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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.02.1995
Aktenzeichen: C-349/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 92 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 93 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn die Kommission gestützt auf Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Vertrages ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einleitet, weil dieser eine Entscheidung nicht durchgeführt hat, mit der eine Beihilfe für unvereinbar mit dem Vertrag erklärt und ihre Rückforderung verlangt wurde und gegen die erfolglos Nichtigkeitsklage erhoben wurde, dann kann der betreffende Mitgliedstaat zu seiner Verteidigung nur geltend machen, daß es völlig unmöglich gewesen sei, die Entscheidung richtig durchzuführen.

2. Ein Mitgliedstaat, der bei der Durchführung einer Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, auf unvorhergesehene und unvorhersehbare Schwierigkeiten stösst oder sich über Folgen klar wird, die von der Kommission nicht beabsichtigt waren, muß diese Probleme der Kommission zur Beurteilung vorlegen und dabei geeignete Änderungen der fraglichen Entscheidung vorschlagen. In einem solchen Fall müssen die Kommission und der Mitgliedstaat gemäß dem Grundsatz, daß den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen, wie er namentlich Artikel 5 des Vertrages zugrunde liegt, redlich zusammenwirken, um die Schwierigkeiten unter vollständiger Beachtung der Bestimmungen des Vertrages, insbesondere derjenigen über die Beihilfen, zu überwinden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 23. FEBRUAR 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - STAATLICHE BEIHILFEN - ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION, MIT DER DIE RUECKZAHLUNG ANGEORDNET WIRD - NICHTDURCHFUEHRUNG. - RECHTSSACHE C-349/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 7. Juli 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag und insbesondere aus der Entscheidung 90/224/EWG der Kommission vom 24. Mai 1989 über die von der italienischen Regierung gewährten Beihilfen an Aluminia und Comsal, zwei staatseigene Unternehmen der Aluminiumindustrie (ABl. 1990, L 118, S. 42; im folgenden: Entscheidung), verstossen hat, daß sie die Beihilfen, die den zum EFIM-Konzern gehörenden Firmen Aluminia und Comsal 1987 zu Unrecht gezahlt wurden, nicht zurückgefordert hat.

2 In der Entscheidung stellte die Kommission fest, daß die den Unternehmen Aluminia und Comsal von der italienischen Regierung gewährten Beihilfen gemäß Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar seien, da sie gegen Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag verstießen. Sie entschied, daß die italienische Regierung diese Beihilfen abschaffen und sie von den begünstigten Unternehmen zurückfordern müsse (Artikel 1). Die italienische Regierung sollte sie binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung von den Maßnahmen unterrichten, die sie getroffen hat, um der Entscheidung nachzukommen (Artikel 2).

3 Mit Urteil vom 3. Oktober 1991 in der Rechtssache C-261/89 (Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437) wies der Gerichtshof die gegen diese Entscheidung erhobene Nichtigkeitsklage ab.

4 Nachdem die Kommission die italienische Regierung vergeblich ersucht hatte, ihr mitzuteilen, welche Maßnahmen sie nach dem Urteil des Gerichtshofes zu treffen beabsichtige, um der Entscheidung nachzukommen, richtete sie am 26. Juni 1992 ein Schreiben an die italienische Regierung, in dem sie sie aufforderte, die Entscheidung bis Ende Juli 1992 durchzuführen.

5 Mit Schreiben vom 14. Oktober 1992 beantragten die italienischen Behörden eine Fristverlängerung, mit der Begründung, daß die Frage der Rückforderung der Beihilfen im allgemeineren Zusammenhang des Programms zur Privatisierung der öffentlichen Unternehmen behandelt werden müsse, das die italienische Regierung verwirklichen wolle.

6 Mit Schreiben vom 10. März 1993 setzte die Kommission eine letzte Frist für die Durchführung der Entscheidung, die am 31. März 1993 endete.

7 Da dieses Schreiben ohne Antwort blieb, hat die Kommission beim Gerichtshof gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Vertrages Klage erhoben.

8 Zur Stüzung ihrer Klage macht die Kommission geltend, die Italienische Republik habe gegen Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages verstossen, da sie die Vertragsverletzung zum Zeitpunkt der Klageerhebung, d. h. mehr als fünfeinhalb Jahre nach der Zahlung der unzulässigen Beihilfen, noch nicht abgestellt habe.

