neunzig Tagen nach Eingang des Antrags getroffen und dem Antragsteller mitgeteilt wird. Kann ein Antrag nach diesem Artikel gestellt werden, bevor die zuständigen Behörden dem Preis zugestimmt haben, der für das Erzeugnis gemäß Artikel 2 verlangt werden soll, oder wird über den Preis eines Arzneimittels und über dessen Aufnahme in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse in einem einzigen Verwaltungsverfahren entschieden, wird die Frist um neunzig Tage verlängert. Der Antragsteller macht den zuständigen Behörden ausreichende Angaben. Sind die Angaben zur Begründung des Antrags unzureichend, so wird die Frist ausgesetzt, und die zuständigen Behörden teilen dem Antragsteller unverzüglich mit, welche zusätzlichen Einzelangaben erforderlich sind.
Lässt ein Mitgliedstaat nicht zu, dass ein Antrag nach diesem Artikel gestellt werden kann, bevor die zuständigen Behörden dem Preis zugestimmt haben, der für das Erzeugnis gemäß Artikel 2 verlangt werden soll, so muss er sicherstellen, dass die Dauer der beiden Verfahren zusammen 180 Tage nicht übersteigt. Diese Frist kann nach Artikel 2 verlängert oder nach Unterabsatz 1 ausgesetzt werden.
2. Eine Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten; gegebenenfalls sind zugrunde liegende Stellungnahmen oder Empfehlungen von Sachverständigen hierin anzugeben. Der Antragsteller ist über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen zu belehren.
...
5. Eine Entscheidung, ein Erzeugnis aus der Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse zu streichen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten. Sie ist der zuständigen Person gegebenenfalls mit Angabe zugrunde liegender Stellungnahmen oder Empfehlungen von Sachverständigen sowie unter Belehrung über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen mitzuteilen.
6. Eine Entscheidung, eine Arzneimittelkategorie aus der Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse zu streichen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten; sie ist in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen."
4 Artikel 7 der Richtlinie bestimmt:
"Sind die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ermächtigt, Entscheidungen zu treffen, durch die bestimmte Arzneimittel oder Arzneimittelkategorien von ihrem staatlichen Krankenversicherungssystem ausgeschlossen werden (Negativlisten), so gilt Folgendes:
1. Eine Entscheidung, eine Arzneimittelkategorie von dem staatlichen Krankenversicherungssystem auszuschließen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten; sie ist in einer geeigneten amtlichen Bekanntmachung zu veröffentlichen.
..."
Nationales Recht
5 Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung wird in Deutschland im Wesentlichen durch das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB V) geregelt.
6 Nach § 31 Absatz 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte u. a. Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 SGB V ausgeschlossen sind.
7 § 34 Absatz 1 SGB V bestimmt:
"Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 erstmals bis zum 31. März 2004 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. ..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 Pohl-Boskamp ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das u. a. die Phytopharmaka Gelomyrtol und Gelomyrtol forte herstellt und vertreibt. Diese Präparate enthalten den Wirkstoff "Myrtol standardisiert" und werden zur Behandlung von akuter und chronischer Bronchitis und Sinusitis eingesetzt. Sie dürfen für den Endverbrauch nur in Apotheken abgegeben werden, bedürfen aber keiner ärztlichen Verordnung.
9 Der Gemeinsame Bundesausschuss erstellte gemäß § 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V den Entwurf einer Liste der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die ausnahmsweise verordnet und damit in der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden können. Er legte diese Liste am 11. Dezember 2003 vor und eröffnete ein Anhörungsverfahren, um den Spitzenverbänden der pharmazeutischen Unternehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
10 Da die Fertigarzneien Gelomyrtol und Gelomyrtol forte in dieser Liste aufgeführt waren, beantragte Pohl-Boskamp im Januar 2004 ihre Aufnahme.
11 Am 16. März 2004 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss schließlich die Ausnahmeliste, die noch am selben Tag vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung genehmigt wurde.
