Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.1994
Aktenzeichen: C-320/92 P
Rechtsgebiete: Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS vom 31. Oktober 1980 (ABl. L 291, S. 1), Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS vom 27. November 1985 (ABl. L 340, S. 5), Entscheidung Nr. 194/88/EGKS der vom 6. Januar 1988, EGKS-Vertrag


Vorschriften:

Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS vom 31. Oktober 1980 (ABl. L 291, S. 1)
Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS vom 27. November 1985 (ABl. L 340, S. 5) Art. 5
Entscheidung Nr. 194/88/EGKS der vom 6. Januar 1988 Art. 11. Abs. 3 Buchst. e
EGKS-Vertrag Art. 58 § 4
EGKS-Vertrag Art. 34
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Daraus, daß der Gerichtshof Artikel 5 der Entscheidung Nr. 194/88 zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie nicht insoweit für nichtig erklärt hat, als dieser Artikel der Kommission die Befugnis zur Festsetzung der Quoten gab, sondern nur insoweit, als er es der Kommission nicht gestattete, von ihr als angemessen angesehene Lieferquoten für die Unternehmen festzusetzen, bei denen das Verhältnis zwischen den Produktionsquoten und der jeweiligen Lieferquote erheblich unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt lag, folgt, daß die Kommission über eine rechtliche Grundlage für die Festsetzung der Quoten für 1988 unter Beachtung des Gebots der Billigkeit verfügte und daß anhand dieser Quoten geprüft werden konnte, ob ein Unternehmen die ihm zugeteilte Menge überschritten hatte.

2. Der Gemeinschaftsrichter kann die Kommission bei einer Klage im Verfahren mit unbeschränkter Nachprüfung im Sinne von Artikel 36 EGKS-Vertrag, die gegen eine wegen Überschreitung der Erzeugungs- und Lieferquoten für Stahl verhängte Geldbusse gerichtet ist, nicht dazu zwingen, bei der Berechnung der einem Unternehmen vorgeworfenen Quotenüberschreitung die Wirkungen der Nichtigerklärung einer Handlung zu berücksichtigen, die diesem Unternehmen einen Schaden verursacht haben soll.

Die Folgen der Nichtigerklärung einer solchen Handlung ergeben sich nämlich aus Artikel 34 EGKS-Vertrag, wonach die Kommission geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um den unmittelbaren oder mittelbaren Schaden wiedergutzumachen, der gegebenenfalls durch eine die Haftung der Gemeinschaft begründende Handlung verursacht worden ist, denn das Unternehmen kann nur dann eine Schadensersatzklage erheben, wenn die Kommission die ihr aufgrund dieser Vorschrift obliegende Verpflichtung nicht erfuellt.

3. Zwar kann nach Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88 zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie die Kommission grundsätzlich einen Vorgriff auf die Quoten des folgenden Quartals gestatten, jedoch durfte im zweiten Quartal 1988 kein Vorgriff mehr gestattet werden, da das Quotensystem am 30. Juni 1988 auslief. Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e wurde somit bereits am Ende des ersten Quartals gegenstandslos, und die Kommission war nicht mehr befugt, am Ende dieses Zeitraums eine Entscheidung über die Gestattung oder Ablehnung eines Vorgriffs zu erlassen.

4. Wenn die Gründe eines Urteils des Gerichts eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts erkennen lassen, sich die Urteilsformel aber aus anderen Rechtsgründen als richtig darstellt, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

5. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, bei der Entscheidung über Rechtsfragen in einem Rechtsmittelverfahren aus Billigkeitsgründen seine Bewertung an die Stelle der Bewertung des Gerichts zu setzen, das in Wahrnehmung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über die Höhe einer Geldbusse entscheidet, die gegen ein Unternehmen wegen der von ihm begangenen Verletzung des Gemeinschaftsrechts festgesetzt worden ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 15. DEZEMBER 1994. - SOCIETA FINANZIARIA SIDERURGICA FINSIDER SPA (IN LIQUIDAZIONE) GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHTSMITTEL IN EGKS-SACHEN - QUOTEN FUER DIE ERZEUGUNG UND LIEFERUNG VON STAHL INNERHALB DES GEMEINSAMEN MARKTES - UEBERSCHREITUNG. - RECHTSSACHE C-320/92 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die Società Finanziaria Siderurgica Finsider SpA (im folgenden: Rechtsmittelführerin) hat mit Rechtsmittelschrift, die am 28. Juli 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 5. Juni 1992 in der Rechtssache T-26/90 (Finsider/Kommission, Slg. 1992, II-1789) eingelegt, soweit es das Gericht abgelehnt hat, die Entscheidung der Kommission vom 21. März 1990, mit der der Rechtsmittelführerin eine Geldbusse wegen Quotenüberschreitung auferlegt wurde, für nichtig zu erklären und den Betrag dieser Geldbusse herabzusetzen.

