Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: C-342/05
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/43/EWG, EG


Vorschriften:

Richtlinie 92/43/EWG Art. 12 Abs. 1
Richtlinie 92/43/EWG Art. 16 Abs. 1
EG Art. 226
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

14. Juni 2007

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 92/43/EWG - Erhaltung der natürlichen Lebensräume - Wildlebende Tiere und Pflanzen - Jagd auf Wölfe"

Parteien:

In der Rechtssache C-342/05

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 14. September 2005,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und I. Koskinen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Republik Finnland, vertreten durch E. Bygglin als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter K. Schiemann, J. Makarczyk, L. Bay Larsen (Berichterstatter) und J.-C. Bonichot,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. November 2006

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragt mit ihrer Klage die Feststellung, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie) verstoßen hat, dass sie abweichend von den Ausnahmeregelungen in Art. 16 Abs. 1 der genannten Richtlinie die Wolfsjagd erlaubt hat.

Rechtlicher Rahmen

Die Habitatrichtlinie

2 Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:

a) alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;

..."

3 Anhang IV der Habitatrichtlinie trägt die Überschrift "Streng zu schützende Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse". In Anhang IV Buchst. a in der Fassung der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1, im Folgenden: Anhang IV Buchst. a) ist folgende Art aufgeführt: "Canis lupus (mit Ausnahme der finnischen Populationen innerhalb des Rentierhaltungsareals im Sinne von Paragraf 2 des finnischen Gesetzes Nr. 848/90 vom 14. September 1990 über die Rentierhaltung)".

4 Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie sieht vor:

"Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:

a) zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;

b) zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;

c) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;

..."

5 Der Erhaltungszustand von Arten wird in Art. 1 Buchst. i der Habitatrichtlinie definiert:

"i) 'Erhaltungszustand einer Art': die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können.

Der Erhaltungszustand wird als 'günstig' betrachtet, wenn

- aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und

- das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und

- ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern."

Die finnische Regelung

6 Aus den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ergibt sich, dass die Art. 12 und 16 der Habitatrichtlinie weitgehend wortlautgetreu ins finnische Jagdrecht umgesetzt worden sind.

7 Für die Genehmigung des Abschusses von Wölfen bestehen jedoch besondere Regelungen. Der Abschuss eines Wolfs wird vom zuständigen Wildschutzbezirk von Fall zu Fall genehmigt. Die regionalen Abschussquoten, d. h. die Höchstzahl der Wölfe, die in den einzelnen Bezirken in der Jagdzeit vom 1. November bis zum 31. März erlegt werden dürfen, setzt dagegen das Ministerium für Landwirtschaft und Forsten fest. Diese Quoten werden so festgesetzt, dass der Bestand an Wölfen im jeweiligen Bezirk nicht bedroht ist. Berücksichtigt wird alles, was über die Mortalität dieser Tiere, insbesondere aufgrund von Unfällen im Straßenverkehr und aufgrund menschlicher Aktivitäten, bekannt ist.

8 Bei der Genehmigung der Jagd müssen die Wildschutzbezirke prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie erfüllt sind, der in nationales Recht umgesetzt worden ist. Wenn eine regionale Abschussquote ausgeschöpft ist, ist ihre Überschreitung nur unter Beachtung der in Art. 16 Abs. 1 aufgestellten Voraussetzungen möglich und bedarf einer besonderen ministeriellen Genehmigung.

9 Außerdem darf zwar die Polizei unter außergewöhnlichen Umständen Tiere töten, doch nur unter den in Randnr. 8 dieses Urteils erwähnten Voraussetzungen.

