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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.05.1994
Aktenzeichen: C-36/92 P
Rechtsgebiete: EWG-Satzung, Verordnung Nr. 17, EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Satzung Artikel 49
Verordnung Nr. 17 Artikel 12
EWG-Vertrag Artikel 214
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn im Rahmen des Verfahrens zur Anwendung der Wettbewerbsregeln die Kommission nach Artikel 10 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet ist, den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Abschriften der wichtigsten Schriftstücke zu übermitteln, die bei ihr eingereicht wurden, so sind diese Behörden nach Artikel 20 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet, Kenntnisse nicht preiszugeben, die sie bei der Anwendung dieser Verordnung erhalten haben und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen. Dieses Preisgabeverbot kann jedoch nicht garantieren, daß die fraglichen Informationen von den Behörden, für die sie bestimmt sind, oder von den Beamten, die von ihnen bei der Ausübung ihres Amtes Kenntnis erlangt haben, nicht berücksichtigt werden. Die Verfahrensgarantie, die für die Unternehmen darin besteht, daß die Behörden die erlangten Kenntnisse nicht zu einem anderen Zweck als demjenigen verwerten dürfen, zu dem sie gesammelt worden sind, kann nämlich nicht so weit gehen, daß die Behörden die übermittelten Informationen tatsächlich ignorieren.

In einer Situation, in der die Kommission die Vorlage eines zwischen Unternehmen geschlossenen Vertrages angeordnet hat und in der ein Mitgliedstaat, dem dieser Vertrag übermittelt werden soll, die Aufsichtsbehörde eines dritten Unternehmens ist, das Konkurrent eines der Unternehmen ist, die Parteien des Vertrages sind, könnte die in Artikel 20 der Verordnung vorgenommene Beschränkung der Verwertung der erlangten Kenntnisse nicht die irreversiblen Folgen verhindern, die mit der blossen Kenntnis der in diesem Vertrag festgelegten Geschäftsbedingungen verbunden sind. Die nationalen Behörden, die diesen Vertrag berechtigterweise eingesehen hätten, könnten nämlich nicht wirksam gezwungen werden, diesen Bedingungen keinerlei Rechnung zu tragen, wenn sie veranlasst wären, die Handelspolitik des Konkurrenzunternehmens zu bestimmen, über das sie die Aufsicht ausüben. Artikel 20 bietet dem fraglichen Unternehmen daher keinen wirksamen Schutz.

2. Das Rechtsmittel ist zurückzuweisen, wenn die Gründe eines Urteils des Gerichts eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts erkennen lassen, sich die Urteilsformel aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist.

3. Zwar ist im Rahmen des Verfahrens zur Durchführung der Wettbewerbsregeln die Kommission nach Artikel 10 der Verordnung Nr. 17 verpflichtet, den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Abschriften derjenigen der bei ihr eingereichten Schriftstücke zu übermitteln, die sie für die wichtigsten hält, doch kann diese Verpflichtung durch den allgemeinen Grundsatz des Rechts der Unternehmen auf Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse eingeschränkt werden, der in Artikel 214 EWG-Vertrag sowie in verschiedenen Bestimmungen der Verordnung Nr. 17 zum Ausdruck kommt. Das kann dann der Fall sein, wenn sich ein Unternehmen vor der Kommission auf die Vertraulichkeit eines bestimmten Schriftstücks gegenüber den zuständigen nationalen Behörden beruft und diese Berufung nicht ganz irrelevant ist.

Daher ist es Sache der Kommission, zu beurteilen, ob ein bestimmtes Schriftstück Geschäftsgeheimnisse enthält. Nachdem sie dem Unternehmen Gelegenheit gegeben hat, seinen Standpunkt geltend zu machen, hat sie darüber eine hinreichend begründete Entscheidung zu erlassen, die dem Unternehmen mitzuteilen ist. Angesichts des ausserordentlich schweren Schadens, der aus der unzulässigen Weiterleitung von Unterlagen entstehen kann, muß die Kommission, wenn sie den nationalen Behörden ein Schriftstück übermitteln will, obwohl von diesem behauptet wird, daß es diesen Behörden gegenüber vertraulich zu behandeln sei, vor dem Vollzug ihrer Entscheidung dem Unternehmen die Möglichkeit geben, den Gerichtshof anzurufen, um die vorgenommenen Beurteilungen überprüfen zu lassen und die beanstandete Weiterleitung zu verhindern.

