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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.06.1992
Aktenzeichen: C-358/89
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 2423/88/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 173
VO Nr. 2423/88/EWG Art. 4 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Antidumping-Grundverordnung Nr. 2423/88 sind der Rat und die Kommission bei der Feststellung, ob eine Schädigung vorliegt, verpflichtet, zu prüfen, ob die Schädigung eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft tatsächlich auf die gedumpten Einfuhren zurückgeht. Sie haben nach dieser Bestimmung jede auf andere Faktoren zurückgehende Schädigung, insbesondere eine solche, die durch das eigene Verhalten der Gemeinschaftshersteller verursacht worden ist, ausser Betracht zu lassen.

Insoweit kann nicht angenommen werden, daß die Gemeinschaftsorgane das Vorliegen einer Schädigung ordnungsgemäß festgestellt haben, wenn sich aus keinem der bei Gericht vorgelegten Beweisstücke ergibt, daß diese tatsächlich geprüft haben, ob der Wirtschaftszweig der Gemeinschaft durch seine Lieferverweigerung gegenüber dem Wirtschaftsteilnehmer, der zu Dumpingpreisen eingeführt hat, selbst zu der Schädigung beigetragen hat, und festgestellt haben, daß die vom Wirtschaftsteilnehmer angeführten ° nicht mit dem Dumping zusammenhängenden ° Faktoren der festgestellten Schädigung nicht zugrunde lagen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 11. JUNI 1992. - EXTRAMET INDUSTRIE SA GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - DUMPING - ENDGUELTIGER ZOLL - CALCIUM-METALL. - RECHTSSACHE C-358/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Extramet Industrie SA, Gesellschaft französischen Rechts, hat mit Klageschrift, die am 27. November 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereicht worden ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben mit dem Antrag, die Verordnung (EWG) Nr. 2808/89 des Rates vom 18. September 1989 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Calcium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China und der Sowjetunion und zur endgültigen Vereinnahmung der vorläufigen Antidumpingzölle auf diese Einfuhren (ABl. L 271, S. 1), zumindest aber Randnummer 24 der Begründungserwägungen dieser Verordnung für nichtig zu erklären.

2 Die Klägerin ist der grösste Importeur von Calcium-Metall aus der Volksrepublik China und der Sowjetunion in die Gemeinschaft. Die Einfuhren von Calcium-Metall stellen die Hauptbezugsquelle der Klägerin dar, die auf der Grundlage dieses Erzeugnisses nach einem von ihr entwickelten Redestillationsverfahren, für das sie Patentschutz genießt, reines Calcium in Granulaten herstellt, das vor allem in der Metallurgie Verwendung findet.

3 Nachdem die Streithelferin zu 3, die Chambre syndicale de l' électrométallurgie et de l' électrochimie, im Namen der Streithelferin zu 2, der Péchiney Electrométallurgie SA, der einzigen Herstellerin von Calcium-Metall in der Gemeinschaft und Verarbeiterin von reinem Calcium-Metall nach einem eigenen Destillationsverfahren, eine Beschwerde bei der Kommission eingereicht hatte, erließ diese die Verordnung (EWG) Nr. 707/89 vom 17. März 1989 zur Einführung eines vorläufigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Calcium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China und der Sowjetunion (ABl. L 78, S. 10).

4 Nach einer Verlängerung des vorläufigen Zolls führte der Rat mit der streitigen Verordnung, die am 21. September 1989 in Kraft getreten ist, einen endgültigen Antidumpingzoll in Höhe von 21,8 und 22 % für die Einfuhren von Calcium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China und der Sowjetunion ein und ordnete die endgültige Vereinnahmung des auf diese Einfuhren eingeführten vorläufigen Antidumpingzolls an.

5 In den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 2808/89 heisst es, der Gemeinschaftshersteller ° die Streithelferin zu 1 ° und ein unabhängiger Importeur (der die Ware auch verarbeite) ° die Klägerin ° hätten nach der Einführung des vorläufigen Antidumpingzolls bei der Kommission einen Antrag auf Anhörung gestellt, dem stattgegeben worden sei. Sie hätten auch schriftlich zu den Ergebnissen der Sachaufklärung Stellung genommen.

6 Diesen Begründungserwägungen zufolge machte der Importeur u. a. geltend, daß der Gemeinschaftshersteller den ihm entstandenen Schaden selbst verursacht habe, indem er es abgelehnt habe, Calcium-Metall an den Importeur zu liefern, was diesen veranlasst habe, bei den zuständigen französischen Stellen eine Beschwerde wegen Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung einzureichen.

7 In Randnummer 24 der Begründungserwägungen heisst es ferner, der Importeur habe eine besondere Ausnahme für den Fall beantragt, daß die Einführung endgültiger Zölle beschlossen werden sollte; diesem Antrag habe der Rat nicht stattgeben können.

8 Mit besonderem Schriftsatz, der am 11. Dezember 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingereicht worden ist, hat die Klägerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, mit dem sie u. a. die Aussetzung des Vollzugs der Verordnung Nr. 2808/89 bis zum Erlaß des Urteils zur Hauptsache begehrte. Der Präsident des Gerichtshofes hat diesen Antrag mit Beschluß vom 14. Februar 1990 zurückgewiesen.

9 Mit Beschlüssen vom 17. Januar und 22. Mai 1990 hat der Gerichtshof die Kommission, die Péchiney Electrométallurgie SA und die Chambre syndicale de l' électrométallurgie et de l' électrochimie als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen.

