Judicialis Rechtsprechung
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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: C-342/01
Rechtsgebiete: Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen, Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg, Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) (Spanien)
Vorschriften:
hier weiter korrigieren | |
Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung Art. 7 Abs. 1 | |
Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung Art. 15 | |
Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen Art. 8 Abs. 1 | |
Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen Art. 11 Nr. 2 Buchst. a | |
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg Art. 2 | |
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg Art. 5 Abs. 1 | |
Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) (Spanien) Art. 38 | |
Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) (Spanien) Art. 48 Abs. 4 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 18. März 2004. - María Paz Merino Gómez gegen Continental Industrias del Caucho SA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Juzgado de lo Social nº 33 de Madrid - Spanien. - Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Mutterschaftsurlaub - Arbeitnehmerinnen, deren Mutterschaftsurlaub zeitlich mit dem vereinbarten Jahresurlaub für die gesamte Belegschaft zusammenfällt, der in einer betrieblichen Kollektivvereinbarung über den Jahresurlaub vereinbart worden ist. - Rechtssache C-342/01.
Parteien:
In der Rechtssache C-342/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Juzgado de lo Social Nr. 33 Madrid (Spanien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
María Paz Merino Gómez
gegen
Continental Industrias del Caucho SA
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18), Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (Zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Richters J. N. Cunha Rodrigues in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, der Richter J.-P. Puissochet und R. Schintgen sowie der Richterinnen F. Macken und N. Colneric (Berichterstatterin),
Generalanwalt: J. Mischo,
Kanzler: R. Grass,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Frau Merino Gómez, vertreten durch G. J. Gonzalez Gil, abogada,
- der spanischen Regierung, vertreten durch R. Silva de Lapuerta als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch N. Yerrel und I. Martínez del Peral als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts der Berichterstatterin,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom
3. April 2003,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1. Mit Beschluss vom 3. September 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 12. September 2001, hat der Juzgado de lo Social Nr. 33 Madrid gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18), Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (Zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Merino Gómez (nachfolgend: Klägerin) und der Gesellschaft Continental Industrias del Caucho SA (nachfolgend: Beklagte) über einen Jahresurlaubsantrag der Klägerin, deren Mutterschaftsurlaub zeitlich mit einem der in einer betrieblichen Kollektivvereinbarung vereinbarten Zeiträume des Jahresurlaubs ihres Betriebes zusammenfiel.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3. Artikel 7 der Richtlinie 93/104 lautet:
Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
4. Artikel 15 dieser Richtlinie bestimmt:
Günstigere Vorschriften
Das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten, bleibt unberührt.
5. Nach der vierzehnten Begründungserwägung der Richtlinie 92/85 macht die Empfindlichkeit der schwangeren Arbeitnehmerin, der Wöchnerin und der stillenden Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Mutterschaftsurlaub erforderlich.
6. Artikel 2 dieser Richtlinie definiert für deren Zwecke die Begriffe schwangere Arbeitnehmerin, Wöchnerin und stillende Arbeitnehmerin unter Verweis auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten.
7. Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 92/85 lautet:
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.
8. Artikel 11 dieser Richtlinie bestimmt:
Mit dem Arbeitsvertrag verbundene Rechte
Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten Rechte in Bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird Folgendes vorgesehen:
...
2. In dem in Artikel 8 genannten Fall müssen gewährleistet sein:
a) die mit dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b) genannten;
b) die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2.
...
9. In Artikel 2 Absätze 1 und 3 der Richtlinie 76/207 heißt es:
(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe oder Familienstand - erfolgen darf.
...
(3) Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen.
10. Artikel 5 dieser Richtline sieht vor:
(1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet, dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gewährt werden.
(2) Zu diesem Zweck treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen,
...
b) dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen, in Betriebsordnungen sowie in den Statuten der freien Berufe nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können;
...
Nationales Recht
Das anwendbare Gesetz
11. Artikel 38 des durch das Real Decreto Legislativo (Königliches Gesetzesdekret) Nr. 1/1995 vom 24. März 1995 (BOE Nr. 75 vom 29. März 1995, S. 9654) genehmigten Estatuto de los Trabajadores (nachfolgend: Arbeitnehmerstatut) bestimmt:
1. Der bezahlte, nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzbare Jahresurlaub wird durch Tarifvertrag oder durch Einzelvertrag festgesetzt. Er darf 30 Kalendertage auf keinen Fall unterschreiten.
