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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: C-324/99
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 259/93/EWG, EGV
Vorschriften:
Verordnung Nr. 259/93/EWG | |
EGV Art. 234 |
1. Bei einer nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gerechtfertigten nationalen Maßnahme, die die Ausfuhr von zur Beseitigung bestimmten Abfällen allgemein verbietet, muss nicht darüber hinaus gesondert geprüft werden, ob diese nationale Maßnahme mit den Artikeln 34 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 29 EG und 30 EG) vereinbar ist.
( vgl. Randnr. 46, Tenor 1 )
2. Nach Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft darf ein Mitgliedstaat mit einer Regelung, nach der die Pflicht besteht, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten Stelle anzudienen, nicht vorsehen, dass die Verbringung von Abfällen, die nicht einer dieser Stelle unterstehenden zentralen Einrichtung zugewiesen werden, in Entsorgungsanlagen in anderen Mitgliedstaaten nur unter der Voraussetzung erlaubt ist, dass die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen des Umweltrechts dieses Staates entspricht.
( vgl. Randnr. 65, Tenor 2 )
3. Mit den Artikeln 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft, die das Verfahren für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten festlegen, ist es nicht vereinbar, dass ein Mitgliedstaat für diese Verbringung dem in dieser Verordnung vorgesehenen Notifizierungsverfahren ein diesem Mitgliedstaat eigenes Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet.
( vgl. Randnr. 76, Tenor 3 )
Urteil des Gerichtshofes vom 13. Dezember 2001. - DaimlerChrysler AG gegen Land Baden-Württemberg. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesverwaltungsgericht - Deutschland. - Umwelt - Abfälle - Verordnung (EWG) Nr. 259/93 über die Verbringung von Abfällen - Voraussetzungen für Verbote oder Beschränkungen der Ausfuhr von Abfällen - Nationale Regelung, die die Pflicht vorsieht, die Abfälle einer bestimmten Stelle anzudienen. - Rechtssache C-324/99.
Parteien:
In der Rechtssache C-324/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundesverwaltungsgericht in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
DaimlerChrysler AG
gegen
Land Baden-Württemberg
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 30, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidentin N. Colneric sowie der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, A. La Pergola (Berichterstatter), L. Sevón, M. Wathelet, R. Schintgen, V. Skouris, J. N. Cunha Rodrigues und C. W. A. Timmermans,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der DaimlerChrysler AG, vertreten durch Rechtsanwalt L. Giesberts,
- des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch Rechtsanwalt C. Weidemann,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Stix-Hackl als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von D. Wyatt, QC,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. zur Hausen als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der DaimlerChrysler AG, des Landes Baden-Württemberg, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 27. März 2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. September 2001,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 24. Juni 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 30. August 1999, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 30, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der DaimlerChrysler AG (im Folgenden: Antragstellerin) und dem Land Baden-Württemberg über die Rechtmäßigkeit einer Verordnung der Landesregierung und des Ministeriums für Umwelt und Verkehr des Landes Baden-Württemberg, die die Pflicht vorsieht, bestimmte Abfälle zur Beseitigung einer bestimmten Stelle anzudienen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 47) in der Fassung der Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 (ABl. L 78, S. 32, im Folgenden: Richtlinie) soll die nationalen Rechtsvorschriften über die Abfallbeseitigung harmonisieren.
4 In den Artikeln 3, 4 und 5 der Richtlinie werden folgende Ziele festgelegt: zunächst die Verhütung, die Verringerung, die Verwertung und die Nutzung von Abfällen, dann der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt beim Umgang sowohl mit den zur Beseitigung als auch mit den zur Verwertung bestimmten Abfällen und schließlich die Errichtung eines integrierten Netzes von Abfallbeseitigungsanlagen auf Gemeinschaftsebene und, wenn möglich, auf nationaler Ebene.
5 Artikel 5 der Richtlinie lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten treffen - in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten, wenn sich dies als notwendig oder zweckmäßig erweist - Maßnahmen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten, die den derzeit modernsten, keine übermäßig hohen Kosten verursachenden Technologien Rechnung tragen. Dieses Netz muss es der Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, wobei die geographischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden.
(2) Dieses Netz muss es darüber hinaus gestatten, dass die Abfälle in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen unter Einsatz von Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten."
6 Die Verordnung Nr. 259/93 regelt u. a. die Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten.
7 Titel II der Verordnung Nr. 259/93 - Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten - umfasst einen Abschnitt A über das Verfahren für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen.
8 Gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 259/93, der zu dem Abschnitt A gehört, müssen sich die Einwände und Auflagen, die die zuständigen Behörden am Bestimmungsort, am Versandort und die für die Durchfuhr zuständigen Behörden nach den Buchstaben a und b gegenüber einer Verbringung von Abfällen formulieren können, auf Absatz 3 dieser Bestimmung stützen.
