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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 07.03.1996
Aktenzeichen: C-360/93
Rechtsgebiete: Richtlinie 90/531/EWG, EWG-Vertrag


Vorschriften:

Richtlinie 90/531/EWG
EWG-Vertrag Art. 113
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Das Parlament kann beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung eines Rechtsakts des Rates oder der Kommission erheben, sofern diese Klage nur auf den Schutz seiner Befugnisse gerichtet ist und nur auf Klagegründe gestützt wird, mit denen die Verletzung dieser Befugnisse geltend gemacht wird. Eine Klage, mit der geltend gemacht wird, als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Rechtsakte sei zu Unrecht ausschließlich eine Bestimmung herangezogen worden, die das Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Parlament nicht vorschreibe, während Bestimmungen, die ein solches Verfahren vorsähen, nicht berücksichtigt worden seien, ist daher zulässig.

2. Im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft muß die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts.

3. Durch den Beschluß 93/323 wurde das Abkommen in Form einer Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über das öffentliche Beschaffungswesen angenommen, das eine Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens vorsieht, die ° anders als das multilaterale GATT-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen ° über den Kauf von Waren und mit deren Lieferung etwa verbundene Dienstleistungen hinausgeht, und das u. a. für Aufträge gilt, die im wesentlichen eine oder mehrere Dienstleistungen, wie Leistungen der Wartung, Instandsetzung, Beförderung, Informatik, Werbung und Buchhaltung, zum Gegenstand haben. Die Entscheidung 93/324 ist auf eine Ausdehnung der Vorteile der Bestimmungen der Richtlinie 90/531 betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor auf die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet.

Da diese beiden Rechtsakte nicht nur Dienstleistungen erfassen, die sämtlich ohne Grenzuebertritt von Personen grenzueberschreitend geschehen, weil sie auch Dienstleistungen betreffen, die durch eine gewerbliche Niederlassung oder die Niederlassung natürlicher Personen im Gebiet des anderen Vertragspartners erbracht werden, gehen sie über den Anwendungsbereich von Artikel 113 des Vertrages hinaus. Da diese Vorschrift dennoch als ausschließliche Rechtsgrundlage für deren Erlaß herangezogen wurde, sind sie für nichtig zu erklären.

4. Da die Ausübung der durch den Beschluß 93/323 über den Abschluß eines Abkommens in Form einer Vereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über das öffentliche Beschaffungswesen und die Entscheidung 93/324 betreffend die Ausdehnung der Vorteile der Bestimmungen der Richtlinie 90/531 auf die Vereinigten Staaten von Amerika begründeten Rechte beeinträchtigt werden könnte, wenn diese Rechtsakte ohne weiteres für nichtig erklärt würden, und da das fragliche Abkommen ausser Kraft getreten ist, rechtfertigen schwerwiegende ° den bei der Nichtigerklärung bestimmter Verordnungen vorliegenden Gründen vergleichbare ° Gründe der Rechtssicherheit, daß der Gerichtshof von der ihm in Artikel 174 Absatz 2 des Vertrages für den Fall der Nichtigerklärung einer Verordnung eingeräumten Befugnis Gebrauch macht und die gesamten Wirkungen der für nichtig erklärten Rechtsakte aufrechterhält.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 7. März 1996. - Europäisches Parlament gegen Rat der Europäischen Union. - Gemeinsame Handelspolitik - Dienstleistungen - Öffentliche Aufträge. - Rechtssache C-360/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Europäische Parlament hat mit Klageschrift, die am 20. Juli 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag die Nichtigerklärung des Beschlusses 93/323/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über den Abschluß eines Abkommens in Form einer Vereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über das öffentliche Beschaffungswesen (ABl. L 125, S. 1) und der Entscheidung 93/324/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 betreffend die Ausdehnung der Vorteile der Bestimmungen der Richtlinie 90/531/EWG auf die Vereinigten Staaten von Amerika (ABl. L 125, S. 54) beantragt.