12 Am 23. April 2004 wurde die Liste im Bundesanzeiger (Nr. 77 vom 23. April 2004, S. 8905) veröffentlicht. In der Liste sind als Standardtherapeutika im Sinne von § 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V Wirkstoffe, Wirkstoffgruppen und -verbindungen sowie teilweise Mittel für bestimmte Interventionsarten aufgeführt. Hinzugesetzt sind die jeweiligen schweren Erkrankungen, für deren Behandlung die Therapeutika verordnet werden können. Der in den Präparaten Gelomyrtol und Gelomyrtol forte enthaltene Wirkstoff Myrtol standardisiert lässt sich keinem der aufgeführten Standardtherapeutika zuordnen.
13 Da Pohl-Boskamp keine Erklärung für die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses erhielt, ihre Arzneimittel nicht in die Liste aufzunehmen, erhob sie am 19. Mai 2004 Klage beim Sozialgericht Köln.
14 Das Sozialgericht Köln hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Richtlinie 89/105 (Transparenzrichtlinie) so auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegensteht, die nach Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von den Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems einen Rechtsträger dieses Systems zu Normen ermächtigt, Arzneistoffe von diesem Ausschluss auszunehmen, ohne ein Verfahren nach Artikel 6 Nummer 1 Satz 2 und Nummer 2 der Transparenzrichtlinie vorzusehen?
2. Ist die Richtlinie 89/105 dahin auszulegen, dass sie den Herstellern der in Ziffer 1 dieses Beschlusses genannten Arzneimittel ein subjektives öffentliches Recht gewährt, insbesondere auf eine mit einer Begründung und einer Rechtsmittelbelehrung versehene Entscheidung über die Aufnahme eines ihrer Arzneimittel auf eine Liste der oben bezeichneten Art, auch wenn die mitgliedstaatliche Regelung weder ein entsprechendes Entscheidungsverfahren noch ein Rechtsbehelfsverfahren diesbezüglich vorsieht?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
15 Zur Beantwortung der ersten Frage ist zunächst zu prüfen, ob die gemäß § 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V erlassenen Bestimmungen eine Maßnahme im Sinne von Artikel 6 der Richtlinie 89/105 sind.
16 Der Gemeinsame Bundesausschuss trägt insoweit vor, dass seine Entscheidungen nicht den Rechtscharakter einer Positivliste hätten, da diese Funktion im deutschen System den positiven Zulassungsentscheidungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vorbehalten sei.
17 Artikel 6 der Richtlinie 89/105 findet Anwendung, sofern "ein Arzneimittel durch das staatliche Krankenversicherungssystem nur gedeckt [ist], wenn die zuständigen Behörden beschlossen haben, das betreffende Arzneimittel in eine Positivliste der unter [dieses] Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel aufzunehmen".
18 Zwar geht aus der Beschreibung des deutschen Systems durch das vorlegende Gericht hervor, dass die Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der verschreibungsfähigen Arzneimittel, die damit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können, in einem ersten Schritt von einer positiven Zulassungsentscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte abhängt.
19 Der Gemeinsame Bundesausschuss darf jedoch in einem zweiten Schritt festlegen, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel ausnahmsweise verordnet und damit geleistet werden können. Die Liste dieser Arzneimittel ist anschließend vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zu genehmigen.
20 Wenn also das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im ersten Schritt nicht beschließt, ein Arzneimittel in die Liste der Arzneimittel aufzunehmen, deren Kosten vom staatlichen Krankenversicherungssystem übernommen werden, hat die spätere Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, bestimmte Wirkstoffe ausnahmsweise in die Kostenübernahmeregelung einzubeziehen, zwangsläufig zur Folge, dass diese Regelung auf diejenigen Fertigarzneien angewandt wird, die solche Wirkstoffe enthalten.
