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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.04.1991
Aktenzeichen: C-354/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung (EWG) Nr. 517/72 vom 28. Februar 1972


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173
Verordnung (EWG) Nr. 517/72 vom 28. Februar 1972 Art. 13
Art. 8 Verordnung Nr. 517/72
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Prüfung eines Antrags auf Einrichtung eines Sonder-Linienverkehrs mit Kraftomnibussen zwischen Mitgliedstaaten schließt gemäß Artikel 8 der Verordnung Nr. 517/72 die Beurteilung eines komplexen wirtschaftlichen Sachverhalts ein. So sind qualitativ wie auch quantitativ die vorhandenen Verkehrsdienste, die gegenwärtigen und vorhersehbaren Verkehrsbedürfnisse sowie gegebenenfalls die Möglichkeiten für die Einrichtung eines entsprechenden Verkehrsdienstes durch diejenigen Unternehmen zu berücksichtigen, die in den betreffenden Gebieten bereits tätig sind.

Folglich verfügt die Kommission, wenn sie gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 517/72 eine Entscheidung zu erlassen hat, über ein weites Ermessen in bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen es gerechtfertigt ist, einem Mitgliedstaat die Genehmigung zu erteilen, die Einrichtung eines Sonder-Linienverkehrs zu gestatten. Angesichts eines solchen weiten Ermessens hat sich der Gerichtshof auf die Prüfung zu beschränken, ob dieses Ermessen wegen eines offensichtlichen Irrtums, eines Ermessensmißbrauchs oder einer offensichtlichen Überschreitung der Grenzen des Ermessens durch die Kommission fehlerhaft ausgeuebt worden ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 16. APRIL 1991. - SCHIOCCHET GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - NICHTIGKEITSKLAGE - ENTSCHEIDUNG UEBER EINE STREITIGKEIT BETREFFEND DIE EINRICHTUNG EINES SONDER-LINIENVERKEHRSDIENSTES FUER DIE BEFOERDERUNG VON PERSONEN ZWISCHEN MITGLIEDSTAATEN. - RECHTSSACHE C-354/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Gesellschaft französischen Rechts Schiocchet, Beuvillers (Frankreich), hat mit Klageschrift, die am 20. November 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung der Entscheidung 89/524/EWG der Kommission vom 7. September 1989 über eine Streitigkeit zwischen Luxemburg und Frankreich betreffend die Einrichtung eines Sonder-Linienverkehrs für die Beförderung von Personen zwischen beiden Staaten (ABl. L 272, S. 18) beantragt.

2 Die Gesellschaft luxemburgischen Rechts Emile Frisch, Luxemburg (im folgenden: Firma Frisch), hatte am 9. Januar 1986 bei den luxemburgischen Behörden die Genehmigung für die Einrichtung eines Sonder-Linienverkehrs mit Kraftomnibussen zwischen Thil und bestimmten anderen Ortschaften in Lothringen (Frankreich) einerseits und dem Keramikwerk Villeroy & Boch in Luxemburg andererseits beantragt. Gemäß Artikel 13 der Verordnung (EWG) Nr. 517/72 des Rates vom 28. Februar 1972 über die Einführung gemeinsamer Regeln für den Linienverkehr und die Sonderformen des Linienverkehrs mit Kraftomnibussen zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 67, S. 19) werden die Entscheidungen über Anträge auf Einrichtung einer Sonderform des Linienverkehrs in gegenseitigem Einvernehmen von den Mitgliedstaaten getroffen, in deren Hoheitsgebiet Fahrgäste aufgenommen oder abgesetzt werden.

