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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1994
Aktenzeichen: C-323/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 77/504/EWG vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder (ABl. L 206, S. 8)


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 5
EWG-Vertrag Art. 86
EWG-Vertrag Art. 90 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
Richtlinie 77/504/EWG vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder (ABl. L 206, S. 8)
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Artikel 86 und 90 Absatz 1 EWG-Vertrag verwehren es einem Mitgliedstaat nicht, zugelassenen Rinderbesamungsstationen in einem abgegrenzten Gebiet bestimmte ausschließliche Rechte einzuräumen.

Die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung eines ausschließlichen Rechts im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 EWG-Vertrag ist nämlich als solche noch nicht mit Artikel 86 EWG-Vertrag unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstösst gegen die Verbote dieser beiden Bestimmungen nur dann, wenn das betreffende Unternehmen durch die blosse Ausübung des ausschließlichen Rechts seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt. Dies ist bei einer nationalen Vorschrift nicht der Fall, die den zugelassenen Stationen, die ein gesetzliches Monopol innehaben, lediglich gestattet, von den Viehzuechtern, die von ihnen die Lieferung von Samen aus anderen Produktionsstationen verlangen, die Übernahme der sich daraus ergebenden zusätzlichen Kosten zu fordern. Eine solche Vorschrift überlässt es nämlich zwar den Besamungsstationen, diese Kosten festzusetzen, sie veranlasst sie aber nicht dazu, eine unverhältnismässig hohe Kostenerstattung zu fordern und damit ihre beherrschende Stellung mißbräuchlich auszunutzen.

2. Artikel 86 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht ausschließt, daß Besamungsstationen, die allein innerhalb eines abgegrenzten Gebietes tätig werden dürfen, Benutzer, die von ihnen verlangen, daß sie Samen aus Produktionsstationen anderer Mitgliedstaaten liefern, mit zusätzlichen Kosten belasten, sofern diese Kosten den Besamungsstationen dadurch, daß sie dem Verlangen dieser Benutzer nachgekommen sind, tatsächlich entstanden sind.

3. Artikel 36 EWG-Vertrag sieht eine Ausnahme vom Verbot der Einfuhrbeschränkungen vor, wenn solche Maßnahmen u. a. zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren gerechtfertigt sind. Wenn jedoch in Anwendung von Artikel 100 EWG-Vertrag Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der zur Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit von Menschen und Tieren notwendigen Maßnahmen vorsehen und gemeinschaftliche Verfahren zur Kontrolle ihrer Einhaltung regeln, ist der Rückgriff auf Artikel 36 nicht mehr gerechtfertigt. Die Harmonisierung muß jedoch vollständig sein, denn anderenfalls können die Mitgliedstaaten sich mit Erfolg auf gesundheitliche Gründe berufen, wenn sie den freien Verkehr mit Rindersamen behindern, sofern die Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen.

4. Bei einer Sachlage, in der die gesundheitlichen Bedingungen im innergemeinschaftlichen Handel mit Rindersamen auf Gemeinschaftsebene noch nicht vollständig harmonisiert worden sind, sind die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag, zusammen betrachtet, Artikel 2 der Richtlinie 77/504 über reinrassige Zuchtrinder und Artikel 4 der Richtlinie 87/328 über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht dahin auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die die Wirtschaftsteilnehmer, die Samen aus einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft einführen, verpflichtet, diesen an eine zugelassene Besamungs- oder Produktionsstation zu liefern.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 5. OKTOBER 1994. - SOCIETE CIVILE AGRICOLE DU CENTRE D'INSEMINATION DE LA CRESPELLE GEGEN COOPERATIVE D'ELEVAGE ET D'INSEMINATION ARTIFICIELLE DU DEPARTEMENT DE LA MAYENNE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR DE CASSATION - FRANKREICH. - KUENSTLICHE BESAMUNG VON RINDERN - GEBIETSMONOPOL. - RECHTSSACHE C-323/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die französische Cour de cassation (Kammer für Handelssachen) hat mit Urteil vom 15. Juni 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 5, 86 und 90 Absatz 1 sowie der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag und nach der Auslegung der Richtlinien 77/504/EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder (ABl. L 206, S. 8) und 87/328/EWG des Rates vom 18. Juni 1987 über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht (ABl. L 167, S. 54) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Société civile agricole du Centre d' insémination de la Crespelle (Landwirtschaftliche Gesellschaft bürgerlichen Rechts Besamungsstation la Crespelle; im folgenden: Station Crespelle) und der Coopérative d' élevage et d' insémination artificielle du département de la Mayenne (Genossenschaft für Tierzucht und künstliche Besamung des Departements Mayenne; im folgenden: Genossenschaft Mayenne).