9 Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 bestimmt:
Um das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene gemäß der Richtlinie 75/442/EWG zur Anwendung zu bringen, können die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Vertrag Maßnahmen ergreifen, um die Verbringung von Abfällen allgemein oder teilweise zu verbieten oder um gegen jede Verbringung Einwand zu erheben. Diese Maßnahmen werden unverzüglich der Kommission mitgeteilt, die die anderen Mitgliedstaaten unterrichtet."
Nationales Recht
10 Nach § 9 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen und die Behandlung von Altlasten in Baden-Württemberg (Landesabfallgesetz - LAbfG) in der Fassung vom 15. Oktober 1996 (GBl. S. 617), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 16. Juli 1998 (GBl. S. 422), schafft das Land Baden-Württemberg zusammen mit den Erzeugern und Besitzern zentrale Einrichtungen zur Entsorgung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Beseitigung.
11 Gemäß § 9 Absatz 2 Satz 2 LAbfG kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass Erzeuger und Besitzer besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung diese den Trägern der zentralen Einrichtungen oder der nach § 28a Absatz 1 LAbfG bestimmten Sonderabfallagentur anzudienen haben.
12 Nach § 9 Absatz 2 Satz 3 LAbfG werden Abfälle, die die Träger der zentralen Einrichtungen nicht in diesen Einrichtungen entsorgen können, der vom Erzeuger oder Besitzer vorgeschlagenen Abfallentsorgungsanlage zugewiesen.
13 Die Verordnung der Landesregierung und des Ministeriums für Umwelt und Verkehr des Landes Baden-Württemberg über die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle und die Sonderabfallagentur vom 12. September 1996 (Sonderabfallverordnung - SAbfVO) (GBl. S. 586), geändert durch die Verordnung vom 26. Januar 1998 (GBl. S. 73), wurde auf der Grundlage von § 9 Absatz 2 Satz 2 LAbfG erlassen.
14 Nach § 1 Absatz 1 SAbfVO ist Träger der zentralen Einrichtungen zur Entsorgung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Beseitigung die im Jahr 1973 gegründete, im Wesentlichen vom Land Baden-Württemberg gehaltene SBW Sonderabfallentsorgung Baden-Württemberg GmbH (im Folgenden: SBW).
15 Nach § 1 Absatz 2 SAbfVO sind zentrale Einrichtungen für die zur Deponierung vorgesehenen Abfälle die Sonderabfalldeponie Billigheim (Deutschland) und für die zur Verbrennung vorgesehenen Abfälle die Sonderverbrennungsanlage der Abfall-Verwertungsgesellschaft mbH (im Folgenden: AVG) in Hamburg (Deutschland) im Rahmen der bestehenden Lieferverpflichtungen".
16 Nach § 3 Absatz 1 Satz 1 SAbfVO haben Erzeuger und Besitzer von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Beseitigung, die in Baden-Württemberg erzeugt worden sind oder dort behandelt, gelagert oder abgelagert werden sollen, diese Abfälle der Sonderabfallagentur Baden-Württemberg GmbH anzudienen, die sie sodann nach Maßgabe des § 4 SAbfVO einer Entsorgungsanlage zuweist. § 3 Absatz 1 Satz 2 SAbfVO sieht jedoch Ausnahmen von dieser Pflicht vor, u. a. wenn die Abfallmengen bestimmte Schwellen nicht überschreiten oder wenn die Abfälle unter bestimmten Voraussetzungen in betriebseigenen Anlagen der Erzeuger oder Besitzer der Abfälle entsorgt werden.
17 § 4 Absatz 1 SAbfVO bestimmt:
Die Sonderabfallagentur weist die angedienten Abfälle der SBW Sonderabfallentsorgung Baden-Württemberg GmbH zur Entsorgung in den zentralen Einrichtungen nach § 1 Abs. 2 zu, soweit die Abfälle in diesen Einrichtungen entsorgt werden können und im Fall der Sonderverbrennungsanlage der Abfall-Verwertungsgesellschaft mbH in Hamburg die Lieferverpflichtung in Höhe von jährlich 20 000 t zu erfuellen ist. Diese entsorgt die nach Satz 1 zugewiesenen Abfälle in den zentralen Einrichtungen."
18 Angediente Abfälle, die nicht einer der beiden in Randnummer 15 genannten zentralen Einrichtungen zugewiesen werden, weist die Sonderabfallagentur gemäß § 4 Absatz 3 SAbfVO der vom Erzeuger oder Besitzer vorgeschlagenen Anlage zu, soweit die Abfälle entsprechend dem deutschen Umweltrecht entsorgt werden sollen.
19 Die in § 1 Absatz 2 und § 4 Absatz 1 SAbfVO angesprochene Lieferverpflichtung in Höhe von jährlich 20 000 t für die Sonderverbrennungsanlage in Hamburg ergibt sich aus einem am 5. Mai 1994 zwischen der SBW und der AVG geschlossenen Vertrag.