Das Unternehmen könnte also im Rahmen einer gegen eine solche Entscheidung gerichteten Nichtigkeitsklage und nicht im Rahmen einer Klage gegen die nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 getroffene Entscheidung, mit der die Vorlage des Schriftstücks an die Kommission angeordnet wird, gegebenenfalls sein Recht auf Schutz seiner Geschäftsgeheimnisse geltend machen, da die Verpflichtung, das Schriftstück vorzulegen, nicht notwendig dazu führt, daß es den zuständigen nationalen Behörden übermittelt werden kann.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 19. MAI 1994. - SAMENWERKENDE ELEKTRICITEITS-PRODUKTIEBEDRIJVEN (SEP) NV GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - WETTBEWERB - VERWALTUNGSVERFAHREN - AN EIN UNTERNEHMEN GERICHTETE ENTSCHEIDUNG UEBER EIN AUSKUNFTSVERLANGEN - ERFORDERLICHE AUSKUENFTE - GRUNDSATZ DER VERHAELTNISMAESSIGKEIT UND VERPFLICHTUNG DER MITGLIEDSTAATEN, DAS BERUFSGEHEIMNIS ZU WAHREN. - RECHTSSACHE C-36/92 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die SEP hat mit Rechtsmittelschrift, die am 12. Februar 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-39/90 (SEP/Kommission, Slg. 1991, II-1497) eingelegt, mit dem das Gericht die Klage der SEP abgewiesen und sie zur Tragung der Kosten verurteilt hat.

2 Aus den Feststellungen des Gerichts in seinem Urteil (Randnrn. 2 bis 9) ergibt sich folgendes:

- Die Rechtsmittelführerin ist eine Aktiengesellschaft, in der die vier niederländischen Unternehmen der öffentlichen Stromversorgung zusammengeschlossen sind. Etwa 50 % der in den Niederlanden erzeugten Elektrizität wird aus Erdgas erzeugt.

- Die Nederlandse Gasunie NV (im folgenden: Gasunie) besitzt in den Niederlanden ein faktisches Monopol für die Lieferung von Erdgas. Sie ist zu 50 % unmittelbar oder mittelbar in Händen des niederländischen Staates. Die grundlegenden Entscheidungen über die Verkaufspolitik der Gasunie bedürfen der Zustimmung des Wirtschaftsministers.

- Am 16. Juni 1989 schloß die Rechtsmittelführerin erstmals einen Gaslieferungsvertrag mit einem anderen Lieferanten als Gasunie, und zwar dem norwegischen Unternehmen Statoil (im folgenden: Statoil-Vertrag).

- Infolge des Abschlusses des Statoil-Vertrags vereinbarte die Gasunie am 9. April 1990 Verhaltensregeln mit der Rechtsmittelführerin, um künftig gegen jeden Überraschungseffekt eines etwaigen späteren Gaslieferungsvertrags zwischen der Rechtsmittelführerin und einem Dritten gewappnet zu sein.

- Nachdem die Kommission vom Abschluß des Statoil-Vertrags und von den Verhandlungen zwischen der Rechtsmittelführerin und der Gasunie über die genannten Verhaltensregeln Kenntnis erhalten hatte, leitete sie auf der Grundlage von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, der Ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des EWG-Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), eine Untersuchung über die Vereinbarkeit der Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen der Rechtsmittelführerin und der Gasunie bezueglich der Lieferung von Erdgas mit den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages, insbesondere Artikel 85, ein.

- Mit Schreiben vom 6. März 1990 forderte die Kommission die Rechtsmittelführerin auf, ihr u. a. die mit der Gasunie beschlossenen Verhaltensregeln und den Statoil-Vertrag zu übersenden. Die Rechtsmittelführerin übersandte zwar die Verhaltensregeln, nicht aber den Statoil-Vertrag.

