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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.2008
Aktenzeichen: C-360/06
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 52
EWG-Vertrag Art. 58
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

2. Oktober 2008

"Niederlassungsfreiheit - Steuerrecht - Körperschaftsteuer - Bewertung nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften"

Parteien:

In der Rechtssache C-360/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. August 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 5. September 2006, in dem Verfahren

Heinrich Bauer Verlag Beteiligungs GmbH

gegen

Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg,

Beigeladene:

Heinrich Bauer Verlag KG,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter L. Bay Larsen (Berichterstatter), J. Makarczyk, J.-C. Bonichot und der Richterin C. Toader,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Heinrich Bauer Verlag Beteiligungs GmbH, vertreten durch R. Scheidmann, Steuerberater, im Beistand von K. Eicker und R. Obser, Rechtsanwälte,

- des Finanzamts für Großunternehmen in Hamburg, vertreten durch M. Fromm als Bevollmächtigten,

- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Januar 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 52 EWG-Vertrag (später Art. 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und von Art. 58 EWG-Vertrag (später Art. 58 EG-Vertrag, jetzt Art. 48 EG).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Heinrich Bauer Verlag Beteiligungs GmbH (im Folgenden: HBV) und dem Finanzamt für Großunternehmen in Hamburg (im Folgenden: Finanzamt) wegen Feststellung des Wertes der Anteile an HBV, die Beteiligungen an zwei im Ausland ansässigen Gesellschaften hält, um die Höhe der Vermögensteuer für die Heinrich Bauer Verlag KG (im Folgenden: HB), die Muttergesellschaft von HBV, für das Steuerjahr 1988 zu bestimmen.

Rechtlicher Rahmen

3 Dem Vorlagebeschluss ist zu entnehmen, dass nach deutschem Recht im Rahmen der Bewertung nicht börsennotierter Anteile an Kapitalgesellschaften für die Festsetzung der Vermögensteuer die Beteiligungen dieser Gesellschaften an ausländischen Personengesellschaften anhand des gemeinen Wertes bewertet werden, während die Beteiligungen an inländischen Personengesellschaften allein auf der Grundlage von deren Vermögenswert bewertet werden. Kann der gemeine Wert nicht aus Verkäufen abgeleitet werden, die weniger als zwölf Monate vor der Bewertung erfolgten, wird er auf der Grundlage des Vermögenswerts und der Ertragsaussichten der betreffenden Gesellschaft bestimmt.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

4 HBV ist eine nicht börsennotierte Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland. Sämtliche Anteile an ihrem Kapital werden von ihrer Muttergesellschaft HB gehalten.

5 HBV ist an zwei ausländischen Kommanditgesellschaften beteiligt: der 1986 gegründeten spanischen Gesellschaft Bauer Ediciones Sociedad en Comandita, Madrid (im Folgenden: HBE), und der österreichischen Gesellschaft Basar Zeitungs- und Verlagsgesellschaft mbH und Co. KG, Wien (im Folgenden: WBC), deren Anteile sie 1988 vollständig erwarb.

6 Die Feststellung des Wertes der Anteile von HBV war erforderlich, um die von HB für das Steuerjahr 1988 zu zahlende Vermögensteuer zu ermitteln.

7 Das Finanzamt berücksichtigte für diese Feststellung nicht nur den Vermögenswert, also den Substanzwert der Gesellschaften HBE und WBC, sondern auch ihre Ertragsaussichten.

8 HBV klagte beim Finanzgericht Hamburg gegen die Entscheidung des Finanzamts und machte geltend, dass nur der Vermögenswert der Gesellschaften berücksichtigt werden dürfe. Außerdem sei es systemwidrig, wenn bei inländischen Personengesellschaften ausschließlich der Vermögenswert angesetzt werde, während bei ausländischen Personengesellschaften nicht nur das Vermögen, sondern auch die Ertragsaussichten berücksichtigt würden, was zusammen dem gemeinen oder Verkehrswert entspreche.

9 Hinsichtlich der Beteiligung von HBV an HBE weist das Finanzgericht Hamburg darauf hin, dass die unterschiedlichen Methoden der Bewertung einer Beteiligung an einer Gesellschaft je nachdem, ob diese eine inländische oder ausländische Gesellschaft sei, zu unterschiedlichen Werten führten, die sich unmittelbar auf die Höhe der Vermögensteuerbelastung auswirkten. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit könne sich somit daraus ergeben, dass die Beteiligung im Ausland mit einem höheren Wert zu Buche schlage als die Beteiligung an einer inländischen Gesellschaft.