10 Mit Urteil vom 16. Mai 1991 hat der Gerichtshof eine vom Rat gegenüber der Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen.

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur wiedergegeben, soweit es die Begründung des Urteils erfordert.

12 Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe, mit denen sie Fehler bei der Bestimmung der berücksichtigten gleichartigen Waren, bei der Ermittlung des Normalwerts, bei der Feststellung des Vorliegens einer Schädigung der Industrie der Gemeinschaft und bei der Beurteilung der Interessen der Gemeinschaft geltend macht. Zunächst ist der Klagegrund zu prüfen, der sich auf die Feststellung des Vorliegens einer Schädigung der Industrie der Gemeinschaft bezieht.

13 Die Klägerin stützt diesen Klagegrund namentlich darauf, daß die Streithelferin zu 2 den ihr entstandenen Schaden selbst verursacht habe, da sie es abgelehnt habe, die Klägerin mit Calcium-Metall zu beliefern. Wenn sich die Streithelferin zu 2 bereit erklärt hätte, sie mit Calcium-Metall zu beliefern, so hätte sie in dem für die Prüfung der Schädigung gewählten Zeitraum keinerlei Produktionsrückgang erlitten; die sowjetischen und die chinesischen Einfuhren in die Gemeinschaft wären in diesem Fall um die Hälfte gesunken und hätten nur noch einen geringfügigen Teil des Gemeinschaftsmarkts ausgemacht.

14 Die Klägerin weist ferner darauf hin, daß sie gegen die Streithelferin zu 2 nach deren Weigerung, ihr Calcium-Metall zu verkaufen, ein Gerichtsverfahren wegen Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bei den zuständigen französischen Stellen angestrengt habe. Im Rahmen eines Antidumpingverfahrens müssten solche wettbewerbswidrigen Praktiken berücksichtigt werden; ein Antidumpingzoll dürfe nicht eingeführt werden, wenn er die Aufrechterhaltung eines nicht gerechtfertigten Vorteils auf dem Gemeinschaftsmarkt bewirke, der sich aus einem Kartell oder dem Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ergebe, und wenn förmliche Beweise für derartige Praktiken vorgelegt würden und ein auf die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft gestütztes Verfahren anhängig sei.

15 Gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates vom 11. Juli 1988 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 209, S. 1) kann das "Vorliegen einer Schädigung... nur festgestellt werden, wenn die gedumpten... Einfuhren... eine Schädigung [eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft] hervorrufen... Schädigungen, die durch andere Faktoren... hervorgerufen werden,... dürfen nicht den gedumpten... Einfuhren zugerechnet werden."

16 Bei der Feststellung, ob eine Schädigung vorliegt, sind der Rat und die Kommission demnach verpflichtet, zu prüfen, ob die von ihnen angenommene Schädigung tatsächlich auf die gedumpten Einfuhren zurückgeht, und jede auf andere Faktoren zurückgehende Schädigung, insbesondere eine solche, die durch das eigene Verhalten der Gemeinschaftshersteller verursacht worden ist, ausser Betracht zu lassen.

17 Gegenüber dem Vorbringen der Klägerin hat sich der Rat im Verfahren vor dem Gerichtshof darauf beschränkt, unter Bezugnahme auf Randnummer 15 der Begründungserwägungen der angefochtenen Verordnung geltend zu machen, daß ein Antidumpingverfahren wegen seines spezifischen Charakters andere Formen des Vorgehens zur Ahndung anderer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen nicht ausschließe.

18 Bereits in Randnummer 15 der Begründungserwägungen der angefochtenen Verordnung hatte sich der Rat jedoch auf den Hinweis beschränkt, daß der Kommission zufolge zum einen die Streithelferin zu 2 die Behauptung der Klägerin zurückgewiesen habe und die von der Klägerin befassten französischen Stellen noch keine abschließende Entscheidung erlassen hätten und zum anderen eine Antidumpinguntersuchung nicht das Ergebnis eines Verfahrens nach den Artikeln 85 oder 86 EWG-Vertrag vorwegnehmen könne und eine Überprüfung des betreffenden Antidumpingverfahrens nach Artikel 14 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2423/88 möglich sei, falls ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt werde.

19 Aus keiner dieser Erwägungen ergibt sich, daß die Gemeinschaftsorgane tatsächlich die Frage, ob die Streithelferin zu 2 durch ihre Verkaufsverweigerung nicht selbst zu der Schädigung beigetragen hat, geprüft und festgestellt hätten, daß die festgestellte Schädigung nicht auf die von der Klägerin angeführten Faktoren zurückgeht. Damit haben sie das Vorliegen einer Schädigung nicht ordnungsgemäß festgestellt.

20 Demgemäß ist dem Klagegrund, mit dem Fehler bei der Feststellung des Vorliegens einer von der Industrie der Gemeinschaft erlittenen Schädigung geltend gemacht werden, zu folgen, und die angefochtene Verordnung ist für nichtig zu erklären, ohne daß die übrigen von der Klägerin angeführten Klagegründe und Argumente zu prüfen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

21 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat unterlegen ist, sind ihm die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen. Die Streithelferinnen, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge des Rates beigetreten sind, haben nach Artikel 69 § 4 Absätze 1 und 2 ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Verordnung (EWG) Nr. 2808/89 des Rates vom 18. September 1989 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Calcium-Metall mit Ursprung in der Volksrepublik China und der Sowjetunion und zur endgültigen Vereinnahmung der vorläufigen Antidumpingzölle auf diese Einfuhren wird für nichtig erklärt.

2) Der Rat trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

3) Die Streithelferinnen tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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