- Daraufhin erließ die Kommission die Entscheidung vom 2. August 1990 über ein Verfahren nach Artikel 11 Absatz 5 der Verordnung Nr. 17 des Rates (IV/33.539 - SEP/Gasunie), im folgenden als die "angefochtene Entscheidung" bezeichnet. In dieser Entscheidung wird der Rechtsmittelführerin aufgegeben, der Kommission binnen zehn Tagen den Statoil-Vertrag sowie den damit verbundenen Schriftwechsel vorzulegen.

- Die Rechtsmittelführerin berief sich auf die Vertraulichkeit des Statoil-Vertrags. Dem Argument der Kommission, daß die Vertraulichkeit des Statoil-Vertrags die Weigerung der Rechtsmittelführerin, ihn vorzulegen, nicht rechtfertigen könne, weil die Kommission gemäß Artikel 20 der Verordnung Nr. 17 an das Berufsgeheimnis gebunden sei, hielt die Rechtsmittelführerin entgegen, ihre Besorgnis beziehe sich vor allem auf den niederländischen Staat, da Artikel 10 der Verordnung Nr. 17 vorsehe, daß die Kommission den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unverzueglich eine Abschrift der wichtigsten Schriftstücke, die bei ihr eingereicht würden, übermittele.

3 Da die Versuche zur gütlichen Regelung der Streitigkeit fehlschlugen, erhob die Rechtsmittelführerin am 26. September 1990 gegen die genannte Entscheidung vom 2. August 1990 eine Klage, die zu dem angefochtenen Urteil geführt hat.

4 Parallel zu dieser Klage stellte die Rechtsmittelführerin einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Dieser Antrag wurde durch Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 21. November 1990 in der Rechtssache T-39/90 R (SEP/Kommission, Slg. 1990, II-649) zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß legte die Rechtsmittelführerin mehrere Rechtsmittel ein. Sie nahm diese Anträge jedoch zurück, nachdem sich die Kommission verpflichtet hatte, den Inhalt des Statoil-Vertrags in keiner Weise den Behörden der Mitgliedstaaten mitzuteilen, bevor das Gericht erster Instanz über die von der Rechtsmittelführerin erhobene Nichtigkeitsklage entschieden habe (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 3. Mai 1991 in den Rechtssachen C-372/90 P, C-372/90 P-R und C-22/91 P, Slg. 1991, I-2043, Randnr. 7).

5 Zur Stützung ihres Rechtsmittels macht die Rechtsmittelführerin acht Gründe geltend.

6 Mit dem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin einen Verstoß gegen Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 geltend, da das Gericht den Begriff "erforderliche Auskünfte", die die Kommission einholen könne, dahin ausgelegt habe, daß er nur bedeute, daß ein "Zusammenhang zwischen dem Auskunftsverlangen und der vermuteten Zuwiderhandlung" bestehen müsse.

7 Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird geltend gemacht, die Feststellung des Gerichts, daß die Kommission nicht gegen Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 verstossen habe, sei unzutreffend und unzureichend begründet worden.

8 Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen Artikel 12 der Verordnung Nr. 17 über Untersuchungen von Wirtschaftszweigen geltend gemacht, da das Gericht nicht festgestellt habe, daß die Kommission, die ausdrücklich eingeräumt habe, daß ihre Untersuchung dem niederländischen Gasmarkt gegolten habe, ihre Untersuchung auf diesen Artikel hätte stützen müssen.

9 Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen Artikel 190 EWG-Vertrag geltend gemacht, da das Gericht festgestellt habe, daß die Entscheidung der Kommission vom 2. August 1990 hinreichend begründet gewesen sei.

10 Mit dem fünften Rechtsmittelgrund wird geltend gemacht, das Gericht habe seine Zurückweisung des Arguments der Rechtsmittelführerin, daß die angefochtene Entscheidung nicht hinreichend begründet gewesen sei, unzutreffend und unzureichend begründet.