10 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass eine derartige Beschränkung nur zulässig sein könne, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem EWG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt würde. Ein solches Ziel, das die aufgezeigte Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, sei aber nicht erkennbar.

11 Hinsichtlich der Anteile, die HBV an WBC halte, komme eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 52 Abs. 1 des Vertrags für das Jahr 1988 nicht in Betracht, da die Republik Österreich erst seit dem 1. Januar 1995 Mitglied der Europäischen Union sei. Gleiches gelte für das am 2. Mai 1992 unterzeichnete Assoziierungsabkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen), zu dessen Vertragsparteien auch Österreich gehöre, das aber erst am 1. Januar 1994 in Kraft getreten sei.

12 Eine Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs dürfte ebenfalls nicht in Betracht kommen, weil die im streitigen Zeitraum geltenden einschlägigen Vorschriften einer unterschiedlichen Bewertung einer Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft und einer Beteiligung an einer in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat ansässigen Personengesellschaft nicht entgegengestanden hätten.

13 Vor diesem Hintergrund hat das Finanzgericht Hamburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Widerspricht es Art. 52 in Verbindung mit Art. 58 des Vertrags, wenn im Rahmen der Bewertung nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften die Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft mit einem niedrigeren Wert erfolgt als die Beteiligung an einer Personengesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat?

Vorbemerkungen

14 Das Finanzamt führt in seinen Erklärungen aus, dass das vorlegende Gericht die Auswirkungen des deutschen Systems der Bewertung nicht börsennotierter Anteile an Kapitalgesellschaften auf die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten des Vertrags verkenne. In Wirklichkeit liege nämlich weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung vor, weil in steuerlicher Hinsicht Ertragskomponenten sowohl bei inländischen als auch bei ausländischen Beteiligungen berücksichtigt würden.

15 Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, über die Auslegung nationaler Vorschriften zu befinden. Er hat vielmehr im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Gemeinschaft und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die Vorlagefrage einfügt, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen (vgl. Urteile vom 25. Oktober 2001, Ambulanz Glöckner, C-475/99, Slg. 2001, I-8089, Randnr. 10, sowie vom 13. November 2003, Neri, C-153/02, Slg. 2003, I-13555, Randnrn. 34 und 35).

16 Daher ist die Vorlagefrage innerhalb des tatsächlichen und rechtlichen Rahmens zu prüfen, wie ihn das Finanzgericht Hamburg in seiner Vorlageentscheidung beschrieben hat.

Zur Vorlagefrage

17 Es ist eingangs daran zu erinnern, dass zwar die direkten Steuern in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, diese jedoch ihre Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und deshalb jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unterlassen müssen (vgl. u. a. Urteile vom 13. April 2000, Baars, C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Randnr. 17, und vom 17. Januar 2008, Lammers & Van Cleef, C-105/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 12).

18 Hinsichtlich der Beteiligung von HBV an WBC machen die deutsche Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften geltend, dass für das Steuerjahr 1988 die Grundfreiheiten nicht geltend gemacht werden könnten, da die Republik Österreich noch nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und das EWR-Abkommen noch nicht unterzeichnet gewesen sei.

19 Zur Beteiligung von HBV an HBE trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass im vorliegenden Fall die Niederlassungsfreiheit nicht einschlägig sei, weil das Engagement von HBV in Spanien nicht als Ausübung der Niederlassungsfreiheit einzuordnen sei, sondern vielmehr als reine Kapitalanlage im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit.

20 Die Beteiligung von HBV als Kommanditistin von HBE erlaube ihr nicht, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit der spanischen Gesellschaft auszuüben. Im Gegenteil sei HBV vom Entscheidungsprozess und von der Vertretung von HBE gegenüber Dritten ausgeschlossen. Die Niederlassungsfreiheit sei nur dann betroffen, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft eine Beteiligung halte, die es ihm ermögliche, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen.

21 Für die Beteiligung von HBV an WBC ist zu prüfen, ob die Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit und insbesondere die Art. 52 und 58 des Vertrags auf einen solchen Fall anwendbar sind.

22 Es ist daran zu erinnern, wie das auch die Bundesrepublik Deutschland, die Kommission und die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge getan haben, dass zum einen die Republik Österreich erst seit dem 1. Januar 1995 der Gemeinschaft angehört und dass zum anderen das EWR-Abkommen erst am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist.

