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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.12.1998
Aktenzeichen: C-353/96
Rechtsgebiete: Richtlinie 77/62/EWG
Vorschriften:
Richtlinie 77/62/EWG |
1 Das Verfahren, nach dem die Kommission gemäß der Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge gegenüber einem Mitgliedstaat tätig werden kann, wenn sie der Ansicht ist, daß ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorliegt, stellt eine vorbeugende Maßnahme dar, die von den Befugnissen der Kommission aus Artikel 169 des Vertrages weder abweichen noch sie ersetzen kann, so daß die Art und Weise, in der die Kommission von diesem Verfahren Gebrauch gemacht hat, für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens, das sie wegen eines Verstosses des betreffenden Mitgliedstaats gegen die Gemeinschaftsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge eingeleitet hat, unerheblich ist.
2 Eine Einrichtung wie das Coillte Teoranta (Forstbehörde) ist ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 77/62 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge.
Eine solche Einrichtung, die Rechtspersönlichkeit besitzt und keine öffentlichen Aufträge für Rechnung des Staates oder einer Gebietskörperschaft vergibt, kann nicht als Staat oder Gebietskörperschaft angesehen werden, stellt aber eine den juristischen Personen des öffentlichen Rechts gleichwertige Einrichtung im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b in Verbindung mit Anhang I Nummer VI (Irland) der Richtlinie 77/62 dar, da der Staat zumindest mittelbar eine Kontrolle über die Vergabe öffentlicher Lieferaufträge ausüben kann.
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 17. Dezember 1998. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Irland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Öffentliche Lieferaufträge - Nachprüfungsverfahren - Begriff des öffentlichen Auftraggebers. - Rechtssache C-353/96.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 29. Oktober 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstossen hat, daß es den Bestimmungen der Richtlinie 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. 1977, L 13, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 88/295/EWG des Rates vom 22. März 1988 (ABl. L 127, S. 1) nicht nachgekommen ist und insbesondere seine Ausschreibung für die Lieferung von Düngemitteln nicht im Namen des Irish Forestry Board (Coillte Teoranta) im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht hat.
Die einschlägigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft
2 Bis 1994 richtete sich die Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in der Gemeinschaft nach der Richtlinie 77/62 in der u. a. durch die Richtlinie 88/295 geänderten Fassung.
3 In Artikel 1 der Richtlinie 77/62 wird der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wie folgt definiert:
"Im Sinne dieser Richtlinie
...
b) gelten als "öffentliche Auftraggeber" der Staat, die Gebietskörperschaften und die in Anhang I aufgeführten juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder - in den Mitgliedstaaten, die diesen Begriff nicht kennen - die dort aufgeführten gleichwertigen Einrichtungen;
..."
4 Nach Anhang I Nummer VI der Richtlinie 77/62 handelt es sich bei den gleichwertigen Einrichtungen in Irland um "andere Behörden, deren öffentliche Lieferaufträge staatlicher Kontrolle unterliegen".
5 Durch die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1) wurde die Richtlinie 77/62 aufgehoben. Ihre Bestimmungen waren bis spätestens 14. Juni 1994 in nationales Recht umzusetzen; diese Frist hat Irland nicht eingehalten.
6 In Artikel 1 der Richtlinie 93/36 heisst es:
"Im Sinne dieser Richtlinie
...
b) gelten als ffentliche Auftraggeber der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.
Als Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung,
- die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfuellen, die nicht gewerblicher Art sind, und
- die Rechtspersönlichkeit besitzt und
- die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind;
..."
7 Die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) sieht in Artikel 3 folgendes vor:
"(1) Die Kommission kann das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren anwenden, wenn sie vor Abschluß eines Vertrages zu der Auffassung gelangt, daß bei einem Vergabeverfahren im Sinne der Richtlinien 71/305/EWG und 77/62/EWG ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschriften für das öffentliche Auftragswesen vorliegt.
(2) Die Kommission teilt dem Mitgliedstaat und der Vergabebehörde mit, aus welchen Gründen sie einen klaren und eindeutigen Verstoß als gegeben ansieht und fordert dessen Beseitigung.
