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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.07.1992
Aktenzeichen: C-344/90
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine nationale Regelung, die im Namen des Gesundheitsschutzes die Verwendung eines Zusatzstoffs zu Lebensmitteln von einer Zulassung abhängig macht und auch auf Lebensmittel mit diesem Zusatzstoff anwendbar ist, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden, in denen sie rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, steht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang, wenn zwei Voraussetzungen erfuellt sind. Erstens muß diese Regelung ein Verfahren vorsehen, das es den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, die Aufnahme des fraglichen Zusatzstoffs in das nationale Verzeichnis der zulässigen Zusatzstoffe zu erreichen; dieses Verfahren muß leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muß diese im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können. Zweitens dürfen die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Aufnahme eines Zusatzstoffs in das fragliche Verzeichnis nur ablehnen, wenn dieser keinem echten Bedürfnis, insbesondere technologischer Art, entspricht oder wenn er eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt.

Deshalb verstösst ein Mitgliedstaat, der die Einfuhr eines bestimmten Lebensmittels aus anderen Mitgliedstaaten vorbehaltlich einer Zulassung mit der Begründung verbietet, es enthalte einen bestimmten Zusatzstoff, nur dann gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag, wenn er kein Verfahren geschaffen hat, das den genannten Anforderungen entspricht oder wenn seine Behörden Anträge eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer auf Aufnahme des betreffenden Stoffes in das Verzeichnis der zulässigen Zusatzstoffe zu Unrecht abgelehnt haben.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 16. JULI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN FRANZOESISCHE REPUBLIK. - VERTRAGSVERLETZUNG - ARTIKEL 30 UND 36 - LEBENSMITTELZUSAETZE - ZUSATZ VON NITRAT IN KAESE. - RECHTSSACHE C-344/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 21. November 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie die Einfuhr von Käse, dem Nitrate in den von internationalen Wissenschaftlerkreisen zugelassenen Grenzen (50 mg/kg Käse) zugesetzt worden sind, verboten hat, obwohl diese Erzeugnisse in anderen Mitgliedstaaten rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind.

2 In einigen Mitgliedstaaten wird verschiedenen Käsesorten bei der Herstellung Nitrat zugesetzt, um bestimmte Bakterien zu beseitigen, die den Käse anomal aufquellen lassen.

3 Die französischen Dekrete vom 15. April 1912 mit Verwaltungsbestimmungen zur Durchführung des Gesetzes vom 1. August 1905 (Amtsblatt der Französischen Republik vom 29.6.1912, S. 5710) und vom 18. September 1989 über Zusatzstoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen (Amtsblatt der Französischen Republik vom 19.9.1989, S. 11811), bestimmen, daß niemand ohne Genehmigung, die durch Ministerialverordnung erteilt wird, bei der Herstellung von Lebensmitteln chemische Zusatzstoffe gleich welcher Art verwenden oder Lebensmittel, die derartige Zusätze enthalten, in den Verkehr bringen darf. Die Verwendung von Nitrat bei der Herstellung von Käse wurde jedoch in keiner der zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen gestattet. Somit sind in Frankreich weder die Verwendung dieses Stoffes bei der Herstellung dieser Erzeugnisse noch das Inverkehrbringen von nitrathaltigem Käse erlaubt.

4 Im Gemeinschaftsrecht wird Nitrat erwähnt unter Nummer II des Verzeichnisses der Zusatzstoffe in der Anlage zur Richtlinie 64/54/EWG des Rates vom 5. November 1963 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen (ABl. 1964, Nr. 12, S. 161; im folgenden: Richtlinie), in der Fassung der Richtlinie 67/427/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 über die Verwendung gewisser konservierender Stoffe für die Oberflächenbehandlung von Zitrusfrüchten sowie über Überwachungsmaßnahmen zum Nachweis und zur Bestimmung der konservierenden Stoffe in und auf Zitrusfrüchten (ABl. 1967, Nr. 148, S. 1).

5 Die Aufnahme des Nitrats in dieses Verzeichnis bedeutet, daß dieser Stoff einer der Zusatzstoffe ist, deren Verwendung in Lebensmitteln von den Mitgliedstaaten gestattet werden kann, und daß diese die Voraussetzungen festzulegen haben, unter denen er verwendet werden darf.

6 Wegen der Einzelheiten der Richtlinie, der nationalen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Mit der vorliegenden Klage wirft die Kommission der Französischen Republik vor, die Einfuhr von Käse aus anderen Mitgliedstaaten zu verbieten, weil diese Nitrat enthielten. Die Kommission ist der Auffassung, daß die Einfuhr von Lebensmitteln, die in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt seien und einen Zusatzstoff enthielten, der im Gemeinschaftsverzeichnis aufgeführt sei, gestattet werden müsse, wenn dieser Zusatzstoff keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstelle und seine Verwendung einem tatsächlichen, insbesondere technologischen Bedürfnis entspreche. Die internationalen Forschungsergebnisse zeigten, daß Nitrat diese Voraussetzungen erfuelle.

