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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.07.1999
Aktenzeichen: C-354/98
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 96/97/EG


Vorschriften:

EGV Art. 169 (jetzt EGV Art. 226)
Richtlinie 96/97/EG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit den Gemeinschaftsvorschriften, lässt sich, auch soweit diese unmittelbar anwendbar sind, letztlich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen.

2 Richtlinien müssen mit Bestimmungen umgesetzt werden, die zweifelsfrei verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, daß sie dem Gebot der Rechtssicherheit genügen. Danach muß den Begünstigten bei Richtlinien, die Rechte für einzelne begründen sollen, der volle Umfang dieser Rechte erkennbar sein.


Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 8. Juli 1999. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Nichtumsetzung der Richtlinie 96/97/EG. - Rechtssache C-354/98.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 25. September 1998 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. 1997, L 46, S. 20; im folgenden: Richtlinie) verstossen hat, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

2 Mit der Richtlinie wurden die Bestimmungen der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 (ABl. L 225, S. 40) angepasst, die durch das Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88 (Barber, Slg. 1990, I-1889) betroffen waren.

3 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um dieser Richtlinie zum 1. Juli 1997 nachzukommen, und setzen die Kommission unverzueglich davon in Kenntnis.

4 Die Kommission stellte fest, daß diese Frist abgelaufen war, ohne daß die Französische Republik ihr den Erlaß von Maßnahmen mitgeteilt hätte. Sie forderte diesen Mitgliedstaat mit Schreiben vom 9. September 1997 auf, sich binnen zwei Monaten zu äussern.

5 Mit Schreiben vom 26. November 1997 teilten die französischen Stellen mit, daß die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen in Vorbereitung seien.

6 Die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Bestimmungen wurden der Kommission nicht mitgeteilt. Sie richtete mit Schreiben vom 22. April 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Französische Republik, in der sie diese aufforderte, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

7 Mit Schreiben vom 17. Juli 1998 antworteten die französischen Stellen, daß die Rechtsvorschriften über die Arbeitnehmer in dem nächsten, verschiedene soziale Maßnahmen beinhaltenden Gesetzentwurf enthalten seien, der dem Parlament vorgelegt werde. Im übrigen verwiesen sie darauf, daß die betroffenen betrieblichen Systeme von den Sozialpartnern im Rahmen des nationalen Rechts und unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts frei definiert und geändert werden könnten und daß ein grosser Teil der privaten Systeme vor dem Erlaß der Richtlinie unmittelbar auf der Grundlage des Urteils Barber, das den für diese Systeme Verantwortlichen seinerzeit bekannt gewesen sei, im erforderlichen Umfang angepasst worden sei.

8 Da die Kommission keine weitere Mitteilung von der Französischen Republik erhielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

9 Die französische Regierung bestreitet nicht, daß die Richtlinie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist umgesetzt worden ist. Sie bestätigt, daß ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie vom Parlament verabschiedet werden müsse.

10 Sie macht jedoch geltend, daß die betroffenen betrieblichen Systeme von den Sozialpartnern im Rahmen des nationalen Rechts und unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts frei definiert und geändert werden könnten. Ausserdem sei ein grosser Teil der privaten Systeme bereits vor dem Erlaß der Richtlinie im erforderlichen Umfang angepasst worden. Gemäß dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts könne schließlich Artikel L 913-1 Absatz 3 des Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch), der Diskriminierungen hinsichtlich der Festsetzung des Rentenalters oder der Bedingungen für die Gewährung von Hinterbliebenenrenten zulasse, von den Bürgern vor französischen Gerichten nicht geltend gemacht werden.

11 Dieses Vorbringen greift nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit den Gemeinschaftsvorschriften, auch soweit diese unmittelbar anwendbar sind, letztlich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen. Zudem müssen Richtlinien mit Bestimmungen umgesetzt werden, die zweifelsfrei verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, daß sie dem Gebot der Rechtssicherheit genügen. Danach muß den Begünstigten bei Richtlinien, die Rechte für einzelne begründen sollen, der volle Umfang dieser Rechte erkennbar sein (vgl. Urteil vom 13. März 1997 in der Rechtssache C-197/96, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-1489, Randnrn. 14 und 15).

12 Da die Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der in dieser festgesetzten Frist erfolgt ist, ist die Klage der Kommission somit begründet.

13 Folglich ist festzustellen, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie verstossen hat, daß sie nicht alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission diesen Antrag gestellt hat und die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind dieser die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit verstossen, daß sie nicht alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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