Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.03.1995
Aktenzeichen: C-345/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 9
EWG-Vertrag Art. 12
EWG-Vertrag Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Kraftfahrzeugsteuer, die unterschiedslos sowohl in dem Mitgliedstaat, der sie erhebt, montierte oder hergestellte Fahrzeuge als auch eingeführte neue oder gebrauchte Fahrzeuge belastet, kann nicht als Zoll oder Abgabe gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9 und 12 des Vertrages angesehen werden, wenn sie Bestandteil einer allgemeinen inländischen Abgabenregelung ist, die Gruppen von Waren nach Maßgabe eines objektiven Kriteriums belastet. Eine solche Steuer stellt vielmehr eine inländische Abgabe im Sinne von Artikel 95 des Vertrages dar.

2. Erhebt ein Mitgliedstaat eine Abgabe auf aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Gebrauchtfahrzeuge, so läuft dies Artikel 95 des Vertrages zuwider, wenn der ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Wertverlusts des Fahrzeugs bemessene Betrag der Abgabe höher ist als der Abgabenbetrag, der noch im Wert der im Inland bereits zugelassenen gleichartigen Gebrauchtfahrzeuge enthalten ist, die bei dieser Erstzulassung besteuert wurden, so daß die Steuer beim späteren Wiederverkauf nicht mehr anfällt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 9. MAERZ 1995. - FAZENDA PUBLICA UND MINISTERIO PUBLICO GEGEN AMERICO JOAO NUNES TADEU. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: SUPREMO TRIBUNAL ADMINISTRATIVO - PORTUGAL. - KRAFTFAHRZEUGSTEUER - INLAENDISCHE ABGABE - DISKRIMINIERUNG. - RECHTSSACHE C-345/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Supremo Tribunal Administrativo hat mit Urteil vom 26. Mai 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 9, 12 und 95 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Nunes Tadeu (im folgenden: Kläger) und der portugiesischen Steuerbehörde (Fazenda Pública), in dem ersterer die Erstattung der Kraftfahrzeugsteuer fordert, die er bei der Einfuhr eines aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Gebrauchtfahrzeugs nach Portugal bezahlt hat.

3 Am 10. August 1990 kaufte der Kläger einen Gebrauchtwagen der Marke Peugeot, Modell 205 XS, zu einem Preis von 200 000 BFR. Das Fahrzeug war in Belgien am 11. Februar 1987 erstmals zugelassen worden. Mit einer Zulassung für die Überführung kehrte der Kläger am 20. August 1990 mit diesem Fahrzeug nach Portugal zurück und nahm die Formalitäten für seine endgültige Einfuhr vor.

4 Im Mai 1991 forderte die Zollbehörde Porto vom Kläger die Zahlung eines Betrages von 271 665 ESC, bei dem es sich um die gemäß Artikel 1 des Decreto-lei Nr. 152/89 vom 10. Mai 1989 (Díario da República, Serie I, Nr. 107, vom 10. Mai 1989, S. 1858, im folgenden: Decreto-lei) berechnete Kraftfahrzeugsteuer handelte. Zur maßgeblichen Zeit lautete diese Bestimmung in geänderter Fassung:

"1) Die Kraftfahrzeugsteuer ist eine inländische Steuer, die auf leichte Personenkraftfahrzeuge erhoben wird, die neu oder gebraucht eingeführt oder in Portugal montiert oder hergestellt werden und die zugelassen sind.

2)...

3) Die Steuer ist eine besondere Einphasensteuer, deren Höhe sich nach dem Hubraum entsprechend der diesem Gesetz beigefügten und einen Bestandteil dieses Gesetzes bildenden Tabelle bemisst.

4) Der Betrag der Steuer auf eingeführte Gebrauchtfahrzeuge, deren erste Zulassung mehr als zwei Jahre zurückliegt, wird um 10 % derjenigen Beträge gekürzt, die sich aus der Anwendung der in Absatz 3 genannten Tabelle ergeben."

5 Der Kläger zahlte die Steuer, klagte aber im Dezember 1991 beim Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto auf ihre Erstattung. Er machte geltend, die Steuer laufe, soweit sie auf eingeführte Gebrauchtfahrzeuge erhoben werde, den Artikeln 5, 85 und 95 EWG-Vertrag zuwider. Nachdem das Tribunal Fiscal Aduaneiro Porto der Klage mit Urteil vom 3. April 1992 stattgegeben hatte, legte die portugiesische Steuerbehörde (Fazenda Pública), unterstützt durch die portugiesische Staatsanwaltschaft, gegen diese Entscheidung Berufung beim Supremo Tribunal Administrativo ein. Dieses hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Verbietet Artikel 95 Absätze 1 und 2 EWG-Vertrag die Erhebung der die oben beschriebenen Merkmale aufweisenden Kraftfahrzeugsteuer auf die Einfuhr von gebrauchten leichten Kraftfahrzeugen aus Belgien nach Portugal, wenn dort die übrigen Gebrauchtfahrzeuge unabhängig davon, ob es sich um neu eingeführte oder um in Portugal montierte oder hergestellte Fahrzeuge handelt, dieser Steuer nicht unterliegen?