3 In Frankreich ist die künstliche Besamung von Tieren u. a. durch das Gesetz Nr. 66-1005 vom 28. Dezember 1966 über die Tierzucht (JORF 1966, S. 11619) geregelt. Nach Artikel 5 Absatz 1 dieses Gesetzes ist der Betrieb von Besamungsstationen genehmigungspflichtig. Diese Vorschrift unterscheidet zwischen Stationen, die mit der Samenproduktion betraut sind, und solchen, die die Besamung vornehmen, schließt aber nicht aus, daß ein und dieselbe Station beide Tätigkeitsarten gleichzeitig ausübt. Die Produktionstätigkeiten bestehen in der Haltung eines Bestandes an männlichen Zuchttieren, der Erprobung der Zuchttiere sowie in der Gewinnung, der Aufbereitung, der Aufbewahrung und der Abgabe des Samens. Die Besamungstätigkeiten bestehen in der Besamung von weiblichen Tieren oder deren Kontrolle, wenn die Besamung von dazu befugten Tierzuechtern vorgenommen wird.

4 Das Gesetz von 1966 sieht ausserdem vor, daß jede Besamungsstation ein Gebiet versorgt, innerhalb dessen nur sie tätig werden darf (Artikel 5 Absatz 4). Wird ein solches Gebiet einer landwirtschaftlichen Genossenschaft zugewiesen, so ist diese verpflichtet, als Benutzer auch Viehzuechter zuzulassen, die nicht Mitglieder der Genossenschaft sind (Artikel 5 Absatz 6).

5 Nach demselben Gesetz werden die Besamungsstationen, die nicht gleichzeitig Produktionsstationen sind, normalerweise mit Zuchttieren oder Samen von der oder den Produktionsstationen beliefert, mit denen sie einen Belieferungsvertrag geschlossen haben. Die im Tätigkeitsbereich einer Besamungsstation niedergelassenen Tierzuechter können von dieser verlangen, daß sie ihnen Samen aus Samenproduktionsstationen ihrer Wahl liefert (Artikel 5 Absatz 5); die sich aus einer solchen Wahl ergebenden zusätzlichen Kosten gehen aber zu Lasten der Benutzer.

6 Im französischen Mutterland gibt es gegenwärtig 51 zugelassene Besamungsstationen und 23 zugelassene Produktionsstationen, von denen nur drei auch als Besamungsstationen zugelassen sind. Alle Besamungsstationen in Frankreich haben die Rechtsform von landwirtschaftlichen Genossenschaften. Auch sind alle mit Ausnahme von vier Stationen assoziierte Mitglieder der UNCEIA (Union nationale des coopératives agricoles d' élevage et d' insémination artificielle; nationaler Verband der landwirtschaftlichen Tierzucht- und Besamungsgenossenschaften), bei der es sich um die einzige Körperschaft handelt, in der Produktions- und Besamungsstationen im gesamten französischen Hoheitsgebiet zusammengeschlossen sind. Der Beitritt zur UNCEIA begründet nach Artikel 7 ihrer Satzung für die Mitglieder die Verpflichtung, ausschließlich ihre Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Ausserdem erlässt die Generalversammlung der UNCEIA nach Artikel 29 dieser Satzung Entscheidungen, die für alle Mitglieder, auch für diejenigen, die in der Versammlung nicht anwesend waren oder die der Entscheidung nicht zugestimmt haben, verbindlich sind.

