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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.08.1993
Aktenzeichen: C-366/89
Rechtsgebiete: EWGV, RL Nr. 75/439/EWG
Vorschriften:
EWGV Art. 169 | |
EWGV Art. 171 | |
EWGV Art. 34 | |
RL Nr. 75/439/EWG Art. 4 | |
RL Nr. 75/439/EWG Art. 6 | |
RL Nr. 75/439/EWG Art. 12 |
Das Bestehen einer in Einklang mit dem Schutzzweck einer Richtlinie stehenden Praxis entbindet einen Mitgliedstaat nicht von seiner Pflicht, die Richtlinie in die eigene Rechtsordnung mittels solcher Rechtsvorschriften aufzunehmen, die geeignet sind, eine hinreichend genaue, klare und überschaubare Rechtslage zu schaffen, so daß die einzelnen ihre Rechte und Pflichten erkennen können. Um die volle Anwendung der Richtlinie nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet schaffen. Eine Richtlinienvorschrift, die die innerstaatlichen Behörden zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, ist nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden, wenn der betroffene Mitgliedstaat keine spezifischen Maßnahmen zu ihrem Vollzug getroffen hat, sondern sich auf die Behauptung beschränkt, ein solches Verhalten ergebe sich ganz allgemein aus der Anwendung der Grundsätze einer ordnungsgemässen Verwaltung, die zu beachten die eigenen Behörden gehalten seien.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 2. AUGUST 1993. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - RICHTLINIE 75/439/EWG UEBER DIE ALTOELBESEITIGUNG - VERSTOSS - NICHTDURCHFUEHRUNG EINES URTEILS DES GERICHTSHOFES. - RECHTSSACHE C-366/89.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 4. Dezember 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag beantragt, festzustellen, daß die Italienische Republik zum einen gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 171 EWG-Vertrag dadurch verstossen hat, daß sie ungeachtet des Urteils des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 in den verbundenen Rechtssachen 30/81 bis 34/81 (Kommission/Italienische Republik, Slg. 1981, 3379) weiterhin nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung (ABl. L 194, S. 23; im folgenden: Richtlinie), insbesondere deren Artikel 4, 6, 12 und 15, nachzukommen, und zum anderen ihre Verpflichtungen aus Artikel 34 EWG-Vertrag verletzt hat, indem sie die Ausfuhr von Altöl in andere Mitgliedstaaten in ihren Rechtsvorschriften über das Sammeln dieses Öls ausgeschlossen hat.
2 Die Richtlinie bezweckt namentlich den Schutz der Umwelt gegen nachteilige Auswirkungen des Ableitens, des Lagerns und der Verarbeitung von Altöl.
3 Zur Erreichung dieses Ziels sieht Artikel 3 der Richtlinie vor, daß die Beseitigung von Altölen durch Wiederverwendung, d. h. Aufbereitung oder Verbrennung zu erfolgen hat.
4 Artikel 4 der Richtlinie bestimmt:
"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgendes verboten wird:
1) das Ableiten von Altölen in Oberflächengewässer, Grundwasser, Küstengewässer und Kanalisationen;
2) das Lagern und/oder Ableiten von Altölen, welche schädliche Auswirkungen auf den Boden haben, sowie das unkontrollierte Ablagern von Rückständen aus der Aufarbeitung von Altöl;
3) die Behandlung von Altölen, welche eine Luftverunreinigung hervorruft, die über das in den geltenden Vorschriften festgelegte Niveau hinausgeht."
5 Gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie
"benötigt jedes Unternehmen, das Altöle beseitigt, eine Genehmigung".
6 In Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie heisst es, daß
"[diese Genehmigung] von der zuständigen Behörde erforderlichenfalls nach Prüfung der Anlagen erteilt [wird]" und "die dem Stand der Technik entsprechenden Auflagen [enthält]".
7 Artikel 12 der Richtlinie bestimmt:
"Unternehmen im Sinne des Artikels 6 werden regelmässig von der zuständigen Behörde insbesondere darauf geprüft, daß die Genehmigungsbedingungen eingehalten werden."