Das Vorverfahren

10 Die Kommission leitete das Vertragsverletzungsverfahren durch Übersendung eines Mahnschreibens vom 10. April 2001 an die Republik Finnland ein. Nachdem diese hierauf mit Schreiben vom 6. Juli 2001 geantwortet hatte, gab die Kommission am 26. Juni 2002 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Darin führte sie aus, dass die Wolfsjagd in der Weise, in der sie genehmigt werde, nicht den in Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie aufgestellten Voraussetzungen genüge, da in Finnland der Erhaltungszustand des Wolfs nicht günstig sei, anderweitige Lösungen möglich seien und die Abschussgenehmigungen erteilt würden, ohne dass ein Zusammenhang mit den einzelnen Tieren, die ernste Schäden verursachten, nachgewiesen sei. Die Republik Finnland antwortete auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 28. August 2002.

11 Die Kommission war jedoch der Ansicht, dass die gerügte Vertragsverletzung fortbestehe, und hat daher am 14. September 2005 die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

12 Die Kommission führt zunächst aus, dass der Wolf in Finnland eine gefährdete Art sei und dass daher der Erhaltungszustand in diesem Mitgliedstaat nicht als günstig betrachtet werden könne.

13 Sodann verstoße die finnische Praxis, nach der die Jagd aus Gründen der Prävention genehmigt werde, gegen Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie. Wenn es sich als sehr wahrscheinlich herausstelle, dass ein Wolf ernste Schäden verursache, könnten diese Schäden im Allgemeinen nämlich auf andere Weise als durch einen präventiven Abschuss verhütet werden. In Betracht kämen dabei die Verwendung von Abschreckungsvorrichtungen, Geruchsstoffen, Elektrozäunen u. a., das Einsperren des Viehs oder der Hunde bei Nacht oder der Ersatz der entstandenen Schäden. Wenn die Abschussgenehmigungen aus Gründen der Prävention erteilt würden, würden wahrscheinlich kaum die Wölfe abgeschossen, die ernste Schäden verursachten. Jedenfalls würden diese Genehmigungen von den finnischen Behörden erteilt, ohne dass ein Zusammenhang mit den einzelnen Tieren, die solche Schäden verursachten, nachgewiesen sei. Unter diesen Umständen sei die Jagd kein sehr wirksames Mittel, solchen Schäden vorzubeugen.

14 Schließlich seien die vom Ministerium für Landwirtschaft und Forsten im Voraus für einen begrenzten Zeitraum festgesetzten jährlichen Regionalquoten nicht gerechtfertigt, weil Ausnahmen vom strengen Schutzsystem gemäß Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie unabhängig vom betroffenen Zeitraum und getrennt für jede Abschussgenehmigung geprüft werden müssten. Im Übrigen führe die Praxis der finnischen Behörden dazu, dass Wölfe rechtmäßig abgeschossen werden könnten, auch wenn die vom Ministerium für Landwirtschaft und Forsten festgesetzte Höchstquote weit überschritten werde. So sei insbesondere in der Jagdzeit 2003/04 die Höchstquote auf 8 Wölfe festgesetzt worden, doch seien darüber hinaus 11 Ausnahmegenehmigungen und zwei Genehmigungen von der Polizei erteilt worden. Insgesamt seien in dieser Jagdzeit 12 Wölfe abgeschossen worden.

15 Da der Erhaltungszustand des Wolfs in Finnland nicht günstig sei, anderweitige Lösungen möglich seien und die Abschussgenehmigungen erteilt würden, ohne dass ein Zusammenhang mit den einzelnen Tieren, die ernste Schäden verursachten, nachgewiesen sei, werde die Jagd auf Wölfe in Finnland in einem Umfang genehmigt, der gegen die in Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie aufgestellten Voraussetzungen verstoße.

16 Die finnische Regierung macht geltend, dass für die Jagd auf Wölfe eine Genehmigung erforderlich sei, die auf schriftlichen, begründeten Antrag erteilt werden könne. Der Antrag, in dem das Gebiet und die Zahl der betreffenden Tiere angegeben werden müssten, sei beim örtlichen Wildschutzbezirk einzureichen. Dieser Bezirk, der über die entsprechenden Kenntnisse hinsichtlich seines Gebiets verfüge, prüfe, ob die Jagd der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Art abträglich sei, ob anderweitige zufriedenstellende Lösungen möglich seien und ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie erfüllt seien.