2) Könnte eine solche Besteuerung als durch die Artikel 9 und 12 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll angesehen werden?

6 Vorab ist festzustellen, daß die fragliche Steuer, mit der sich der Gerichtshof bereits im Rahmen seines Urteils vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-343/90 (Lourenço Dias, Slg. 1992, I-4673, Randnrn. 53 und 54) befasst hat, unterschiedslos in Portugal montierte und hergestellte wie auch eingeführte ° neue oder gebrauchte ° Fahrzeuge trifft und Bestandteil einer allgemeinen inländischen Abgabenregelung ist, die Gruppen von Waren nach Maßgabe eines objektiven Kriteriums ° des Hubraums ° belastet. Eine solche Steuer stellt eine inländische Abgabe im Sinne von Artikel 95 EWG-Vertrag dar.

7 Die zweite Frage ist daher von vornherein dahin zu beantworten, daß eine Kraftfahrzeugsteuer, die unterschiedslos sowohl in dem Mitgliedstaat, der sie erhebt, montierte oder hergestellte Fahrzeuge als auch eingeführte neue oder gebrauchte Fahrzeuge belastet, nicht als Zoll oder Abgabe gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9 und 12 EWG-Vertrag angesehen werden kann.

8 Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob es mit Artikel 95 EWG-Vertrag vereinbar ist, wenn ein Mitgliedstaat auf aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Gebrauchtwagen eine Abgabe erhebt, die die in seinem Staatsgebiet gekauften Gebrauchtwagen nicht trifft.

9 Nach Auffassung des Klägers läuft diese unterschiedliche Behandlung Artikel 95 EWG-Vertrag zuwider, weil die streitige Steuer eine Verteuerung der eingeführten Gebrauchtfahrzeuge und damit eine Begünstigung des inländischen Gebrauchtwagenmarkts bewirke.

10 Wie bereits festgestellt, erfasst die streitige Steuer systematisch, unterschiedslos und nach objektiven Kriterien sowohl in Portugal montierte und hergestellte als auch ° neue oder gebrauchte ° eingeführte Fahrzeuge. Die Kraftfahrzeugsteuer fällt bei inländischen Geschäften mit Gebrauchtwagen nicht an, da sie nur einmal, bei der Erstzulassung des Fahrzeugs im Inland, erhoben wird und ein Teil von ihr im Wert der bereits zugelassenen und auf dem portugiesischen Markt erworbenen Gebrauchtwagen enthalten bleibt.

11 Hinzuzufügen ist, daß das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand keine Vorschrift enthält, durch die ein Mitgliedstaat am Erlaß einer allgemeinen inländischen Abgabenregelung gehindert würde, mit der nach Maßgabe objektiver Kriterien eine Gruppe bestimmter Waren, wie die im vorliegenden Fall betroffene, belastet wird.

12 Für die Anwendung des Artikels 95 und insbesondere zum Zweck des Vergleichs der Abgabenregelung für eingeführte Gebrauchtwagen mit der für im Inland gekaufte Gebrauchtwagen, die gleichartige oder konkurrierende Waren darstellen, sind jedoch, wie der Gerichtshof namentlich in seinem Urteil vom 11. Dezember 1990 in der Rechtssache C-47/88 (Kommission/Dänemark, Slg. 1990, I-4509, Randnr. 18) entschieden hat, nicht nur der Satz der inländischen Abgabe, die inländische und eingeführte Waren unmittelbar oder mittelbar belastet, sondern auch ihre Bemessungsgrundlage und die Einzelheiten ihrer Erhebung zu berücksichtigen.

13 Insoweit steht fest, daß die nach dem Decreto-lei erhobene Steuer für eingeführte Gebrauchtfahrzeuge unabhängig von deren Alter und Gebrauchszustand niemals weniger als 90 % der auf einen Neuwagen erhobenen Steuer betragen kann, während der Steuerbetrag, der noch im Wert eines im Inland gekauften Gebrauchtwagens enthalten ist, geringer als dieser Betrag sein kann, da dieser Steuerrestbetrag proportional zum Fahrzeugwert sinkt.