7 Die Einfuhr von Rindersamen nach Frankreich ist durch die Verordnung des Landwirtschaftsministers vom 17. April 1969 über die Genehmigung für den Betrieb der Stationen für künstliche Besamung (JORF vom 30. 4. 1969, S. 4349) geregelt, die durch eine weitere Verordnung vom 24. Januar 1989 (JORF vom 31. 1. 1989, S. 1469) geändert worden ist. Nach Artikel 2 der letztgenannten Verordnung kann jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats Samen frei einführen, sofern dieser aus vom Landwirtschaftsministerium ausgewählten Produktionsstationen stammt und Bullen entnommen ist, die die nach französischem und nach Gemeinschaftsrecht bestehenden tierzuechterischen und gesundheitlichen Voraussetzungen erfuellen. Schließlich sieht Artikel 2 vor, daß ein privater Wirtschaftsteilnehmer, der Samen aus einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft einführt, diesen Samen an eine zugelassene Besamungs- oder Produktionsstation zu liefern hat. Er kann in der gewählten Station ein Depot für eingeführten Samen einrichten.

8 Im Gemeinschaftsrecht bestimmen die Richtlinie 77/504 in Artikel 2 zweiter Gedankenstrich und die Richtlinie 87/328 in Artikel 2 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich, daß die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, daß der innergemeinschaftliche Handel mit Samen und befruchteten Eizellen von reinrassigen Zuchtrindern nicht aus tierzuechterischen Gründen verboten, beschränkt oder behindert wird. Nach Artikel 3 der erstgenannten Richtlinie sollte der Rat vor dem 1. Juli 1980 die gemeinschaftlichen Vorschriften für die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht einschließlich der Verwendung ihres Samens festlegen, was durch die Richtlinie 87/328 geschehen ist.

9 Nach Artikel 4 der letztgenannten Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, daß der für den gemeinschaftlichen Handel bestimmte Samen in einem amtlich anerkannten Zentrum für künstliche Besamung gewonnen, behandelt und aufbewahrt wird. Nach der vierten und der siebten Begründungserwägung dieser Richtlinie reicht die Vorschrift, daß der Samen aus amtlich anerkannten Zentren für künstliche Besamung der anderen Mitgliedstaaten stammen muß, aus, um eine Verschlechterung der genetischen Eigenschaften zu vermeiden.

10 Diese Regelung ist durch die Richtlinie 91/174/EWG des Rates vom 25. März 1991 über zuechterische und genealogische Bedingungen für die Vermarktung reinrassiger Tiere und zur Änderung der Richtlinien 77/504/EWG und 90/425/EWG (ABl. L 85, S. 37) ergänzt worden.

11 Schließlich legt die Richtlinie 88/407/EWG des Rates vom 14. Juni 1988 zur Festlegung der tierseuchenrechtlichen Anforderungen an den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit gefrorenem Samen von Rindern und an dessen Einfuhr (ABl. L 194, S. 10) in Artikel 3 die gesundheitlichen Voraussetzungen fest, denen die zum innergemeinschaftlichen Handel zugelassenen Samenmengen entsprechen müssen. Diese Richtlinie ist durch die Richtlinie 90/425/EWG des Rates vom 26. Juni 1990 zur Regelung der veterinärrechtlichen und tierzuechterischen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel mit lebenden Tieren und Erzeugnissen im Hinblick auf den Binnenmarkt (ABl. L 224, S. 29) geändert worden.

12 Aus den Akten geht hervor, daß die Station Crespelle seit 1961 in einem Teil des Departements Mayenne Rindersamen lagert und zur Besamung verwendet. Die Genossenschaft Mayenne, die seit 1970 in diesem Gebiet ausschließliche Rechte besitzt, verklagte die Station wegen Verletzung dieser Rechte beim Tribunal de grande instance Rennes. Dieses Gericht hat die Station mit Urteil vom 25. Juni 1991 verurteilt. Nachdem dieses Urteil von der Cour d' appel Rennes bestätigt worden war, hat die Station Kassationsbeschwerde erhoben und geltend gemacht, das französische System des Betriebs von Besamungsstationen verstosse gegen einige Vorschriften des Vertrages.