20 Nach der Präambel dieses für einen Zeitraum von 15 Jahren geschlossenen Vertrages stellt das Land Hamburg dem Land Baden-Württemberg einen Teil seiner Kapazitäten für die Verbrennung der von der SBW angedienten Sonderabfälle gegen ein Entgelt von 1 200 DM pro angelieferter Tonne Abfall zur Verfügung. Die Verbrennung wird in der Abfallverbrennungsanlage der AVG vorgenommen.
21 In dem Vertrag ist der SBW die Anlieferung einer Hoechstmenge von 30 000 t jährlich an die AVG eingeräumt. Die SBW garantiert außerdem die Anlieferung einer jährlichen Mindestmenge von 20 000 t an die AVG und die Zahlung des der Entsorgung dieser Menge entsprechenden Preises, auch wenn die tatsächlich gelieferten Mengen darunter liegen. Für die eventuellen Ausfallzahlungen der SBW hat das Land Baden-Württemberg eine auf den Hoechstbetrag von 180 Millionen DM begrenzte Garantieerklärung abgegeben.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
22 Die Antragstellerin leitete am 4. Dezember 1996 beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Deutschland) ein Normenkontrollverfahren ein und beantragte, die Sonderabfallverordnung für nichtig zu erklären.
23 Die Antragstellerin ist der Ansicht, sie sei durch die Andienungspflicht für eine in Hamburg gelegene Abfallverbrennungsanlage beschwert, weil sie an einer kostengünstigeren Verbrennung der in ihren baden-württembergischen Betriebsstätten erzeugten Abfälle im Ausland, insbesondere in Belgien, gehindert werde. Die Zuführung der Abfälle in die Anlage in Hamburg, also über Entfernungen, die in der Regel zwischen 600 und 800 km lägen, verursache ihr jährliche Mehrkosten von 2,2 Millionen DM.
24 Zur Begründung ihres Antrags machte die Antragstellerin insbesondere geltend, dass die in der Sonderabfallverordnung vorgesehene Andienungspflicht für die Abfallverbrennungsanlage der AVG eine Ausfuhrbeschränkung begründe, die nach Artikel 34 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 29 EG) untersagt sei und gegen die Richtlinie und die Verordnung verstoße.
25 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wies den Normenkontrollantrag mit Beschluss vom 24. November 1997 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht ließ auf die Beschwerde der Antragstellerin durch Beschluss vom 14. Mai 1998 deren Revision zu.
26 In dem Vorlagebeschluss vertritt das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht, dass die Sonderabfallverordnung nicht gegen nationales Recht verstoße. Hinsichtlich der Vereinbarkeit der Sonderabfallverordnung mit dem Gemeinschaftsrecht stellt es fest, dass die Einführung einer Pflicht für die Erzeuger und Besitzer zur Beseitigung bestimmter Abfälle, diese der Sonderabfallagentur anzudienen, als Ausfuhrverbot für Abfälle anzusehen sei, das mit Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 vereinbar sei.
27 Da es jedoch Zweifel an anderen Aspekten der Vereinbarkeit der Sonderabfallverordnung mit dem Gemeinschaftsrecht hat, hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Formulierung im Einklang mit dem Vertrag" in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 so zu verstehen, dass bei einem durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gerechtfertigten allgemeinen Ausfuhrverbot für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung zusätzlich geprüft werden muss, ob das Ausfuhrverbot mit primärem Unionsrecht, insbesondere mit dem Verbot von mengenmäßigen Handelsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Artikel 28 ff. EG vereinbar ist?
2. Genügt, wenn diese Frage zu bejahen ist, bei einem gesetzlich angeordneten und mengenmäßig beschränkten Ausfuhrverbot eine auf die gesetzliche Regelung als solche bezogene Prüfung, oder ist diese in jedem Einzelfall vorzunehmen, in dem unter Anwendung der gesetzlichen Regelung eine beabsichtigte Ausfuhr verboten wird? Darf in diesem Rahmen durch Andienungspflichten für eine inländische Anlage ein Ausfuhrverbot für besonders überwachungsbedürftige Abfälle zur Beseitigung auf einen Zeitraum von 15 Jahren festgeschrieben" werden, wenn zum Zeitpunkt der Begründung der Andienungspflichten die angestrebte Entsorgungssicherheit nur durch eine entsprechend lange vertragliche Bindung an den Betreiber dieser Anlage erreicht werden konnte?
3. Erlaubt Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 den Mitgliedstaaten eine Regelung, die im Rahmen von Andienungspflichten die Verbringung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Beseitigung in andere Mitgliedstaaten von der Voraussetzung abhängig macht, dass die beabsichtigte Beseitigung den umweltrechtlichen Anforderungen des Versandstaates entspricht?