2 Aus dem angefochtenen Urteil (Randnrn. 1 und 9) geht hervor, daß durch die Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS der Kommission vom 31. Oktober 1980 (ABl. L 291, S. 1) für bestimmte Stahlerzeugnisse ein System von Erzeugungsquoten eingeführt wurde. Dieses System wurde für die Jahre 1986 und 1987 durch die Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS der Kommission vom 27. November 1985 (ABl. L 340, S. 5) und für die ersten sechs Monate des Jahres 1988 durch die Entscheidung Nr. 194/88/EGKS der Kommission vom 6. Januar 1988 zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 25, S. 1) verlängert. Es lief am 30. Juni 1988 aus.

3 Am 9. Juni 1988 beantragte die Rechtsmittelführerin bei der Kommission die Genehmigung, im zweiten Quartal 1988 eine die für diesen Zeitraum zugeteilte Quote übersteigende Stahlmenge zu erzeugen und innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu liefern (Randnr. 7 des angefochtenen Urteils).

4 Der Antrag wurde auf Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88 gestützt, dem zufolge die Kommission einem Unternehmen unter bestimmten Bedingungen in einem Quartal einen Vorgriff auf einen Teil der Quoten des folgenden Quartals erlauben kann.

5 Auf der Grundlage von Artikel 58 § 4 EGKS-Vertrag stellte die Kommission durch Entscheidung vom 21. März 1990 fest, daß die Rechtsmittelführerin die ihr für das zweite Quartal 1988 zugeteilten Quoten ohne Genehmigung überschritten habe. Als Sanktion verhängte sie gegen diese Gesellschaft eine Geldbusse von 2 153 550 ECU (Randnr. 31 des angefochtenen Urteils).

6 Am 18. Mai 1990 hat die Rechtsmittelführerin beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, hilfsweise auf Herabsetzung der Geldbusse erhoben. Die Klage ist vom Gericht mit Urteil vom 5. Juni 1992 in allen Punkten abgewiesen worden; dagegen hat die Rechtsmittelführerin das vorliegende Rechtsmittel eingelegt.

7 Zur Begründung des Rechtsmittels erhebt die Rechtsmittelführerin gegen das Gericht im wesentlichen den Vorwurf, es habe

° das Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juni 1989 in den Rechtssachen 218/87, 223/87, 72/88 und 92/88 (Hoogovens Gröp u. a./Kommission, Slg. 1989, 1711), in dem die Artikel 5 und 17 der Entscheidung Nr. 194/88 für nichtig erklärt worden seien, verkannt;

° den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt;

° Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88 fehlerhaft ausgelegt;

° festgestellt, daß die Entscheidung der Kommission hinreichend begründet sei;

° die Auffassung vertreten, daß der Antrag auf Quotenvorgriff stillschweigend abgelehnt werden könne;

° die Auffassung vertreten, daß die Kommission ihr ausreichende Daten zum Nachweis der Quotenüberschreitung übermittelt habe und

° die Herabsetzung der Geldbusse abgelehnt.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

8 Mit dem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, daß das Gericht das Urteil Hoogovens Gröp u. a./Kommission (a. a. O.), in dem der Gerichtshof die Artikel 5 und 17 der Entscheidung Nr. 194/88 für nichtig erklärt habe, verkannt habe.

