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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 03.03.1994
Aktenzeichen: C-332/92
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung (EWG) Nr. 1418/76


Vorschriften:

EWG-Vertrag Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2
EWG-Vertrag Artikel 5
Verordnung (EWG) Nr. 1418/76 Artikel 17 Absatz 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn es im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag auch im Interesse einer geordneten Rechtspflege liegen kann, daß eine Vorlagefrage erst im Anschluß an eine streitige Verhandlung vorgelegt wird, so gehört diese Anforderung jedoch nicht zu den Voraussetzungen für die Durchführung dieses Verfahrens. Es ist daher allein vom nationalen Gericht zu beurteilen, ob die Anhörung des Beklagten vor dem Erlaß eines Vorlagebeschlusses erforderlich ist.

Gleichermassen ist der Gerichtshof nach der Verteilung der Aufgaben zwischen ihm und den nationalen Gerichten nicht befugt nachzuprüfen, ob die Entscheidung, durch die er angerufen worden ist, den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht.

2. Artikel 177 EWG-Vertrag gestattet es den nationalen Gerichten, dem Gerichtshof Auslegungsfragen jederzeit erneut vorzulegen, wenn sie dies für angebracht halten, und zwar auch dann, wenn diese Fragen bereits Gegenstand einer Vorabentscheidung in einem ähnlichen Fall waren.

3. Im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der von diesem Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht.

4. Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß die Nichtrückzahlung einer innerstaatlichen Abgabe, die allein auf inländische Erzeugnisse anläßlich ihres Kaufs oder ihrer Verarbeitung erhoben wird und die zur Finanzierung eines Hilfsfonds für die heimische Erzeugung bestimmt ist, im Fall der Ausfuhr der genannten Erzeugnisse keine Diskriminierung der von dieser Belastung betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bewirkt, da diesen im Unterschied zu Wirtschaftsteilnehmern, die ihren Bedarf auf einem anderen Markt decken, bestimmte Leistungen zugute kommen, für die die genannte Abgabe die Gegenleistung darstellt.

5. Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1418/76 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Reis, der die Ausfuhrerstattungen betrifft, ist dahin auszulegen, daß er der Nichtrückzahlung einer innerstaatlichen Abgabe, die allein auf Reis inländischen Ursprungs anläßlich seines Kaufs oder seiner Verarbeitung erhoben wird und die zur Finanzierung eines Hilfsfonds für die heimische Erzeugung bestimmt ist, an den Exporteur dieses Reises nicht entgegensteht, sofern diese Abgabe keinen Zusammenhang mit den Ausfuhrerstattungen oder deren Betrag aufweist, dadurch keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren der in der genannten Verordnung vorgesehenen Mechanismen hat und somit nicht bewirkt, daß sich der Erstattungsbetrag verringert.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 3. MAERZ 1994. - EURICO ITALIA SRL, VIAZZO SRL UND F & P SPA GEGEN ENTE NAZIONALE RISI. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CONCILIATURA DI VERCELLI UND PRETURA CIRCONDARIALE DI VERCELLI - ITALIEN. - GEMEINSAME MARKTORGANISATION FUER REIS - VERTRAGSABGABE - ERSTATTUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-332/92, C-333/92, C-335/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Conciliatura Vercelli und die Pretura circondariale Vercelli haben mit drei Beschlüssen vom 30. Juli 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 4. und am 5. August 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 40 Absatz 3 und des Artikels 5 EWG-Vertrag sowie des Artikels 17 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1418/76 des Rates vom 21. Juni 1976 über die gemeinsame Marktorganisation für Reis (ABl. L 166, S. 1) und der "Grundprinzipien für die Erhebung von Verbrauchsteuern in der Europäischen Gemeinschaft" zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in drei Verfahren zwischen den italienischen Unternehmen Eurico Italia Srl (im folgenden: Eurico Italia, in der Rechtssache C-332/92), Viazzo Srl (im folgenden: Viazzo, in der Rechtssache C-333/92) und F & P SpA (im folgenden: F & P, in der Rechtssache C-335/92) einerseits und dem Ente Nazionale Risi (im folgenden: Ente Risi) andererseits wegen einer als "Vertragsabgabe" bezeichneten finanziellen Belastung, die vom Ente Risi gemäß den italienischen Rechtsvorschriften beim Kauf von Rohreis aus italienischer Erzeugung oder bei dessen Verarbeitung zu Reis auferlegt wird.

