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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 03.06.1992
Aktenzeichen: C-360/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertag, Gesetz Nr. 80/87, Richtlinie 71/305 vom 26.07.1971


Vorschriften:

EWG-Vertag Art. 169
EWG-Vertag Art. 59
Gesetz Nr. 80/87 Art. 3 Abs. 3
Richtlinie 71/305 vom 26.07.1971 Art. 22 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 59 EWG-Vertrag verbietet nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen.

2. Ein Mitgliedstaat verstösst gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 59 EWG-Vertrag und aus der Richtlinie 71/305 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, wenn er einen Teil der Arbeiten den Gesellschaften vorbehält, die ihren Sitz in der Region haben, in der die Arbeiten ausgeführt werden, und den Vereinigungen auf Zeit und Konsortien den Vorrang einräumt, zu denen Unternehmen gehören, die ihre Tätigkeit hauptsächlich in der Region ausüben, in der die Arbeiten durchgeführt werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 3. JUNI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - VERGABE OEFFENTLICHER AUFTRAEGE. - RECHTSSACHE C-360/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 28. November 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EWG-Vertrag und aus der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) verstossen hat, daß sie das Gesetz Nr. 80/87 vom 17. Februar 1987 ("Sondermaßnahmen zur Beschleunigung der Durchführung der Bauarbeiten der öffentlichen Hand", GURI Nr. 61 vom 14. 3. 1987, im folgenden: Gesetz Nr. 80/87) erlassen hat, das Bestimmungen enthält, die mit den Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Bauaufträge unvereinbar sind.

2 Nach Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 80/87 muß die vom öffentlichen Auftraggeber abgegebene schriftliche Aufforderung vorsehen, daß der Konzessionär die Arbeiten zu einem Anteil von 15 bis 30 % an Unternehmen übertragen muß, die ihren Sitz in der Region haben, in der die Arbeiten durchgeführt werden.

3 Nach Artikel 3 Absatz 3 dieses Gesetzes müssen, wenn mehr als fünfzehn Unternehmen interessiert sind, die öffentlichen Behörden oder Körperschaften mindestens fünfzehn Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern; bei der Auswahl der aufzufordernden Unternehmen ist Vereinigungen auf Zeit und Konsortien Vorrang einzuräumen, zu denen Unternehmen gehören, die ihre Tätigkeit hauptsächlich in der Region ausüben, in der die Arbeiten durchgeführt werden.

4 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

5 Im Laufe des Verfahrens hat die Kommission die Rügen, die andere Vorschriften als Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 80/87 betreffen, fallen gelassen.

Zur Rüge des Verstosses gegen Artikel 59 EWG-Vertrag

6 Nach Ansicht der Kommission verstösst Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 80/87 gegen Artikel 59 EWG-Vertrag, da er die Unternehmen, die ihren Sitz in der fraglichen Region hätten, gegenüber den in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen begünstige.

7 Dazu ist festzustellen, daß Artikel 59 EWG-Vertrag insbesondere die Beseitigung jeglicher Diskriminierung von Leistungserbringern vorschreibt, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind als demjenigen, in dem die Leistung zu erbringen ist.

8 Der Umstand, daß Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 80/87 einen Teil der Arbeiten den Subunternehmern vorbehält, die ihren Sitz in der Region haben, in der die Arbeiten ausgeführt werden, stellt jedoch eine Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen dar.

9 Zwar schließt diese Vorschrift, wie die italienische Regierung geltend macht, auch solche in Italien ansässige Unternehmen von diesem Teil der Arbeiten aus, die ihren Sitz ausserhalb der fraglichen Region haben, doch ändert dies nichts daran, daß alle dadurch bevorzugten Subunternehmer italienische Unternehmen sind.

10 Zu Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 80/87 vertritt die Kommission die Ansicht, der Vorrang, der Vereinigungen auf Zeit und Konsortien örtlich ansässiger Unternehmen mit dieser Vorschrift eingeräumt werde, stelle eine von Artikel 59 EWG-Vertrag verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

11 Hierzu ist festzustellen, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes Artikel 59 EWG-Vertrag nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (vgl. insbesondere Urteil vom 5. Dezember 1989 in der Rechtssache C-3/88, Kommission/Italien, Slg. 1989, 4035, Randnr. 8).