2 Die Richtlinie 90/531/EWG des Rates vom 17. September 1990 betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 297, S. 1) wurde gestützt auf die Rechtsgrundlage der Artikel 57 Absatz 2 Satz 3, 66, 100a und 113 EWG-Vertrag erlassen.

3 Artikel 29 dieser Richtlinie lautet wie folgt:

"(1) Dieser Artikel gilt für die Angebote betreffend Waren mit Ursprung in den Drittländern, mit denen die Gemeinschaft keine Übereinkunft in einem multilateralen oder bilateralen Rahmen geschlossen hat, durch die ein vergleichbarer und tatsächlicher Zugang der Unternehmen der Gemeinschaft zu den Märkten dieser Drittländer gewährleistet wird. Er gilt unbeschadet der Verpflichtungen der Gemeinschaft oder ihrer Mitgliedstaaten gegenüber den Drittländern.

(2) Ein im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Lieferauftrags eingereichtes Angebot kann zurückgewiesen werden, wenn der Anteil der aus Drittländern stammenden Waren ° wobei der Warenursprung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 802/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Begriffsbestimmung für den Warenursprung, zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 3860/87, festgelegt wird ° mehr als 50 % des Gesamtwertes der im Angebot enthaltenen Waren beträgt. Im Sinne dieses Artikels gilt Software, die in der Ausstattung für Telekommunikationsnetze verwendet wird, als Ware.

(3) Sind zwei oder mehrere Angebote gemäß den in Artikel 27 aufgestellten Zuschlagskriterien gleichwertig, so ist vorbehaltlich des Absatzes 4 das Angebot zu bevorzugen, das gemäß Absatz 2 nicht zurückgewiesen werden kann. Die Preise solcher Angebote gelten im Sinne dieses Artikels als gleich, sofern sie um nicht mehr als 3 % voneinander abweichen.

(4) Absatz 3 gilt jedoch nicht, soweit die Annahme eines Angebotes aufgrund dieser Vorschrift den Auftraggeber zum Erwerb von Ausrüstungen zwingen würde, die andere technische Merkmale als bereits genutzte Ausrüstungen haben und dadurch zu Inkompatibilität oder technischen Schwierigkeiten bei Betrieb und Wartung oder unverhältnismässigen Kosten führen würden.

(5) Im Sinne dieses Artikels werden bei der Bestimmung des Anteils der aus Drittländern stammenden Waren gemäß Absatz 2 diejenigen Drittländer nicht berücksichtigt, auf die der Geltungsbereich dieser Richtlinie durch einen Beschluß des Rates gemäß Absatz 1 ausgedehnt worden ist.

(6) Die Kommission unterbreitet dem Rat ° erstmalig im zweiten Halbjahr 1991 ° einen Jahresbericht über die Fortschritte bei den multilateralen bzw. bilateralen Verhandlungen hinsichtlich des Zugangs der Unternehmen der Gemeinschaft zu den Märkten von Drittländern in den unter diese Richtlinie fallenden Bereichen, über alle durch diese Verhandlungen erzielten Ergebnisse sowie über die tatsächliche Anwendung aller geschlossenen Übereinkünfte.

Ausgehend von diesen Entwicklungen kann der Rat diesen Artikel auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern."

4 Der Rat erließ am 10. Mai 1993 gestützt auf Artikel 113 EWG-Vertrag den Beschluß 93/323 und die Entscheidung 93/324.

5 Durch den Beschluß 93/323 nahm der Rat das Abkommen in Form einer Vereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über das öffentliche Beschaffungswesen (im folgenden: Abkommen) im Namen der Gemeinschaft an.

6 Das Abkommen gilt nach seinem Artikel 1 für Liefer- und Bauaufträge sowie andere Dienstleistungsaufträge, die ° für die Gemeinschaft ° von den in Anhang 1 aufgeführten Auftraggebern vergeben werden, und für Liefer- und Bauaufträge, die ° für die Gemeinschaft ° von den in Anhang 3 des Abkommens genannten Auftraggebern vergeben werden.