8 Für die Entscheidung über die vorliegende Klage ist darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 10. Dezember 1985 in der Rechtssache 247/84, Motte, Slg. 1985, 3887, Randnr. 25, vom 6. Mai 1986 in der Rechtssache 304/84, Muller, Slg. 1986, 1511, Randnr. 26, und vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-42/90, Bellon, Slg. 1990, I-4863, Randnrn. 16 und 17) eine Regelung, mit der die Verwendung eines Zusatzstoffs von einer Zulassung abhängig gemacht wird, mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht, wenn zwei Voraussetzungen erfuellt sind.

9 Zunächst muß diese Regelung ein Verfahren vorsehen, das es den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, die Aufnahme dieses Zusatzstoffs in das nationale Verzeichnis der zulässigen Zusatzstoffe zu erreichen. Dieses Verfahren muß leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muß diese im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können.

10 Sodann dürfen die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Aufnahme eines Zusatzstoffs in das fragliche Verzeichnis nur ablehnen, wenn dieser keinem echten Bedürfnis, insbesondere technologischer Art, entspricht oder wenn er eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt.

11 Was das technologische Bedürfnis betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung (Urteil vom 12. März 1987 in der Rechtssache 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227, "Reinheitsgebot für Bier", Randnr. 52) das Bedürfnis für die Verwendung eines Zusatzstoffs unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung und der Bewertung durch die Behörden der übrigen Mitgliedstaaten zu beurteilen ist.

12 Auch kann ein tatsächliches Bedürfnis für die Verwendung eines Zusatzstoffs nicht allein deshalb verneint werden, weil ein Erzeugnis mit Hilfe eines anderen Stoffes hergestellt werden könnte. Eine solche Auslegung des Begriffs des technologischen Bedürfnisses könnte nämlich zu einer Bevorzugung inländischer Herstellungsverfahren führen und damit ein Mittel zur verschleierten Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (vgl. das vorgenannte Urteil "Reinheitsgebot für Bier", Randnr. 51, und Urteil vom 4. Juni 1992 in den Rechtssachen C-13/91 und C-113/91, Debus, Slg. 1992, I-3617, Randnr. 28).

13 Was den Schutz der öffentlichen Gesundheit betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere die vorgenannten Urteile vom 6. Mai 1986 in der Rechtssache Muller, Randnr. 26, und vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache Bellon, Randnr. 17) das Bestehen einer Gefahr für die Gesundheit aufgrund der Verwendung eines Zusatzstoffs unter Berücksichtigung insbesondere der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung, namentlich der Arbeiten des Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses der Gemeinschaft, sowie der Ernährungsgewohnheiten in dem betreffenden Mitgliedstaat zu beurteilen ist.

14 Aus den vorgenannten Urteilen folgt, daß in einem Fall wie dem vorliegenden ein Mitgliedstaat nur dann gegen die Verpflichtungen verstösst, die ihm bezueglich der Zusatzstoffe gemäß Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag obliegen, wenn er kein Verfahren geschaffen hat, das den in Randnummer 9 genannten Anforderungen entspricht, oder wenn seine Behörden einen Antrag auf Aufnahme eines Stoffes in das Verzeichnis der zulässigen Zusatzstoffe zu Unrecht abgelehnt haben.

15 Die französische Regierung hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der Gerichtshof in den erwähnten Urteilen vom 10. Dezember 1985 in der Rechtssache Motte, vom 6. Mai 1986 in der Rechtssache Muller und vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache Bellon, in denen es um das Verbot der Einfuhr eines in einem anderen Mitgliedstaat hergestellten und in den Verkehr gebrachten Lebensmittels, weil es einen bestimmten Zusatzstoff enthielt, ging, das beanstandete Verbot nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen, sondern lediglich an die Anforderungen erinnert hat, denen eine Verbotsregelung mit Erlaubnisvorbehalt genügen muß.

16 Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, daß die genannten französischen Dekrete im Hinblick auf Zusatzstoffe ein Verbotssystem mit Erlaubnisvorbehalt eingeführt haben, das auch für Zusatzstoffe gilt, die Lebensmitteln hinzugefügt werden, die aus Mitgliedstaaten stammen, in denen sie rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind.

17 Die Kommission hat nicht vorgetragen, daß das durch diese Dekrete eingeführte Verfahren gegen das Gemeinschaftsrecht verstosse oder daß die französischen Behörden vor Erhebung der vorliegenden Klage einen Antrag eines oder mehrerer Wirtschaftsteilnehmer auf Aufnahme des Nitrats in das Verzeichnis der zulässigen Zusatzstoffe abgelehnt hätten.

18 Unter diesen Umständen ist die Klage der Kommission abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Das Königreich Spanien, Streithelfer, trägt gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage der Kommission wird abgewiesen.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

3) Das Königreich Spanien, Streithelfer, trägt seine eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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