11 Mit dem sechsten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung oder unzutreffende Auslegung des Artikels 20 der Verordnung Nr. 17 geltend gemacht.

12 Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin verbietet es diese Vorschrift der Dienststelle, die von der Kommission eine Mitteilung erhalten habe, entgegen der Feststellung des Gerichts nicht, diese Information an andere Dienststellen weiterzugeben. Der Schutz, von dem das Gericht ausgegangen sei, um daraus zu folgern, daß der Grundsatz der Verhältnismässigkeit von der Kommission nicht verletzt worden sei, bestehe nicht. Somit habe sich das Gericht jeder Möglichkeit beraubt, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit richtig anzuwenden.

13 Die Rechtsmittelführerin fügt, ohne daß ihr die Kommission widerspricht, hinzu, daß die Generaldirektion Energie des Wirtschaftsministeriums, die die Gasunie betreue, in bezug auf die Angelegenheiten, die, wie im vorliegenden Fall, in den Energiebereich fielen, zu den "zuständigen Behörden" der Niederlande gehöre, daß es in diesem Ministerium eine Personalrotation gebe, die dazu führe, daß sich die mit Wettbewerbssachen betrauten Beamten unvermittelt in anderen Direktionen wiederfänden, und daß die höchste Ebene der Hierarchie die Wettbewerbs- und die Energiepolitik koordiniere.

14 Mit dem siebten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 geltend gemacht.

15 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe diese Bestimmung rechtsfehlerhaft dahin ausgelegt, daß sie ein allgemeines Verbot enthalte, die nach der Verordnung Nr. 17 erlangten Kenntnisse zu anderen Zwecken als zur Durchführung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag zu verwerten. Dieses Verbot sei nicht so weit gefasst, und es sei nur an die Kommission gerichtet. Ausserdem falle der blosse Umstand, daß die betreffende zuständige Behörde die Information, die die Kommission erlangt habe, nutze, ohne gegen einen einzelnen vorzugehen, nicht unter den in dieser Bestimmung genannten Begriff "Verwertung".

16 Mit dem achten Rechtsmittelgrund wird geltend gemacht, die Begründung des Urteils des Gerichts sei unzureichend, soweit danach die Kommission beim Erlaß der angefochtenen Entscheidung nicht den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt habe.

17 Erstens beanstandet die Rechtsmittelführerin den Widerspruch, den sie im angefochtenen Urteil zu erblicken meint, zwischen der Auslegung des Artikels 20 durch das Gericht, wonach eine als zuständige Behörde im Sinne der Verordnung Nr. 17 angesehene Dienststelle die erlangten Kenntnisse nicht an eine andere Dienststelle weitergeben dürfe, und dem Argument des Gerichts, daß diese Kenntnisse in Umlauf gelangen könnten, ohne daß sich hiergegen etwas einwenden lasse, da der Empfänger sie nicht in anderer Weise verwerten dürfe.

18 Zweitens ist die Rechtsmittelführerin mit der Feststellung des angefochtenen Urteils nicht einverstanden, daß sich das mit der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Problem immer dann erneut stelle, wenn eine Untersuchung der Kommission die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen einem Privatunternehmen und einem öffentlichen Unternehmen betreffe. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin stellt sich das Problem vielmehr immer dann erneut, wenn die im Sinne der Verordnung Nr. 17 zuständige Behörde die gleiche sei wie die, die die Politik des betreffenden öffentlichen Unternehmens bestimme. Die Rechtsmittelführerin beanstandet also die Auffassung des Gerichts, daß sich die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, die allgemein und abschließend in Artikel 20 genannt seien, in keiner Weise änderten.

19 Drittens kritisiert die Rechtsmittelführerin, daß das Gericht nicht auf das Argument eingegangen sei, wonach die Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen habe, weil sie gleich die Vorlage des Statoil-Vertrags verlangt habe, anstatt zunächst Fragen zu stellen.