3 Da die Behörden der vom Antrag der Firma Frisch betroffenen Mitgliedstaaten sich nicht darüber einigen konnten, wie über den Antrag zu befinden sei, befasste Luxemburg die Kommission; diese erließ die angefochtene Entscheidung, deren Artikel 1 folgenden Wortlaut hat:

"Die zuständige Behörde des Großherzogtums Luxemburg erteilt der SARL Autocars Emile Frisch die Genehmigung zur Einrichtung eines Sonder-Linienverkehrs zwischen Thil (Frankreich) und Luxemburg für die Arbeitnehmer des Werks der Firma Villeroy & Boch mit Abfahrt in Thil um 4.20 Uhr und um 12.20 Uhr und vom Werk Villeroy & Boch um 14.00 Uhr und um 22.00 Uhr, mit dem folgende Orte bedient werden:

Thil - Hussigny - Tiercelet - Aumetz - Beuvillers - Audun-le-Roman - Serrouville - Errouville - Crusnes - Cantebonne - Villerupt - Audun-le-Tiche - Esch/Alzette - Schifflange - Werk Villeroy & Boch.

Die Benutzung dieses Verkehrsdienstes ist den Arbeitnehmern des Werks der Firma Villeroy & Boch in Luxemburg, rü de Rollingergrund 330, 1018 Luxemburg, vorbehalten."

4 Artikel 8 der Verordnung Nr. 517/72 lautet:

"(1) Ein Antrag auf Einrichtung eines Linienverkehrs oder einer Sonderform des Linienverkehrs wird geprüft, um festzustellen, ob die Bedienung des Verkehrs, der Gegenstand des Antrags ist, qualitativ wie auch quantitativ durch die vorhandenen Personenverkehrsdienste nicht bereits zufriedenstellend gewährleistet ist.

(2) Bei der Prüfung nach Absatz 1 werden insbesondere berücksichtigt:

a) die gegenwärtigen und vorhersehbaren Verkehrsbedürfnisse, die der Antragsteller zu befriedigen beabsichtigt,

b) beim Linienverkehr die Marktlage des Personenverkehrs in den betreffenden Gebieten.

(3) Bei der Prüfung nach Absatz 1 können auch die Möglichkeiten für die Einrichtung eines entsprechenden Verkehrsdienstes durch diejenigen Unternehmen, die in den betreffenden Gebieten bereits tätig sind, berücksichtigt werden."

5 Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe, mit denen sie folgendes geltend macht: Die Firma Frisch habe sich bestimmte Zuwiderhandlungen zuschulden kommen lassen, der von der Firma Frisch vorgeschlagene Sonder-Linienverkehr entspreche nicht den Anforderungen des Artikels 8 der Verordnung Nr. 517/72 und - schließlich - als Folge der angefochtenen Entscheidung entstehe ein Monopol zugunsten der Firma Frisch.

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zu dem Klagegrund, mit dem Zuwiderhandlungen der Firma Frisch geltend gemacht werden

7 Die Klägerin macht zunächst geltend, daß die Firma Frisch von 1970 bis mindestens 1976 ohne die in der Verordnung Nr. 517/72

vorgeschriebenen Genehmigungen bestimmte Linien zwischen Luxemburg und dem französischen Grenzgebiet betrieben habe. Ferner habe die Firma Frisch die Fahrstrecke und den Fahrplan des fraglichen Sonder-Linienverkehrs unter Verstoß gegen das in Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 517/72 vorgesehene Verfahren für Änderungen so geändert, daß er den Bedingungen, denen der Betrieb dieses Verkehrsdienstes durch die angefochtene Entscheidung unterworfen worden sei, nicht mehr entspreche. Die Firma Frisch fahre in Thil um 4.30 Uhr und um 12.30 Uhr und von Villeroy & Boch um 14.15 Uhr und um 22.15 Uhr ab. Ausserdem bediene die Firma Frisch nicht mehr alle 15 in der angefochtenen Entscheidung aufgeführten Haltestellen.

8 Zu dem vor 1982 liegenden Sachverhalt ist festzustellen, daß die Kommission zu Recht ausführt, durch ihre Entscheidung 82/595/EWG vom 10. August 1982 zur Beilegung der Streitigkeit zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und der Französischen Republik betreffend die Erneuerung der Genehmigungen für bestimmte Sonderformen des Linienverkehrs (ABl. L 244, S. 32) sei jedenfalls die Situation der Firma Frisch mit dem geltenden Recht in Einklang gebracht worden.