23 Daraus folgt, dass weder die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 52 und Art. 58 des Vertrags noch die entsprechende Bestimmung des Art. 31 des EWR-Abkommens bei der Bewertung der Beteiligung von HBV an WBC in Betracht gezogen werden kann.

24 In Bezug auf die Beteiligung von HBV an HBE ist ebenfalls zu prüfen, ob die Art. 52 und 58 des Vertrags auf einen solchen Fall anwendbar sind.

25 Nach ständiger Rechtsprechung ist mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 52 des Vertrags den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den gleichen Bestimmungen wie den im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, gemäß Art. 58 des Vertrags für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben. In Bezug auf die Gesellschaften ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass ihr Sitz im genannten Sinn, ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen, dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen (vgl. u. a. Urteil vom 14. Dezember 2000, AMID, C-141/99, Slg. 2000, I-11619, Randnr. 20).

26 Auch ist klarzustellen, dass zwar die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, sie aber auch das Verbot für den Herkunftsstaat enthalten, die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften, die im Übrigen die Voraussetzungen des Art. 58 des Vertrags erfüllt, in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern (vgl. Urteil AMID, Randnr. 21).

27 In den sachlichen Geltungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung nationale Vorschriften, die Anwendung finden, wenn ein Angehöriger oder eine Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft eine Beteiligung hält, die es ihm bzw. ihr ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (vgl. Urteile vom 29. März 2007, Rewe Zentralfinanz, C-347/04, Slg. 2007, I-2647, Randnrn. 22 und 70, und vom 18. Juli 2007, Oy AA, C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnr. 20).

28 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.

29 Es ist vorsorglich daran zu erinnern, dass dies insbesondere dann gilt, wenn eine inländische Gesellschaft zu 100 % am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft beteiligt ist, oder auch dann, wenn die Anteile einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar von den Mitgliedern derselben Familie, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, gehalten werden, die die gleichen Interessen verfolgen, einvernehmlich durch denselben Vertreter in der Gesellschafterversammlung die diese Gesellschaft betreffenden Beschlüsse fassen und die Tätigkeiten dieser Gesellschaft bestimmen (vgl. Urteile Rewe Zentralfinanz, Randnr. 23, sowie vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C-298/05, Slg. 2007, I-10451, Randnrn. 13, 14 und 31).

30 Wenn die HBV aufgrund ihrer Beteiligung an HBE in den Geltungsbereich der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit fällt, ist zu prüfen, ob die Art. 52 und 58 des Vertrags der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, soweit diese im Rahmen der Bewertung nicht notierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft dazu führen, dass die kapitalmäßige Beteiligung der Kapitalgesellschaft an einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft höher bewertet wird als ihre Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft.

31 Im vorliegenden Fall ist die steuerliche Lage einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft, die wie HBV kapitalmäßig an einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft wie HBE beteiligt ist, nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Vermögensteuer, die die Muttergesellschaft der genannten Kapitalgesellschaft schuldet, weniger günstig als sie es wäre, wenn die genannte Personengesellschaft in Deutschland ansässig wäre.

32 Folglich führt eine derart unterschiedliche Behandlung zu einem Steuernachteil für eine Gesellschaft wie HB, die Muttergesellschaft von HBV.

33 In Anbetracht dieses Unterschieds und der Tatsache, dass HBV vollständig von der Muttergesellschaft gehalten wird, könnte sie davon abgehalten werden, sich an einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft zu beteiligen (vgl. in diesem Sinne Urteil Rewe Zentralfinanz, Randnr. 31).

34 Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann nur zulässig sein, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Erforderlich ist zudem in einem solchen Fall, dass die Beschränkung zur Erreichung des fraglichen Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. u. a. Urteil vom 21. November 2002, X und Y, C-436/00, Slg. 2002, I-10829, Randnr. 49).

35 Das Finanzamt macht geltend, dass die Ermittlung des Vermögenswerts von HBE unter Einbeziehung ihrer Ertragsaussichten aus Gründen der steuerlichen Kohärenz zwingend sei, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung vergleichbarer Sachverhalte zu gewährleisten. Ohne Einbeziehung der Ertragsaussichten im Rahmen der Bewertung der Anteile von HBV würde es nämlich zu einer Begünstigung der Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften kommen.

36 Die deutsche Regierung macht geltend, dass die streitigen Rechtsvorschriften jedenfalls aufgrund der praktischen Schwierigkeiten administrativer Art bei der Berechnung des Wertes der Beteiligungen an in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften gerechtfertigt seien.