7 Gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Abkommens wendet die Gemeinschaft ° sofern bestimmte Schwellenwerte überschritten werden ° bei der Vergabe von Aufträgen durch in Anhang 1 aufgeführte Auftraggeber auf Lieferanten, Unternehmer und Dienstleistungserbringer aus den Vereinigten Staaten sowie auf aus den Vereinigten Staaten stammende Waren und Dienstleistungen die in den Richtlinien 77/62/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. 1977, L 13, S. 1), 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) und 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) geregelten Verfahren an.

8 Gemäß Artikel 3 Absatz 1 1. Halbsatz des Abkommens ist die Gemeinschaft verpflichtet, bei der Vergabe von Liefer- und Bauaufträgen im Zusammenhang mit der Produktion, dem Transport oder der Verteilung von Strom durch die in Anhang 3 des Abkommens genannten Auftraggeber die Richtlinie 90/531 auf Waren, Lieferanten und Unternehmer aus den Vereinigten Staaten anzuwenden; gemäß Artikel 3 Absatz 1 2. Halbsatz ist die Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 76, S. 14) anzuwenden.

9 In Erfuellung dieser Verpflichtungen werden die Vorteile der Bestimmungen der Richtlinie 90/531 durch Artikel 1 der Entscheidung 93/324 auf Angebote ausgedehnt, welche Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika betreffen und welche im Hinblick auf die Vergabe eines Lieferauftrages durch die in Anhang 3 des Abkommens bezeichneten Auftraggeber eingereicht werden.

10 Das Parlament stützt seine Klage auf eine Verletzung des EWG-Vertrags und seiner wesentlichen Formvorschriften. Es begründet dies damit, daß der Beschluß 93/323 und die Entscheidung 93/324 unter Verstoß gegen die für die betreffenden Sachgebiete geltenden Vorschriften ausschließlich auf Artikel 113 EWG-Vertrag gestützt worden seien. Die Entscheidung 93/324 insbesondere ändere die Wirkungen der Richtlinie 90/531, die in Zusammenarbeit mit dem Parlament gestützt auf die Artikel 57, 66, 100a und 113 erlassen worden sei. Allein Artikel 113 werde derzeit als Rechtsgrundlage für diese Entscheidung herangezogen.

11 Nach Auffassung des Rates ist Artikel 113 EWG-Vertrag die richtige Rechtsgrundlage für den Erlaß des Beschlusses 93/323 und der Entscheidung 93/324, da die Verpflichtungen nach Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 1 2. Halbsatz des Abkommens akzessorisch gegenüber der im 1. Halbsatz enthaltenen Verpflichtung seien, mit der lediglich eine Regelung der Aussenhandelsbeziehungen der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 113 bezweckt werde.

12 Für die Gültigkeit des Beschlusses 93/323 und der Entscheidung 93/324 sei nicht erheblich, ob diese Rechtsakte, wie das Parlament annehme, eine Änderung der Richtlinie 90/531 oder eine Ausdehnung ihres Geltungsbereichs auf ein Drittland im Sinne von Artikel 29 Absatz 5 dieser Richtlinie darstellten.

13 Da nämlich der Hauptzweck der Rechtsakte ausschließlich darin bestehe, die Gemeinschaftspräferenz nach Artikel 29 Absatz 3 für bestimmte Angebote, die aus den Vereinigten Staaten stammende Waren umfassten, auszuschalten, müsse das Verfahren für ihren Erlaß unabhängig davon das gleiche sein, ob sie als eine Änderung von Artikel 29 der Richtlinie oder als eine Ausdehnung des Geltungsbereichs der Richtlinie anzusehen seien.

14 Im ersten Fall sei Artikel 29 Absatz 6 der Richtlinie, im zweiten Fall Artikel 113 EWG-Vertrag die Rechtsgrundlage. In beiden Fällen entscheide der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit, ohne daß eine Beteiligung des Parlaments vorgesehen sei.

