Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.06.1990
Aktenzeichen: C-37/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Beamtenstatut


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
Beamtenstatut Art. 11 Abs. 2 Anhang VIII
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der Anwendungsbereich von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII zum Statut, wonach die Beamten der Gemeinschaften die in einem nationalen System erworbenen Versorgungsansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften übertragen können, beschränkt sich auf unselbständige Berufe und umfasst nicht Tätigkeiten, die durch wirtschaftliche und persönliche Unabhängigkeit gekennzeichnet sind.

Personen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit wie die eines Rechtsanwalts ausgeuebt haben und ihren Beruf aufgeben, um Gemeinschaftsbeamte zu werden, sind daher beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht berechtigt, die Anwendung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts zu ihren Gunsten zu verlangen.

Diese Bestimmung ist jedoch insoweit ungültig, als sie eine derartige unterschiedliche Behandlung von Beamten, die in einem nationalen System Versorgungsansprüche als Lohn - oder Gehaltsempfänger, und solchen Beamten vorsieht, die sie als selbständig Erwerbstätige erworben haben.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 14. JUNI 1990. - MICHAEL WEISER GEGEN CAISSE NATIONALE DES BARREAUX FRANCAIS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL D'INSTANCE DE PARIS 5EME - FRANKREICH. - BEAMTE - UEBERTRAGUNG VON RUHEGEHALTSANSPRUECHEN. - RECHTSSACHE C-37/89.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal d' instance Paris ( Fünftes Arrondissement ) hat mit Urteil vom 26. Januar 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Februar 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Weiser, Beamter des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, und der Caisse nationale des barreaux français ( Staatliche Kasse der französischen Anwaltschaften; nachstehend : "Kasse ").

3 Herr Weiser, der von 1967 bis 1984 in Paris als Rechtsanwalt zugelassen war, hatte in dieser Eigenschaft Beiträge für seine Altersversorgung an die Kasse entrichtet. Nachdem er 1985 am Gerichtshof zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden war, beantragte er, seine in Frankreich erworbenen, dem Zeitraum der von 1967 bis 1984 entrichteten Beiträge entsprechenden Versorgungsansprüche auf das Gemeinschaftssystem zu übertragen.

4 Gemäß Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Beamtenstatuts kann ein Beamter, der nach Ausscheiden aus dem Dienst bei einer Verwaltung, einer innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung oder einem Unternehmen in den Dienst der Gemeinschaften tritt, bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit entweder den versicherungsmathematischen Gegenwert seines bei seiner Verwaltung, seiner innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung oder seinem Unternehmen erworbenen Ruhegehaltsanspruchs oder den pauschalen Rückkaufwert, den ihm die Pensionskasse dieser Verwaltung, dieser Einrichtung oder dieses Unternehmens zum Zeitpunkt seines Ausscheidens schuldet, an die Gemeinschaften zahlen lassen.

5 Wegen der Weigerung der Kasse, seinem Antrag auf Übertragung seiner Versorgungsansprüche stattzugeben, erhob Herr Weiser Klage. Das mit dem Rechtsstreit befasste Tribunal d' instance Paris ( Fünftes Arrondissement ) hat dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist ein französischer Rechtsanwalt, der seinen Beruf aufgibt, um Beamter zu werden, berechtigt, die Anwendung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften zu seinen Gunsten zu verlangen?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Zur Beantwortung der gestellten Frage muß zunächst die Tragweite von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts bestimmt werden. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift können diejenigen Beamten die Übertragung ihres Ruhegehaltsanspruchs verlangen, die vorher bei einer Verwaltung, einer innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung oder einem Unternehmen im Dienst gestanden haben.

8 Bereits aus dem Wortlaut von Artikel 11 Absatz 2 geht hervor, daß der Beamte vor seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften "bei" einer Verwaltung, einer Einrichtung oder einem Unternehmen im "Dienst" gestanden haben muß, worunter nur ein Dienst verstanden werden kann, der aufgrund eines Statuts oder zur Durchführung eines Vertrages im Lohn - oder Gehaltsverhältnis, nicht aber als selbständige Erwerbstätigkeit ausgeuebt wird.

9 Infolgedessen beschränkt sich der Anwendungsbereich von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts auf unselbständige Berufe und umfasst nicht Tätigkeiten, die, wie die eines Rechtsanwalts, durch wirtschaftliche und persönliche Unabhängigkeit gekennzeichnet sind.

10 Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Personen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit wie die eines Rechtsanwalts ausüben und ihren Beruf aufgeben, um Beamte der Europäischen Gemeinschaften zu werden, nicht berechtigt sind, die Anwendung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften zu ihren Gunsten zu verlangen.

11 Der Kläger des Ausgangsverfahrens sowie die Kommission und der Rat machen indessen geltend, eine derartige wörtliche Auslegung der streitigen Bestimmung verstosse gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Auch die französische Regierung ist der Auffassung, ein Ergebnis, das darauf hinauslaufe, die freien Berufe vom Anwendungsbereich des Artikels 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts auszunehmen, sei schwerlich mit diesem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts vereinbar.