3 Der Ente Risi, eine unter staatlicher Aufsicht stehende juristische Person, ist die italienische Interventionsstelle im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Reis. Er übt zudem verschiedene Tätigkeiten aus, die insbesondere die Aufbereitung von Daten und die Forschung auf dem Gebiet der Erzeugung und des Verbrauchs von Reis, die Bekämpfung unlauterer Handlungen in diesem Bereich und die Förderung und Verwirklichung von Initiativen zur Steigerung von Reiserzeugung und -verbrauch umfassen. Diese Tätigkeiten des Ente Risi werden durch die "Vertragsabgabe" finanziert.

4 Bei jedem Vertrag über die Veräusserung von italienischem Rohreis oder, bei Fehlen eines solchen Vertrags, im Fall der Verarbeitung von italienischem Rohreis durch den Erzeuger selbst ist nach Lage des Falles vom Käufer oder vom Erzeuger eine "Vertragsabgabe" zu entrichten.

5 Die Unternehmen Eurico Italia, Viazzo und F & P kauften bestimmte Mengen von italienischem Rohreis der Sorten "Ariete" und "Europa" zum Zweck der Verarbeitung zu Reis und der Ausfuhr. Gemäß der in Italien geltenden Regelung (Artikel 8 und 9 des Königlichen Decreto-Legge Nr. 1183 vom 11. August 1933) entrichteten sie an den Ente Risi eine "Vertragsabgabe", die sich zum maßgeblichen Zeitpunkt auf 1 000 LIT je 100 kg Rohreis belief.

6 Eurico Italia führte den Reis anschließend nach Polen aus und erhielt dafür eine Ausfuhrerstattung, während Viazzo und F & P den verarbeiteten Reis nach Frankreich beziehungsweise in das Vereinigte Königreich ausführten.

7 Da die drei Unternehmen der Auffassung waren, daß ihnen die "Vertragsabgabe" wegen dieser Ausfuhren zurückzuzahlen sei, strengte jedes von ihnen bei der Conciliatura Vercelli und der Pretura circondariale Vercelli ein Mahnverfahren gegen den Ente Risi an. Sie stützten sich im wesentlichen darauf, daß sie durch die Nichtrückzahlung der "Vertragsabgabe" gegenüber anderen Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft diskriminiert wurden. Sie machten insoweit geltend, die Nichtrückzahlung der "Vertragsabgabe" bewirke für Eurico Italia eine Minderung des Betrags der an sie gezahlten Gemeinschaftserstattung und für Viazzo und F & P eine Erhöhung ihrer Kosten, was ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtige. Diese Diskriminierung sei unvereinbar mit dem in Artikel 40 Absatz 3 EWG-Vertrag niedergelegten Grundsatz und den für die Erhebung von Verbrauchsteuern in der Gemeinschaft geltenden Grundsätzen.

8 Die Conciliatura Vercelli und die Pretura circondariale Vercelli sind der Auffassung, daß die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten von der Auslegung des Vertrags und der Verordnung Nr. 1418/76 abhänge, und haben deshalb die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

In der Rechtssache C-332/92:

1) Ist der italienische Staat oder der Ente Risi als vom Staat verschiedene Körperschaft gemäß Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 in Verbindung mit Artikel 5 EWG-Vertrag verpflichtet, den Wirtschaftsteilnehmern des fraglichen Sektors die finanzielle Belastung (Vertragsabgabe) zurückzuzahlen, mit der in Italien erzeugter Rohreis belegt wird, wenn der daraus gewonnene Reis nicht in Italien verkauft, sondern von diesen Wirtschaftsteilnehmern in andere Länder ausgeführt wurde?