13 Die Cour de cassation hat Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Stehen die Artikel 5, 86 und 90 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nationalen Rechtsvorschriften wie denen des vorliegenden Falles entgegen, durch die Besamungsstationen geschaffen werden, die allein befugt sind, innerhalb eines abgegrenzten Gebietes tätig zu werden, und räumen diese Vorschriften diesen Stationen die Befugnis ein, zusätzliche Kosten in Rechnung zu stellen, wenn Zuechter in dem Gebiet, für das die Besamungsstation ausschließlich zuständig ist, die Lieferung von Samen verlangen, der aus zugelassenen Produktionsstationen ihrer Wahl stammt?

2) Stehen die Artikel 30 und 36 dieses Vertrages, Artikel 2 der Richtlinie 77/504/EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder und Artikel 4 der Richtlinie 87/328/EWG des Rates vom 18. Juni 1987 über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht einer nationalen Regelung wie der des vorliegenden Falles entgegen, nach der Wirtschaftsteilnehmer, die Samen aus einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft einführen, verpflichtet sind, diesen an eine zugelassene Besamungs- oder Samenproduktionsstation zu liefern?

Zur ersten Frage

14 Mit der ersten Frage wirft das vorlegende Gericht im Kern zwei verschiedene Probleme auf. Zunächst fragt es sich, ob die Artikel 5, 86 und 90 Absatz 1 EWG-Vertrag dahin auszulegen sind, daß sie einem Mitgliedstaat nicht verwehren, zugelassenen Rinderbesamungsstationen in einem abgegrenzten Gebiet ausschließliche Rechte einzuräumen. Sodann möchte das Gericht wissen, ob diese Bestimmungen es ausschließen, daß, wenn Tierzuechter im Gebiet der ausschließlichen Zuständigkeit einer zugelassenen Station von dieser verlangen, daß sie ihnen aus einer Produktionsstation ihrer Wahl stammenden Samen liefert, die Station den Tierzuechtern die zusätzlichen Kosten in Rechnung stellt, die diese Wahl nach sich ziehen kann.

Zum ersten Teil der ersten Frage

15 Was die betroffenen Vertragsbestimmungen angeht, ist zunächst festzustellen, daß Artikel 5 die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen loyal zu erfuellen. Nach ständiger Rechtsprechung kann diese Vorschrift jedoch dann nicht selbständig angewendet werden, wenn die betreffende Fallgestaltung durch eine spezifische Vorschrift des EWG-Vertrags geregelt ist, wie es in der vorliegenden Rechtssache der Fall ist (Urteil vom 11. März 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-78/90 bis C-83/90, Compagnie commerciale de l' Oüst u. a., Slg. 1992, I-1847, Randnr. 19). Die Frage ist folglich anhand der Artikel 90 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag zu prüfen.

16 Nach Artikel 90 Absatz 1 werden die Mitgliedstaaten in bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem EWG-Vertrag und insbesondere den Artikeln 7 und 85 bis 94 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten.

17 Im vorliegenden Fall sind den Besamungsstationen durch die nationalen Rechtsvorschriften, wonach ihr Betrieb genehmigungspflichtig ist und jede Station ein bestimmtes Gebiet ausschließlich versorgt, ausschließliche Rechte eingeräumt worden. Diese nationalen Vorschriften schaffen dadurch, daß sie zugunsten dieser Unternehmen Monopole nebeneinanderstellen, die territorial begrenzt sind, in ihrer Gesamtheit aber das ganze Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erfassen, eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes.

18 Die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung eines ausschließlichen Rechts im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 ist als solche noch nicht mit Artikel 86 EWG-Vertrag unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstösst nämlich gegen die Verbote dieser beiden Bestimmungen nur dann, wenn das betreffende Unternehmen durch die blosse Ausübung des ihm übertragenen ausschließlichen Rechts seine beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt (Urteile vom 23. April 1991 in der Rechtssache C-41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 29, und ° zuletzt ° vom 10. Dezember 1991 in der Rechtssache C-179/90, Merci convenzionali porto di Genova, Slg. 1991, I-5889, Randnr. 17).