17 Ferner würden die Entscheidungen über die Abschussgenehmigungen auch nach Maßgabe einer vom Ministerium für Landwirtschaft und Forsten festgesetzten regionalen Höchstquote für die Exemplare, die in den einzelnen Wildschutzgebieten gejagt werden könnten, getroffen. Die Quote entspreche der Anzahl Tiere, die aus biologischer Sicht entfernt werden könnten, ohne dass die Population gefährdet sei. Es handele sich also nicht um ein Kontingent, das erreicht oder ausgeschöpft werden müsse.

18 Die finnische Regierung macht geltend, dass ihre Praxis der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Wolfspopulation in Finnland nicht abträglich sei. Diese Population sei nämlich im Lauf der letzten Jahre erheblich angewachsen. Das gleiche gelte für das geografische Verbreitungsgebiet. Im Übrigen deuteten die Angaben über die Populationsdynamik der Art darauf hin, dass diese langfristig ein lebensfähiges Element der natürlichen Lebensräume, denen sie angehöre, bilden könne.

19 In Bezug auf die Voraussetzung "[s]ofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt" macht die finnische Regierung geltend, dass eine ganze Reihe verschiedener Maßnahmen, allein oder in Verbindung miteinander, im Rahmen des Möglichen getroffen würden, um die von den Wölfen verursachten Schäden zu verhüten oder zu mindern. Jedenfalls zögen die Wildschutzbezirke vor Erteilung einer Abschussgenehmigung jede andere zufriedenstellende Lösung in Erwägung. Die Ersatzlösungen, die die Kommission im vorliegenden Fall erwähne, seien jedoch nicht für jeden einzelnen Fall geeignet.

20 Entgegen der Ansicht der Kommission untersage es Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nicht, Ausnahmen vom strengen Schutzsystem zuzulassen, um ernste Schäden zu verhüten. Unzutreffend sei auch, dass in den Entscheidungen der zuständigen nationalen Behörden über die Genehmigung des Abschusses von Wölfen nicht die einzelnen Wölfe identifiziert würden, die ernste Schäden verursachten. In diesen Entscheidungen würden nämlich genau die von diesen Genehmigungen abgedeckten geografischen Gebiete angegeben, wo sich die Wölfe, die solche Schäden verursachten, aufhielten. Da der Wolf jedoch ein Rudeltier sei, könnten in den Abschussgenehmigungen nicht stets das oder die einzelnen Exemplare bestimmt werden, die diese Schäden verursachten. Wenn allerdings die betreffenden Tiere eines Rudels bekannt seien, würden diese in der Genehmigung zum Abschuss freigegeben. Im Übrigen könne sich die Abschussgenehmigung, wenn das betreffende Tier allein umherwandere, auch auf dieses einzelne Exemplar beziehen.

Würdigung durch den Gerichtshof

21 Wie die Generalanwältin in Nr. 16 ihrer Schlussanträge zu Recht ausgeführt hat, beanstandet die Kommission mit der vorliegenden Klage weder die finnische Regelung noch einen konkreten Fall des Abschusses von Wölfen, sondern die Verwaltungspraxis der finnischen Behörden bei der Wolfsjagd.

22 Auch wenn die anwendbare nationale Regelung als solche mit dem nationalen Recht vereinbar ist, kann sich eine Vertragsverletzung doch aus dem Bestehen einer Verwaltungspraxis ergeben, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt (vgl. Urteil vom 27. April 2006, Kommission/Deutschland, C-441/02, Slg. 2006, I-3449, Randnr. 47).

23 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Ihr obliegt es, dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es ihm ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, wobei sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen kann (vgl. insbesondere Urteile vom 6. November 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-434/01, Slg. 2003, I-13239, Randnr. 21, und Kommission/Deutschland, Randnr. 48).