4. Ist es mit den Regelungen der Artikel 3 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vereinbar, wenn ein Mitgliedstaat für die beabsichtigte grenzüberschreitende Verbringung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen zur Beseitigung dem Notifizierungsverfahren ein eigenständiges Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet?
28 Zunächst ist mit der Kommission festzustellen, dass das nationale Gericht sich in seinen Fragen auf die Beseitigung von besonders überwachungsbedürftigen" Abfällen bezieht, während die Verordnung Nr. 259/93 bei der Festlegung des Verfahrens für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten in Titel II Abschnitt A nicht nach der Art der betroffenen Abfälle unterscheidet. Daher gilt die Antwort auf diese Fragen unterschiedslos für alle Verbringungen von zur Beseitigung bestimmten Abfällen, die von der Verordnung Nr. 259/93 erfasst werden, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich um besonders überwachungsbedürftige Abfälle handelt.
Zur ersten Frage
29 Vorab ist anzumerken, dass § 3 Absatz 1 Satz 1 SAbfVO, der die Pflicht einführt, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten lokalen Stelle anzudienen, auf der Grundlage des Artikels 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 erlassen wurde, der es den Mitgliedstaaten gestattet, unter bestimmten Voraussetzungen allgemeine Maßnahmen zur Beschränkung der Verbringung von Abfällen zwischen den Mitgliedstaaten zu ergreifen, und dass diese nationale Vorschrift nach Ansicht des vorlegenden Gerichts mit der genannten Bestimmung der Verordnung Nr. 259/93 vereinbar ist.
30 Außerdem stellt das nationale Gericht die Gültigkeit des Artikels 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 im Hinblick auf die Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG), 34 EG-Vertrag und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) nicht in Frage.
31 Vor diesem Hintergrund geht die erste Frage des vorlegenden Gerichts dahin, ob bei einer nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gerechtfertigten nationalen Maßnahme, die die Ausfuhr von zur Beseitigung bestimmten Abfällen allgemein verbietet, angesichts der Verwendung der Formulierung im Einklang mit dem Vertrag" in dieser Bestimmung darüber hinaus eigens geprüft werden muss, ob diese nationale Maßnahme mit den Artikeln 34 und 36 EG-Vertrag vereinbar ist.
32 Hierzu ist von Belang, dass alle nationalen Maßnahmen in einem Bereich, für den auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung geschaffen worden ist, anhand dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand der Artikel 30, 34 und 36 EG-Vertrag zu beurteilen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 1993 in der Rechtssache C-37/92, Vanacker und Lesage, Slg. 1993, I-4947, Randnr. 9).
33 Die Verordnung Nr. 259/93 hat die Richtlinie 84/631/EWG des Rates vom 6. Dezember 1984 über die Überwachung und Kontrolle - in der Gemeinschaft - der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle (ABl. L 326, S. 31) aufgehoben und ersetzt, mit der - wie der Gerichtshof festgestellt hat - eine umfassende Regelung geschaffen worden war, die insbesondere die grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle zum Zwecke ihrer Beseitigung in konkret bezeichneten Einrichtungen erfasste und auf der Verpflichtung zu vorheriger, detaillierter Notifizierung durch den Besitzer der Abfälle beruhte (Urteile vom 9. Juli 1992 in der Rechtssache C-2/90, Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-4431, Randnr. 20, und vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-422/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-1097, Randnr. 32).
34 Die Verordnung Nr. 259/93 geht auf einen von der Kommission am 10. Oktober 1990 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung (EWG) 90/C 289/05 des Rates zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Gemeinschaft (ABl. C 289, S. 9) zurück. Der Begründung dieses Vorschlags ist zu entnehmen, dass für die Änderung der Gemeinschaftsvorschriften über die Abfallverbringung die Form der Verordnung gewählt wurde, um eine gleichzeitige und übereinstimmende Anwendung dieser Rechtsvorschriften in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen.
35 Zudem wurde die Verordnung Nr. 259/93 nach ihren ersten vier Begründungserwägungen erlassen, um die Richtlinie 84/631 durch eine Verordnung zu ersetzen, und zwar wegen der Verpflichtungen, die die Gemeinschaft im Rahmen mehrerer völkerrechtlicher Übereinkommen, insbesondere des Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, das am 22. März 1989 in Basel (Schweiz) unterzeichnet und mit Beschluss 93/98/EWG des Rates vom 1. Februar 1993 (ABl. L 39, S. 1) im Namen der Gemeinschaft genehmigt wurde, eingegangen war.
36 Gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 259/93 gilt diese, vorbehaltlich der in den Absätzen 2 und 3 dieses Artikels vorgesehenen Ausnahmen, für die Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Gemeinschaft.