9 In der ersten dieser Vorschriften hieß es:

"(1) Die Kommission setzt für jedes Unternehmen die vierteljährlichen Erzeugungsquoten und den Teil dieser Quoten fest, der innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden darf,

° auf der Grundlage der Vergleichsproduktionen und -mengen gemäß Artikel 4 Absatz 4 und Artikel 6;

° durch Anwendung der prozentualen Kürzungssätze gemäß Artikel 8 auf diese Vergleichsproduktionen und -mengen.

(2) Unter Berücksichtigung der in Artikel 4 Absatz 3 festgelegten Grenzen kann die Kommission erforderlichenfalls die gemäß Absatz 1 festgesetzten Quoten anpassen."

10 Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin bildete diese Vorschrift die Rechtsgrundlage dafür, daß die Kommission die Stahlquoten für die ersten beiden Quartale des Jahres 1988 festsetzen konnte. Da diese Vorschrift mit dem erwähnten Urteil Hoogovens Gröp u. a./Kommission für nichtig erklärt worden sei, hätten die für das Jahr 1988 festgesetzten Quoten jede Gültigkeit verloren, so daß die Feststellung irgendeiner Überschreitung unmöglich geworden sei.

11 In diesem Zusammenhang ist, wie es das Gericht getan hat, darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in Randnummer 26 des erwähnten Urteils Hoogovens Gröp u. a./Kommission ausgeführt hat, daß Artikel 5 der Entscheidung Nr. 194/88 denselben Wortlaut hat wie Artikel 5 der Entscheidung Nr. 3485/85 und daß er deshalb aus den gleichen Gründen, wie sie zur Nichtigerklärung dieser Vorschrift im Urteil vom 14. Juli 1988 in den Rechtssachen 33/86, 44/86, 110/86, 226/86 und 285/86 (Peine-Salzgitter/Kommission, Slg. 1988, 4309) geführt haben, für nichtig zu erklären ist.

12 Im letztgenannten Urteil ist Artikel 5 aber nicht insoweit für nichtig erklärt worden, als er der Kommission die Befugnis zur Festsetzung der Quoten gab, sondern insoweit, als er es der Kommission nicht gestattete, von ihr als angemessen angesehene Lieferquoten für die Unternehmen festzusetzen, bei denen das Verhältnis zwischen den Produktionsquoten und der jeweiligen Lieferquote erheblich unter dem Gemeinschaftsdurchschnitt lag.

13 Daraus folgt, daß die Kommission die Quoten für 1988 unter Beachtung des vom Gerichtshof hervorgehobenen Gebots der Billigkeit festsetzen konnte, daß anhand dieser Quoten geprüft werden konnte, ob die Rechtsmittelführerin die ihr zugeteilte Menge überschritten hatte, und daß das Gericht demnach entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin das erwähnte Urteil Hoogovens Gröp u. a./Kommission nicht verkannt hat.

14 Die zweite Vorschrift, auf die die Rechtsmittelführerin in ihrem ersten Rechtsmittelgrund verweist, nämlich Artikel 17 der Entscheidung Nr. 194/88, der gleichfalls mit dem erwähnten Urteil Hoogovens Gröp u. a./Kommission für nichtig erklärt worden ist, gestattete den Unternehmen, einen Teil des Unterschieds zwischen den ihnen zugeteilten Produktionsquoten und ihren Lieferquoten in Lieferquoten umzuwandeln:

"Die Unternehmen sind befugt, in jedem Quartal in einer von ihnen zu bestimmenden Produktgruppe einen Teil des Unterschieds zwischen der sich aus der Vergleichsproduktion ergebenden Produktionsquote und dem Teil der sich aus der Vergleichsmenge ergebenden Quoten, der innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden darf, im Verhältnis 1:0,85 in Quoten, die innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden dürfen, umzuwandeln."

15 Vor dem Gericht hat die Rechtsmittelführerin geltend gemacht, daß die Anwendung dieser Vorschrift in der Zeit vom 1. Januar 1987 bis zum 30. Juni 1988 es bestimmten Unternehmen ermöglicht habe, ihre Stahllieferungen zu erhöhen, und daß der zusätzliche Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes einen erheblichen Rückgang ihrer Lieferungen hervorgerufen habe. Da Artikel 17 vom Gerichtshof für nichtig erklärt worden sei, hätte die Kommission einen Ausgleich zwischen der der Rechtsmittelführerin vorgeworfenen Überschreitung und der von ihr erlittenen Liefereinbusse vornehmen müssen.