24 Daher hat die Kommission in der vorliegenden Rechtssache nachzuweisen, dass die Praxis in Finnland das strenge Schutzsystem beeinträchtigt, das nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie für Wölfe als in Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie genannte Tierart vorgesehen ist, weil die Ausnahmen von diesem System nicht unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie genehmigt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 22).

25 Da die letztgenannte Bestimmung eine Ausnahmeregelung vorsieht, die eng auszulegen ist und bei der die Beweislast für das Vorliegen der für jede Abweichung erforderlichen Voraussetzungen die Stelle trifft, die über sie entscheidet, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jeder Eingriff, der die geschützten Arten betrifft, nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2006, WWF Italia u. a., C-60/05, Slg. 2006, I-5083, Randnr. 34).

26 Im vorliegenden Fall steht Folgendes fest:

- Die finnischen Behörden genehmigen jedes Jahr in beschränktem Umfang ausnahmsweise die Wolfsjagd.

- Im Bericht über die Bedrohung der Arten in Finnland im Jahr 2000, der 2001 vom Umweltministerium und dem finnischen Umweltzentrum veröffentlicht worden ist (Pertti Rassi, Aulikki Alanen, Tiina Kanerva und Ilpo Mannerkoski [Hrsg.]: Suomen lajien uhanalaisuus 2000. Uhanalaisten lajien II seurantaryhmä. Ympäristöministeriö & Suomen ympäristökeskus, Helsinki 2001), ist der Wolf in Finnland unter die bedrohten Arten eingereiht worden.

- Der Bericht enthält den Hinweis, dass es weniger als 50 fortpflanzungsfähige Tiere gibt. Diese Zahl ist die kritische Grenze, unterhalb deren die Art vom Aussterben bedroht ist.

- Nach Nr. 7.2 des 2005 vom Ministerium für Landwirtschaft und Forsten veröffentlichten Bewirtschaftungsplans für die Wolfspopulation (im Folgenden: Bewirtschaftungsplan) muss Finnland schätzungsweise über 20 fortpflanzungsfähige Paare verfügen, um die langfristige Aufrechterhaltung der Wolfspopulation als ein lebensfähiges Element seiner natürlichen Lebensräume zu gewährleisten.

- Für die Jahre 2001, 2002, 2003 und 2004 wurde die Zahl der fortpflanzungsfähigen Paare gemäß Nr. 2.1.5 des Bewirtschaftungsplans auf 11, 12, 13 bzw. 16 geschätzt.

27 Somit war der Erhaltungszustand des Wolfes in Finnland bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nach dem Kriterium in Art. 1 Buchst. i erster Gedankenstrich der Habitatrichtlinie nicht günstig.

28 Nach Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie ist aber der günstige Erhaltungszustand der Populationen der betreffenden Tierarten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet eine unabdingbare Voraussetzung für die Zulassung der in dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahmen (vgl. Urteil vom 10. Mai 2007, Kommission/Österreich, C-508/04, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 115).

29 Bei dieser Sachlage sind solche Ausnahmen unter außergewöhnlichen Umständen weiterhin zulässig, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern können. Entsprechend den Erwägungen der Kommission insbesondere in den Nrn. 47 bis 51 des Abschnitts III ihres Leitfadens zum strengen Schutz der Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse gemäß der Habitatrichtlinie (Guidance document on the strict protection of animal species of community interest provided by the "Habitats" Directive 92/43/EEC, endg. Fassung, Februar 2007) kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Tötung einer Reihe von Exemplaren sich auf das in Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie genannte Ziel der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Wolfspopulation innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets nicht auswirkt. Eine Ausnahme wäre in einem solchen Fall daher für die betreffende Art neutral.