(3) Innerhalb von 21 Tagen nach Eingang der in Absatz 2 genannten Mitteilung übermittelt der Mitgliedstaat der Kommission
a) die Bestätigung, daß der Verstoß beseitigt wurde, oder
b) eine Begründung dafür, weshalb der Verstoß nicht beseitigt wurde, oder
c) die Mitteilung, daß das betreffende Vergabeverfahren entweder auf Betreiben des öffentlichen Auftraggebers oder aber in Wahrnehmung der in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a) vorgesehenen Befugnisse ausgesetzt wurde.
(4) Bei einer Begründung nach Absatz 3 Buchstabe b) kann insbesondere geltend gemacht werden, daß der behauptete Rechtsverstoß bereits Gegenstand eines Gerichtsverfahrens oder eines anderen Verfahrens nach Artikel 2 Absatz 8 ist. In diesem Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die Kommission alsbald vom Ausgang dieser Verfahren.
(5)..."
Die Vorgeschichte des Rechtsstreits
8 Aufgrund von Section 9 des Irish Forestry Act 1988 (irisches Forstgesetz von 1988; im folgenden: Gesetz) wurde das Coillte Teoranta oder Irish Forestry Board (im folgenden: Coillte Teoranta) in Form einer privatrechtlichen Gesellschaft gegründet.
9 Nach diesem Gesetz hat das Coillte Teoranta die Aufgabe, forstwirtschaftliche und damit verbundene Tätigkeiten auf gewerblicher Grundlage auszuüben und gemäß den in diesem Bereich bestehenden Gepflogenheiten eine Forstindustrie zu schaffen und zu unterhalten sowie mit anderen an forstwirtschaftlichen Tätigkeiten teilzunehmen, die mit diesen Zielen in Einklang stehen.
10 Zu den Aufgaben des Coillte Teoranta als Eigentümer von zwölf frei zugänglichen Nationalparks gehört gemäß Artikel 3(14) seiner Satzung auch die Schaffung von Erholungs-, Sport-, Bildungs-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen.
11 Die irische Regierung übertrug dem Coillte Teoranta Grundstücke und andere Vermögensgegenstände im Wert von etwa 700 Millionen IRL. Im Gegenzug gab das Coillte Teoranta Gesellschaftsanteile aus, die mehrheitlich vom Minister der Finanzen gehalten werden.
12 Zum Aufbau des Coillte Teoranta geht aus dem Gesetz und der Satzung hervor, daß es vom Minister für Energie (im folgenden: Minister) errichtet wurde, daß seine Satzung und deren Änderungen vom Minister genehmigt werden müssen (Sections 11 und 15), daß der Minister den "Chairman" (Präsident) und die übrigen Direktoren ernennt und ihre Bezuege festlegt (Section 15[2][b] und [d]), daß der "First Chief Executive" (Leiter der Verwaltung) vom Minister ernannt wird und seine Aufgaben in der von diesem festgelegten Weise wahrnimmt (Section 35), daß die Ernennung der Rechnungsprüfer des Coillte Teoranta vom Minister genehmigt werden muß (Section 15[2][e]) und daß das Coillte Teoranta die staatlichen Richtlinien und ministeriellen Anweisungen für die Bezuege, Vergütungen und Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter zu beachten hat (Section 36). Einige Entscheidungen des Ministers bedürfen der Zustimmung des Ministers der Finanzen.
13 Bei der Ausübung seiner Tätigkeiten muß das Coillte Teoranta folgendes beachten: Der Minister kann ihm schriftliche Weisungen erteilen, um es zur Beachtung von Richtlinien in Zusammenhang mit der staatlichen Forstpolitik, zur Schaffung oder Aufrechterhaltung bestimmter Dienstleistungen oder Einrichtungen sowie zur Unterhaltung oder Nutzung bestimmter Grundstücke zu besonderen Zwecken zu verpflichten (Section 38 des Gesetzes), das Coillte Teoranta muß forstwirtschaftliche Maßnahmen in bestimmten Gebieten von wissenschaftlichem Interesse mit dem Minister der Finanzen abstimmen (Section 13), es muß dem Minister jedes Jahr ein Programm für den Verkauf und Erwerb von Land vorschlagen (Section 14), die Errichtung und der Erwerb von Tochtergesellschaften bedürfen der Genehmigung des Ministers (Section 15[2][g]), auf Verlangen der beiden Minister muß eine Hauptversammlung einberufen werden (Abschnitt 15 der Satzung), und der Jahresbericht sowie der Bericht über die Prüfung der Bücher des Coillte Teoranta müssen dem irischen Parlament vorgelegt werden (Sections 30 und 31 des Gesetzes).