16 Zu diesem Vorbringen hat das Gericht festgestellt, daß die Kommission die Folgen der Nichtigerklärung von Artikel 17 dadurch berücksichtigt habe, daß sie für diesen Zeitraum und für die beiden von der Entscheidung erfassten Erzeugnisgruppen die ursprünglich errechneten Überschreitungen herabgesetzt habe (Randnr. 65 a. E. des angefochtenen Urteils).

17 Im Rechtsmittelverfahren macht die Rechtsmittelführerin geltend, daß die Kommission auch die Lieferrückgänge hätte berücksichtigen müssen, die durch die Anwendung des Artikels 17 in anderen Zeiträumen als dem zweiten Quartal des Jahres 1988 und bei anderen als den von der Entscheidung erfassten Gruppen verursacht worden seien. Durch die Zurückweisung dieses Antrags habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen.

18 In diesem Zusammenhang ist auf den Wortlaut des Artikels 34 EGKS-Vertrag hinzuweisen:

"Im Falle der Nichtigerklärung verweist der Gerichtshof die Sache an die Hohe Behörde zurück. Diese hat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergeben. Hat ein Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen infolge einer Entscheidung oder Empfehlung, die nach Feststellung des Gerichtshofes mit einem die Haftung der Gemeinschaft begründenden Fehler behaftet ist, einen unmittelbaren und besonderen Schaden erlitten, so hat die Hohe Behörde im Rahmen der ihr nach den Bestimmungen des Vertrages zustehenden Befugnisse geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um eine angemessene Wiedergutmachung des durch die für nichtig erklärte Entscheidung oder Empfehlung unmittelbar verursachten Schadens und, soweit erforderlich, eine billige Entschädigung zu gewähren.

Ergreift die Hohe Behörde nicht innerhalb einer angemessenen Frist die Maßnahmen, die sich aus dem Nichtigkeitsurteil ergeben, so kann vor dem Gerichtshof auf Schadensersatz geklagt werden."

19 Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß die Kommission geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um den Schaden wiedergutzumachen, der gegebenenfalls durch eine die Haftung der Gemeinschaft begründende Handlung verursacht worden ist.

20 Daher hat der Gerichtshof im Urteil vom 23. Februar 1961 in der Rechtssache 30/59 (De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, Slg. 1961, 3) entschieden, daß er nicht befugt ist, der Hohen Behörde die Entscheidungen vorzuschreiben, die aufgrund eines Nichtigkeitsurteils zu ergreifen sind, sondern sich darauf beschränken muß, die Sache an die Hohe Behörde zurückzuverweisen.

21 Artikel 34 besagt auch, daß das Unternehmen eine Schadensersatzklage erheben kann, wenn die Kommission die ihr aufgrund dieser Vorschrift obliegende Verpflichtung nicht erfuellt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes hat es dann das Vorliegen eines Fehlers, eines Schadens und eines Kausalzusammenhangs nachzuweisen, da die Rechtswidrigkeit der für nichtig erklärten Handlung für sich allein nicht ausreicht, um die Haftung der Gemeinschaft zu begründen (Urteil vom 30. Januar 1992 in den Rechtssachen C-363/88 und C-364/88, Finsider u. a./Kommission, Slg. 1992, I-359).

22 Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß das Gemeinschaftsgericht die Kommission nicht dazu zwingen kann, bei der Berechnung der einem Unternehmen vorgeworfenen Quotenüberschreitung die Wirkungen der Nichtigerklärung einer Handlung zu berücksichtigen, die diesem Unternehmen einen Schaden verursacht haben soll. Wenn bei dem Gemeinschaftsgericht eine Schadensersatzklage anhängig gemacht wird, so darf es lediglich prüfen, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Schadenersatz ° Fehler, Schaden und Kausalzusammenhang ° erfuellt sind.