2) Stellt die Nichtrückzahlung der finanziellen Belastung (Vertragsabgabe) in dem Fall, daß Reis, der aus in Italien erzeugtem, der Vertragsabgabe unterworfenem Rohreis gewonnen wurde, aus Italien in Drittländer ausgeführt wurde, neben einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag auch einen Verstoß gegen Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1418/76 dar, weil sich durch sie der Betrag der Gemeinschaftserstattung, die gemäß Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1418/76 "für die gesamte Gemeinschaft gleich" sein muß, ausschließlich für die Exporteure von in Italien erzeugtem Reis verringert?

In den Rechtssache C-333/92 und C-335/92:

1) Ist der italienische Staat oder der Ente Risi als vom Staat verschiedene Körperschaft gemäß Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 in Verbindung mit Artikel 5 EWG-Vertrag verpflichtet, den Wirtschaftsteilnehmern des fraglichen Sektors die finanzielle Belastung (Vertragsabgabe) zurückzuzahlen, mit der in Italien erzeugter Rohreis belegt wird, wenn der daraus gewonnene Reis (oder geschälte Reis) nicht in Italien verbraucht, sondern von diesen Wirtschaftsteilnehmern in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ausgeführt wurde?

2) Stellt die Nichtrückzahlung der finanziellen Belastung (Vertragsabgabe) in dem Fall, daß Reis (oder geschälter Reis), der aus in Italien erzeugtem, der Vertragsabgabe unterworfenem Rohreis gewonnen wurde, aus Italien in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ausgeführt wurde, neben einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag auch einen Verstoß gegen die Grundprinzipien für die Erhebung von Verbrauchsteuern in der Europäischen Gemeinschaft dar, wonach die Belastungen, mit denen ein Mitgliedstaat inländische Erzeugnisse belegt, den Exporteuren zurückgezahlt werden, wenn diese Erzeugnisse das Gebiet dieses Mitgliedstaats verlassen?

9 Durch Beschluß des Präsidenten vom 14. September 1992 sind die drei Rechtssachen gemäß Artikel 43 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

Zur Zulässigkeit

10 Der Ente Risi macht erstens geltend, die vorgelegten Fragen seien für unzulässig zu erklären, weil es ihm, da vor den vorlegenden nationalen Gerichten kein streitiges Verfahren stattgefunden habe, nicht möglich gewesen sei, bestimmte Einwendungen zu erheben, durch die das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren möglicherweise verhindert worden wäre.

11 Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervorgeht, kann es zwar im Interesse einer geordneten Rechtspflege liegen, daß eine Vorlagefrage erst im Anschluß an eine streitige Verhandlung vorgelegt wird. Es ist jedoch festzustellen, daß eine vorherige streitige Verhandlung nicht zu den Voraussetzungen für die Durchführung des in Artikel 177 EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens gehört und daß es allein vom nationalen Gericht zu beurteilen ist, ob die Anhörung des Beklagten vor dem Erlaß eines Vorlagebeschlusses erforderlich ist (Urteil vom 20. Oktober 1993 in der Rechtssache C-10/92, Balocchi, Randnrn. 13 und 14, noch nicht in der Sammlung veröffentlicht).

12 Der Ente Risi macht zweitens geltend, daß nach italienischem Verfahrensrecht zum einen die vorlegenden Gerichte für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten sachlich nicht zuständig seien und daß zum anderen das im Rahmen dieser Rechtsstreitigkeiten eingeleitete Mahnverfahren unzulässig sei, weil in diesem Verfahren nur die Verurteilung einer Partei und nicht - worauf die Klagen der Klägerinnen der Ausgangsverfahren in Wirklichkeit abzielten - die Feststellung des Bestehens einer Forderung möglich sei. Wenn ein Gericht nach nationalem Recht nicht zuständig sei oder wenn die Klage im Ausgangsverfahren für unzulässig zu erklären sei, so könne das nationale Gericht den Gerichtshof nicht mit einer Vorabentscheidungsfrage befassen.