37 Titel II der Verordnung Nr. 259/93 betrifft die Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten und unterscheidet zwischen den zur Beseitigung bestimmten Abfällen (Abschnitt A Artikel 3 bis 5) und den zur Verwertung bestimmten Abfällen (Abschnitt B Artikel 6 bis 11). Wie aus der neunten Begründungserwägung dieser Verordnung hervorgeht, wird durch diesen Titel ein System der vorherigen Notifizierung der Verbringung von Abfällen an die zuständigen Behörden geschaffen, damit diese angemessen insbesondere über Art, Beförderung und Beseitigung oder Verwertung der Abfälle informiert sind und alle für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt erforderlichen Maßnahmen treffen können; hierzu gehört auch die Möglichkeit, mit Gründen zu versehende Einwände gegen die Abfallverbringung zu erheben.
38 Artikel 13 der Verordnung Nr. 259/93, der deren Titel III darstellt, betrifft die Verbringung von Abfällen innerhalb der Mitgliedstaaten. Nach der fünften Begründungserwägung dieser Verordnung fallen die Überwachung und Kontrolle dieser Verbringung unter die Verantwortung der Mitgliedstaaten. Bei den von ihnen hierfür geschaffenen einzelstaatlichen Regelungen sollte jedoch der erforderlichen Kohärenz zwischen diesen Regelungen und der gemeinschaftlichen Regelung nach der Verordnung Nr. 259/93 Rechnung getragen werden (Artikel 13 Absatz 2). Die Mitgliedstaaten können in ihrem Zuständigkeitsbereich auch die in dieser Verordnung für die Verbringung zwischen Mitgliedstaaten vorgesehene Regelung anwenden (Artikel 13 Absatz 4).
39 In den Titeln IV, V und VI der Verordnung Nr. 259/93 sind die Ausfuhr von Abfällen aus der Gemeinschaft, die Einfuhr von Abfällen in die Gemeinschaft sowie die Durchfuhr von Abfällen von außerhalb der Gemeinschaft durch die Gemeinschaft zur Beseitigung oder Verwertung außerhalb der Gemeinschaft geregelt.
40 Titel VII der Verordnung Nr. 259/93 - Gemeinsame Bestimmungen - sieht u. a. vor, wann eine Verbringung von Abfällen als illegale Verbringung gilt und welche Maßnahmen in einem solchen Fall zu ergreifen sind (Artikel 26).
41 Auf eine Nichtigkeitsklage gegen die Verordnung Nr. 259/93 hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Verordnung die Voraussetzungen festlegt, von denen die Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten abhängt, und die Verfahren vorschreibt, die bei ihrer Genehmigung angewandt werden müssen, und dass alle diese Voraussetzungen und Verfahren in dem Bestreben, den Schutz der Umwelt sicherzustellen, und unter Berücksichtigung von Zielen der Umweltpolitik wie der Prinzipien der Nähe, des Vorrangs für die Verwertung und der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene geschaffen worden sind (Urteil vom 28. Juni 1994 in der Rechtssache C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Randnrn. 21 und 22). Der Gerichtshof hat im Rahmen der Beurteilung, ob die Verordnung Nr. 259/93 auf der Rechtsgrundlage von Artikel 130s EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 175 EG) erlassen werden durfte, ferner festgestellt, dass die Verordnung ein harmonisiertes System von Verfahren bereitstellen soll, mit denen der Umlauf der Abfälle begrenzt werden kann, um den Schutz der Umwelt sicherzustellen (Urteil Parlament/Rat, Randnr. 26).
42 Somit ergibt sich aus dem Kontext, in dem die Verordnung Nr. 259/93 erlassen wurde, aus ihrer Rechtsnatur, aus den mit ihr verfolgten Zielen und aus ihrem Inhalt, dass mit ihr auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung für die Verbringung von Abfällen geschaffen worden ist, um den Schutz der Umwelt sicherzustellen.
43 Folglich sind alle nationalen Maßnahmen zur Verbringung von Abfällen anhand dieser Verordnung und nicht anhand der Artikel 30, 34 und 36 EG-Vertrag zu beurteilen.
44 Vor diesem Hintergrund kann die Verwendung der Formulierung im Einklang mit dem Vertrag" in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 nicht bedeuten, dass bei einer nationalen Maßnahme, die den Anforderungen dieser Bestimmung genügt, darüber hinaus eigens geprüft werden müsste, ob sie mit den Artikeln 30, 34 und 36 EG-Vertrag vereinbar ist.
45 Die Formulierung im Einklang mit dem Vertrag" bedeutet auch nicht, dass alle in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 genannten nationalen Maßnahmen, die die Verbringung von Abfällen beschränken, allein deshalb ohne weiteres als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gelten müssen, weil sie einen oder mehrere der in dieser Bestimmung genannten Grundsätze zur Anwendung bringen sollen. Diese Formulierung ist vielmehr dahin auszulegen, dass diese nationalen Maßnahmen über ihre Vereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 259/93 hinaus auch die Regeln oder allgemeinen Grundsätze des EG-Vertrags beachten müssen, die die im Bereich der Abfallverbringung erlassenen Vorschriften nicht unmittelbar betreffen.