19 Im vorliegenden Fall besteht der angebliche Mißbrauch in der Berechnung überhöhter Preise durch die Besamungsstationen.

20 Es ist daher zu prüfen, ob diese Praxis, die den angeblichen Mißbrauch darstellt, eine unmittelbare Folge des Gesetzes ist. Dabei ist festzustellen, daß das Gesetz den Besamungsstationen lediglich gestattet, von den Viehzuechtern, die von ihnen die Lieferung von Samen aus anderen Produktionsstationen verlangen, die Übernahme der sich aus dieser Wahl ergebenden zusätzlichen Kosten zu fordern.

21 Eine solche Vorschrift überlässt es zwar den Besamungsstationen, diese Kosten festzusetzen, sie veranlasst sie aber nicht dazu, eine unverhältnismässig hohe Kostenerstattung zu fordern und damit ihre beherrschende Stellung mißbräuchlich auszunutzen.

22 Auf diesen Teil der Frage ist folglich zu antworten, daß die Artikel 90 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, zugelassenen Rinderbesamungsstationen in einem abgegrenzten Gebiet bestimmte ausschließliche Rechte einzuräumen.

Zum zweiten Teil der ersten Frage

23 Artikel 5 Absatz 5 des französischen Gesetzes Nr. 66-1005 vom 28. Dezember 1966 über die Tierzucht sieht vor, daß Tierzuechter, die sich im Tätigkeitsgebiet einer Besamungsstation befinden, von dieser verlangen können, daß sie ihnen Samen aus Produktionsstationen ihrer Wahl liefert, und daß die sich aus dieser Wahl ergebenden zusätzlichen Kosten zu Lasten der Benutzer gehen.

24 Artikel 86 verbietet aber, daß die Stationen bei der selbständigen Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ihre beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzen.

25 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, liegt eine mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung vor, wenn ein Unternehmen, das ein hoheitliches Monopol innehat, für seine Dienstleistungen Gebühren erhebt, die ausser Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung stehen (Urteile vom 13. November 1975 in der Rechtssache 26/75, General Motors, Slg. 1975, 1367, Randnr. 12, und vom 11. November 1986 in der Rechtssache 226/84, British Leyland, Slg. 1986, 3263, Randnr. 27).

26 Ebenso würden die zugelassenen Stationen ihre beherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzen, wenn sie die Benutzer mit Kosten belasteten, die höher sind als die zusätzlichen Kosten, die ihnen tatsächlich dadurch entstanden sind, daß sie den aus einem anderen Mitgliedstaat auf Verlangen eines Benutzers eingeführten Samen beschafft und bis zur Besamung aufbewahrt haben.

27 Artikel 86 EWG-Vertrag ist folglich dahin auszulegen, daß er es nicht ausschließt, daß Besamungsstationen, die allein innerhalb eines abgegrenzten Gebietes tätig werden dürfen, Benutzer, die von ihnen verlangen, daß sie Samen aus Produktionsstationen anderer Mitgliedstaaten liefern, mit zusätzlichen Kosten belasten, sofern diese Kosten den Besamungsstationen dadurch, daß sie dem Verlangen dieser Benutzer nachgekommen sind, tatsächlich entstanden sind.

Zur zweiten Frage

28 Zur Beantwortung der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag sowie der Richtlinien 77/504 und 87/328 ist darauf hinzuweisen, daß, wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (zuerst Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837), als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten anzusehen ist, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

29 Die Regelung eines Mitgliedstaats, die die privaten Wirtschaftsteilnehmer, die Rindersamen aus einem anderen Mitgliedstaat in sein Gebiet einführen, verpflichtet, diesen Samen gegen Zahlung eines Entgelts bei einer zugelassenen Station zu lagern, die eine ausschließliche Konzession für die Aufbewahrung des Samens und die Besamung besitzt, stellt ein solches Einfuhrhindernis dar. Dieses Erfordernis ist nämlich deshalb, weil es in dem unmittelbar auf die Einfuhr folgenden Stadium gilt und die Einführer wirtschaftlich belastet, geeignet, den Umfang der Einfuhren einzuschränken.