12 Obwohl Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 80/87, wie die italienische Regierung geltend macht, unterschiedslos für italienische und ausländische Gesellschaften gilt, begünstigt er im wesentlichen in Italien ansässige Gesellschaften. Wie die Kommission nämlich zu Recht ausgeführt hat, besteht bei diesen Unternehmen eine weitaus höhere Wahrscheinlichkeit, daß sie ihre Haupttätigkeit in der Region Italiens ausüben, in der die Arbeiten durchgeführt werden, als bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen.

13 Die italienische Regierung macht darüber hinaus geltend, daß die genannten Vorschriften des Gesetzes Nr. 80/87 die Nachteile ausgleichen sollten, die sich für kleine und mittlere Unternehmen aus dem in diesem Gesetz vorgesehenen System der Gesamtkonzession ergäben, wonach mehrere unterschiedliche Aufträge über einen einzigen Vertrag vergeben würden. Die Zusammenfassung von Leistungen, die aufgeteilt nur für die regionalen Unternehmen von Interesse wären, in einem einzigen Leistungsvertrag bewirke nämlich, daß diesen eine Reihe von weniger bedeutenden Verträgen entzogen würden.

14 Dazu genügt der Hinweis, daß solche Erwägungen weder zu den in Artikel 66 in Verbindung mit Artikel 56 EWG-Vertrag genannten Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gehören, noch zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen, die die hier in Frage stehenden Hemmnisse rechtfertigen könnten (Urteile vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, 4069, Randnrn. 17 und 18, und in der Rechtssache C-288/89, Gouda, Slg. 1991, 4007).

15 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß die Rüge des Verstosses gegen Artikel 59 EWG-Vertrag begründet ist.

Zur Rüge des Verstosses gegen die Richtlinie 71/305

16 Die Kommission ist der Ansicht, Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 80/87 verstosse gegen Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 71/305, da er ein Auswahlkriterium aufstelle, das nicht in den Artikeln 23 bis 26 dieser Richtlinie vorgesehen sei.

17 Dazu ist festzustellen, daß nach Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 71/305 die öffentlichen Auftraggeber bei den nicht offenen Verfahren im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 - um ein solches handelt es sich vorliegend - anhand der nach Artikel 17 Buchstabe d dieser Richtlinie erteilten Auskünfte die Bewerber auswählen und sie auffordern, ein Angebot einzureichen.

18 Aus Artikel 17 Buchstabe d ergibt sich, daß diese Auskünfte die Lage des Unternehmers sowie die wirtschaftlichen und technischen Mindestbedingungen des Auftraggebers für die Wahl der Unternehmer betreffen, wobei keine anderen als die in den Artikeln 25 und 26 genannten Anforderungen gestellt werden dürfen.

19 Es ist festzustellen, daß nach Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 80/87 bei der Auswahl der Unternehmen, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, den Vereinigungen auf Zeit und Konsortien der Vorrang eingeräumt wird, zu denen Unternehmen gehören, die ihre Tätigkeit hauptsächlich in der Region ausüben, in der die Arbeiten durchgeführt werden.

20 Dies ist ein Auswahlkriterium, das in den Artikeln 23 bis 26 nicht aufgeführt ist und das vor allem nicht einer der in den Artikeln 25 und 26 genannten wirtschaftlichen und technischen Bedingungen entspricht.

21 Demzufolge stellt Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 80/87 einen Verstoß gegen Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 71/305 dar, da das dort vorgesehene Auswahlkriterium sich auf Umstände bezieht, die nicht Gegenstand der Auskünfte sein können, auf deren Grundlage die öffentlichen Auftraggeber gemäß dieser Vorschrift die Bewerber auswählen, die sie zur Angebotsabgabe auffordern.

22 Daraus ergibt sich, daß die Rüge des Verstosses gegen die Richtlinie 71/305 ebenfalls begründet ist.

23 Es ist deshalb festzustellen, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EWG-Vertrag und aus der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge verstossen hat, daß sie das Gesetz Nr. 80/87 vom 17. Februar 1987 ("Sondermaßnahmen zur Beschleunigung der Durchführung der Bauarbeiten der öffentlichen Hand", GURI Nr. 61 vom 14. 3. 1987) erlassen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 59 EWG-Vertrag und aus der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge verstossen, daß sie das Gesetz Nr. 80/87 vom 17. Februar 1987 erlassen hat.

2) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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