13 Insoweit ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof, wie er in dem Urteil vom 14. Januar 1982 in der Rechtssache 65/81 (Reina, Slg. 1982, 33, Randnr. 7) ausgeführt hat, nach der Verteilung der Aufgaben zwischen ihm und den nationalen Gerichten nicht befugt ist nachzuprüfen, ob die Entscheidung, durch die er angerufen worden ist, den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht.

14 Der Ente Risi macht drittens geltend, da eine Präzedenzentscheidung wie das Urteil vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 2/73 (Geddo, Slg. 1973, 865) vorliege, die die in den Ausgangsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen löse, sei den vorlegenden Gerichten eine erneute Anrufung des Gerichtshofes untersagt gewesen, es sei denn, sie hätten begründet, weshalb die vom Gerichtshof bereits vorgenommene Auslegung geändert werden solle.

15 Abgesehen davon, daß die Fragen, die dem genannten Urteil Geddo zugrunde lagen, nicht mit den in den vorliegenden Rechtssachen gestellten übereinstimmen, ist insoweit daran zu erinnern, daß Artikel 177 EWG-Vertrag es den nationalen Gerichten gestattet, dem Gerichtshof Auslegungsfragen jederzeit erneut vorzulegen, wenn sie dies für angebracht halten (Urteil vom 27. März 1963 in den verbundenen Rechtssachen 28/62, 29/62 und 30/62, Slg. 1963, 65, 81).

16 Der Ente Risi macht zudem geltend, daß die vorgelegten Fragen für die Entscheidung in den Ausgangsverfahren nicht erheblich seien. In Anbetracht ihrer minimalen wirtschaftlichen Bedeutung stellten die Ausgangsverfahren Musterprozesse dar, die allein zu dem Zweck bei den vorlegenden Gerichten anhängig gemacht worden seien, eine Entscheidung des Gerichtshofes herbeizuführen.

17 Hierzu ist festzustellen, daß es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache der nationalen Gerichte ist, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der von diesem Gericht erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder Prüfung der Gültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts und den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht (siehe insbesondere Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-67/91, Asociación Española de Banca Privada u. a., Slg. 1992, I-4785, Randnrn. 25 und 26). Dies ist jedoch in den vorliegenden Ausgangsverfahren nicht der Fall.

18 Der Ente Risi macht schließlich geltend, die vorgelegten Fragen zielten in Wirklichkeit darauf ab, eine Entscheidung des Gerichtshofes über die Unvereinbarkeit der innerstaatlichen Regelung über die "Vertragsabgabe" mit dem Gemeinschaftsrecht herbeizuführen; zu einer solchen Entscheidung sei der Gerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeit in Vorabentscheidungsverfahren aber nicht befugt.

19 Zu diesem Punkt ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Anwendung von Artikel 177 EWG-Vertrag nicht befugt ist, über die Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden. Er kann aber aus der Fassung der Fragen des vorlegenden Gerichts unter Berücksichtigung des von diesem mitgeteilten Sachverhalts das herausschälen, was die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft, um diesem Gericht die Lösung der ihm vorliegenden Rechtsfrage zu ermöglichen (Urteil vom 11. Juni 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-149/91 und C-150/91, Sanders Adour und Guyomarc' h Orthez Nutrition animale, Slg. 1992, I-3899, Randnr. 10).

Zu den Vorlagefragen

Zur den drei Rechtssachen gemeinsamen ersten Frage

20 Mit ihrer ersten Frage möchten die nationalen Gerichte im wesentlichen wissen, ob Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 und Artikel 5 EWG-Vertrag dahin auszulegen sind, daß die Nichtrückzahlung einer innerstaatlichen Abgabe, die allein auf inländische Erzeugnisse anläßlich ihres Kaufs oder ihrer Verarbeitung erhoben wird und die zur Finanzierung eines Hilfsfonds für die heimische Erzeugung bestimmt ist, im Fall der Ausfuhr der genannten Erzeugnisse in einen Mitgliedstaat oder in ein Drittland eine Diskriminierung der von dieser Belastung betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bewirkt.