14 In bezug auf die Finanzierung geht aus den einschlägigen Bestimmungen hervor, daß das Gesellschaftskapital des Coillte Teoranta vom Minister der Finanzen genehmigt werden muß (Section 10 des Gesetzes). Das Coillte Teoranta darf nur mit Zustimmung des Ministers Darlehen aufnehmen (Section 24), während der Minister der Finanzen für die Rückzahlung von Darlehen bürgen kann (Section 25). Das Coillte Teoranta darf bis zu 250 000 IRL in andere Unternehmen investieren. Dieser Betrag kann mit Genehmigung des Ministers und Zustimmung des Ministers der Finanzen aufgestockt werden (Section 15[2][h]). Dieser kann dem Coillte Teoranta im übrigen verschiedene Beträge zu besonderen Bedingungen und Zwecken zur Verfügung stellen.
15 Am 10. März 1994 schrieb das Coillte Teoranta für die Zeit vom 1. April 1994 bis zum 31. März 1995 einen Auftrag zur Lieferung von Dünger im Wert von über 200 000 ECU aus. Es ließ die Ausschreibung nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichen. Am 30. Mai 1994 vergab das Coillte Teoranta den Auftrag. Am 21. Juni 1994 erhob die Connemara Machine Turf Co. Ltd, ein Unternehmen, dessen Angebot nicht angenommen worden war, gegen die Auftragsvergabe Klage vor dem High Court.
16 Am 18. Mai 1994, also vor der Vergabe des Auftrags, ging bei der Kommission eine Beschwerde über die Form der Ausschreibung ein. Am 30. Juni 1994 übersandte sie der irischen Regierung ein Schreiben gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 89/665. In diesem Schreiben äusserte die Kommission Zweifel an der Vereinbarkeit der Auftragsvergabe mit den Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Lieferaufträge und wies ferner darauf hin, daß dieses Schreiben eine Aufforderung zur Äusserung im Sinne von Artikel 169 des Vertrages darstelle. Die Kommission machte im wesentlichen geltend, das Coillte Teoranta als öffentlicher Auftraggeber habe die Ausschreibung nicht - wie in der Richtlinie 77/62 und insbesondere in deren Artikel 9 vorgesehen - im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichen lassen.
17 Die irische Regierung wandte sich mit Schreiben vom 22. Juli 1994 gegen das Vorbringen der Kommission. Sie machte geltend, daß das Verfahren in Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 89/665 nicht anwendbar sei, da der Vertrag vor dem Eingang des Schreibens der Kommission abgeschlossen worden sei, daß der in Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie 89/665 angesprochene Fall vorliege, da der behauptete Verstoß bereits Gegenstand eines Verfahrens vor einem nationalen irischen Gericht sei, daß das Coillte Teoranta jedenfalls weder im Sinne der Richtlinie 93/36 noch im Sinne der Richtlinie 77/62 ein öffentlicher Auftraggeber sei, daß Irland die Richtlinien ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt habe und daß ein Verfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages selbst dann unangebracht wäre, wenn eine Zuwiderhandlung gegen die Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Lieferaufträge vorliegen würde, da es nach den Bestimmungen der Richtlinie 89/665 eine andere Vorgehensweise gebe.
18 Da diese Antwort die Kommission nicht befriedigte, richtete sie am 23. Februar 1996 gemäß Artikel 169 Absatz 1 des Vertrages eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Irland, auf die Irland mit Schreiben vom 7. Juni 1996 antwortete und an dem in seinem früheren Schreiben vertretenen Standpunkt festhielt.
19 Unter diesen Umständen hat die Kommission die vorliegende Vertragsverletzungsklage erhoben.
Zulässigkeit
20 Die irische Regierung wirft, ohne die Zulässigkeit der Klage ausdrücklich in Abrede zu stellen, die Frage auf, ob ein Verfahren gemäß Artikel 169 des Vertrages eingeleitet werden könne, wenn es andere Mittel zur Beendigung einer Vertragsverletzung gebe, wie sie in Artikel 3 der Richtlinie 89/665 vorgesehen seien.