46 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass bei einer nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gerechtfertigten nationalen Maßnahme, die die Ausfuhr von zur Beseitigung bestimmten Abfällen allgemein verbietet, nicht darüber hinaus gesondert geprüft werden muss, ob diese nationale Maßnahme mit den Artikeln 34 und 36 EG-Vertrag vereinbar ist.
Zur zweiten Frage
47 Da die zweite Frage vom vorlegenden Gericht nur für den Fall einer Bejahung der ersten Frage gestellt worden ist, erübrigt sich ihre Beantwortung.
Zur dritten Frage
48 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob nach Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 259/93 ein Mitgliedstaat mit einer Regelung, nach der die Pflicht besteht, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten Stelle anzudienen, vorsehen darf, dass die Verbringung von Abfällen, die nicht einer dieser Stelle unterstehenden zentralen Einrichtung zugewiesen werden, in Entsorgungsanlagen in anderen Mitgliedstaaten nur unter der Voraussetzung erlaubt ist, dass die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen des Umweltrechts dieses Staates entspricht.
49 Hierzu ist festzustellen, dass sich nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 259/93 die Einwände gegen die Verbringung von Abfällen auf Absatz 3 dieser Bestimmung stützen müssen.
50 Die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten gegen eine Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten Einwände erheben können, sind also in Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 259/93 abschließend aufgeführt.
51 Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung Nr. 259/93 betrifft die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen können, um die Verbringung von Abfällen zur Beseitigung allgemein oder teilweise zu verbieten oder um gegen jede Verbringung Einwand zu erheben. Artikel 4 Absatz 3 Buchstaben b und c dieser Verordnung betrifft die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten gegen eine bestimmte Verbringung von Abfällen Einwände erheben können.
52 Die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung, auf die sich die dritte Frage bezieht, schafft ein System, durch das die Ausfuhr von Abfällen - vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen - grundsätzlich verboten wird. Eine erste Kategorie von Ausnahmen besteht darin, die Erzeuger und Besitzer von Abfällen in bestimmten Fällen - insbesondere dann, wenn die fraglichen Abfallmengen bestimmte Schwellen nicht überschreiten - von der Pflicht zu befreien, diese Abfälle der für die Abfallentsorgung zuständigen Stelle anzudienen. Eine zweite Kategorie von Ausnahmen, auf die sich die dritte Frage des Näheren bezieht, erlaubt es, Abfälle, die der für die Abfallentsorgung zuständigen Stelle angedient worden sind, aber nicht von einer dieser Stelle unterstehenden zentralen Einrichtung behandelt werden können - insbesondere weil die Entsorgungskapazitäten dieser zentralen Einrichtung überschritten sind -, in eine vom Erzeuger oder Besitzer der Abfälle vorgeschlagene Entsorgungsanlage zu verbringen, sofern die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen des Umweltrechts des Versandstaates entspricht.
53 Wie die Antragstellerin zu Recht feststellt, handelt es sich bei der Sonderabfallverordnung, deren Rechtmäßigkeit im Ausgangsverfahren bestritten wird, um eine abstrakt-generelle Maßnahme eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93, so dass die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht eine nationale Maßnahme wie die Sonderabfallverordnung gestattet, anhand dieser Bestimmung, nicht anhand der anderen Bestimmungen des Artikels 4 Absatz 3 zu prüfen ist.
54 Zur Vereinbarkeit der Sonderabfallverordnung mit Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 macht das Land Baden-Württemberg insbesondere geltend, diese Bestimmung räume einem Mitgliedstaat das Recht ein, ein generelles Ausfuhrverbot für Abfälle zu erlassen; daher müsse ihm erst recht, wenn er auf den Erlass eines solchen Verbotes verzichte, das Recht zustehen - von dem durch die im Ausgangsverfahren streitige Regelung Gebrauch gemacht worden sei -, zu verlangen, dass bei einer Beseitigung der Abfälle im Ausland seine eigenen Umweltschutzstandards gewährleistet würden.
55 Dem kann nicht gefolgt werden.
56 Ein Mitgliedstaat darf eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, also eine Maßnahme, mit der die Verbringung von Abfällen teilweise verboten wird, ebenso wie die in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 genannten Maßnahmen, mit denen die Verbringung von Abfällen allgemein verboten oder gegen jede Verbringung Einwand erhoben wird, nur erlassen, sofern sie den Anforderungen dieser Bestimmung genügt, sofern sie also das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Anwendung bringt.
57 Da Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 die Befugnis, die Verbringung von Abfällen zu verbieten, wenn ihre Beseitigung den Anforderungen des Umweltrechts des Versandstaates nicht entspricht, nicht ausdrücklich vorsieht, ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob diese Befugnis sich aus einem der drei in dieser Bestimmung genannten Grundsätze ergibt.
