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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.05.1992
Aktenzeichen: C-327/90
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat, der für die Berechnung der für eine besondere Verbrauchsteuer auf Privatwagen maßgeblichen Grundlage unterschiedliche Regeln für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Fahrzeuge einerseits und für im Inland hergestellte Fahrzeuge andererseits erlässt, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag, wenn durch das Zusammenspiel von Abzuegen, die den letztgenannten zugute kommen, oder Zuschlägen, die die erstgenannten treffen, die eingeführten Fahrzeuge - sei es auch nur in bestimmten Fällen - höher belastet werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 12. MAI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG - ARTIKEL 95 - EINFUHR VON KRAFTFAHRZEUGEN - UNTERSCHIEDLICHE BESTEUERUNGSGRUNDLAGE. - RECHTSSACHE C-327/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 23. Oktober 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Republik Griechenland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie unterschiedliche Regelungen für die Berechnung der für die besondere Verbrauchsteuer maßgeblichen Grundlage geschaffen hat, je nachdem ob es sich um aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte oder in Griechenland hergestellte Fahrzeuge handelt.

2 Mit dem Gesetz Nr. 363 vom 22. Juni 1976, das durch die Gesetze Nrn. 1003/1979 und 1591/1986 ergänzt und geändert worden ist, ist in Griechenland eine besondere Verbrauchsteuer auf Privatwagen, die eingeführt oder im Inland montiert werden (im folgenden: Steuer), eingeführt worden.

3 Gemäß Artikel 1 Absatz 3 dieses Gesetzes setzt sich die für die Sondersteuer auf eingeführte Fahrzeuge maßgebliche Besteuerungsgrundlage aus der Summe folgender Elemente zusammen:

"a) Nettogroßhandelspreis des Fahrzeugs ab Werk, der um nicht mehr als 25 % vom Einzelhandelspreis (Katalogpreis) des Fahrzeugs im Herstellungsland abweichen darf, abzueglich der steuerlichen Belastungen, die in diesem Preis in diesem Land enthalten sind.

...

b) Preis für etwaige Sonderausstattungen.

c) Zuschlag von 21 % auf die Summe der Elemente a und b, wenn die Fahrzeuge von einem Alleinvertriebshändler, einem Händler oder einem Fahrzeugverkäufer unmittelbar beim Hersteller gekauft werden.

Für andere Einfuhren beträgt der Zuschlagsatz 23,2 %.

d) Zuschlag von 7 % auf die Elemente a und b für Versicherungs- und Einfuhrkosten des Fahrzeugs.

Dieser Satz beträgt für Fahrzeuge aus Übersee 25 %."

4 Für in Griechenland montierte Fahrzeuge sieht Artikel 4 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 1573 vom 19./27. November 1985 zum einen vor, daß die Besteuerungsgrundlage vom Preis "ab Werk" ausgehend berechnet wird, der in dem Katalog angegeben ist, den die Fahrzeugindustrie dem mit der Preisüberwachung betrauten Ausschuß vorgelegt hat, und er schreibt zum anderen vor, daß die im Gestehungspreis enthaltenen steuerlichen Belastungen jeder Art nicht als Preiselemente des Fahrzeugs anzusehen sind.

5 Ausserdem sind gemäß Artikel 3 Absatz 1 dieses Gesetzes "die von der Automobilindustrie eingeführten oder im Inland erworbenen Ausgangsstoffe... von Steuern jeder Art zugunsten des Staates oder Dritter befreit, mit Ausnahme der Zölle, die in der Gemeinschaftsregelung für aus dritten Ländern stammende Ausgangsstoffe vorgesehen sind".

6 Was die Einziehung der Steuer angeht, so sind die griechischen Fahrzeugwerke gemäß den Artikeln 2, 4 und 6 des Gesetzes Nr. 1573/1985 der Zollüberwachung unterworfen, und es ist insbesondere vorgesehen, daß die Verbrauchsteuer auf in Griechenland hergestellte Fahrzeuge von den Zollbehörden bei der Zollabfertigung erhoben wird.

7 Die Kommission ist der Ansicht, die unterschiedliche Berechnung der Besteuerungsgrundlage für eingeführte Fahrzeuge einerseits und für in Griechenland hergestellte Fahrzeuge andererseits verletze Artikel 95 EWG-Vertrag. Diese Regelung laufe tatsächlich auf eine Begünstigung der in Griechenland montierten Fahrzeuge gegenüber den aus anderen Mitgliedstaaten eingeführten Fahrzeugen hinaus. Die Diskriminierung liege hauptsächlich darin, daß für eingeführte Fahrzeuge ein pauschaler Zuschlag von 21 % oder 23,2 % der Besteuerungsgrundlage vorgesehen sei, während in Griechenland montierte Fahrzeuge nach tatsächlichen Daten, nämlich dem Preis ab Werk, besteuert würden.