9 Die Italienische Republik bestreitet ihre Verpflichtung zur Durchführung der Entscheidung nicht, beruft sich aber auf sachliche Schwierigkeiten bei der Durchführung, die mit dem Verfahren zur Liquidation des EFIM und der Verwirklichung des Vorhabens der Umstrukturierung des Aluminiumsektors zusammenhingen. Die Durchführung der Entscheidung müsse im Rahmen einer loyalen Zusammenarbeit mit der Kommission erfolgen, die von dem Vorhaben der Umstrukturierung des Sektors im Hinblick auf die Prüfung seiner Vereinbarkeit mit Artikel 92 des Vertrages unterrichtet worden sei.

10 Bei der Beurteilung der Begründetheit der von der Kommission erhobenen Klage ist festzustellen, daß die italienische Regierung in der Entscheidung mit klaren Worten verpflichtet wird, die Beihilfen zurückzufordern.

11 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um sich der Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen zu entziehen (vgl. u. a. Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-5/89, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437, Randnr. 18).

12 Ein Mitgliedstaat kann zur Verteidigung gegen eine von der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages erhobene Vertragsverletzungsklage nur geltend machen, daß es völlig unmöglich gewesen sei, die Entscheidung richtig durchzuführen (vgl. Urteile vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 52/84, Kommission/Belgien, Slg. 1986, 89, Randnr. 14, vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 94/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 175, Randnr. 8, und vom 10. Juni 1993 in der Rechtssache C-183/91, Kommission/Griechenland, Slg. 1993, I-3131, Randnr. 10).

13 Ein Mitgliedstaat, der bei der Durchführung einer Entscheidung der Kommission über staatliche Beihilfen auf unvorhergesehene und unvorhersehbare Schwierigkeiten stösst oder sich über Folgen klar wird, die von der Kommission nicht beabsichtigt waren, muß diese Probleme jedoch der Kommission zur Beurteilung vorlegen und dabei geeignete Änderungen der fraglichen Entscheidung vorschlagen. In einem solchen Fall müssen die Kommission und der Mitgliedstaat gemäß dem Grundsatz, daß den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen, wie er namentlich Artikel 5 EWG-Vertrag zugrunde liegt, redlich zusammenwirken, um die Schwierigkeiten unter vollständiger Beachtung der Bestimmungen des Vertrages, insbesondere derjenigen über die Beihilfen, zu überwinden (vgl. Urteile vom 15. Januar 1986, Kommission/Belgien, a. a. O., Randnr. 16, vom 2. Februar 1989, Kommission/Deutschland, a. a. O., Randnr. 9, und vom 10. Juni 1993, Kommission/Griechenland, a. a. O., Randnr. 19).

14 Hierzu ist festzustellen, daß die Italienische Republik bis zum 14. Oktober 1992, d. h. mehr als ein Jahr nach Erlaß des Urteils des Gerichtshofes, mit dem die Nichtigkeitsklage abgewiesen wurde, nicht auf die wiederholten Aufforderungen der Kommission reagiert hat, die Entscheidung durchzuführen.

15 Die beklagte Regierung hat sich im vorliegenden Fall damit begnügt, die bei der Umsetzung der Entscheidung auftretenden rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten mitzuteilen, ohne irgendwelche Schritte gegen die fraglichen Unternehmen einzuleiten, um die Beihilfe zurückzuerlangen, und ohne der Kommission alternative Vorgehensweisen zur Umsetzung der Entscheidung vorzuschlagen, die die Überwindung der behaupteten Schwierigkeiten ermöglicht hätten. Die italienische Regierung hat sich nämlich darauf beschränkt, in ganz allgemeinen Worten auf die mit der Liquidation des EFIM verbundenen Schwierigkeiten hinzuweisen und das Unterlassen der Rückforderung der fraglichen Beihilfen mit dem Verfahren zur Prüfung der in dem Umstrukturierungsprogramm vorgesehenen neuen Beihilfen zu rechtfertigen.

16 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß sich die Italienische Republik nicht darauf berufen kann, daß die Durchführung der Entscheidung völlig unmöglich gewesen sei. Sie hat auch weder das Vorliegen unvorhergesehener und unvorhersehbarer Schwierigkeiten nachgewiesen noch dargelegt, daß sie mit der Kommission zusammengewirkt hätte, um etwaige derartige Schwierigkeiten zu überwinden.

17 Nach alledem ist die Vertragsverletzung entsprechend dem Antrag der Kommission festzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag und insbesondere aus der Entscheidung 90/224/EWG der Kommission vom 24. Mai 1989 über die von der italienischen Regierung gewährten Beihilfen an Aluminia und Comsal, zwei staatseigene Unternehmen der Aluminiumindustrie, verstossen, daß sie die Beihilfen, die den zum EFIM-Konzern gehörenden Firmen Aluminia und Comsal 1987 zu Unrecht gezahlt wurden, nicht zurückgefordert hat.

2) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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