9 Zu der Argumentation in bezug auf die einseitigen Änderungen der Fahrstrecke und des Fahrplans des fraglichen Verkehrsdienstes vertritt die Kommission die Auffassung, daß diese Änderungen den Gegenstand des durch die angefochtene Entscheidung genehmigten Verkehrsdienstes nicht in Frage gestellt hätten und daher keine Änderungen im Sinne der Verordnung Nr. 517/72 gewesen seien, so daß das Verfahren des Artikels 4 Absatz 2 dieser Verordnung nicht habe eingehalten werden müssen.

10 Dazu ist zunächst festzustellen, daß der von der Firma Frisch vorgeschlagene Sonder-Linienverkehr nur die Beförderung von Arbeitnehmern der Firma Villeroy & Boch, die zur 6-Uhr- und zur 14-Uhr-Schicht gehören, zum Werk und zu den in der angefochtenen Entscheidung aufgezählten Ortschaften zum Gegenstand hat und daß dieser Verkehrsdienst für die genannten Arbeitnehmer eine geeignete, weil leicht an ihre Bedürfnisse anpaßbare Beförderungsmöglichkeit darstellt.

11 Sodann ist festzustellen, daß die von der Firma Frisch vorgenommenen geringfügigen Änderungen der Fahrstrecke und des Fahrplans des fraglichen Sonder-Linienverkehrs dessen Gegenstand nicht verändert haben und für sie somit keine vorherige Genehmigung nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 517/72 erforderlich ist. Dieser Klagegrund ist daher nicht stichhaltig.

Zu dem Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Artikel 8 der Verordnung Nr. 517/72 gerügt wird

12 Nach Ansicht der Klägerin überschneidet sich der Sonder-Linienverkehr der Firma Frisch teilweise mit bereits von ihr betriebenen Linien, die bestimmte in der angefochtenen Entscheidung aufgeführte Ortschaften bedienen. Auch entspreche der fragliche Sonder-Linienverkehr einer bestimmten Anzahl von Grenzgängern nicht, die auf andere Verkehrsdienste zurückgriffen, für die sie schon vor der Firma Frisch Genehmigungen für die Erweiterung bestimmter bereits betriebener Verkehrsdienste beantragt habe.

13 Dazu ist vorab festzustellen, daß die Prüfung eines Antrags auf Einrichtung eines Sonder-Linienverkehrs gemäß Artikel 8 der Verordnung Nr. 517/72 die Beurteilung eines komplexen wirtschaftlichen

Sachverhalts einschließt. So sind qualitativ wie auch quantitativ die vorhandenen Verkehrsdienste, die gegenwärtigen und vorhersehbaren Verkehrsbedürfnisse sowie gegebenenfalls die Möglichkeiten für die Einrichtung eines entsprechenden Verkehrsdienstes durch diejenigen Unternehmen zu berücksichtigen, die in den betreffenden Gebieten bereits tätig sind.

14 Folglich verfügt die Kommission, wenn sie gemäß Artikel 14 der Verordnung Nr. 517/72 eine Entscheidung zu erlassen hat, über ein weites Ermessen in bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen es gerechtfertigt ist, einem Mitgliedstaat die Genehmigung zu erteilen, die Einrichtung eines Linienverkehrs oder eines Sonder-Linienverkehrs zu gestatten. Angesichts eines solchen weiten Ermessens hat sich der Gerichtshof auf die Prüfung zu beschränken, ob dieses Ermessen wegen eines offensichtlichen Irrtums, eines Ermessensmißbrauchs oder einer offensichtlichen Überschreitung der Grenzen des Ermessens durch die Kommission fehlerhaft ausgeuebt worden ist.

15 Es genügt daher festzustellen, daß die Kommission in den Begründungserwägungen der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, daß der neue Verkehrsdienst den nachweislichen Bedarf in dem fraglichen Gebiet in quantitativer und qualitativer Hinsicht befriedige, da er rund 50 Arbeitnehmern der 6-Uhr-Schicht und der 14-Uhr-Schicht von Villeroy & Boch, die keine öffentlichen Verkehrsdienste für die Fahrt zu ihrer Arbeitsstelle und zurück benutzen könnten, eine zeitlich günstige Beförderung biete. Die Linienführung solle verschiedene Ortschaften umfassen, die gegenwärtig zu den fraglichen Zeiten mit öffentlichen Verkehrsdiensten nicht bedient würden. Der von der Firma Frisch vorgeschlagene Fahrplan sei günstiger und der Verkehrsdienst schneller als der von der Klägerin für die 6-Uhr-Schicht vorgesehene Linienverkehr. Die Klägerin sehe nicht die Einrichtung eines Verkehrsdienstes für die Beförderung der Arbeitnehmer der 14-Uhr-Schicht vor.