20 Viertens meint die Rechtsmittelführerin, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, daß sie ihr Vorbringen mit der Gefahr einer Verletzung des Geschäftsgeheimnisses durch die niederländischen Behörden begründet habe. Im Gegenteil habe die Rechtsmittelführerin stets die Auffassung vertreten, daß, wenn sie erst den Statoil-Vertrag der Kommission übersandt hätte, keine Rechtsvorschrift es verhindern würde, daß dieser Vertrag in die Hände derjenigen gelange, die die Politik der Gasunie bestimmten.

Zu den ersten fünf Rechtsmittelgründen

21 Aus den in den Nummern 21 bis 42 der Schlussanträge des Generalanwalts angeführten Gründen sind der erste, der zweite, der dritte, der vierte und der fünfte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum sechsten, siebten und achten Rechtsmittelgrund

22 Mit diesen Rechtsmittelgründen, die zusammen zu prüfen sind, beanstandet die Rechtsmittelführerin die Feststellung des Gerichts, daß Artikel 20 der Verordnung Nr. 17 gegen den ihr durch die angefochtene Entscheidung entstandenen unverhältnismässigen Nachteil wirksamen Schutz biete.

23 Die Rechtsmittelführerin hat nämlich vor dem Gericht (Randnr. 41 des angefochtenen Urteils) geltend gemacht, daß der Statoil-Vertrag in besonderem Masse vertraulich sei und daß ihr angesichts des Umstands, daß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 die Übermittlung der "wichtigsten Schriftstücke, die... bei ihr eingereicht werden", durch die Kommission an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten einschließlich des niederländischen Staates vorsehe, ein Nachteil entstehe, weil die Personen, die auf die Handelspolitik der Gasunie, ihres wichtigsten Gaslieferanten, entscheidenden Einfluß hätten, über den Statoil-Vertrag Kenntnis von den ihr von Statoil eingeräumten Geschäftsbedingungen erhalten könnten.

24 Zu diesem Argument der Rechtsmittelführerin hat das Gericht festgestellt, daß "die Beschränkungen, die Artikel 20 der Verordnung Nr. 17 den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Preisgabe und der Verwertung von Informationen auferlegt, die ihnen gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung übermittelt werden, der Klägerin ausreichende Sicherheit bieten. Folglich führt die angefochtene Entscheidung, mit der die Kommission von ihr die Übersendung des Statoil-Vertrags verlangt, nicht zu der von der Klägerin behaupteten übermässigen Gefährdung und verstösst daher nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit" (Randnr. 60 des angefochtenen Urteils).

25 Die Schlußfolgerung, daß Artikel 20 eine ausreichende Sicherheit biete, hat das Gericht (in Randnr. 55 des angefochtenen Urteils) wie folgt begründet:

"Der durch Artikel 20 gebotene Schutz äussert sich in zwei Formen. Zum einen verbietet Artikel 20 Absatz 2, Kenntnisse preiszugeben, die bei Anwendung der Verordnung Nr. 17 erlangt wurden und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen. Zum anderen verbietet Artikel 20 Absatz 1 die Verwertung der bei Anwendung der Verordnung Nr. 17 erlangten Kenntnisse zu einem anderen als dem mit der Auskunft oder Nachprüfung verfolgten Zweck. Diese beiden sich ergänzenden Garantien dienen dazu, die Wahrung der Vertraulichkeit der den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 übermittelten Informationen sicherzustellen."

26 Daher hat das Gericht in Randnummer 56 ausgeführt, daß es den nationalen Beamten wegen dieses durch Artikel 20 gebotenen doppelten Schutzes nicht nur verboten sei, den Inhalt des Statoil-Vertrags preiszugeben, sondern auch, "die in ihm enthaltenen Informationen zur Festlegung der von bestimmten öffentlichen Unternehmen verfolgten Handelspolitik zu verwenden".

27 Es ist daran zu erinnern, daß nach Artikel 20 Absatz 2 die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie ihre Beamten und sonstigen Bediensteten verpflichtet sind, Kenntnisse nicht preiszugeben, die sie bei der Anwendung der Verordnung Nr. 17 erlangt haben und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen (Urteil vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-67/91, Asociación Española de Banca Privada u. a., Slg. 1992, I-4785, Randnr. 21). Dieses Preisgabeverbot kann jedoch nicht garantieren, daß die fraglichen Informationen von den Behörden, für die sie bestimmt sind, oder von den Beamten, die von ihnen bei der Ausübung ihres Amtes Kenntnis erlangt haben, nicht berücksichtigt werden.