21 Es ist zunächst festzustellen, daß es für die Antwort auf diese erste Frage nicht darauf ankommt, ob die Ausfuhr in einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft oder in ein Drittland erfolgte.

22 Was Artikel 5 EWG-Vertrag betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung so allgemein formuliert ist, daß ihre selbständige Anwendung nicht in Frage kommt, wenn die betreffende Fallgestaltung durch eine spezifische Vorschrift des EWG-Vertrags, wie in den vorliegenden Ausgangsverfahren durch Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2, geregelt ist (Urteil vom 11. März 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-78/90 bis C-83/90, Slg. 1992, I-1847, Randnr. 19). Daher braucht über die erste Frage nicht entschieden zu werden, soweit sie sich auf Artikel 5 EWG-Vertrag bezieht.

23 Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren sind der Auffassung, die Käufer von Rohreis italienischen Ursprungs oder die Erzeuger, die diesen zu Reis verarbeiteten, würden diskriminiert, weil Rohreis aus italienischer Erzeugung durch die italienischen Vorschriften über die "Vertragsabgabe" einer anderen Regelung unterstellt werde als nicht in Italien erzeugter Rohreis.

24 Es ist festzustellen, daß den Wirtschaftsteilnehmern, die italienischen Rohreis kaufen oder verarbeiten, die oben unter Randnummer 3 beschriebenen Leistungen des Ente Risi zugute kommen, für die die "Vertragsabgabe" die Gegenleistung darstellt. Daraus folgt, daß diese Wirtschaftsteilnehmer nicht gegenüber den Wirtschaftsteilnehmern diskriminiert werden, die ihren Bedarf auf einem anderen Markt decken und deshalb die genannte Abgabe nicht zu entrichten haben, denen aber auch nicht die Leistungen des Ente Risi zugute kommen.

25 Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren machen weiterhin geltend, die Erhebung der "Vertragsabgabe" sei diskriminierend, weil sie gegen die Gemeinschaftsregelung für die Festsetzung einheitlicher Preise und die Ausfuhrerstattungen verstosse. Da die Gemeinschaftsorgane die "Vertragsabgabe" bei der Festsetzung der Reispreise und der Höhe der Ausfuhrerstattungen nicht berücksichtigten, ergebe sich für die italienischen Wirtschaftsteilnehmer eine Erhöhung der Kosten und damit eine Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.

26 Dieses Argument geht von der Voraussetzung aus, daß die auf italienischen Rohreis erhobene "Vertragsabgabe" lediglich eine die Kosten der italienischen Wirtschaftsteilnehmer erhöhende Belastung darstelle. Wie oben ausgeführt, ist sie jedoch die Gegenleistung für die zu ihren Gunsten vom Ente Risi erbrachten Leistungen.

27 Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß die Nichtrückzahlung einer innerstaatlichen Abgabe, die allein auf inländische Erzeugnisse anläßlich ihres Kaufs oder ihrer Verarbeitung erhoben wird und die zur Finanzierung eines Hilfsfonds für die heimische Erzeugung bestimmt ist, im Fall der Ausfuhr der genannten Erzeugnisse keine Diskriminierung der von dieser Belastung betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bewirkt.

Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-332/92

28 Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1418/76, der die Ausfuhrerstattungen betrifft, dahin auszulegen ist, daß er im Fall der Ausfuhr des fraglichen Erzeugnisses der Nichtrückzahlung einer Abgabe mit den oben beschriebenen Merkmalen an den Exporteur entgegensteht.