30 Aus den beiden Entscheidungen über die Genehmigung des Abschusses von Wölfen, die die finnischen Behörden getroffen hatten, bevor die Kommission der Republik Finnland das Mahnschreiben übersandt hatte, und die dem Gerichtshof von der Kommission vorgelegt worden sind, geht hervor, dass die Behörden in beiden Fällen die Jagd auf eine bestimmte Anzahl von Wölfen in einem genau begrenzten geografischen Gebiet erlaubt haben, ihrer Entscheidung jedoch keine Beurteilung des Erhaltungszustands der Art zugrunde gelegt haben, keine genaue und angemessene Begründung für ihre Annahme geliefert haben, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gab, und nicht genau die Wölfe bestimmt haben, die ernste Schäden verursachen und abgeschossen werden durften. 31 Solche Entscheidungen, denen keine Beurteilung der Auswirkungen zugrunde liegt, die der mit ihnen genehmigte Abschuss der Wölfe auf die Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands dieser Population in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet haben kann, und die keine genaue und angemessene Begründung für die Annahme enthalten, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, verstoßen gegen Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie.

32 Nach der Feststellung in Randnr. 21 dieses Urteils beanstandet die Kommission mit der vorliegenden Klage jedoch keine konkreten Fälle, sondern die Verwaltungspraxis der finnischen Behörden.

33 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann das Verhalten eines Staates, das in einer den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts widersprechenden Verwaltungspraxis besteht, zwar eine Vertragsverletzung im Sinne von Art. 226 EG darstellen, doch muss es sich hierbei um eine in bestimmtem Grad verfestigte und allgemeine Praxis handeln (vgl. insbesondere Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 50).

34 Darüber hinaus ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung nach ständiger Rechtsprechung anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die ihm in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden ist (vgl. insbesondere Urteil vom 26. April 2005, Kommission/Irland, C-494/01, Slg. 2005, I-3331, Randnr. 29).

35 Im vorliegenden Fall hat die Kommission keine der Entscheidungen über die Genehmigung des Abschusses von Wölfen vorgelegt, die die finnischen Behörden nach den in Randnr. 30 des vorliegenden Urteils erwähnten Entscheidungen erlassen haben, ausgenommen zwei Entscheidungen von 2006, die sie erwähnt, um die in diesem Bereich inzwischen von den finnischen Behörden erzielten Fortschritte hervorzuheben.

36 Im Übrigen hat die Kommission, die diesen Behörden im vorliegenden Verfahren niemals einen Mangel an loyaler Zusammenarbeit bezüglich der Übermittlung von Abschussgenehmigungen vorgeworfen hat, dem Gerichtshof keine Entscheidung dieser Art vorgelegt, die aus der Zeit stammt, in der das Vorverfahren abgeschlossen wurde, und dem Gerichtshof die für eine Prüfung der Begründetheit der vorgetragenen Rügen notwendigen Tatsachen hätte vermitteln können.

37 Zudem ist daran zu erinnern, dass gemäß der Feststellung in Randnr. 26 dieses Urteils die Anzahl der fortpflanzungsfähigen Paare in der Zeit von 2001 bis 2004 von 11 auf 16 gestiegen ist. Auch ist unbestritten, dass im selben Zeitraum die Gesamtzahl der in Finnland vorhandenen Wölfe von einer Spanne zwischen 110 und 130 Exemplaren auf eine Spanne zwischen 185 und 200 Exemplaren gewachsen ist.

38 Auch wenn diese Zahlen an für sich kein zwingender Beweis sind, können sie doch belegen, dass sich trotz der in Finnland in Ausnahmefällen genehmigten Jagd auf Wölfe der Erhaltungszustand der betreffenden Art dort vom Beginn des Vorverfahrens bis zum Ende eines bedeutenden Teils des Zeitraums vor Erhebung der vorliegenden Klage spürbar immer weiter verbessert hat.

39 Somit hat die Kommission keinen hinreichenden Beweis für eine Verwaltungspraxis der finnischen Behörden erbracht, wonach diese die Abschussgenehmigungen für Wölfe erteilten, ohne ihrer Entscheidung eine Beurteilung des Erhaltungszustands der Art zugrunde zu legen oder eine genaue und angemessene Begründung für ihre Annahme zu liefern, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt.