8 Schließlich verpflichtet Artikel 15 die Mitgliedstaaten, "der Kommission in regelmässigen Abständen ihre technischen Erkenntnisse sowie die Erfahrungen und Ergebnisse [mitzuteilen], welche sich aus der Anwendung der auf Grund der vorliegenden Richtlinie erlassenen Vorschriften ergeben".
9 In seinem genannten Urteil in der Rechtssache Kommission/Italienische Republik stellte der Gerichtshof fest, die Italienische Republik habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag verstossen, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Fristen alle erforderlichen Maßnahmen getroffen habe, um insbesondere der in Rede stehenden Richtlinie nachzukommen.
10 Im Anschluß an dieses Urteil erließ die Italienische Republik das Dekret Nr. 691 vom 23. August 1982 (GURI Nr. 270 vom 30. September 1982, S. 7081) und teilte dies der Kommission mit.
11 Da die Kommission der Ansicht war, daß dieses Dekret das Urteil des Gerichtshofes nicht durchführe, leitete sie gegen die Italienische Republik das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag ein.
12 Nach der Klageerhebung erließ die Italienische Republik mit Dekret Nr. 95 ihres Präsidenten vom 27. Januar 1992 (GURI Nr. 38 vom 15. Februar 1992, S. 5) die zur Durchführung von Artikel 4 der Richtlinie und zur Vermeidung einer Verletzung von Artikel 34 EWG-Vertrag erforderlichen Maßnahmen. Hieraufhin verzichtete die Kommission in der mündlichen Verhandlung auf ihre diese Bestimmungen betreffenden Rügen und hielt lediglich diejenigen Rügen aufrecht, die sich auf die Artikel 6, 12 und 15 der Richtlinie beziehen.
13 Wegen weiterer Einzelheiten der einschlägigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als dies für die Begründung des Urteils erforderlich ist.
Zu Artikel 6 der Richtlinie
14 Die Kommission wirft der Italienischen Republik vor, Artikel 6 der Richtlinie verletzt zu haben. Die zuständigen Behörden seien ° gleichviel ob es sich um die in Artikel 3 Absatz 3 des Dekrets Nr. 691 vorgesehenen Genehmigungen zugunsten von Unternehmen handele, die Altöl im Wege der nicht gewerbsmässigen Verbrennung beseitigten, oder ob es um die Genehmigungen gehe, die gemäß Artikel 4 bis 6 des Dekrets Nr. 1741 vom 2. November 1933 über Einfuhr, Verarbeitung, Lagerung und Vertrieb von Erdöl und Treibstoff (GURI Nr. 301 vom 30. Dezember 1933, S. 5995) an Unternehmen zu erteilen seien, die die Beseitigung im Wege der Aufbereitung vornähmen ° nicht gehalten gewesen, vor Erteilung der Genehmigung die Anlagen zu überprüfen und die durch den Fortschritt der Technik gebotenen Auflagen anzuordnen, wie dies Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie vorschreibe.
15 Die Italienische Republik erwidert, diese Verpflichtungen stellten nichts anderes dar als die Anwendung der Grundsätze einer ordnungsmässigen Verwaltung, die zu beachten die Behörden auch bei Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung ganz allgemein gehalten seien, da dies bei vernünftiger Betrachtung erforderlich sei, um den Zielen der Genehmigung Genüge zu tun.
16 Nach den Begründungserwägungen der Richtlinie ist der Schutz der Umwelt durch ein wirksames und zusammenhängendes System zu gewährleisten, das einen Genehmigungsmechanismus für Altölbeseitigungsunternehmen sowie geeignete Kontrollverfahren vorsieht.
17 Ferner entbindet das Bestehen einer in Einklang mit dem Schutzzweck einer Richtlinie stehenden Praxis einen Mitgliedstaat nicht von der Pflicht, die Richtlinie in die eigene Rechtsordnung mittels solcher Rechtsvorschriften aufzunehmen, die geeignet sind, eine hinreichend genaue, klare und überschaubare Rechtslage zu schaffen, so daß die einzelnen ihre Rechte und Pflichten erkennen können. Um die volle Anwendung der Richtlinie nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten einen eindeutigen gesetzlichen Rahmen auf dem betreffenden Gebiet schaffen (siehe namentlich das Urteil vom 15. März 1990 in der Rechtssache C-339/87, Kommission/Niederlande, Slg. 1990, I-851, Randnr. 25).