58 Zum ersten bringt eine nationale Regelung, die die Genehmigung der Verbringung von Abfällen zu ihrer Beseitigung in einen anderen Mitgliedstaat, soweit diese erlaubt ist, davon abhängig macht, dass die Beseitigung in einer Weise erfolgen kann, die den Anforderungen des Umweltrechts des Versandstaates entspricht, das Prinzip der Nähe nicht zur Anwendung.
59 Denn eine solche Regelung berücksichtigt die Nähe der vom Erzeuger oder Besitzer der Abfälle vorgeschlagenen Entsorgungsanlage überhaupt nicht.
60 Zum zweiten kann der Vorrang für die Verwertung, der sich aus Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ergibt, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, um die Verwertung der Abfälle zu fördern, definitionsgemäß nicht durch eine nationale Regelung zur Anwendung gebracht werden, die nur bezweckt, die Entsorgungsanlage zu bestimmen, in der die Abfälle beseitigt werden können, nicht aber, einen Anreiz für eine solche Verwertung zu schaffen.
61 Was drittens den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene angeht, so ergibt sich aus Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie, dass er es der Gemeinschaft insgesamt erlauben soll, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen soll, diese Autarkie anzustreben, und zwar durch ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen.
62 Die Anwendung dieses Grundsatzes kann zwar grundsätzlich eine Regelung rechtfertigen, mit der die Pflicht eingeführt wird, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten Stelle anzudienen, die sie von ihr kontrollierten zentralen Einrichtungen zuweist, soweit diese Pflicht erforderlich ist, um einen für die Wirtschaftlichkeit dieser Entsorgungsanlagen unerlässlichen Auslastungsgrad sicherzustellen, und dadurch bestehende Entsorgungskapazitäten erhalten werden können, die zur Verwirklichung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie auf einzelstaatlicher Ebene beitragen.
63 Dass die Verbringung von Abfällen zur Beseitigung nur erlaubt ist, wenn die Beseitigung entsprechend den Anforderungen des Umweltrechts des Versandstaates erfolgt, trägt jedoch nichts zur Anwendung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie bei, da sie nur in den Fällen gilt, in denen die fraglichen Abfälle nicht in einer Einrichtung behandelt werden können, die der für die Abfallentsorgung zuständigen Stelle untersteht, und deshalb ohnehin einer vom Erzeuger oder Besitzer der Abfälle vorgeschlagenen Entsorgungsanlage zugewiesen werden.
64 Daraus folgt, dass es Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 259/93 einem Mitgliedstaat, der die Verbringung von Abfällen in vom Erzeuger oder Besitzer der Abfälle vorgeschlagene Entsorgungsanlagen eines anderen Mitgliedstaats und nicht in von ihm bezeichnete Anlagen erlaubt, nicht gestattet, vorzuschreiben, dass die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen seines eigenen Rechts entsprechen muss.
65 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass es mit Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 259/93 nicht vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat, der eine Regelung erlassen hat, mit der die Pflicht eingeführt wird, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten Stelle anzudienen, vorsieht, dass die Verbringung von Abfällen, die nicht einer dieser Stelle unterstehenden zentralen Einrichtung zugewiesen werden, in Entsorgungsanlagen in anderen Mitgliedstaaten nur unter der Voraussetzung erlaubt ist, dass die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen des Umweltrechts dieses Staates entspricht.
Zur vierten Frage
66 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es mit den Artikeln 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93 vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten dem in dieser Verordnung vorgesehenen Notifizierungsverfahren ein diesem Mitgliedstaat eigenes Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet.
67 Hierzu ist festzustellen, dass die durch die Verordnung Nr. 259/93 erfolgte Harmonisierung im Bereich der Abfallverbringung sich nicht nur auf die materiellen Voraussetzungen erstreckt, unter denen diese Verbringungen durchgeführt werden können, sondern auch auf das für diese Verbringungen geltende Verfahren.
68 Namentlich ist der Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, der beabsichtigt, diese in dem für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten geltenden Verfahren zu verbringen oder verbringen zu lassen, aufgrund der Artikel 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93 verpflichtet, dieses Vorhaben vorher der zuständigen Behörde am Bestimmungsort zu notifizieren.
69 Diese Notifizierung ist in dem Verfahren, das für diese Art der Verbringung in der Verordnung Nr. 259/93 vorgesehen ist, von entscheidender Bedeutung. Die Verordnung legt im Einzelnen fest, welche Angaben über die Verbringung in der Notifizierung enthalten sein müssen, und bestimmt, dass die verschiedenen Fristen, binnen deren die zuständigen Behörden am Bestimmungsort und am Versandort sowie die für die Durchfuhr zuständigen Behörden, die ihnen durch die Verordnung eingeräumten Befugnisse - nämlich gegen die Verbringung Einwände zu erheben oder Auflagen für die Verbringung festzulegen - ausüben müssen, mit der Empfangsbestätigung für die Notifizierung zu laufen beginnen.