29 Nach Auffassung der Klägerinnen der Ausgangsverfahren führt der Umstand, daß die "Vertragsabgabe" bei der Ausfuhr von Reis italienischen Ursprungs in ein Drittland nicht zurückgezahlt wird, in Wirklichkeit zu einer Verringerung des Betrags der Gemeinschaftserstattung zum Nachteil der Wirtschaftsteilnehmer, die ihren Bedarf mit italienischem Reis decken. Folglich sei die Nummer 2 des Tenors des Urteils Geddo (a. a. O.) insofern unvollständig, als der Gerichtshof dort stillschweigend den Anspruch der Wirtschaftsteilnehmer auf Rückzahlung der Abgabe anerkannt habe.

30 In dem Urteil Geddo hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß eine derartige Abgabe den Ausfuhrerstattungen betreffenden Bestimmungen der Verordnung nur zuwiderläuft, falls sie bewirkt, daß sich dadurch der Erstattungsbetrag verringert.

31 Es ist darauf hinzuweisen, daß die fragliche Abgabe, die zur Finanzierung des Haushalts des Ente Risi bestimmt ist, anläßlich eines Kaufvertrags über Rohreis italienischen Ursprungs den Käufer und in dem Fall, daß der Erzeuger solchen Reis verarbeitet, diesen selbst trifft. Diese finanzielle Belastung wird also auf italienischen Reis unabhängig davon erhoben, ob er ausgeführt oder im Inland verbraucht wird.

32 Daraus folgt, daß die Vertragsabgabe in keinerlei Zusammenhang mit den Ausfuhrerstattungen steht, weil sie auch ohne eine Ausfuhr geschuldet wird. Sie steht auch in keinem Zusammenhang mit der Höhe dieser Erstattungen und hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren der in der Verordnung Nr. 1418/76 vorgesehenen Mechanismen.

33 Folglich ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C-332/92 zu antworten, daß Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1418/76 des Rates vom 21. Juni 1976 über die gemeinsame Marktorganisation für Reis, der die Ausfuhrerstattungen betrifft, dahin auszulegen ist, daß er der Nichtrückzahlung einer Abgabe mit den oben beschriebenen Merkmalen an den Exporteur des fraglichen Erzeugnisses nicht entgegensteht, sofern diese Abgabe nicht bewirkt, daß sich der Erstattungsbetrag verringert.

Zur zweiten Frage in den Rechtssachen C-333/92 und C-335/92

34 Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob die Grundprinzipien für die Erhebung von Verbrauchsteuern in der Gemeinschaft der Nichtrückzahlung einer Abgabe mit den Merkmalen der "Vertragsabgabe" an den Exporteur entgegenstehen, wenn das mit dieser Abgabe belastete Erzeugnis in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführt wird.

35 Hierzu ist festzustellen, daß die oben beschriebene Abgabe mit den Merkmalen der "Vertragsabgabe" unabhängig von der Frage, ob es derartige Prinzipien gibt, keine Verbrauchsteuer, sondern, worauf die Kommission zu Recht hingewiesen hat, eine steuerähnliche Abgabe ist.

36 Daraus folgt, daß sich eine Antwort auf die zweite Frage in den Rechtssachen C-333/92 und C-335/92 erübrigt.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von der Conciliatura Vercelli und der Pretura circondariale Vercelli mit Beschlüssen vom 30. Juli 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß die Nichtrückzahlung einer innerstaatlichen Abgabe, die allein auf inländische Erzeugnisse anläßlich ihres Kaufs oder ihrer Verarbeitung erhoben wird und die zur Finanzierung eines Hilfsfonds für die heimische Erzeugung bestimmt ist, im Fall der Ausfuhr der genannten Erzeugnisse keine Diskriminierung der von dieser Belastung betroffenen Wirtschaftsteilnehmer bewirkt.

2) Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1418/76 des Rates vom 21. Juni 1976 über die gemeinsame Marktorganisation für Reis, der die Ausfuhrerstattungen betrifft, ist dahin auszulegen, daß er der Nichtrückzahlung einer Abgabe mit den oben beschriebenen Merkmalen an den Exporteur des fraglichen Erzeugnisses nicht entgegensteht, sofern diese Abgabe nicht bewirkt, daß sich der Erstattungsbetrag verringert.

Ende der Entscheidung

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