15 Falls sich der Rat zwischen diesen beiden Rechtsgrundlagen für die falsche entschieden haben sollte, so sei dies unter diesen Umständen ein rein formaler Fehler, der nicht zur Nichtigkeit der Rechtsakte führen könne. Das folge aus dem Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 165/87 (Kommission/Rat, Slg. 1988, 5545, Randnr. 19).

16 Die Kommission, die die Anträge des Rates unterstützt, weist darauf hin, daß sie Artikel 113 als Rechtsgrundlage für den Beschluß 93/323 vorgeschlagen habe, da die gemeinsame Handelspolitik im Sinne von Artikel 113 aus den in ihrem Streithilfeschriftsatz ausgeführten Gründen den Waren- und den Dienstleistungsverkehr umfasse.

Zulässigkeit

17 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteil vom 28. Juni 1994 in der Rechtssache C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Randnr. 14) kann das Europäische Parlament beim Gerichtshof eine Klage auf Nichtigerklärung eines Rechtsakts des Rates oder der Kommission erheben, sofern diese Klage nur auf den Schutz seiner Befugnisse gerichtet ist und nur auf Klagegründe gestützt wird, mit denen die Verletzung dieser Befugnisse geltend gemacht wird.

18 Im vorliegenden Fall macht das Parlament geltend, als Rechtsgrundlage für den Erlaß des Beschlusses 93/323 und der Entscheidung 93/324 habe nicht nur Artikel 113, sondern es hätten auch die Artikel 57 Absatz 2, 66 und 100a EWG-Vertrag herangezogen werden müssen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union anders als Artikel 113 das Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Parlament vorgeschrieben hätten. Dadurch, daß der Rat den Erlaß dieser Rechtsakte allein auf Artikel 113 gestützt habe, habe er diese Befugnis verletzt.

19 Die Klage des Parlaments ist daher zulässig.

20 Das Parlament beantragt, den Antrag der ° durch Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 8. November 1993 als Streithelferin zugelassenen ° Kommission gemäß Artikel 37 Absatz 3 der Satzung des Gerichtshofes für unzulässig zu erklären, da sie eine Auslegung von Artikel 113 EWG-Vertrag vertrete, die in klarem Widerspruch zur Auslegung des Rates stehe.

21 Diese Unzulässigkeitseinrede ist zurückzuweisen.

22 Zwar macht die Kommission für die Wahl des Artikels 113 EWG-Vertrag als Rechtsgrundlage des Beschlusses 93/323 Ausführungen, die erheblich vom diesbezueglichen Vorbringen des Rates abweichen, jedoch stehen die Streithilfeanträge im Einklang mit Artikel 37 Absatz 3 der Satzung, da mit ihnen nur die Anträge des Rates unterstützt werden sollen.

Begründetheit

23 Nach ständiger Rechtsprechung muß im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (vgl. u. a. Urteil Parlament/Rat, a. a. O., Randnr. 17).

24 Nach seiner Präambel hat das durch den Beschluß 93/323 angenommene Abkommen zum Ziel, im Einklang mit den von den Parteien bereits im Rahmen des multilateralen GATT-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen eingegangenen Verpflichtungen und zur Erleichterung der Durchführung eines neuen multilateralen Übereinkommens in diesem Bereich auf bilateraler Ebene auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bestimmte Verpflichtungen einzugehen, die auf eine Öffnung ihres öffentlichen Beschaffungswesens gerichtet sind.

25 Das Abkommen sieht hierfür eine Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens der beiden Vertragsparteien vor, die ° anders als das multilaterale GATT-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, das durch den Beschluß 80/271/EWG des Rates vom 10. Dezember 1979 über den Abschluß der multilateralen Übereinkommen, die im Zuge der Handelsverhandlungen von 1973 °1979 ausgehandelt wurden (ABl. 1980, L 71, S. 1), auf der Grundlage von Artikel 113 EWG-Vertrag angenommen wurde ° über den Kauf von Waren und mit deren Lieferung etwa verbundene Dienstleistungen hinausgeht.