23 Mithin hat das Gericht zu Recht ausgeführt, daß der Kommission "vom Gericht... nicht vorgeschrieben werden [kann], in welcher Weise sie Maßnahmen zur Durchführung eines Nichtigkeitsurteils des Gerichtshofes" im Rahmen des Artikels 34 EGKS-Vertrag zu treffen hat (Randnr. 65 des angefochtenen Urteils).

24 Daraus folgt, daß der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

25 Zweitens wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, es habe die Auffassung vertreten, daß sie gewusst habe, daß Vorgriffe im Falle der späteren Abschaffung der Quoten grundsätzlich abgelehnt würden, und daß sie unter diesen Umständen nicht mit Recht habe annehmen können, daß sie zur Überschreitung der ihr zugeteilten Quote befugt sei. Durch die Einnahme dieses Standpunktes habe das Gericht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstossen.

26 Hierzu hat das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur Tatsachenwürdigung festgestellt, die Klägerin könne "nicht behaupten, vom Ende des Quotensystems überrascht worden zu sein, denn die Kommission hat in den Begründungserwägungen ihrer Entscheidung Nr. 194/88 deutlich erklärt, daß sie das Quotensystem für bestimmte Erzeugnisse während weiterer zwei Quartale aufrechterhalte, daß dies aber mit einer 'Lockerung der Quoten im zweiten Quartal als Vorbereitung auf die... Liberalisierung [des Marktes] nach dem 30. Juni 1988' verbunden werde" (Randnr. 97). Diese Feststellung bildet eine hinreichende Grundlage für die Auffassung, daß der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht verletzt worden ist.

27 Die Rechtsmittelführerin macht weiter geltend, daß "Vorgriffe dieser Art mit Sicherheit anderen Unternehmen... auf der Grundlage förmlicher Entscheidungen der Kommission gewährt worden sind" und daß "es sich um Tatsachen handelt, die in dem Urteil, das Gegenstand des Rechtsmittels ist, in keiner Weise berücksichtigt worden sind".

28 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Rechtsmittelführerin zu keinem Zeitpunkt irgendwelche tatsächlichen Angaben gemacht hat, die ihre Behauptung hätten stützen können, und daß es im übrigen nicht Sache des Gerichtshofes ist, bei der Entscheidung über Rechtsfragen in einem Rechtsmittelverfahren über die Tatsachen zu befinden, die die Parteien in diesem Verfahren eventuell vortragen.

29 Daher ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum dritten, vierten und fünften Rechtsmittelgrund

30 Der dritte, vierte und fünfte Rechtsmittelgrund beziehen sich insoweit auf die Entscheidung vom 21. März 1990, mit der der Rechtsmittelführerin wegen Quotenüberschreitung eine Sanktion auferlegt wurde, als dieser Rechtsakt angeblich eine von der Kommission getroffene "Entscheidung" über die Ablehnung des Antrags auf Quotenvorgriff darstellt. Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hat das Gericht zu Unrecht ausgeführt, daß diese "Entscheidung" mit Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88 in Einklang stehe, daß sie hinreichend begründet sei und daß sie stillschweigend habe erlassen werden können.

31 Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß mit der Entscheidung vom 21. März 1990 lediglich eine der Entscheidung Nr. 194/88 widersprechende Quotenüberschreitung der Rechtsmittelführerin festgestellt und aufgrund dieser Überschreitung eine Sanktion gegen diese Gesellschaft verhängt worden ist (Artikel 1 und 2 dieser Entscheidung).

32 Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß laut der vierten Begründungserwägung der Entscheidung Nr. 194/88 "eine unmittelbare Rückkehr zu den Kräften des Marktes eine radikale Preissenkung hervorrufen" könnte und daß es daher "gerechtfertigt [erscheint], diese Produkte noch für zwei Quartale im Quotensystem zu belassen". Folglich lief das Quotensystem am 30. Juni 1988 aus.

33 Nach Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e derselben Entscheidung kann ein Vorgriff auf die Quoten des folgenden Quartals gestattet werden. Dies setzt voraus, daß von der Kommission für dieses spätere Quartal Quoten festgesetzt werden. Im übrigen ist eine solche Auslegung im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift geboten, der darin besteht, das Quotensystem in gewissem Maß flexibel zu gestalten, ohne jedoch eine Erhöhung der Stahlmenge, die von einem bestimmten Unternehmen erzeugt und/oder geliefert werden kann, zu gestatten, da sonst dieses System beeinträchtigt würde.