21 Da am 21. Juni 1994 vor dem High Court Klage erhoben worden sei, sei im vorliegenden Fall Artikel 3 Absatz 4 dieser Richtlinie anzuwenden. Ein etwaiger Verstoß gegen die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Bestimmungen müsse im Rahmen des Verfahrens vor dem High Court geprüft werden. Ein solcher Verstoß wäre im übrigen nicht die Folge einer Vertragsverletzung Irlands, sondern er wäre dem Coillte Teoranta anzulasten, falls dieses als öffentlicher Auftraggeber anzusehen sein sollte.
22 Hierzu ist festzustellen, daß das besondere Verfahren der Richtlinie 89/665 eine vorbeugende Maßnahme darstellt, die von den Befugnissen der Kommission aus Artikel 169 des Vertrages weder abweichen noch sie ersetzen kann. Dieser Artikel stellt es nämlich in das Ermessen der Kommission, den Gerichtshof anzurufen, wenn nach ihrer Auffassung ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag verstossen hat und ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nachkommt (Urteil vom 24. Januar 1995 in der Rechtssache C-359/93, Kommission/Niederlande, Slg. 1995, I-157, Randnr. 13).
23 Zu der Frage, ob Irland für das Verhalten des Coillte Teoranta als öffentlicher Auftraggeber verantwortlich gemacht werden kann, genügt der Hinweis, daß die Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würden, wenn das Verhalten eines öffentlichen Auftraggebers dem betreffenden Mitgliedstaat nicht zuzurechnen wäre.
24 Folglich ist die Klage zulässig.
Begründetheit
25 Die Kommission hält nur die Richtlinie 77/62 für einschlägig. Die verschiedenen Bestimmungen über die Stellung des Coillte Teoranta führten insgesamt gesehen dazu, daß es im Sinne des Urteils des Gerichtshofes vom 20. September 1988 in der Rechtssache 31/87 (Beentjes, Slg. 1988, 4635) als dem Staat zugehörig anzusehen sei.
26 Im genannten Urteil habe der Gerichtshof den in der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) verwendeten Begriff des Staates in funktioneller Weise ausgelegt. Diese Richtlinie enthalte die gleiche Definition der öffentlichen Auftraggeber wie die Richtlinie 77/62. Nach der genannten Auslegung sei eine Einrichtung, deren Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt seien und die weitgehend von der öffentlichen Hand abhänge, auch dann als dem Staat zugehörig anzusehen, wenn sie formell kein Bestandteil desselben sei.
27 Das Coillte Teoranta könne ferner als andere Behörde, deren öffentliche Lieferaufträge staatlicher Kontrolle unterliegen, im Sinne von Anhang I Nummer VI der Richtlinie 77/62 angesehen werden.
28 Nach der Auffassung der irischen Regierung kann das Coillte Teoranta weder im Sinne der Richtlinie 77/62 noch im Sinne der Richtlinie 93/36 als öffentlicher Auftraggeber angesehen werden.
29 Das Coillte Teoranta sei ein Privatunternehmen, das den Bestimmungen des Companies Act (Gesetz über die Gesellschaften) unterliege. Es sei somit ein dem Staat gehörendes Wirtschaftsunternehmen. Die Befugnisse zur Einstellung und Entlassung der Verantwortlichen des Coillte Teoranta und zur Festlegung von dessen allgemeiner Politik seien nicht grösser als die Befugnisse, die in der Satzung eines Privatunternehmens vorgesehen sein könnten, dessen Anteile fast alle von einem einzigen Eigner gehalten würden. Bei der laufenden Verwaltung bestehe dagegen Unabhängigkeit, und der Staat habe keinen Einfluß auf die Auftragsvergabe.
30 Irland bestreitet jedoch nicht, daß das Coillte Teoranta, falls es als öffentlicher Auftraggeber anzusehen sein sollte, die Ausschreibung für den fraglichen öffentlichen Auftrag hätte veröffentlichen müssen.