2. Die Urlaubszeit oder zeiten werden im Einklang mit etwaigen kollektivvertraglichen Bestimmungen über die Jahresurlaubsplanung vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einvernehmlich festgesetzt.
...
12. In Artikel 48 Absatz 4 des Arbeitnehmerstatuts heißt es:
Im Fall der Entbindung wird der Vertrag für einen Zeitraum von sechzehn aufeinanderfolgenden Wochen suspendiert, der bei Mehrfachgeburten vom zweiten Kind an um zwei Wochen pro Kind verlängert werden kann. Der Zeitraum der Suspendierung wird mit der Maßgabe, dass mindestens sechs Wochen unmittelbar auf die Entbindung folgen, gemäß dem Wunsch der Betroffenen aufgeteilt....
Der Tarifvertrag
13. Die Beziehungen zwischen der Beklagten, einer Reifenherstellerin, und ihrer Belegschaft richten sich nach dem Tarifvertrag für die chemische Industrie. Dieser sieht in seinem Artikel 46 über die Aussetzung des Arbeitsvertrags wegen Mutterschaft einen Zeitraum von 16 Wochen vor, der dem gesetzlichen Zeitraum entspricht.
14. Artikel 43 dieses Tarifvertrags regelt den Jahresurlaub und dessen Dauer. Diese beträgt 30 Kalendertage, wobei zwischen Juni und September mindestens 15 Tage zusammenhängend zu nehmen sind.
Die betriebliche Kollektivvereinbarung
15. Mit betrieblicher Kollektivvereinbarung, die am 7. Mai 2001 zwischen der Beklagten und den Arbeitnehmervertretern nach einer Schlichtung im Rahmen eines auf Antrag der Arbeitnehmervertreter eingeleiteten Verfahrens zur Beilegung eines kollektivrechtlichen Streites geschlossen wurde, wurden zwei allgemeine Urlaubszeiträume für die gesamte Belegschaft festgelegt, nämlich die Zeiten vom 16. Juli bis zum 12. August 2001 und vom 6. August bis zum 2. September 2001.
16. Diese Kollektivvereinbarung sah auch vor, dass sechs Arbeitnehmer ihren Urlaub ausnahmsweise im September nehmen konnten. Während dieses Ausnahmezeitraums konnten vorrangig solche Arbeitnehmer Urlaub nehmen, die im Vorjahr ihre Urlaubszeit nicht hatten wählen können.
Der Ausgangsrechtsstreit
17. Die Klägerin ist seit dem 12. September 1994 als Arbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Sie befand sich vom 5. Mai 2001 bis zum 24. August 2001 im Mutterschaftsurlaub.
18. Im Jahr 2000 hatte sie ihre Urlaubszeit wählen können, so dass sie gemäß der betrieblichen Kollektivvereinbarung vom 7. Mai 2001 ihren Jahresurlaub nicht während des Ausnahmezeitraums im September 2001 hätte nehmen können.
19. Gleichwohl beantragte sie ihren Jahresurlaub für die Zeit vom 25. August bis zum 21. September 2001 oder, hilfsweise, vom 1. September bis zum 27. September 2001, also für einen Zeitraum, der sich an ihren Mutterschaftsurlaub anschloss.
20. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab.
21. Diese erhob am 6. Juni 2001 wegen ihres Urlaubsantrags Klage bei den Juzgados de lo Social Madrid gegen die Beklagte.
Die Vorlagefragen
22. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts hatten die spanischen Gerichte bereits über Fälle wie den des Ausgangsverfahrens zu entscheiden, in denen Mutterschaftsurlaub zeitlich mit den für die Belegschaft kollektiv festgelegten Urlaubszeiten zusammengefallen seien. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass verschiedene höhere Gerichte, so das Tribunal Supremo in seinen Urteilen vom 30. November 1995 und vom 27. Juni 1996, das Tribunal Superior de Justicia von Navarra in seinem Urteil vom 10. Februar 2000, das von Andalusien in seinem Urteil vom 7. Dezember 1999 und das von Madrid in seinem Urteil vom 13. Juli 1999, die Ansicht vertreten hätten, dass die Arbeitnehmerin in solchen Fällen keinen Anspruch darauf habe, ihren Jahresurlaub zu einer anderen als der mit der betrieblichen Kollektivvereinbarung festgelegten Zeit zu nehmen, weil die Beachtung des so Vereinbarten dem individuellen Urlaubsanspruch der Arbeitnehmerin vorgehe.