30 Nach Artikel 36 EWG-Vertrag wird eine Ausnahme vom Verbot der Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchführungsbeschränkungen gemacht, wenn solche Maßnahmen u. a. zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren gerechtfertigt sind (Urteil vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 35/76, Simmenthal, Slg. 1976, 1871, Randnr. 18).

31 Nach ständiger Rechtsprechung ist jedoch dann, wenn in Anwendung von Artikel 100 EWG-Vertrag Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der u. a. zur Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit von Menschen und Tieren notwendigen Maßnahmen vorsehen und gemeinschaftliche Verfahren zur Kontrolle ihrer Einhaltung regeln, der Rückgriff auf Artikel 36 nicht mehr gerechtfertigt, da der von der Harmonisierungsrichtlinie gezogene Rahmen nunmehr für die Durchführung der geeigneten Kontrollen und den Erlaß von Schutzmaßnahmen maßgebend ist (Urteile vom 5. Oktober 1977 in der Rechtssache 5/77, Tedeschi, Slg. 1977, 1555, Randnr. 35, vom 5. April 1979 in der Rechtssache 148/78, Ratti, Slg. 1979, 1629, Randnr. 36, vom 8. November 1979 in der Rechtssache 251/78, Denkavit, Slg. 1979, 3369, Randnr. 14, und vom 20. September 1988 in der Rechtssache 190/87, Moormann, Slg. 1988, 4689, Randnr. 10).

32 Die französische Regierung stützt sich auf diese Rechtsprechung und rechtfertigt ihre Regelung zum einen mit der Notwendigkeit, den Rinderbestand genetisch zu verbessern, und zum anderen mit gesundheitlichen Erwägungen.

33 Was die Gründe in bezug auf die genetische Verbesserung des Rinderbestands angeht, ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie 87/328, durch die die tierzuechterischen Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel mit Rindersamen beseitigt werden sollen, die Mitgliedstaaten in Artikel 2 Absatz 1 verpflichtet, alle Hindernisse dafür zu beseitigen, daß Rindersamen, der aus anderen Mitgliedstaaten unter den in Artikel 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen eingeführt wird, in ihr Hoheitsgebiet verbracht und dort verwendet wird (siehe oben, Randnr. 9). Ausserdem darf die Vermarktung des Samens reinrassiger Tiere nach Artikel 2 der Richtlinie 91/174 aus genealogischen Gründen weder untersagt noch eingeschränkt oder behindert werden. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, daß die zuechterischen und genealogischen Voraussetzungen auf Gemeinschaftsebene vollständig harmonisiert worden sind.

34 Die gesundheitlichen Erwägungen sind Gegenstand der Richtlinie 88/407, die nach Artikel 1 für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit gefrorenem Samen von Rindern sowie für dessen Einfuhr aus Drittländern gilt. Artikel 3 der Richtlinie wie auch ihr Anhang C, in denen die allgemeinen Bedingungen für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindersamen festgelegt sind, enthalten nur Angaben über die Entnahme und die Behandlung des Samens im Versandmitgliedstaat sowie über die Beförderung in das Bestimmungsland. Keine Vorschrift der Richtlinie bezieht sich also auf die Lagerung oder die Verwendung des Samens im Bestimmungsland.

35 Die gesundheitlichen Bedingungen im innergemeinschaftlichen Handel mit Rindersamen sind folglich, was das Bestimmungsland des Samens angeht, auf Gemeinschaftsebene noch nicht vollständig harmonisiert worden. Die Mitgliedstaaten können sich daher mit Erfolg auf gesundheitliche Gründe berufen, wenn sie den freien Verkehr mit Rindersamen behindern, sofern die Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen.