21 Außerdem sind aufgrund dieser Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses diejenigen Arzneimittel, die einen von der Entscheidung erfassten Wirkstoff enthalten, zur Kostenübernahme zugelassen.
22 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass eine Entscheidung wie die des Gemeinsamen Bundesausschusses, auch wenn sie nur die Zulassung einer Reihe von Wirkstoffen zur Kostenübernahme umfasst, ein Bündel von Einzelentscheidungen über die Aufnahme bestimmter Arzneimittel in eine der Regelungen des Sozialversicherungssystems darstellt, so dass die Entscheidung unter Artikel 6 der Richtlinie 89/105 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C-229/00, Kommission/Finnland, Slg. 2003, I-5727, Randnr. 34).
23 Zum Vorbringen der deutschen Regierung, Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie 89/105 beziehe sich nur auf Anträge von Inhabern einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, genügt die Feststellung, dass nach der Auslegung durch den Gerichtshof im Urteil Kommission/Finnland eine Entscheidung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen Komplex von Einzelentscheidungen darstellt, die mehrere Betroffene berühren. Aufgrund dieser Stellung als Betroffene sind die Inhaber von Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Arzneimittel, die die fraglichen Wirkstoffe enthalten, befugt, die durch Artikel 6 eingeräumten Rechte geltend zu machen.
24 Zur Anwendung des Artikels 6 der Richtlinie 89/105 hat der Gemeinsame Bundesausschuss ergänzt, dass die Richtlinien keine Maßnahmen zur Kontrolle der Arzneimittelpreise darstellten, was aber Voraussetzung für die Anwendung der Richtlinie 89/105 und insbesondere auch ihres Artikels 6 sei.
25 Nach ständiger Rechtsprechung soll die Richtlinie 89/105 nach ihrem Artikel 1 sicherstellen, dass alle einzelstaatlichen Maßnahmen zur Kontrolle der Preise von Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch oder zur Einschränkung der unter die staatlichen Krankenversicherungssysteme fallenden Arzneimittel den Anforderungen der Richtlinie entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. November 2001 in der Rechtssache C-424/99, Kommission/Österreich, Slg. 2001, I-9285, Randnr. 30, und Kommission/Finnland, Randnr. 37).
26 Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass die Entscheidungen, nach denen für einige Arzneimittel ein erhöhter Erstattungssatz gilt, ein Mittel sind, um zu bestimmen, in welchem Umfang die angebotenen Arzneimittel durch ein Krankenversicherungssystem gedeckt sein sollen und bei der Behandlung dieser oder jener Krankheit eingesetzt werden können. Um die praktische Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten, müssen sich die Betroffenen nach der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie 89/105 auch vergewissern können, dass die Aufnahme von Arzneimitteln nach objektiven Kriterien erfolgt und dass inländische Arzneimittel und solche aus anderen Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich behandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Finnland, Randnrn. 38 und 39).
27 Diese Ziele würden jedoch nach der Rechtsprechung beeinträchtigt, wenn ein Mitgliedstaat ein zweistufiges Verfahren zur Festlegung der Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel einführen könnte, von denen das eine - in Deutschland das des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte - die in Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie 89/105 festgelegten Verpflichtungen erfüllt, während das andere - das des Gemeinsamen Bundesausschusses - von diesen Verpflichtungen befreit wäre und die Ziele der Richtlinie nicht beachtete (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Finnland, Randnr. 40).
28 Diese Schlussfolgerung wird in keiner Weise durch das Vorbringen des Gemeinsamen Bundesausschusses berührt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung nicht den innergemeinschaftlichen Handel verfälsche und folglich mit dem Zweck der Richtlinie 89/105 in Einklang stehe.
