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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.04.1991
Aktenzeichen: C-324/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß ein durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnenes, in einem Konzentrierer unter Vakuum für maximal 30 Sekunden auf den Siedepunkt gebrachtes Aprikosenpüree nicht als durch Kochen hergestelltes Fruchtmus der Tarifnummer 20.05 zuzuweisen ist. Zum einen ist nämlich der Begriff des Kochens solchen Wärmebehandlungen vorzubehalten, die eine Umwandlung der geschmacklichen und chemischen Eigenschaften des Erzeugnisses bewirken; diese hat im Fall des fraglichen Erzeugnisses nicht stattgefunden, denn der Siedevorgang hat hier nur zu einer Verringerung des Wassergehalts des Pürees geführt. Zum anderen setzt die Herstellung eine Veränderung des Zustands des Erzeugnisses voraus, die im vorliegenden Fall ebenfalls nicht stattgefunden hat, da das Erzeugnis von Anfang an die Form eines Pürees aufwies. Da das Erzeugnis aufgrund seiner Eigenschaften zu keiner vorher im Gemeinsamen Zolltarif genannten Tarifnummer gehört, ist es der Auffangposition für Fruchtzubereitungen, nämlich der Tarifnummer 20.06, "Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht", zuzuweisen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 18. APRIL 1991. - NORDGETRAENKE GMBH & CO KG GEGEN HAUPTZOLLAMT HAMBURG-ERICUS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - APRIKOSENPUEREE. - RECHTSSACHE C-324/89.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 7. September 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Oktober 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 3333/83 des Rates vom 4. November 1983 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 313, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Nordgetränke GmbH & Co. KG und dem Hauptzollamt Hamburg-Ericus über die Tarifierung eines Aprikosenpürees, das einem Konzentrierungsprozeß unter Vakuum unterzogen wurde.

3 Im Januar 1984 führte die Firma Nordgetränke Aprikosenpüree aus Argentinien ein. Das Püree war durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnen und anschließend in einem Konzentrierer unter Vakuum erhitzt worden, wobei für höchstens 30 Sekunden der Siedepunkt erreicht wurde. Durch diesen Vorgang sollte die Verdampfung eines Teils des in dem Erzeugnis enthaltenen Wassers herbeigeführt werden, um das Volumen des Erzeugnisses zu verringern und seinen Transport zu erleichtern.

4 Das Hauptzollamt wies das Erzeugnis zunächst der Tarifnummer 20.06 des Gemeinsamen Zolltarifs, "Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht, auch mit Zusatz von Zucker oder Alkohol", zu. Diese Tarifierung führte im vorliegenden Fall zur Erhebung eines Zolles von 22 % und eines Zollzuschlags auf Zucker zu einem Pauschalsatz von 2 %.

5 Mit Änderungsbescheid vom 20. März 1984 wies das Hauptzollamt das Aprikosenpüree der Tarifnummer 20.05, "Konfitüren, Marmeladen, Fruchtgelees, Fruchtpasten und Fruchtmuse, durch Kochen hergestellt, auch mit Zusatz von Zucker", zu. Da nach dieser neuen Tarifierung ein Zoll von 30 % und ein Zollzuschlag auf Zucker zu erheben waren, forderte das Hauptzollamt Zoll und Abschöpfung nach.

6 Die Firma Nordgetränke legte gegen diese Tarifierung Einspruch beim Hauptzollamt ein. Nach Zurückweisung des Einspruchs erhob sie Klage beim Finanzgericht, das den Standpunkt des Hauptzollamts bestätigte. Die Firma legte sodann Revision zum Bundesfinanzhof ein, der das Verfahren ausgesetzt hat, bis der Gerichtshof folgende Vorlagefragen beantwortet hat:

1) Ist der Gemeinsame Zolltarif (1984) dahin auszulegen, daß ein durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnenes, in einem Konzentrierer unter Vakuum für maximal 30 Sekunden auf den Siedepunkt gebrachtes Aprikosenpüree als durch Kochen hergestelltes Fruchtmus der Tarifstelle 20.05 C zuzuweisen ist?