8 Zur Rechtfertigung dieses Zuschlags führt die griechische Regierung aus, in Griechenland sei die Automobilindustrie nur wenig entwickelt und die Fahrzeughersteller verkauften ihre Erzeugnisse gewöhnlich ohne Vermittler unmittelbar an die Endverbraucher. Unter diesen Umständen entspreche der Verkaufspreis des Herstellers, nach dem die Steuer für in Griechenland montierte Fahrzeuge berechnet werde, dem Einzelhandelspreis, in dem die Marketingkosten enthalten seien. Zur Gleichstellung in Griechenland hergestellter Fahrzeuge und eingeführter Fahrzeuge sei es daher angezeigt, die vom Importeur getragenen Marketingkosten, wie die Kosten für Absatzförderung, Werbung und Kundendienst zu dem für eingeführte Fahrzeuge maßgeblichen Preis des Herstellers hinzuzurechnen. Dieser Zuschlag erfasse ausserdem die Provision des Importeurs. Der Zuschlag von 23,2 %, zu dem es komme, wenn die eingeführten Fahrzeuge nicht unmittelbar beim Hersteller, sondern bei einem ausländischen Händler erworben würden, solle ausserdem den Gewinn dieses Zwischenhändlers erfassen.

9 Die griechische Regierung macht ausserdem geltend, diese Regelung der pauschalen Besteuerung diene ganz allgemein dazu, Betrügereien zu verhindern, zu denen es wegen des hohen Steuersatzes bei der Einfuhr von Fahrzeugen kommen könne. Diese Betrügereien bestuenden darin, einen geringeren Rechnungsbetrag einzusetzen, um so den Steuerbetrag zu verringern. Dies werde dadurch belegt, daß Lastkraftwagen, für die eine geringere Steuer gelte und bei denen es daher weniger zu solchen Betrügereien komme, ohne Rücksicht auf die Herkunft nach Maßgabe des Geschäftswertes besteuert werden.

10 Wegen weiterer Einzelheiten der fraglichen Regelung, des Verfahrensablaufs sowie des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind bei der Anwendung des Artikels 95 EWG-Vertrag nicht nur der Satz der Abgabe zu berücksichtigen, die einheimische und eingeführte Erzeugnisse unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben, sondern auch die Besteuerungsgrundlage und die Erhebungsmodalitäten der jeweiligen Abgabe (vgl. hierzu Urteil vom 27. Februar 1980 in der Rechtssache 55/79, Kommission/Irland, Slg. 1980, 481, Randnr. 8).

12 Im übrigen ist in der Rechtsprechung mehrfach hervorgehoben worden, daß eine Verletzung von Artikel 95 Absatz 1 vorliegt, wenn die auf das eingeführte Erzeugnis erhobene Abgabe und die Belastung, die das gleichartige inländische Erzeugnis zu tragen hat, in verschiedener Weise und nach verschiedenen Bestimmungen berechnet werden mit dem Ergebnis, daß das eingeführte Erzeugnis - sei es auch nur in bestimmten Fällen - höher belastet wird (vgl. insbesondere Urteil vom 17. Februar 1976 in der Rechtssache 45/75, Rewe-Zentrale, Slg. 1976, 181, Randnr. 15).

13 Im vorliegenden Fall ist also zu prüfen, ob die Berechnung der Besteuerungsgrundlage für die mit der streitigen Regelung eingeführte Abgabe so erfolgt, daß jede Gefahr der Diskriminierung ausgeschlossen ist.

14 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß für in Griechenland hergestellte Fahrzeuge Abzuege vorgesehen sind, für die es bei eingeführten Fahrzeugen keine Entsprechung gibt. So können nach Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich des Gesetzes Nr. 1573/1985 alle im Gestehungspreis enthaltenen steuerlichen Belastungen abgezogen werden, und nach Artikel 3 Absatz 1 dieses Gesetzes sind von der Automobilindustrie erworbene Ausgangsstoffe von jeder Steuer, mit Ausnahme der in der Gemeinschaftsregelung vorgesehenen Zölle, befreit.

15 Umgekehrt werden der für eingeführte Fahrzeuge maßgeblichen Besteuerungsgrundlage verschiedene Elemente zugeschlagen, die bei der Berechnung der Besteuerungsgrundlage für in Griechenland montierte Fahrzeuge keine Rolle spielen. So bestimmt Artikel 1 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 363/1876 in seiner geänderten Fassung, daß bei eingeführten Fahrzeugen zum Preis ab Werk der Preis für Sonderausstattungen hinzuzurechnen ist, während nichts in der fraglichen Regelung die sichere Feststellung zulässt, daß derselbe Zuschlag für in Griechenland montierte Fahrzeuge gilt. Dieselbe Bestimmung sieht ferner bei eingeführten Fahrzeugen zwei andere Zuschläge vor, einen in Höhe von 7 % zur Erfassung der Versicherungs- und Transportkosten und einen anderen in Höhe von 21 % oder 23,2 %.