34 Daraus folgt, daß im zweiten Quartal 1988 kein Vorgriff mehr gestattet werden konnte, da das Quotensystem am 30. Juni 1988 auslief. Der erwähnte Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e wurde somit bereits am Ende des ersten Quartals gegenstandslos, und die Kommission war nicht mehr befugt, am Ende dieses Zeitraums eine Entscheidung über die Gestattung oder Ablehnung eines Vorgriffs zu erlassen.

35 Zur Beantwortung des von der Rechtsmittelführerin gestellten Antrags auf Vorgriff konnte die Kommission diese Gesellschaft nur darauf hinweisen, daß das Quotensystem am Ende des zweiten Quartals 1988 auslief, ohne daß eine solche Unterrichtung als eine "Entscheidung" im Sinne von Artikel 14 EGKS-Vertrag angesehen werden könnte. In diesem Sinn hat sich im übrigen ein Abteilungsleiter der Kommission in einem Schreiben an die Rechtsmittelführerin vom 2. August 1988 geäussert, das folgenden Wortlaut hat:

"Wir möchten Sie darauf hinweisen, daß der genannte Artikel [11 Absatz 3 Buchstabe e der Entscheidung Nr. 194/88] 'einen Vorgriff' auf die Quoten erlaubt. Dies setzt voraus, daß Quoten für das folgende Quartal zugeteilt werden. Da das Quotensystem seit Ende Juni nicht mehr in Kraft ist, ist Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e nicht mehr anwendbar" (Randnr. 11 des angefochtenen Urteils).

36 Das Gericht hat folglich einen Rechtsfehler begangen, indem es in Randnummer 71 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, daß "in dem Umstand, daß in der streitigen Entscheidung der Umfang der festgestellten Überschreitung und der in dem betreffenden Verfahren angewandte Bußgeldsatz genannt wurden, eine stillschweigende, aber deutliche Entscheidung des Inhalts zu sehen [ist], die von der Klägerin beantragten Vorgriffe abzulehnen".

37 Das Rechtsmittel ist jedoch zurückzuweisen, wenn die Gründe eines Urteils des Gerichts eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts erkennen lassen, sich die Urteilsformel aber aus anderen Rechtsgründen als richtig darstellt (Urteil vom 9. Juni 1992 in der Rechtssache C-30/91 P, Lestelle/Kommission, Slg. 1992, I-3755, Randnr. 28).

38 Dies ist hier der Fall, denn da der Gerichtshof festgestellt hat, daß die Kommission keine Entscheidung über den Antrag auf Vorgriff erlassen hat und dies im übrigen auch nicht tun konnte, sind die gegen die erwähnte Entscheidung vom 21. März 1990 gerichteten Rechtsmittelgründe insoweit gegenstandslos, als diese Entscheidung nach Auffassung der Rechtsmittelführerin eine Ablehnung des von ihr gestellten Antrags auf Vorgriff enthält.

Zum sechsten Rechtsmittelgrund

39 Als sechsten Rechtsmittelgrund trägt die Rechtsmittelführerin vor, daß das Gericht zu Unrecht die Auffassung vertreten habe, daß die Kommission ihr ausreichende Daten zum Nachweis der Quotenüberschreitung übermittelt habe. Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hätte die Kommission ihr auch eine Kopie der vorgenommenen Berechnungen oder ein Protokoll mit einer Wiedergabe derjenigen Berechnungselemente übersenden müssen, die bei der Zusammenkunft beider Seiten, in der die Überschreitung erörtert worden sei, dargelegt worden seien.