23. Das vorlegende Gericht teilt diese Ansicht nicht. Es weist darauf hin, dass in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 7 der Richtlinie 93/104 im Urteil vom 26. Juni 2001 in der Rechtssache C173/99 (BECTU, Slg. 2001, I4881), zu Artikel 8 der Richtlinie 92/85 im Urteil vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C411/96 (Boyle u. a., Slg. 1998, I6401) und zur Richtlinie 76/207 im Urteil vom 30. April 1998 in der Rechtssache C136/95 (Thibault, Slg. 1998, I2011) der Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung schwangerer oder stillender Frauen bedeute, dass eine Arbeitnehmerin ihren Jahresurlaub in einem anderen Zeitraum als dem ihres Mutterschaftsurlaubs nehmen können müsse, wenn die zuvor durch eine betriebliche Kollektivvereinbarung zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern festgelegten Zeiten des Jahresurlaubs mit der Zeit ihres Mutterschaftsurlaubs zusammenfielen. Ließe man ein Zusammenfallen der beiden Urlaubszeiträume zu, käme es zum Wegfall eines von ihnen, hier des Jahresurlaubs.
24. Der Umstand, dass die Urlaubszeiten für die gesamte Belegschaft zuvor durch eine betriebliche Kollektivvereinbarung festgelegt worden seien, zwinge nicht zu einer anderen Betrachtung. Um der Gemeinschaftsregelung, die den Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung sowie das Recht auf Jahresurlaub verbürge, Rechnung zu tragen, hätte in der Kollektivvereinbarung vom 7. Mai 2001 die besondere Situation schwangerer Arbeitnehmerinnen des Unternehmens dadurch berücksichtigt werden müssen, dass ihnen der Anspruch sowohl auf Mutterschafts als auch auf Jahresurlaub garantiert worden wäre. Unter Berufung auf das Urteil vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C333/97 (Lewen, Slg. 1999, I7243) ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass diese betriebliche Kollektivvereinbarung gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße, weil sie keine solche Regelung enthalte.
25. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts müsste im Fall der Bejahung seiner ersten Frage, d. h. bei Bestätigung seiner Auslegung des Gemeinschaftsrechts, im vorliegenden Fall eine zweite Frage geklärt werden. Der Arbeitnehmerin stehe nach nationalem Recht ein um zwei Wochen längerer Mutterschaftsurlaub zu als der Mindesturlaub nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 92/85, und sie habe nach der nationalen Regelung auch Anspruch auf 30 Kalendertage Jahresurlaub, also auf zwei Tage mehr als die in Artikel 7 der Richtlinie 93/104 zuerkannten vier Wochen (28 Tage).
26. Da das nationale Recht für die Arbeitnehmer günstiger sei als die Richtlinie 92/85 müsse der Arbeitnehmerin der nach dem nationalen Recht und dem anwendbaren Tarifvertrag vorgesehene Anspruch auf 30 Kalendertage Jahresurlaub gewährt werden.
27. Das vorlegende Gericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Gewährleisten Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104, Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207, wenn die zwischen einem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern geschlossenen betrieblichen Kollektivvereinbarungen die Urlaubszeiten für die gesamte Belegschaft festlegen und diese Zeiten mit dem Mutterschaftsurlaub einer Arbeitnehmerin zusammenfallen, dieser Arbeitnehmerin den Anspruch, ihren Jahresurlaub in einem anderen als dem vereinbarten Zeitraum zu nehmen, der nicht mit ihrem Mutterschaftsurlaub zusammenfällt?
2. Umfasst bejahendenfalls der Anspruch auf Jahresurlaub materiell nur die nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104 vorgesehenen vier Wochen Urlaub, oder erstreckt er sich auf die im nationalen Recht nach Artikel 38 Absatz 1 des Arbeitnehmerstatuts vorgesehenen 30 Kalendertage?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
28. Gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.
29. Der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und dessen Umsetzung durch die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 93/104 ausdrücklich gezogenen Grenzen erfolgen darf (Urteil BECTU, Randnr. 43).
30. Insoweit ist es bezeichnend, dass diese Richtlinie als Regel vorschreibt, dass der Arbeitnehmer normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können muss, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit sichergestellt ist, denn nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lässt Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird (Urteil BECTU, Randnr. 44).
31. Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104, nach dem die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung [treffen], die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind, ist dahin zu verstehen, dass durch die nationalen Anwendungsmodalitäten auf jeden Fall der Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen gewahrt sein muss.