16 Das von der griechischen Regierung vorgebrachte Argument, der Zuschlag von 21 % oder 23, 2 % sei aus Gründen der Gleichbehandlung mit einheimischen Herstellern gerechtfertigt, die für die von ihnen hergestellten Fahrzeuge die Marketingkosten trügen, ist nicht stichhaltig.

17 Dazu ist zunächst hervorzuheben, daß die Marketingkosten, wie die Kommission ausgeführt hat, häufig, jedenfalls zum Teil, im Preis ab Werk für eingeführte Fahrzeuge enthalten sind.

18 Weiter ist darauf hinzuweisen, daß der pauschale Zuschlag von 21 % oder 23,2 % - wie sich der Akte entnehmen lässt - nach einem Durchschnittswert festgelegt worden ist, der seinerseits aufgrund von Gesellschaftsbilanzen ermittelt worden ist. Bei einer solchen, pauschalen Wertung kann nicht sichergestellt werden, daß das eingeführte Erzeugnis in keinem Fall höher belastet wird als das entsprechende einheimische Erzeugnis.

19 Ebenso verhält es sich mit dem Zuschlag von 7 %, der die Transport- und Versicherungskosten decken soll. Insofern ist ausserdem darauf hinzuweisen, daß zwar die Versicherungskosten entsprechend dem Wert des Erzeugnisses unterschiedlich hoch sein können, daß sich aber die Transportkosten mehr nach dem Gewicht und den Abmessungen des Erzeugnisses und nach der zurückgelegten Wegstrecke richten.

20 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß bei einer Regelung, die wie das streitige Gesetz unterschiedliche Vorschriften für einheimische Erzeugnisse und für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse enthält, und für die ein Mangel an Transparenz und Klarheit kennzeichnend ist, die beklagte Regierung den Nachweis zu erbringen hat, daß die von der Kommission beanstandete Regelung in keinem Fall diskriminierende Wirkungen haben kann (vgl. dazu Urteile vom 26. Juni 1991 in der Rechtssache C-152/89, Kommission/Luxemburg, Slg. 1991, I-3141, und in der Rechtssache C-153/89, Kommission/Belgien, Slg. 1991, I-3171).

21 Insofern hat sich die griechische Regierung, und zwar zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung, auf Artikel 4 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 1573/1985 berufen, wonach "die Besteuerungsgrundlage für in Griechenland hergestellte Fahrzeuge nicht niedriger sein darf als der vom Ausschuß für eingeführte Fahrzeuge entsprechenden oder ähnlichen Hubraums zugelassene Mindestwert".

22 Eine solche Vorschrift, die auf die Mindestbesteuerungsgrundlage abstellt, die für eingeführte ähnliche Fahrzeuge gilt, kann die oben beschriebene Gefahr der Diskriminierung nicht beseitigen. Wenn mehrere Modelle verschiedener Marken mit gleichem Hubraum eingeführt werden, führt sie nämlich dazu, daß die in Griechenland hergestellten Fahrzeuge nicht wie eingeführte Fahrzeuge mit der höchsten Besteuerungsgrundlage besteuert werden, sondern wie Fahrzeuge, für die die günstigste Behandlung gilt.

23 Folglich ist festzustellen, daß die griechische Regierung nicht bewiesen hat, daß die in diesem Land geltende Besteuerungsregelung so beschaffen ist, daß in jedem Fall ausgeschlossen ist, daß eingeführte Fahrzeuge stärker belastet werden als in Griechenland hergestellte Fahrzeuge.

24 Zu dem Vorbringen der griechischen Regierung, mit der pauschalen Besteuerungsregelung solle betrügerisches Verhalten verhindert werden, zu dem es wegen des hohen Steuersatzes bei der Einfuhr von Privatfahrzeugen kommen könne, genügt schließlich der Hinweis, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Einführung eines pauschalen Besteuerungssytems allein für eingeführte Fahrzeuge nicht damit gerechtfertigt werden kann, daß es unmöglich sei, bei eingeführten Fahrzeugen die notwendigen Kontrollen und Überprüfungen vorzunehmen (vgl. Urteil vom 17. Februar 1976, Rewe-Zentrale, Randnr. 15).

25 Nach alledem ist festzustellen, daß die Griechische Republik ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag dadurch verletzt hat, daß sie für die Berechnung der für die besondere Verbrauchsteuer maßgeblichen Grundlage unterschiedliche Vorschriften für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Fahrzeuge einerseits und für in Griechenland hergestellte Fahrzeuge andererseits erlassen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterlegene Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Griechische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Griechische Republik hat ihre Verpflichtungen aus Artikel 95 EWG-Vertrag dadurch verletzt, daß sie für die Berechnung der für die besondere Verbrauchsteuer maßgeblichen Grundlage unterschiedliche Vorschriften für aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Fahrzeuge einerseits und für in Griechenland hergestellte Fahrzeuge andererseits erlassen hat.

2) Die Republik Griechenland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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