2) Bei Verneinung der Frage 1:

Ergibt die zolltarifliche Auslegung, daß Erzeugnisse der vorbezeichneten Art als "Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht", der Tarifstelle 20.06 B zuzuweisen sind?

3) Bei Verneinung der Frage 2:

Welcher anderen Tarifnummer ist die Ware zuzuweisen?

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Vorlagefrage

8 Für die Beantwortung der ersten Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß ein Vorgang, bei dem die Temperatur eines Erzeugnisses durch einen Konzentrierungsprozeß unter Vakuum erhöht wird, um für etwa 30 Sekunden den Siedepunkt des Erzeugnisses zu erreichen, nicht mit einem Kochen im Sinne des Gemeinsamen Zolltarifs gleichgesetzt werden kann. Der Begriff des Kochens ist nämlich solchen Wärmebehandlungen vorzubehalten, die eine Umwandlung der geschmacklichen und chemischen Eigenschaften des Erzeugnisses bewirken. Eine derartige Umwandlung hat im Fall des Erzeugnisses, um das es im Ausgangsrechtsstreit geht, nicht stattgefunden. Denn der angewandte Prozeß hat nur zu einer Verringerung des Wassergehalts des Pürees geführt, und das gewonnene Erzeugnis ist in seiner Substanz mit dem Grunderzeugnis identisch.

9 Sodann ist zu bemerken, daß das Erzeugnis, da es bereits in püriertem Zustand existierte, bevor es dem Konzentrierungsprozeß unter Vakuum unterzogen wurde, nicht als durch Kochen "hergestellt" angesehen werden kann, wie es die Tarifnummer 20.05 verlangt. Die Verwendung des Wortes "hergestellt" setzt ebenfalls eine Veränderung des Zustands des Erzeugnisses voraus, das am Ende des angewandten Kochprozesses die Form eines Pürees aufweisen muß.

10 Somit ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, daß der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen ist, daß ein durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnenes, in einem Konzentrierer unter Vakuum für maximal 30 Sekunden auf den Siedepunkt gebrachtes Aprikosenpüree nicht als durch Kochen hergestelltes Fruchtmus der Tarifnummer 20.05 zuzuweisen ist.

Zur zweiten Vorlagefrage

11 Für die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei der Tarifnummer 20.06 um eine Auffangposition handelt, die solche Fruchtzubereitungen erfassen soll, die zu keiner vorher im Gemeinsamen Zolltarif genannten Tarifnummer gehören.

12 Dies ist bei dem streitigen Aprikosenpüree der Fall. Es weist nämlich weder die für die Erzeugnisse des Kapitels 8, "Genießbare Früchte; Schalen von Zitrusfrüchten oder von Melonen", verlangten Merkmale noch die im Wortlaut der Tarifnummern des Kapitels 20 vor der Tarifnummer 20.06 beschriebenen Merkmale auf.

13 Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß die Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs ergibt, daß die bezeichneten Erzeugnisse als "Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht", der Tarifnummer 20.06 zuzuweisen sind.

Zur dritten Vorlagefrage

14 Angesichts der Antwort auf die zweite Vorlagefrage braucht diese dritte Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

15 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 7. September 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Der Gemeinsame Zolltarif ist dahin auszulegen, daß ein durch Siebpressung des Fruchtfleisches gewonnenes, in einem Konzentrierer unter Vakuum für maximal 30 Sekunden auf den Siedepunkt gebrachtes Aprikosenpüree nicht als durch Kochen hergestelltes Fruchtmus der Tarifnummer 20.05 zuzuweisen ist.

2) Die Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs ergibt, daß die bezeichneten Erzeugnisse als "Früchte, in anderer Weise zubereitet oder haltbar gemacht", der Tarifnummer 20.06 zuzuweisen sind.

Ende der Entscheidung

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