37 Hinsichtlich der vom Finanzamt geltend gemachten Rechtfertigung ist daran zu erinnern, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu wahren, eine Beschränkung der Ausübung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann. Ein auf diesen Rechtfertigungsgrund gestütztes Argument kann aber nur Erfolg haben, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung nachgewiesen ist (vgl. u. a. Urteile Rewe Zentralfinanz, Randnr. 62, und vom 11. Oktober 2007, Hollmann, C-443/06, Slg. 2007, I-8491, Randnr. 56).

38 In Bezug auf die fragliche Vermögensteuer im Ausgangsverfahren ist nicht dargetan worden, inwiefern ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Steuervorteil, der mit einer Beteiligung an einer im Besteuerungsmitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft einhergeht, und einer entsprechenden steuerlichen Belastung besteht.

39 Infolgedessen kann eine Beschränkung wie die, die sich aus der im Ausgangsverfahren fraglichen Steuerregelung ergibt, nicht mit der Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren, gerechtfertigt werden.

40 Zu dem von der deutschen Regierung vorgebrachten Argument ist festzustellen, dass der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, dass die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist, der eine Beschränkung der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten rechtfertigen kann (vgl. Urteil vom 14. September 2006, Centro di Musicologia Walter Stauffer, C-386/04, Slg. 2006, I-8203, Randnr. 47).

41 Selbst wenn man unterstellt, dass die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15) im Ausgangsverfahren nicht zur Anwendung gelangte, könnte dies die unvorteilhaftere Gestaltung der Art der Berechnung des Wertes der Beteiligungen an in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften im Vergleich zu der Art der Berechnung des Wertes der Beteiligungen an inländischen Gesellschaften nicht rechtfertigen. Denn die Steuerbehörden könnten die betreffenden Steuerpflichtigen auffordern, selbst die Beweismittel vorzulegen, die sie für die Berechnung des Wertes der Beteiligungen dieser Steuerpflichtigen an in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften für erforderlich halten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2007, Geurts und Votgen, C-464/05, Slg. 2007, I-9325, Randnr. 28).

42 Nach alledem ist somit auf die Vorlagefrage zu antworten, dass in Ermangelung einer stichhaltigen Rechtfertigung die Art. 52 und 58 des Vertrags der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, soweit diese im Rahmen der Bewertung nicht notierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dazu führen, dass die kapitalmäßige Beteiligung dieser Kapitalgesellschaft an einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft höher bewertet wird als ihre Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft, vorausgesetzt allerdings, dass eine derartige Beteiligung ihr einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft verleiht und es ihr ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen.

43 In Anbetracht der Aktenlage ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass Art. 67 Abs. 1 EWG-Vertrag (später Art. 67 Abs. 1 EG-Vertrag, der dann durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurde) nicht bedeutete, dass die Beschränkungen des Kapitalverkehrs bereits zum Ende der Übergangszeit zu beseitigen waren; die Beseitigung dieser Beschränkungen erfolgte gemäß der auf der Grundlage der Art. 69 und 70 Abs. 1 EWG-Vertrag (später Art. 69 und 70 EG-Vertrag, die dann durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurden) erlassenen Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrags (ABl. L 178, S. 5) (vgl. Urteil vom 14. November 1995, Svensson und Gustavsson, C-484/93, Slg. 1995, I-3955, Randnrn. 5 und 6). Diese Richtlinie war gemäß ihrem Art. 6 Abs. 1 spätestens zum 1. Juli 1990 in nationales Recht umzusetzen, d. h. nach dem im Ausgangsverfahren fraglichen Zeitraum.

Kostenentscheidung:

Kosten

44 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

In Ermangelung einer stichhaltigen Rechtfertigung stehen Art. 52 EWG-Vertrag (später Art. 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Art. 43 EG) und Art. 58 EWG-Vertrag (später Art. 58 EG-Vertrag, jetzt Art. 48 EG) der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, soweit diese im Rahmen der Bewertung nicht notierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dazu führen, dass die kapitalmäßige Beteiligung dieser Kapitalgesellschaft an einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft höher bewertet wird als ihre Beteiligung an einer inländischen Personengesellschaft, vorausgesetzt allerdings, dass eine derartige Beteiligung ihr einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Personengesellschaft verleiht und es ihr ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen.



Ende der Entscheidung

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