36 Bei der Prüfung der Frage, ob die beschränkenden Wirkungen der fraglichen Regelung auf den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich ist, ist darauf abzustellen, ob diese Wirkungen unmittelbar, mittelbar oder nur hypothetisch sind und ob sie den Absatz der eingeführten Erzeugnisse nicht stärker beeinträchtigen als den der einheimischen (Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-169/91, B & Q, Slg. 1992, I-6635, Randnr. 15).

37 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 2 Absatz 3 der französischen Verordnung vom 24. Januar 1989 eine Verpflichtung zur Lagerung bei zugelassenen Stationen nur für eingeführten Samen besteht. Nach den Erklärungen der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung, die von den anderen Verfahrensbeteiligten nicht bestritten worden sind, ergibt sich jedoch eine gleichartige Verpflichtung für im französischen Hoheitsgebiet erzeugten Samen aus dem Monopol der Besamungsstationen, denn nur diese Stationen sind dazu befugt, in Frankreich Samen zu erzeugen und zu lagern.

38 Was die Wirkungen der Verpflichtung zur Lagerung des Samens in der Praxis angeht, kann nicht ausgeschlossen werden, daß, auch wenn diese Beschränkung ohne Unterschied für inländische und für eingeführte Erzeugnisse gilt, die eingeführten Erzeugnisse im Verhältnis zur inländischen Erzeugung benachteiligt werden. Da die nationalen Rechtsvorschriften im vorliegenden Fall keine Bestimmungen über die Bedingungen der Lagerung, insbesondere über den vom Einführer an die zugelassene Station zu zahlenden Preis, vorsehen und da dieser Preis im allgemeinen pauschal festgesetzt wird, hindert keine Vorschrift die zugelassenen Stationen daran, bei der Lagerung von Samen, der von einzelnen eingeführt worden ist, Bedingungen anzuwenden, die ausser Verhältnis zu dieser Leistung stehen.

39 Die Frage, ob der Betrieb der zugelassenen Stationen, was die Bedingungen der Lagerung von Samen angeht, in der Praxis darauf hinausläuft, daß eine Diskriminierung zum Nachteil der eingeführten Erzeugnisse geschaffen wird, ist eine Tatfrage, deren Beurteilung Sache des vorlegenden Gerichts ist.

40 Auf die zweite Vorabentscheidungsfrage ist daher zu antworten, daß die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag, zusammen betrachtet, Artikel 2 der Richtlinie 77/504/EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder und Artikel 4 der Richtlinie 87/328/EWG des Rates vom 18. Juni 1987 über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht dahin auszulegen sind, daß sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die die Wirtschaftsteilnehmer, die Samen aus einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft einführen, verpflichtet, diesen an eine zugelassene Besamungs- oder Produktionsstation zu liefern.

Kostenentscheidung:

Kosten

41 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von der französischen Cour de cassation mit Urteil vom 15. Juni 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Die Artikel 90 Absatz 1 und 86 EWG-Vertrag verwehren es einem Mitgliedstaat nicht, zugelassenen Rinderbesamungsstationen in einem abgegrenzten Gebiet bestimmte ausschließliche Rechte einzuräumen.

2) Artikel 86 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er es nicht ausschließt, daß Besamungsstationen, die allein innerhalb eines abgegrenzten Gebietes tätig werden dürfen, Benutzer, die von ihnen verlangen, daß sie Samen aus Produktionsstationen anderer Mitgliedstaaten liefern, mit zusätzlichen Kosten belasten, sofern diese Kosten den Besamungsstationen dadurch, daß sie dem Verlangen dieser Benutzer nachgekommen sind, tatsächlich entstanden sind.

3) Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag, zusammen betrachtet, Artikel 2 der Richtlinie 77/504/EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder und Artikel 4 der Richtlinie 87/328/EWG des Rates vom 18. Juni 1987 über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht sind dahin auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die die Wirtschaftsteilnehmer, die Samen aus einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft einführen, verpflichtet, diesen an eine zugelassene Besamungs- oder Produktionsstation zu liefern.

Ende der Entscheidung

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