18 Eine Richtlinienvorschrift, die die innerstaatlichen Behörden zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, ist nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden, wenn der betroffene Mitgliedstaat keine spezifischen Maßnahmen zu ihrem Vollzug getroffen hat, sondern sich auf die Behauptung beschränkt, ein solches Verhalten ergebe sich ganz allgemein aus der Anwendung der Grundsätze einer ordnungsgemässen Verwaltung, die zu beachten die eigenen Behörden gehalten seien.
19 Daher ist festzustellen, daß Artikel 6 der Richtlinie nicht ordnungsgemäß in die italienische Rechtsordnung umgesetzt worden ist.
Zu Artikel 12 der Richtlinie
20 Die Kommission wirft der Italienischen Republik vor, diese habe nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die Durchführung der in Artikel 12 der Richtlinie vorgesehenen regelmässigen Überprüfung der mit der Beseitigung von Altöl betrauten Unternehmen zu gewährleisten.
21 Die Kommission macht geltend, da die Dekrete Nrn. 691 und 1741 den zuständigen Behörden keine Verpflichtungen in bezug auf die Genehmigungsvoraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie auferlegten, vermöge das italienische Rechtssystem die regelmässige Überprüfung der Unternehmen nicht zu erzwingen und sei die Verwaltung nicht in der Lage, diese Überprüfung vorzunehmen, insbesondere was die Beachtung jener Voraussetzungen angehe.
22 Nach Auffassung der italienischen Regierung ist diese Rüge zurückzuweisen, weil sie ganz allgemein gehalten und ihre Berechtigung nicht dargetan sei.
23 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
24 Artikel 12 der Richtlinie betrifft die Überprüfung der Unternehmen, denen eine Genehmigung nach Artikel 6 erteilt wurde. Da die italienischen Rechtsvorschriften, wie bereits ausgeführt, die Genehmigung der Beseitigung von Altöl mittels Aufbereitung oder nicht gewerbsmässiger Verbrennung nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen nach Artikel 6 abhängig machen, können die beteiligten Unternehmen nicht den in Artikel 12 vorgeschriebenen Kontrollen unterworfen werden.
25 Daher ist festzuhalten, daß die Italienische Republik ihren Verpflichtungen aus Artikel 12 der Richtlinie nicht nachgekommen ist.
Zu Artikel 15 der Richtlinie
26 Die Kommission wirft der Italienischen Republik vor, sie habe ihr nicht in regelmässigen Abständen ihre technischen Erkenntnisse sowie die Erfahrungen und Resultate mitgeteilt, die sich aus der Anwendung der aufgrund der Richtlinie erlassenen Vorschriften ergäben, obwohl das in Artikel 4 des Dekrets Nr. 691 vorgesehene Zwangskonsortium für das Sammeln von Altöl seit 1983 bestehe und seine Tätigkeit 1985 aufgenommen habe.
27 Die Italienische Republik führt zwar aus, sie habe nicht über endgültige Informationen verfügt, die der Kommission hätten mitgeteilt werden können, bestreitet aber nicht, daß Artikel 15 der Richtlinie nicht in italienisches Recht umgesetzt worden ist.
28 Somit ist festzustellen, daß die Klage der Kommission auch insoweit begründet ist, als sie Artikel 15 der Richtlinie betrifft.
29 Nach alledem ist festzustellen, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 171 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie ungeachtet des vorerwähnten Urteils des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 weiterhin nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um der Richtlinie 75/439, insbesondere deren Artikel 6, 12 und 15, nachzukommen.
Kostenentscheidung:
Kosten
30 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, hat sie die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 171 EWG-Vertrag verstossen, daß sie ungeachtet des Urteils des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1981 in den verbundenen Rechtssachen 30/81 bis 34/81 (Kommission/Italienische Republik) weiterhin nicht alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung, insbesondere deren Artikel 6, 12 und 15, nachzukommen.
2) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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