31 Zunächst ist festzustellen, daß der vorliegende Sachverhalt nur unter die Richtlinie 77/62 fallen kann. Als die Ausschreibung vorgenommen wurde - und selbst als der betreffende Auftrag vergeben wurde -, war die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 93/36 noch nicht abgelaufen, und Irland hatte sie noch nicht umgesetzt.
32 Zu der Frage, ob das Coillte Teoranta ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 77/62 ist, ist festzustellen, daß das Coillte Teoranta im Gegensatz zu der Einrichtung, um die es im Urteil Beentjes ging, Rechtspersönlichkeit besitzt. Im übrigen ist unstreitig, daß es keine öffentlichen Aufträge für Rechnung des Staates oder einer Gebietskörperschaft vergibt.
33 Unter diesen Umständen kann das Coillte Teoranta nicht als Staat oder Gebietskörperschaft im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 77/62 angesehen werden. Es ist jedoch zu prüfen, ob es zu den in Anhang I der Richtlinie 77/62 aufgeführten, den juristischen Personen des öffentlichen Rechts gleichwertigen Einrichtungen zählt.
34 In Irland gehören nach diesem Anhang andere Behörden, deren öffentliche Lieferaufträge staatlicher Kontrolle unterliegen, zu den öffentlichen Auftraggebern.
35 Die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge auf Gemeinschaftsebene soll Hemmnisse für den freien Warenverkehr beseitigen.
36 Um dem Grundsatz des freien Warenverkehrs seine volle Wirksamkeit zu verschaffen, ist der Begriff des öffentlichen Auftraggebers in funktionellem Sinne zu verstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 1998 in der Rechtssache C-360/96, BFI Holding, Slg. 1998, I-6821, Randnr. 62).
37 Insoweit ist von Bedeutung, daß das Coillte Teoranta vom Staat errichtet und mit bestimmten Aufgaben betraut wurde, die hauptsächlich in der Unterhaltung der nationalen Wälder und einer Forstindustrie, aber auch in der Schaffung verschiedener Einrichtungen im Allgemeininteresse bestehen. Der Staat besitzt ferner die Befugnis, die Führungskräfte des Coillte Teoranta zu ernennen.
38 Ausserdem kann der Staat aufgrund der für den Minister bestehenden Möglichkeit, dem Coillte Teoranta Weisungen zu erteilen, um es u. a. zur Beachtung von Richtlinien in Zusammenhang mit der staatlichen Forstpolitik oder zur Schaffung bestimmter Dienstleistungen oder Einrichtungen zu verpflichten, sowie der dem Minister und dem Minister der Finanzen in finanzieller Hinsicht eingeräumten Befugnisse die wirtschaftliche Tätigkeit des Coillte Teoranta kontrollieren.
39 Auch wenn es keine ausdrückliche Bestimmung gibt, nach der sich die staatliche Kontrolle speziell auf die Vergabe öffentlicher Lieferaufträge durch das Coillte Teoranta erstreckt, kann der Staat eine solche Kontrolle somit zumindest mittelbar ausüben.
40 Aus diesen Gründen ist das Coillte Teoranta als "andere Behörde, deren öffentliche Lieferaufträge staatlicher Kontrolle unterliegen", im Sinne von Anhang I Nummer VI der Richtlinie 77/62 anzusehen.
41 Folglich ist das Coillte Teoranta ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 77/62. Es war daher im vorliegenden Fall verpflichtet, eine Bekanntmachung der Ausschreibung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichen zu lassen.
42 Somit ist festzustellen, daß Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 77/62 in der Fassung der Richtlinie 88/295 verstossen hat, daß das Coillte Teoranta keine Bekanntmachung der Ausschreibung für einen Auftrag zur Lieferung von Düngemitteln im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichen ließ.
Kostenentscheidung:
Kosten
43 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Irland mit seinem Vorbringen unterlegen ist, hat es die Kosten zu tragen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Irland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in der Fassung der Richtlinie 88/295/EWG des Rates vom 22. März 1988 verstossen, daß das Coillte Teoranta keine Bekanntmachung der Ausschreibung für einen Auftrag zur Lieferung von Düngemitteln im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichen ließ.
2. Irland trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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