12 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes stellt die Möglichkeit, Versorgungsansprüche übertragen zu lassen, ein vom Statut gewährtes subjektives Recht dar, das sowohl gegenüber den Mitgliedstaaten als auch gegenüber den Gemeinschaftsorganen geltend gemacht werden kann ( siehe das Urteil vom 20. Oktober 1981 in der Rechtssache 137/80, Kommission/Belgien, Slg. 1981, 2393 ).

13 Es ist daher zu prüfen, ob die in Rede stehende unterschiedliche Behandlung von Beamten je nach ihrer beruflichen Vergangenheit mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar ist. Denn dieser Grundsatz stellt ein Grundrecht dar, das auch die Gemeinschaftsbehörden beim Erlaß der Vorschriften zur Regelung des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaften bindet und dessen Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat ( siehe zuletzt die Urteile vom 18. April 1989 in der Rechtssache 130/87, Retter, Slg. 1989, 865, und vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-137/88, Schneemann, Slg. 1990, I-369 ).

14 Hierzu ist zu bemerken, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlaß von Vorschriften über die Übertragung von Versorgungsansprüchen, die ein Gemeinschaftsbeamter im Rahmen eines innerstaatlichen Systems erworben hat, auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften verpflichtet ist, den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten. Er darf daher keine Vorschriften erlassen, die die Beamten ungleich behandeln, es sei denn, daß die jeweilige Lage der Betroffenen bei ihrem Eintritt in den Dienst der Gemeinschaften wegen der besonderen Merkmale der Regelung, nach der die Versorgungsansprüche erworben wurden, oder wegen des Fehlens derartiger Ansprüche eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt.

15 Die blosse Tatsache, daß bestimmte Beamte vor ihrem Eintritt in den Dienst der Gemeinschaften Versorgungsansprüche als Lohn - oder Gehaltsempfänger, andere dagegen als selbständig Erwerbstätige erworben haben, stellt jedoch für die Anwendung von Artikel 11 des Anhangs VIII des Statuts keine unterschiedliche Lage dar, die es rechtfertigen könnte, die Möglichkeit einer Übertragung ihrer Ansprüche den einen zu gewähren und den anderen zu versagen, jedenfalls wenn die einen wie die anderen Beamten Altersversorgungssystemen angeschlossen waren, die, wie die Pflichtversicherungssysteme, für die Durchführung von Artikel 11 des Anhangs VIII des Statuts ähnliche Merkmale aufweisen.

16 Hiernach sieht Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts dadurch, daß er seinen Anwendungsbereich auf Beamte beschränkt, die eine Tätigkeit im Lohn - oder Gehaltsverhältnis ausgeuebt haben, eine unterschiedliche Regelung für persönliche Situationen vor, die im Hinblick auf Wesen und Ziel der umstrittenen Bestimmung keine solchen Unterschiede aufweisen, daß eine derartige unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt wäre.

17 Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts ist daher insoweit ungültig, als er hinsichtlich der Übertragung von Versorgungsansprüchen von einem innerstaatlichen System auf das System der Gemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung von Beamten, die diese Ansprüche als Lohn - oder Gehaltsempfänger, und solchen Beamten vorsieht, die sie als selbständig Erwerbstätige erworben haben. Es ist Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.

18 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß Personen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit wie die eines Rechtsanwalts ausgeuebt haben und ihren Beruf aufgeben, um Gemeinschaftsbeamte zu werden, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht berechtigt sind, die Anwendung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften zu ihren Gunsten zu verlangen. Diese Bestimmung ist jedoch insoweit ungültig, als sie hinsichtlich der Übertragung von Versorgungsansprüchen von einem innerstaatlichen System auf das System der Gemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung von Beamten, die diese Ansprüche als Lohn - oder Gehaltsempfänger, und solchen Beamten vorsieht, die sie als selbständig Erwerbstätige erworben haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der französischen Regierung sowie des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorliegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunal d' instance Paris ( Fünftes Arrondissement ) mit Urteil vom 26. Januar 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Personen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit wie die eines Rechtsanwalts ausgeuebt haben und ihren Beruf aufgeben, um Gemeinschaftsbeamte zu werden, sind beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht berechtigt, die Anwendung von Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften zu ihren Gunsten zu verlangen.

Diese Bestimmung ist jedoch insoweit ungültig, als sie hinsichtlich der Übertragung von Versorgungsansprüchen von einem innerstaatlichen System auf das System der Gemeinschaften eine unterschiedliche Behandlung von Beamten, die diese Ansprüche als Lohn - oder Gehaltsempfänger, und solchen Beamten vorsieht, die sie als selbständig Erwerbstätige erworben haben.

Ende der Entscheidung

Zurück