16 Im Hinblick auf diese Erwägungen ist festzustellen, daß die Kommission mit dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung die Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten hat. Daher ist der auf die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 8 der Verordnung Nr. 517/72 gestützte Klagegrund zurückzuweisen.

Zu dem Klagegrund, mit dem die Ausschaltung jeden Wettbewerbs mit der Firma Frisch durch die angefochtene Entscheidung geltend gemacht wird

17 Die Klägerin stützt diesen Klagegrund im wesentlichen darauf, daß die streitige Entscheidung jeden Wettbewerb mit der Firma Frisch ausschalte und die Klägerin auf absehbare Zeit vom Markt der Verkehrsdienste mit Kraftomnibussen im fraglichen Gebiet verdränge. Die Firma Frisch erhalte dadurch ein Monopol auf einen Sonder-Linienverkehr, der teilweise bereits von der Klägerin betrieben werde und dessen sonstige Fahrstrecke nur eine natürliche Verlängerung darstelle, für deren Betrieb die Klägerin seinerzeit Genehmigungsanträge eingereicht habe.

18 Die Kommission ist der Auffassung, daß sich die Prüfung eines Antrags auf Einrichtung einer Sonderform des Linienverkehrs von der eines Antrags, der einen Linienverkehr betreffe, unterscheide und sich nicht auf die Marktlage des Personenverkehrs in den betreffenden Gebieten beziehe. Ausserdem richte sich der von der Klägerin angebotene Verkehrsdienst in dieser Region an alle Interessenten einschließlich nicht bei Villeroy & Boch beschäftigter Personen, und es werde zu Zeiten gefahren, die für die 6-Uhr- und die 14-Uhr-Schicht nicht geeignet seien. Der Sonder-Linienverkehr der Firma Frisch stehe also mit dem bereits von der Klägerin betriebenen Verkehrsdienst nicht in Wettbewerb.

19 Es ist festzustellen, daß bei der Prüfung eines Antrags auf Einrichtung eines Verkehrsdienstes, sofern es sich dabei um einen Linienverkehr handelt, gemäß Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 517/72 die Marktlage des Personenverkehrs in den betreffenden Gebieten zu berücksichtigen ist.

20 Im Hinblick darauf genügt die Feststellung, daß der fragliche, von der Firma Frisch betriebene Verkehrsdienst eine Sonderform des Linienverkehrs im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 der Verordnung Nr. 117/66/EWG des Rates vom 28. Juli 1966 über die Einführung gemeinsamer Regeln für den grenzueberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen (ABl. 1966 Nr. 147, S. 2688) darstellt. Daher brauchte die Kommission gemäß Artikel 8 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 517/72 bei der Prüfung des Antrags auf Einrichtung dieses Verkehrsdienstes die Marktlage des Personenverkehrs in den betreffenden Gebieten nicht zu berücksichtigen.

21 Darüber hinaus ist in Übereinstimmung mit Nr. 15 der Schlussanträge des Generalanwalts festzustellen, daß sich der von der Firma Frisch betriebene Sonder-Linienverkehr sowohl im Fahrplan als auch im Hinblick auf die angesprochenen Kunden wesentlich von dem Verkehrsdienst unterscheidet, den die Klägerin anbietet. Folglich ist es ausgeschlossen, daß die streitige Entscheidung die Klägerin vom Markt der Verkehrsdienste mit Kraftomnibussen in den betreffenden Gebieten verdrängt.

22 Aufgrund dieser Erwägungen ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

23 Da kein Klagegrund durchgreift, ist die Klage der Klägerin abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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