26 Das Abkommen gilt vielmehr gemäß seinem Artikel 1 Absatz 1 für die Liefer-, Bau- und sonstigen Dienstleistungsaufträge, die von den in den Anhängen 1 und 2 aufgeführten Auftraggebern vergeben werden, und für die Liefer- und Bauaufträge, die von den in den Anhängen 3 und 4 des Abkommens genannten Auftraggebern vergeben werden. Gemäß Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Abkommens bezieht sich der Begriff "sonstige Dienstleistungen" auf Aufträge, die im wesentlichen eine oder mehrere der in den Anhängen 5 und 6 des Abkommens aufgeführten Dienstleistungen, wie u. a. Leistungen der Wartung, Instandsetzung, Beförderung, Informatik, Werbung und Buchhaltung, zum Gegenstand haben.

27 Das Abkommen betrifft also auch selbständige Dienstleistungen.

28 Die Entscheidung 93/324 bezweckt nach ihrer zweiten und ihrer dritten Begründungserwägung die Ausdehnung der Vorteile der Bestimmungen der Richtlinie 90/531 auf die unter das Abkommen fallenden öffentlichen Aufträge.

29 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes fällt beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur die grenzueberschreitende Erbringung von Dienstleistungen in den Anwendungsbereich von Artikel 113 EWG-Vertrag (Gutachten 1/94 vom 15. November 1994, Slg. 1994, I-5267, Randnr. 53).

30 Da die durch den Beschluß 93/323 zur Annahme des Abkommens und die Entscheidung 93/324 zur Ausdehnung des Geltungsbereichs der Richtlinie 90/531 auf die unter das Abkommen fallenden öffentlichen Aufträge erfassten Erbringungsweisen für Dienstleistungen nicht sämtlich ohne Grenzuebertritt von Personen grenzueberschreitend geschehen, sondern auch Dienstleistungen betreffen, die durch eine gewerbliche Niederlassung oder die Niederlassung natürlicher Personen im Gebiet des anderen Vertragspartners erbracht werden, konnten der Beschluß 93/323 und die Entscheidung 93/324 nicht ausschließlich auf Artikel 113 des Vertrages als Rechtsgrundlage gestützt werden.

31 Der Beschluß 93/323 und die Entscheidung 93/324 sind daher für nichtig zu erklären.

Zur Begrenzung der Wirkungen der Nichtigerklärung

32 Der Rat hat beantragt, die Wirkungen einer etwaigen Nichtigerklärung der Rechtsakte zu beschränken. Das Parlament hat gegen diesen Antrag keine Einwände erhoben.

33 Würden der Beschluß 93/323 und die Entscheidung 93/324 ohne weiteres für nichtig erklärt, so könnte dies die Ausübung der durch diese Rechtsakte begründeten Rechte beeinträchtigen.

34 Zudem ist das Abkommen am 30. Mai 1995 ausser Kraft getreten.

35 Unter diesen Umständen rechtfertigen schwerwiegende ° den bei der Nichtigerklärung bestimmter Verordnungen vorliegenden Gründen vergleichbare ° Gründe der Rechtssicherheit, daß der Gerichtshof von der ihm in Artikel 174 Absatz 2 EWG-Vertrag für den Fall der Nichtigerklärung einer Verordnung eingeräumten Befugnis Gebrauch macht und die Wirkungen der Rechtsakte bezeichnet, die aufrechtzuerhalten sind.

36 Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles sind die gesamten Wirkungen der für nichtig erklärten Rechtsakte aufrechtzuerhalten.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 Absatz 1 tragen die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs als Streithelfer ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Der Beschluß 93/323/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über den Abschluß eines Abkommens in Form einer Vereinbarung für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über das öffentliche Beschaffungswesen und die Entscheidung 93/324/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 betreffend die Ausdehnung der Vorteile der Bestimmungen der Richtlinie 90/531/EWG auf die Vereinigten Staaten von Amerika werden für nichtig erklärt.

2. Die Wirkungen der für nichtig erklärten Rechtsakte werden aufrechterhalten.

3. Der Rat trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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