32. Der Anspruch auf Jahresurlaub dient einem anderen Zweck als der Anspruch auf Mutterschaftsurlaub. Letzterer dient zum einen dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft und zum anderen dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die an die Schwangerschaft und die Entbindung anschließt (siehe Urteile vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 184/83, Hofmann, Slg. 1984, 3047, Randnr. 25, Thibault, Randnr. 25, und Boyle u. a., Randnr. 41).
33. Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104 ist somit dahin auszulegen, dass die Anforderungen der Richtlinie hinsichtlich des bezahlten Jahresurlaubs nicht als erfuellt angesehen werden können, wenn der Mutterschaftsurlaub einer Arbeitnehmerin zeitlich mit dem Jahresurlaub für die Belegschaft zusammenfällt.
34. Überdies sieht Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 vor, dass die mit dem Arbeitsvertrag einer Arbeitnehmerin verbundenen anderen Rechte als die unter Buchstabe b dieser Vorschrift genannten im Fall des Mutterschaftsurlaubs gewährleistet sein müssen.
35. Dies muss deshalb auch für den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gelten.
36. Zur Richtlinie 76/207 ist festzustellen, dass sie die zeitliche Festlegung des bezahlten Jahresurlaubs erfasst (siehe für die Festlegung des Beginns des Mutterschaftsurlaubs Urteil Boyle u. a., Randnr. 47).
37. Diese Richtlinie zielt auf eine inhaltliche, nicht auf eine formale Gleichheit ab. Die Ausübung der Rechte, die Frauen nach Maßgabe des Artikels 2 Absatz 3 der Richtlinie durch Vorschriften gewährt werden, die sie bei Schwangerschaft und Mutterschaft schützen sollen, darf nämlich für sie nicht zu Nachteilen bei den Arbeitsbedingungen führen (siehe Urteil Thibault, Randnr. 26).
38. Daraus folgt, dass Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine Arbeitnehmerin ihren Jahresurlaub zu einer anderen Zeit als der ihres Mutterschaftsurlaubs nehmen können muss.
39. Nichts anderes gilt, wenn der Mutterschaftsurlaub zeitlich mit dem durch eine betriebliche Kollektivvereinbarung allgemein festgelegten Jahresurlaub für die gesamte Belegschaft zusammenfällt.
40. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 76/207 die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Bestimmungen in Tarifverträgen nichtig sind, für nichtig erklärt oder geändert werden können.
41. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104, Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sind, dass eine Arbeitnehmerin ihren Jahresurlaub auch dann zu einer anderen Zeit als der ihres Mutterschaftsurlaubs nehmen können muss, wenn der Mutterschaftsurlaub zeitlich mit dem durch eine betriebliche Kollektivvereinbarung allgemein festgelegten Jahresurlaub für die gesamte Belegschaft zusammenfällt.
Zur zweiten Frage
42. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Arbeitnehmerin die im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Mindestzahl von Jahresurlaubstagen oder die im nationalen Recht vorgesehene höhere Zahl zusteht.
43. Nach Artikel 15 der Richtlinie 93/104 berührt diese nicht das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder die Anwendung von für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigeren Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zu gestatten.
44. Hat sich ein Mitgliedstaat für eine längere Dauer als die von der Richtlinie vorgeschriebene Mindestdauer des Jahresurlaubs entschieden, so wird für Frauen, die sich zur Zeit des Jahresurlaubs der gesamten Belegschaft im Mutterschaftsurlaub befanden, der Anspruch auf den längeren Jahresurlaub von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 erfasst.
45. Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 dahin auszulegen ist, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auch den Anspruch einer Arbeitnehmerin auf einen im nationalen Recht vorgesehenen Jahresurlaub erfasst, der länger ist als der in der Richtlinie 93/104 vorgesehene Mindesturlaub.
Kostenentscheidung:
Kosten
46. Die Auslagen der spanischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Juzgado de lo Social Nr. 33 Madrid mit Beschluss vom 3. September 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (Zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) und Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass eine Arbeitnehmerin ihren Jahresurlaub auch dann zu einer anderen Zeit als der ihres Mutterschaftsurlaubs nehmen können muss, wenn der Mutterschaftsurlaub zeitlich mit dem durch eine betriebliche Kollektivvereinbarung allgemein festgelegten Jahresurlaub für die gesamte Belegschaft zusammenfällt.
2. Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens auch den Anspruch einer Arbeitnehmerin auf einen im nationalen Recht vorgesehenen Jahresurlaub erfasst, der länger ist als der in der Richtlinie 93/104 vorgesehene Mindesturlaub.
Ende der Entscheidung
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