29 Insoweit genügt ein Hinweis darauf, dass die Richtlinie 89/105, auch wenn bei ihrer Ausarbeitung die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels berücksichtigt wurde, nach ihrer fünften Begründungserwägung vorrangig für Transparenz bei der Preisfestsetzung einschließlich des Funktionierens der Preise in bestimmten Fällen und der ihnen zugrunde liegenden Kriterien sorgen und die Vereinbarungen zur Preisfestsetzung allen Teilnehmern am Arzneimittelmarkt in den Mitgliedstaaten allgemein zugänglich machen soll. Die Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels ist keine Voraussetzung für die Anwendung der Richtlinie.
30 Nach alledem sind die gemäß § 34 Absatz 1 Satz 2 SGB V erlassenen Entscheidungen eine Maßnahme im Sinne von Artikel 6 der Richtlinie 89/105.
31 Nach Artikel 6 Nummer 2 muss eine Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten sowie denjenigen, der die Aufnahme beantragt hat, über Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen belehren.
32 Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wurde die Entscheidung vom 16. März 2004, mit der der Gemeinsame Bundesausschuss schließlich die Liste der Arzneimittel beschloss, deren Kosten ausnahmsweise übernommen werden können, Pohl-Boskamp nicht mitgeteilt; diese erhielt auch keine Begründung für die Entscheidung. Die Liste wurde im Bundesanzeiger veröffentlicht und enthielt eine Darstellung der für die Aufnahme der zugelassenen Wirkstoffe maßgeblichen Gründe.
33 Dass Pohl-Boskamp die Arzneimittelliste nicht mitgeteilt wurde und die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses keine Begründung und keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, ist mit den in Artikel 6 Nummer 2 der Richtlinie 89/105 festgelegten Erfordernissen für Entscheidungen, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, nur schwer in Einklang zu bringen.
34 Die deutsche Regierung macht im Rahmen dieser ersten Frage geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidungen zum Ausschluss einer "Arzneimittelkategorie" führten und deshalb vielmehr unter Artikel 6 Nummer 6 oder Artikel 7 der Richtlinie 89/105 fielen.
35 Diese Artikel betreffen jedoch Fälle des Ausschlusses einer Arzneimittelkategorie, die zu den unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnissen gehörte. Dieser Fall liegt im Ausgangsverfahren nicht vor, da es sich nicht um eine Entscheidung über den Ausschluss bereits erfasster Arzneimittel handelt, sondern um eine Entscheidung über die Aufnahme in das Krankenversicherungssystem.
36 Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 89/105 dahin auszulegen ist, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegensteht, die nach Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von den Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems einen Rechtsträger dieses Systems zum Erlass von Bestimmungen, die Arzneistoffe von diesem Ausschluss ausnehmen, ermächtigt, ohne ein Verfahren nach Artikel 6 Nummern 1 und 2 der Richtlinie vorzusehen.
Zur zweiten Frage
37 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 6 Nummer 2 der Richtlinie 89/105 unmittelbare Wirkung hat, ob er also dahin auszulegen ist, dass er den Arzneimittelherstellern, die von einer Entscheidung betroffen sind, aufgrund deren bestimmte Arzneimittel, die bestimmte Wirkstoffe enthalten, zur Kostenübernahme zugelassen sind, ein Recht auf eine mit einer Begründung und einer Rechtsmittelbelehrung versehene Entscheidung gewährt, auch wenn die mitgliedstaatliche Regelung weder ein entsprechendes Verfahren noch Rechtsbehelfe vorsieht.
38 Zur Frage, ob Artikel 6 Nummern 1 und 2 der Richtlinie 89/105 eine unmittelbare Wirkung hat, die im Ausgangsverfahren geltend gemacht werden kann, meinen die Klägerin und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, dass diese Vorschrift klar und eindeutig, d. h. hinreichend genau, unbedingt und vollständig, sei und dass ihre Anwendung keine weiteren mitgliedstaatlichen Handlungen erfordere. Man müsse sich daher unmittelbar auf sie berufen können.