28 Was Artikel 20 Absatz 1 angeht, wonach "die bei Anwendung der Artikel 11, 12, 13 und 14 [der Verordnung Nr. 17] erlangten Kenntnisse... nur zu dem mit der Auskunft oder Nachprüfung verfolgten Zweck verwertet werden [dürfen]", so hat der Gerichtshof im Urteil Asociación Española de Banca Privada (a. a. O., Randnr. 37) ausgeführt, daß das Berufsgeheimnis erfordert, daß es den Behörden, die diese Informationen rechtmässig besitzen, unmöglich ist, sie zu einem anderen Zweck als demjenigen zu verwerten, zu dem sie gesammelt worden sind. Der Gerichtshof hat daraus gefolgert (Randnr. 42), daß sich die Behörden der Mitgliedstaaten auf diese Informationen weder in einem Voruntersuchungsverfahren noch zur Begründung einer Entscheidung berufen können, die aufgrund von wettbewerbsrechtlichen Vorschriften erlassen wird.

29 Die den Unternehmen damit eingeräumte Verfahrensgarantie kann jedoch nicht so weit gehen, daß die nationalen Behörden die übermittelten Informationen tatsächlich ignorieren. So hat der Gerichtshof in diesem Urteil weiter ausgeführt, daß die Behörden der Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, die übermittelten Informationen zu ignorieren und damit unter "akuter Amnesie" zu leiden; diese Informationen stellen Indizien dar, die gegebenenfalls die Einleitung eines nationalen Verfahrens rechtfertigen können (Randnr. 39).

30 Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache könnte die in Artikel 20 Absatz 1 vorgenommene Beschränkung der Verwertung der erlangten Kenntnisse nicht die irreversiblen Folgen verhindern, die mit der blossen Kenntnis verbunden sind, die ein Lieferant - oder dessen Aufsichtsbehörde - von den Geschäftsbedingungen hat, die ein konkurrierender Lieferant seinem Kunden einräumt. So könnten im vorliegenden Fall die niederländischen Behörden und Beamten, die den von der Kommission übermittelten Statoil-Vertrag berechtigterweise eingesehen hätten, nicht wirksam gezwungen werden, den der Rechtsmittelführerin von Statoil eingeräumten Bedingungen keinerlei Rechnung zu tragen, wenn sie veranlasst wären, die Handelspolitik der Gasunie zu bestimmen.

31 Artikel 20 verhindert es also, unabhängig davon, welcher Absatz in Betracht gezogen wird, im Gegensatz zu dem, was das Gericht erster Instanz entschieden hat, nicht, daß diese Kenntnisse im Rahmen der Bestimmung der Handelspolitik der Gasunie verwertet werden, woraus der Rechtsmittelführerin ein Nachteil entstehen kann. Dieser Artikel bietet daher der Rechtsmittelführerin keinen wirksamen Schutz.

32 Das Gericht erster Instanz hat daher durch seine Auslegung des Artikels 20 gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen.

33 Daraus folgt jedoch noch nicht, daß das Rechtsmittel begründet ist. Wie nämlich der Gerichtshof im Urteil vom 9. Juni 1992 in der Rechtssache C-30/91 P (Lestelle/Kommission, Slg. 1992, I-3755, Randnr. 28) entschieden hat, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen, wenn die Gründe eines Urteils des Gerichts eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts erkennen lassen, sich die Urteilsformel aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist.

34 Die Rechtsmittelführerin nimmt in ihrer Rechtsmittelschrift zu Unrecht an, daß Artikel 10 der Verordnung Nr. 17, wonach "die Kommission... den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten unverzueglich eine Abschrift... der wichtigsten Schriftstücke, die... bei ihr eingereicht werden[, übermittelt]", die Kommission verpflichte, den Statoil-Vertrag ohne weiteres den niederländischen Behörden zu übermitteln.