70 Dieses Verfahren garantiert der notifizierenden Person, dass ihr Verbringungsvorhaben innerhalb der in der Verordnung Nr. 259/93 festgesetzten Fristen geprüft wird und dass sie spätestens bei Ablauf dieser Fristen darüber unterrichtet wird, ob und gegebenenfalls unter welchen Auflagen die Verbringung durchgeführt werden kann.
71 Eine nationale Regelung, die den Erzeuger oder Besitzer von Abfällen, der beabsichtigt, diese zu verbringen oder verbringen zu lassen, verpflichtet, vor dem Gemeinschaftsverfahren, das mit der in der Verordnung Nr. 259/93 vorgesehenen Notifizierung beginnt, ein eigenes Verfahren über die Andienung und Zuweisung der Abfälle mit eigenen Formalitäten und Fristen zu durchlaufen, ist mit dem in den Artikeln 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93 vorgesehenen Verfahren nicht vereinbar.
72 Nach alledem ist es mit den Artikeln 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93, die das Verfahren für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten festlegen, nicht vereinbar, dass ein Mitgliedstaat dem in dieser Verordnung vorgesehenen Notifizierungsverfahren ein eigenes Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet.
73 Dieser Auslegung steht das Vorbringen des Landes Baden-Württemberg nicht entgegen, die Verordnung Nr. 259/93 ermächtige die Mitgliedstaaten in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i zu allgemeinen Maßnahmen, um die Verbringung von Abfällen zu beschränken, so dass ihnen erst recht die Befugnis zustehen müsse, für den Vollzug dieser nationalen Maßnahmen ein eigenständiges Verfahren einzuführen, in dessen Rahmen zunächst über die beabsichtigte Verbringung von Abfällen zur Beseitigung zu entscheiden sei.
74 Wenn die Mitgliedstaaten von der Befugnis des Artikels 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 Gebrauch machen, allgemeine Maßnahmen zu ergreifen, um die Verbringung von Abfällen zu beschränken, dürfen sie nicht von dem in dieser Verordnung vorgesehenen Notifizierungsverfahren abweichen. Sie müssen diese Befugnis vielmehr in dem verfahrensrechtlichen Rahmen der Verordnung wahrnehmen, nach der die vorherige Notifizierung des Verbringungsvorhabens das Verfahren einleitet, das gegebenenfalls zu seiner Genehmigung führt.
75 Namentlich dann, wenn ein Mitgliedstaat eine Maßnahme ergreift, die die Verbringung von Abfällen im Einklang mit Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 259/93 teilweise verbietet und die vorsieht, dass bestimmte Abfälle einer für die Abfallentsorgung zuständigen Stelle angedient werden müssen und dass ihre Verbringung in eine Entsorgungsanlage in einem anderen Mitgliedstaat nur genehmigt werden kann, wenn diese Abfälle nicht in einer dieser Einrichtung unterstehenden Stelle behandelt werden können, muss ein auf dieses Verbot gestützter Einwand der Behörde am Versandort gegen die Verbringung unter Beachtung der in der Verordnung Nr. 259/93 vorgesehenen Modalitäten erhoben werden.
76 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass es mit den Artikeln 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93 nicht vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten dem in dieser Verordnung vorgesehenen Notifizierungsverfahren ein diesem Mitgliedstaat eigenes Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet.
Kostenentscheidung:
Kosten
77 Die Auslagen der deutschen, der dänischen, der niederländischen, der österreichischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. Juni 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Bei einer nach Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft durch das Prinzip der Nähe, den Vorrang für die Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gerechtfertigten nationalen Maßnahme, die die Ausfuhr von zur Beseitigung bestimmten Abfällen allgemein verbietet, muss nicht darüber hinaus gesondert geprüft werden, ob diese nationale Maßnahme mit den Artikeln 34 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 29 EG und 30 EG) vereinbar ist.
2. Nach Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 259/93 darf ein Mitgliedstaat mit einer Regelung, nach der die Pflicht besteht, die zur Beseitigung bestimmten Abfälle einer bestimmten Stelle anzudienen, nicht vorsehen, dass die Verbringung von Abfällen, die nicht einer dieser Stelle unterstehenden zentralen Einrichtung zugewiesen werden, in Entsorgungsanlagen in anderen Mitgliedstaaten nur unter der Voraussetzung erlaubt ist, dass die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen des Umweltrechts dieses Staates entspricht.
3. Mit den Artikeln 3 bis 5 der Verordnung Nr. 259/93 ist es nicht vereinbar, dass ein Mitgliedstaat für die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten dem in dieser Verordnung vorgesehenen Notifizierungsverfahren ein diesem Mitgliedstaat eigenes Verfahren über die Andienung und Zuweisung dieser Abfälle vorschaltet.
Ende der Entscheidung
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