39 Der Gemeinsame Bundesausschuss verneint eine solche unmittelbare Wirkung aufgrund der Antwort, die er dem Gerichtshof für die erste Frage vorgeschlagen hat, und wirft die Frage auf, ob die Richtlinie 89/105 auf den Fall des Ausgangsverfahrens anwendbar sei, denn die Entscheidungen, auf die sich der Rechtsstreit beziehe, gälten rechtlich nur im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versicherten, so dass sie rechtlich geschützte Positionen der Arzneimittelhersteller nicht berührten.
40 Zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikels 6 der Richtlinie 89/105 ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (vgl. u. a. Urteil vom 5. Oktober 2004 in den Rechtssachen C-397/01 bis C-403/01, Pfeiffer u. a., Slg. 2004, I-8835, Randnr. 103).
41 Eine Gemeinschaftsvorschrift ist unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf. Eine Bestimmung ist hinreichend genau, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt werden zu können, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt (vgl. Urteil vom 17. September 1996 in den Rechtssachen C-246/94 bis C-249/94, Cooperativa Agricola Zootecnica S. Antonio u. a., Slg. 1996, I-4373, Randnrn. 18 und 19).
42 Artikel 6 Nummer 2 der Richtlinie 89/105 hat eben diese Eigenschaften, da er genau und mit unzweideutigen Worten eine Verpflichtung beschreibt - nämlich die Verpflichtung, die ablehnende Entscheidung zu begründen und über Rechtsmittel zu belehren -, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen bedarf. Sein Wortlaut erscheint daher unbedingt und hinreichend genau, so dass sich die Betroffenen darauf im Verhältnis zum jeweiligen Mitgliedstaat berufen können.
43 Was schließlich das Vorbringen des Gemeinsamen Bundesausschusses angeht, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung gelte rechtlich nur im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versicherten, genügt die Feststellung, dass aufgrund der Entscheidung ein Komplex von Arzneimitteln, die die in ihr genannten Wirkstoffe enthalten, zur Kostenübernahme zugelassen ist. Sie fällt daher in den Anwendungsbereich des Artikels 6 der Richtlinie 89/105. Dass sich nur die Versicherten im Verhältnis zu den Krankenkassen auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidungen berufen können, ist dabei unerheblich, da die Anwendung des Artikels davon abhängt, ob eine Zulassung zur Kostenübernahme zum Krankenversicherungssystem erfolgt ist.
44 Aus diesen Gründen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 6 Nummer 2 der Richtlinie 89/105 dahin auszulegen ist, dass er den Arzneimittelherstellern, die von einer Entscheidung betroffen sind, aufgrund deren bestimmte Arzneimittel, die von der Entscheidung erfasste Wirkstoffe enthalten, zur Kostenübernahme zugelassen sind, ein Recht auf eine mit einer Begründung und einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Entscheidung gewährt, auch wenn die mitgliedstaatliche Regelung weder ein entsprechendes Verfahren noch Rechtsbehelfe vorsieht.
Kostenentscheidung:
Kosten
45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
1. Die Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme ist dahin auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegensteht, die nach Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von den Leistungen des staatlichen Gesundheitssystems einen Rechtsträger dieses Systems zum Erlass von Bestimmungen, die Arzneistoffe von diesem Ausschluss ausnehmen, ermächtigt, ohne ein Verfahren nach Artikel 6 Nummern 1 und 2 der Richtlinie vorzusehen.
2. Artikel 6 Nummer 2 der Richtlinie 89/105 ist dahin auszulegen, dass er den Arzneimittelherstellern, die von einer Entscheidung betroffen sind, aufgrund deren bestimmte Arzneimittel, die von der Entscheidung erfasste Wirkstoffe enthalten, zur Kostenübernahme zugelassen sind, ein Recht auf eine mit einer Begründung und einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Entscheidung gewährt, auch wenn die mitgliedstaatliche Regelung weder ein entsprechendes Verfahren noch Rechtsbehelfe vorsieht.
Ende der Entscheidung
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