40 Hierzu hat das Gericht festgestellt, daß im Schreiben der Kommission vom 23. Februar 1989 "die Berechnungen enthalten [sind], die zur Feststellung einer Quotenüberschreitung durch die Klägerin im zweiten Quartal 1988 geführt haben. Daraufhin hat die Klägerin bei den Zusammenkünften vom 3. März und 24. Mai 1989 und vom 24. Januar 1990 sowie in ihren Schreiben vom 15. März, 12. Juni, 14. Juli, 1. August und 8. September 1989 und vom 7. Februar 1990 Stellung nehmen können. Die Kommission hat danach in der angefochtenen Handlung die Bemerkungen der Klägerin zur Anwendung des Artikels 7 der Entscheidung Nr. 194/88 berücksichtigt, was der Klägerin im Schreiben vom 5. Juni 1989 mitgeteilt worden ist. Dagegen hat sie es ° wie sich aus dem Protokoll über die Zusammenkunft vom 24. Mai 1989 ergibt ° zu Recht abgelehnt, die gemäß Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe e dieser Entscheidung beantragten Vorgriffe zu berücksichtigen. Desgleichen hat sie es zu Recht abgelehnt, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens die Wirkungen des Nichtigkeitsurteils vom 14. Juni 1989 zu berücksichtigen, denn diese betrafen nicht das zweite Quartal 1988 und die Erzeugnisgruppen, um die es jetzt geht (Ia und Ib). Ausserdem sind sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung darin einig gewesen, daß die Kommission bei der informellen Zusammenkunft vom 24. Januar 1990 der Klägerin die Berechnungen gezeigt hat, die sie vorgenommen hatte, um zu bestimmen, in welchem Umfang der Klägerin Quoten insbesondere bezueglich der Erzeugnisgruppen und des Quartals, um die es im vorliegenden Verfahren geht, aufgrund des später für nichtig erklärten Artikels 17 der Entscheidung Nr. 194/88 vorenthalten worden sind" (Randnr. 108).

41 Aus diesen tatsächlichen Feststellungen, die zu treffen Sache des Gerichts ist (siehe insbesondere Urteil vom 1. Oktober 1991 in der Rechtssache C-283/90 P, Vidrányi/Kommission, Slg. 1991, I-4339, Randnr. 12), hat das Gericht mit Recht ableiten können, daß die Kommission "der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, zu der behaupteten Überschreitung Stellung zu nehmen" (Randnr. 108).

42 Daraus folgt, daß der sechste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.

Zur rechtswidrigen Ablehnung der Herabsetzung der Geldbusse

43 Schließlich trägt die Rechtsmittelführerin vor, daß das Gericht die Zurückweisung des Antrags auf Herabsetzung der Geldbusse auf andere als die von der Kommission angegebenen Gründe gestützt habe, obwohl der Austausch von Gründen dem Gemeinschaftsrecht widerspreche; ausserdem habe es dabei den Klagegrund der Verletzung des Vertrauensschutzes nicht berücksichtigt.

44 Insoweit genügt die Feststellung, daß das Gericht im angefochtenen Urteil auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Begründung des Antrags auf Herabsetzung der Geldbusse eingegangen ist und daß es, nachdem es die aus der Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes hergeleitete Rüge bereits zurückgewiesen hatte, bei der Beurteilung der Höhe der Geldbusse alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Zu Recht hat es daher in Ausübung dieses Ermessens die Ansicht vertreten, "daß die der Klägerin auferlegte Geldbusse nicht herabzusetzen ist" (Randnr. 114 des angefochtenen Urteils).

45 Hilfsweise beantragt die Rechtsmittelführerin, in Anbetracht der in diesem Rechtsmittelverfahren vorgetragenen Argumente die Höhe der Geldbusse zu überprüfen, ohne jedoch das Urteil des Gerichts wegen Rechtsfehlers aufzuheben.

46 Es ist aber nicht Sache des Gerichtshofes, bei der Entscheidung über Rechtsfragen in einem Rechtsmittelverfahren aus Billigkeitsgründen seine Bewertung an die Stelle der Bewertung des Gerichts zu setzen, das in Wahrnehmung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über die Höhe einer Geldbusse entscheidet, die gegen ein Unternehmen wegen der von ihm begangenen Verletzung des Gemeinschaftsrechts festgesetzt worden ist.

47 Daraus folgt, daß die Argumente, die die Rechtsmittelführerin zur Begründung des Antrags auf Herabsetzung der Geldbusse vorgetragen hat, zurückzuweisen sind.

48 Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

49 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

Zurück