35 Zunächst ist festzustellen, daß die Kommission nach dem Wortlaut des Artikels 10 bestimmen kann, welche Schriftstücke im Hinblick auf ihre Übermittlung an die Behörden der Mitgliedstaaten die wichtigsten sind.

36 Sodann ist Artikel 10 Absatz 1 unter Berücksichtigung des allgemeinen Grundsatzes des Rechts der Unternehmen auf Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse auszulegen, der in Artikel 214 EWG-Vertrag sowie in verschiedenen Bestimmungen der Verordnung Nr. 17 wie den Artikeln 19 Absatz 3, 20 Absatz 2 und 21 Absatz 2 zum Ausdruck kommt (vgl. Urteil vom 24. Juni 1986 in der Rechtssache 53/85, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 1965, Randnr. 28).

37 In Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich ein Unternehmen vor der Kommission ausdrücklich auf die Vertraulichkeit eines bestimmten Schriftstücks gegenüber den zuständigen nationalen Behörden berufen hat, weil es Berufsgeheimnisse enthalte, und in denen diese Berufung nicht ganz irrelevant ist, kann der genannte allgemeine Grundsatz des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen die Verpflichtung der Kommission aus Artikel 10 Absatz 1, das fragliche Schriftstück den zuständigen nationalen Behörden zu übermitteln, einschränken.

38 Es ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof anläßlich eines Rechtsstreits zwischen der Kommission und einem Unternehmen, bei dem es um die Weiterleitung von nach Ansicht des Unternehmens vertraulichen Unterlagen an einen Beschwerdeführer ging, entschieden hat, daß es Sache der Kommission ist, zu beurteilen, ob ein bestimmtes Dokument Geschäftsgeheimnisse enthält. Nachdem sie dem Unternehmen Gelegenheit gegeben hat, seinen Standpunkt geltend zu machen, hat sie darüber eine hinreichend begründete Entscheidung zu erlassen, die dem Unternehmen mitzuteilen ist. Angesichts des ausserordentlich schweren Schadens, der aus der unzulässigen Weiterleitung von Unterlagen an einen Wettbewerber entstehen kann, muß die Kommission vor dem Vollzug ihrer Entscheidung dem Unternehmen die Möglichkeit geben, den Gerichtshof anzurufen, um die vorgenommenen Beurteilungen überprüfen zu lassen und die Weiterleitung zu verhindern (vgl. Urteil AKZO Chemie/Kommission, a. a. O., Randnr. 29).

39 Im vorliegenden Fall hat die Kommission aufgrund ähnlicher Erwägungen, wenn sie den zuständigen nationalen Behörden ein Schriftstück übermitteln will, obwohl von diesem behauptet wird, daß es unter den besonderen Umständen des Falles diesen Behörden gegenüber vertraulich zu behandeln sei, eine hinreichend begründete Entscheidung zu erlassen, die im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gerichtlich überprüft werden kann.

40 Im Rahmen einer gegen eine solche Entscheidung gerichteten Nichtigkeitsklage könnte die Rechtsmittelführerin gegebenenfalls ihr Recht auf Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse geltend machen.

41 Daraus folgt, daß die der Rechtsmittelführerin mit der angefochtenen Entscheidung auferlegte Verpflichtung, den Statoil-Vertrag vorzulegen, nicht notwendig dazu führt, daß dieser Vertrag den niederländischen Behörden übermittelt werden kann.

42 In dem angefochtenen Urteil ist daher der Klagegrund des Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit trotz einer rechtsfehlerhaften Begründung im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen worden.

43 Aus alledem folgt, daß das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

44 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Wegen der Zurückweisung des Rechtsmittels wären der Rechtsmittelführerin sämtliche Kosten aufzuerlegen. Da jedoch die Prüfung des angefochtenen Urteils das Vorliegen eines Rechtsfehlers ergeben hat, auf den sich die Rechtsmittelführerin mit ihrem Rechtsmittel berufen hat, sind nach Artikel 69 § 3 jeder Partei die ihr im vorliegenden Verfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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