14 Daraus folgt, daß die Erhebung einer Kraftfahrzeugsteuer auf eingeführte Gebrauchtwagen, deren Höhe mindestens 90 % der auf Neuwagen lastenden Steuer entspricht, im Verhältnis zu dem Steuerbetrag, der noch im Wert bereits zugelassener, auf dem portugiesischen Markt gekaufter Gebrauchtwagen enthalten ist, im allgemeinen eine offensichtlich zu hohe Besteuerung der erstgenannten Fahrzeuge darstellt.

15 Daher ist festzustellen, daß eine Regelung wie die des Artikels 1 Absatz 4 des Decreto-lei, mit der die Minderung des auf Neuwagen erhobenen Steuerbetrags ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Wertverlusts des Fahrzeugs auf 10 % beschränkt wird, zu einer diskriminierenden Besteuerung eingeführter Gebrauchtwagen führt.

16 Dieser Feststellung steht nicht entgegen, daß sich die Kraftfahrzeugsteuer, worauf die niederländische Regierung hinweist, nicht nach einem steuerbaren Pauschalwert, sondern nach dem Hubraum des Fahrzeugs bemisst. Dies ändert nämlich nichts daran, daß der Steuerbetrag, der noch im Wert eines in Portugal gekauften Gebrauchtwagens enthalten ist, automatisch mit dem Fahrzeugwert sinkt, während im Unterschied dazu der auf eingeführte Gebrauchtwagen erhobene Steuerbetrag, wie oben dargelegt, niemals 90 % des auf Neuwagen erhobenen Steuerbetrags unterschreiten kann.

17 Die portugiesische Regierung macht geltend, mit dieser Steuerregelung solle lediglich eine grundsätzliche Gleichheit zwischen dem Handelswert inländischer Gebrauchtfahrzeuge und dem eingeführter Gebrauchtfahrzeuge sichergestellt werden. Die Regelung könne keine diskriminierende oder protektionistische Wirkung haben, da der Preis eines eingeführten Gebrauchtwagens selbst zuzueglich der Kraftfahrzeugsteuer niedriger als der eines gleichwertigen inländischen Gebrauchtwagens sei.

18 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Eine nationale Abgabenregelung, die auf die Ausschaltung eines Wettbewerbsvorteils eingeführter Waren gegenüber inländischen Waren abzielte, liefe offensichtlich Artikel 95 zuwider, durch den die vollkommene Wettbewerbsneutralität der inländischen Abgaben für inländische und eingeführte Waren gewährleistet werden soll (Urteil Kommission/Dänemark, a. a. O., Randnr. 9).

19 Die portugiesische Regierung hat schließlich auf bestimmte praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Schätzung des tatsächlichen Handelswerts von Gebrauchtwagen zum Zweck der Berechnung der streitigen Steuer verwiesen. Vorausgesetzt, ihr Bestehen wäre nachgewiesen, wären derartige Schwierigkeiten indessen nicht geeignet, die Erhebung inländischer Abgaben zu rechtfertigen, durch die aus anderen Mitgliedstaaten stammende Waren diskriminiert werden und die Artikel 95 EWG-Vertrag zuwiderlaufen.

20 Nach alledem ist auf die erste Frage wie folgt zu antworten: Erhebt ein Mitgliedstaat eine Abgabe auf aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Gebrauchtfahrzeuge, so läuft dies Artikel 95 EWG-Vertrag zuwider, wenn der ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Wertverlusts des Fahrzeugs bemessene Betrag der Abgabe höher ist als der Abgabenbetrag, der noch im Wert im Inland bereits zugelassener gleichartiger Gebrauchtfahrzeuge enthalten ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Die Auslagen der portugiesischen, der griechischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Supremo Tribunal Administrativo mit Urteil vom 26. Mai 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Eine Kraftfahrzeugsteuer, die unterschiedslos sowohl in dem Mitgliedstaat, der sie erhebt, montierte oder hergestellte Fahrzeuge als auch eingeführte neue oder gebrauchte Fahrzeuge belastet, kann nicht als Zoll oder Abgabe gleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9 und 12 EWG-Vertrag angesehen werden.

2) Erhebt ein Mitgliedstaat eine Abgabe auf aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Gebrauchtfahrzeuge, so läuft dies Artikel 95 EWG-Vertrag zuwider, wenn der ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Wertverlusts des Fahrzeugs bemessene Betrag der Abgabe höher ist als der Abgabenbetrag, der noch im Wert im Inland bereits zugelassener gleichartiger Gebrauchtfahrzeuge enthalten ist.

Ende der Entscheidung

Zurück