40 Zur Rüge der Kommission, die Abschussgenehmigungen würden aus Gründen der Prävention oder jedenfalls ohne hinreichenden Nachweis eines Zusammenhangs mit den einzelnen Tieren, die ernste Schäden verursachten, erteilt, ist festzustellen, dass Art. 16. Abs. 1 der Habitatrichtlinie, wie die Generalanwältin in Nr. 29 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nicht verlangt, dass ein ernster Schaden abgewartet werden muss, bevor Ausnahmemaßnahmen erlassen werden.

41 Allerdings können sich die Abschussgenehmigungen, wie die finnische Regierung einräumt, nicht immer auf die Exemplare beziehen, die ernste Schäden verursachen, weil der Wolf ein Tier ist, das im Allgemeinen im Rudel lebt.

42 Doch auch wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Genehmigung zum Abschuss eines oder mehrerer Tiere eines Wolfsrudels, dem einige Tiere angehören, die solche Schäden verursachen oder verursachen können, diesen Schäden vorbeugen, sie ausschalten oder verringern kann, lässt sich den Akten nichts entnehmen, was diese Annahme bestätigen könnte.

43 Wie in Nr. 5.4.5 des Bewirtschaftungsplans ausgeführt wird, führt nach der einen Ansicht die Bejagung zu einer gewissen Scheu der Wölfe vor den Menschen und trägt damit zur Verringerung der Schäden bei, während nach der anderen Ansicht die Jagd auf Wölfe, die zu einem Rudel gehören, die Schäden vermehrt. Im Übrigen wird festgestellt, dass hierzu nur wenige biologische Studien vorlägen.

44 Unter diesen Umständen greift die Rüge der Kommission durch, die sich auf die Erteilung der Abschussgenehmigungen aus Gründen der Prävention bezieht.

45 Der Umstand, dass die Entscheidungen über die Abschussgenehmigungen für Wölfe auch die regionale Höchstquote für die Tiere, die in den einzelnen Wildschutzbezirken abgeschossen werden können, berücksichtigen müssen, kann nicht als Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie betrachtet werden. Denn diese Quote, die nach der Zahl der Tiere festgesetzt wird, die beseitigt werden können, ohne dass die betreffende Art gefährdet wird, bildet, wie die Generalanwältin in Nr. 33 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nur den Rahmen, innerhalb dessen die Wildschutzbezirke Abschussgenehmigungen erteilen können, wenn im Übrigen die Voraussetzungen von Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie erfüllt sind.

46 Die Tatsache, dass in der Jagdzeit 2003/04 die Höchstquote tatsächlich überschritten wurde, ist insbesondere angesichts der Feststellungen in Randnr. 8 des vorliegenden Urteils noch kein Beweis, dass die finnischen Behörden Abschussgenehmigungen in einem Umfang erteilt haben, der die Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands der Wolfspopulation in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet beeinträchtigen könnte.

47 Nach alledem hat die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Habitatrichtlinie verstoßen, dass sie die Jagd auf Wölfe aus Gründen der Prävention erlaubt, ohne dass nachgewiesen ist, dass die Jagd zur Verhütung ernster Schäden im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie geeignet ist; im Übrigen ist die Klage der Kommission abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

48 Nach Art. 69 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn u. a. jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt.

49 Da im vorliegenden Fall die Parteien in einem bzw. mehreren Punkten unterlegen sind, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Republik Finnland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verstoßen, dass sie die Jagd auf Wölfe aus präventiven Gründen erlaubt, ohne dass nachgewiesen ist, dass die Jagd zur Verhütung ernster Schäden im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie geeignet ist.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die Republik Finnland tragen jeweils ihre eigenen Kosten.



Ende der Entscheidung

Zurück